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Fliegen um Leben und Tod

Bergretter zwischen Matterhorn und Everest

AutorGerold Biner, Sabine Jürgens
VerlagOrellFüssli
Erscheinungsjahr2014
Seitenanzahl256 Seiten
ISBN9783280038369
Altersgruppe13 – 
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis19,99 EUR
Mit beispiellosem Engagement und eisernem Willen organisieren Gerold Biner und seine Schweizer Kollegen aus Zermatt den Aufbau einer Rettungsstation und ein Ausbildungsprogramm in Nepal. Dabei erleben sie wunderbare Fortschritte, aber auch dramatische Rückschläge. Eine Abenteuergeschichte, der es nicht an persönlichen Statements fehlt, sei es zur Leichtsinnigkeit mancher Berggänger oder zu Extremsportarten, die den Tod als ständigen Begleiter haben. Biner redet Klartext und kontert die Kritik an den Schweizer Bergrettern im Zusammenhang mit Rettungseinsätzen auf dem Dach der Welt.

Gerold Biner aus Zermatt gehört zu den erfahrensten Hubschrauberpiloten im Bergrettungswesen.

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Leseprobe

Einsatz am Manaslu – Schweizer Bergretter im Himalaja

Donnerstag, 12. Mai 2011, Lukla, Everestregion

Seit drei Wochen bin ich nun schon in Nepal. Ich vermisse mein kleines Schweizer Bergdorf am Fuße des Matterhorns, das ich in den letzten zwei Jahren immer wieder verlassen habe, um hier im gewaltigen Himalaja Rettungseinsätze zu fliegen – und anderen das Fliegen und Retten beizubringen. Der Aufbau einer Rettungsstation in Nepal ist für mich aber nicht nur ein Projekt, es ist eine Herzensangelegenheit. Ebenso wie das Fliegen selbst …

Die Beauty Shots für die Dokumentation des Schweizer Fernsehens über unser Nepal-Projekt sind endlich im Kasten. Eine spezielle, vibrationsfreie Cineflex-Kamera, die an der vorderen Unterseite des Helikopters montiert wurde, sowie eine Begleitperson und mehr als 100 Kilogramm Technik an Bord haben das Steuern in diesen Höhen zu einer Zerreißprobe werden lassen. Das Triebwerk gelangte an seine Leistungsgrenze – und wir an den Rand der Verzweiflung. Schon seit über zwei Jahren begleitet und dokumentiert das TV-Team unsere Arbeit im Himalaja. In den letzten Tagen aber war der Druck auf die gesamte Mannschaft noch einmal enorm gestiegen, denn alles hing plötzlich von diesen einmaligen Aufnahmen rund um den Everest ab. Warum bloß hatte ich dem Produzenten und Regisseur Frank Senn versprochen, ja regelrecht garantiert, die geforderten Aufnahmen – Everest, Basecamp, Ama Dablam, das Kloster von Tengboche, der Cho La-Pass, Berge und Gletscher – zu liefern, obwohl uns der leistungsstärkere Heli AS 350 B3 nicht zur Verfügung stand? Nun war ich auf den schwachen B2 angewiesen.

Vergangene Nacht in der Himalaja Lodge habe ich deshalb kein Auge zugetan, während mein Projektpartner, der weltbekannte Bergretter Bruno Jelk, neben mir in seinen ebenfalls weltbekannten komatösen Schlaf fiel. Etwas beunruhigt schlich ich mich ganz nah an sein Bett, hörte seinen gleichmäßigen Atem und stellte erleichtert fest: Gott sei Dank, er lebt! Aber wie konnte dieser Mann einfach so die Augen schließen und einschlafen? Egal, wo wir waren und welches Problem uns beschäftigte: ­Sobald es Zeit war zu schlafen, schloss Bruno die Augen und schlief. Im Gegensatz zu mir …

Am Morgen waren die Probleme zwar immer noch da, und der Flug wurde wahrlich kein Spaziergang – aber dank der hochmodernen Kamera gelingen sagenhafte Aufnahmen. Augenblicklich weicht aller Druck von uns. Als uns plötzlich ein Notruf vom Manaslu, dem achthöchsten Berg der Welt (8163 Meter), erreicht: Der Sherpa einer französischen Expedition ist beim Abstieg vom Gipfel zu früh abgebogen und nun im Nebel, irgendwo zwischen Camp 4 und Camp 3, in einer steilen Bergflanke blockiert. Via Satellitentelefon hat er seinem Bruder in Kathmandu mitgeteilt, die Gäste würden ihm folgen, aber er habe sie aus den Augen verloren; auch sei er inzwischen schneeblind. Dringend brauche er etwas zu essen und zu trinken. Sein Kollege sei ohne Gäste unterwegs und bereits zum Camp 3 abgestiegen …

Nicht nur für uns wird der Tag länger als erwartet, auch das TV-Team entschließt sich spontan, den unerwarteten Einsatz zu filmen, hofft auf weitere spektakuläre Aufnahmen. Das heißt aber auch, die ungeliebte Cineflex bleibt, wo sie ist, und macht dem Piloten das Steuern unnötig schwer. Der Pilot der Fishtail Air ist Ashish Serchan. Er fliegt uns mit Sack und Pack nach Kathmandu, wo uns die Expeditionsfirma über die Geschehnisse informiert, und wir werden von allen Seiten bedrängt, zum Manaslu zu fliegen – obwohl das Wetter an diesem Nachmittag nicht mehr besonders gut und die Route weder von Samagaon, dem Bergdorf am Fuße des Achttausenders, noch vom Basecamp aus gut einsehbar ist. Der Bruder des im Nebel feststeckenden Sherpas will aber unbedingt so nah wie möglich an den Berg heran. Also fliegen wir bepackt mit Rettungsmaterial und Nahrungsmitteln in Richtung Gorkha, Arughat Bazar. Eine Woche zuvor war ich mit den Fishtail Air-Piloten Siddharta Gurung und Ashish von Arughat Bazar aus mehrmals in das Tal des Manaslu geflogen, um Lasten in einzelne Dörfer zu liefern. Diese liegen etwa 300 Meter über der Talsohle, welche auf einer Länge von mehr als 45 Kilometern so eng ist, dass die maximale Talbreite auf Höhe des Flusses weniger als fünfzig Meter beträgt. Auf unserem ersten Flug war mir sehr mulmig, weil wir noch nicht wussten, wo die lebensgefährlichen Kabel der Transportbahnen und Halterungen der Hängebrücken verlaufen. Doch dank etlicher Flüge in dieses sehr enge Tal sind wir mittlerweile mit den Hindernissen vertraut.

Vor uns erscheinen Felsen, Wasserfälle, Flussläufe und Wälder in faszinierenden Farben. Das Wetter aber ist mittlerweile so schlecht und unsere Flugbahn in der Schlucht derart tief, dass ich mir um den Rückweg ernsthaft Gedanken mache und uns schon in einer kargen Hütte übernachten sehe … Kurz vor Samagaon wird das Tal breiter und ähnelt jetzt dem Mattertal im Wallis. Hinter dem Hochgebirgsdorf geht es in einer Linkskurve zu der großen Moräne, die zum Basecamp des Manaslu hochführt. Könnten wir das Basislager erreichen, wäre das bereits ein Erfolg. Das schlechte Wetter macht uns jedoch einen Strich durch die Rechnung – und ich breche den Anflug unterhalb des Camps ab. Stattdessen landen wir auf dem Helipad in Samagaon. Der Bruder des Sherpas bleibt am Fuße des Manaslu zurück, während wir unverrichteter Dinge und unter größten Schwierigkeiten wieder zurück zu unserem Ausgangspunkt nach Kathmandu fliegen. Im Hotel Shangri-La können wir uns endlich den Staub aus den Haaren waschen, bevor wir uns über das weitere Vorgehen der für morgen früh geplanten Rettungsaktion verständigen. Nach einem guten Abendessen sinken wir schließlich in unsere Betten und schlafen ein.

Ashish holt uns bereits um 5.30 Uhr ab. Neuigkeiten von unserem schneeblinden Sherpa gibt es nicht, der Kontakt ist abgebrochen. Also wollen wir einen neuen Versuch starten, doch schon beim ersten Blick nach draußen werden wir eines Besseren belehrt: Bodennebel. Uns bleibt nichts anderes übrig, als auf unseren Rucksäcken vor den abflugbereiten Helikoptern sitzend zu warten. Das Filmteam wird wie besprochen mitfliegen und Siddharta die schwächere B2 mit der Cineflex steuern, während Ashish und ich die B3 für den Rettungseinsatz übernehmen. Nach einer Stunde ist es endlich so weit: Ashish probiert als Erster, die Nebeldecke zu durchdringen und die kontrollierte Flugzone vom Flugplatz in Kathmandu Richtung Norden zu verlassen. Über Funk und in Maschinengewehrgeschwindigkeit informiert er auf Nepali die Kollegen sämt­licher Helikopterfirmen darüber, dass wir gerade über den ersten Pass fliegen und auf dem Weg zum Manaslu sind.

Das Wetter ist gut. Noch. Aber wir haben bereits eine Stunde im Nebel von Kathmandu verloren. Kurz nach Philim erhebt sich vor uns die mächtige Pyramide des Manaslu. Erste Quellwolken haben sich gebildet, und kaum auf unserer Basis in Samagaon gelandet, dränge ich zum ­Aufbruch. Siddharta wird weiterhin den Cineflex-Heli fliegen, während Ashish mir die B3 überlässt, aus der wir nun das gesamte Material – die Türen und den 15 Kilogramm schweren Bodenschutz – herausräumen. Auch die überzählige Bestuhlung muss raus, um so hoch wie möglich fliegen zu können. Bruno und unser Bergretterazubi Tshering Pande Bhote hocken auf dem Kabinenboden und sichern sich mittels Bandschlingen an den Halterungen der Sitzgurte. Dann geht es zwischen den Wolken, auf 5000 Metern über dem Meeresspiegel, vorbei am Basecamp in Richtung Camp 1. Hier oben ist das Wetter bedeutend besser, und in einer Linkskurve steigen wir an den riesigen Abbrüchen vorbei Richtung Ostwand. Plötzlich sehe ich rechts von mir eine Person, knapp unterhalb von Camp 2. Ein Bergsteiger in gelber Jacke und roten Hosen schleppt sich in knietiefem Schnee die steile Seite nach unten. Auf einer Höhe von 6300 Metern schwebe ich in langsamer Vorwärtsfahrt an dem offenbar total erschöpften Alpinisten vorbei und versuche, ihn mittels Handzeichen zum Anhalten zu bewegen. Er setzt sich in den Schnee und lässt den Kopf sinken. Ich kann seinen dunklen Teint erkennen, es könnte sich also um einen der beiden Sherpas handeln. Wahrscheinlich um jenen, der schon beim Aufstieg umgekehrt ist. Vom Rest der Truppe fehlt jedoch jede Spur an diesem riesigen Berg. Wir entscheiden uns, den Unglücklichen später auszufliegen, und steigen in einer weiten Kurve nach oben.

Beim Camp 2, auf 6400 Metern, haben Bruno und Tshering, gemeinsam mit dem Zermatter Piloten Dani Aufdenblatten, vor knapp zehn ­Tagen einen toten Koreaner vom Berg geholt. Gleich daneben lag der Leichnam eines Bergsteigers aus dem Nahen Osten. Leider gab die Regierung für seinen Abtransport kein grünes Licht, und wir mussten ihn im Schnee zurücklassen. Im Vorbeiflug können wir sehen, dass die große Neuschneemenge alles zugedeckt hat, von dem toten Bergsteiger ist nichts mehr zu sehen. Leider auch nichts von dem zweiten Sherpa und den Franzosen. Unser Heli erreicht mit drei Mann an Bord eine Höhe von fast 7000 Metern. Wir fliegen den North Col...

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