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E-Book

Flucht

Was Afrikaner außer Landes treibt

AutorWinnie Adukule
VerlagDas Neue Berlin
Erscheinungsjahr2016
Seitenanzahl240 Seiten
ISBN9783360501271
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis9,99 EUR
Millionen von Menschen fliehen nach Europa und versetzen nicht nur Deutschland in Aufruhr - doch lässt sich das Problem von hier aus überhaupt lösen? Um den Sammelbegriff 'Flüchtlinge' gruppieren sich immer mehr Pauschalisierungen und Ressentiments. Zeit, die verworrene Situation von ihrem Anfang her zu betrachten: Warum brechen Unzählige auf, ihr Glück fern der Heimat zu suchen? Die ostafrikanische Anwältin Winnie Adukule, seit Jahren mit internationalem Recht und Flüchtlingen befasst, hat ihre Landsleute befragt - Fluchtwillige, Heimkehrer, aber auch internationale Entwicklungshelfer und staatliche Funktionäre. Sie gibt den Flüchtlingen eine Stimme, um die Gemengelage zu durchdringen und Lösungsansätze dort zu finden, wo sich die Ursachen am nachhaltigsten bekämpfen lassen: in den Herkunftsländern.

Winnie Adukule, geboren 1977 in Kampala, Uganda, studierte Jura an der Makerere-Universität ihrer Heimatstadt und an der Ohio Northern University in den USA. Sie arbeitete vier Jahre für die UNO in New York und wirkte an deren Antikorruptionsbericht von 2008/2009 mit. Heute bearbeitet sie als Anwältin und Notarin in ihrer eigenen Kanzlei in Kampala hauptsächlich Flüchtlingsfälle. Winnie Adukule ist verheiratet und seit 2005 Mutter einer Tochter.

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Leseprobe

2.

Fred Kiwanuka

Kommandant der Flüchtlingssiedlung Kyaka II in Kyegewa

»Ein halber Hektar und zehn Kilo Bohnen«

Der Jeep fährt in westliche Richtung, etwa zweihundert Kilometer hinter Kampala verlassen wir die Asphaltpiste. Dann geht es noch einige Zeit über eine Landstraße. Der gewellte Boden, über den wir rollen, ist rot bis rostbraun wie überall im Land und gesäumt von immergrünen Pflanzen. Keine Felder, nur Natur. Ab und an überholen wir Fußgänger oder Radfahrer, mitunter donnert ein Motor­rad vorbei, drei Menschen sitzen auf der Bank, Helme tragen sie nicht. Irgendwann treffen wir auf eine Herde brauner Rinder. Die spitzen Hörner der großen Tiere sind so lang, dass sie einen das Fürchten lehren. Ein Treiber lächelt uns zu, in der Nähe muss also eine Siedlung sein.

Nach geraumer Zeit erreichen wir die Flüchtlingssiedlung Kyaka II im Distrikt Kyegewa, eines von vielen Refugee Settlements in Uganda. Kein Lager, wie uns Kommandant Fred Kiwa­nuka in seinem winzigen Büro gleich bei der Begrüßung korrigiert, nachdem wir ihn fälschlich als Lagerchef ­angeredet hatten. Ihm liegt das Schreiben aus dem Büro des Premierministers vor, mit dem wir avisiert worden sind. Er faltet seine Hände auf dem Schreibtisch. Über und hinter ihm hängt Präsident ­Yoweri Museveni, das Porträt verleiht dem kargen Raum etwas Offizielles. Vermutlich deshalb harren draußen etliche Menschen aus – sie warten darauf, beim Chief vorsprechen zu dürfen.

Unter dem Präsidentenfoto ein Spruch an der Wand, ausgedruckt vom Computer. »Give a thousand chances to your enemy to become your friend. But don’t give a ­single chance to your friends to become your enemy.« (Gibt deinem Feind tausend Möglichkeiten, dein Freund zu werden. Aber gib deinem Freund keinen einzigen Anlass, zu deinem Feind zu werden.)

Ist das als eine Drohung zu verstehen?

Nein, eine Aufforderung zur Toleranz und zu einem friedlichen Miteinander. (Kiwanuka lacht.) Mancher, der zu uns kommt, meint, er könne den Konflikt, vor dem er eigentlich floh, hier fortsetzen.

Uganda hat bislang anderthalb Millionen Flüchtlinge aus den Nachbarstaaten aufgenommen. Mich interessiert, wie das erfolgt, was mit den Flüchtlingen geschieht. Die Welt kennt die riesigen Lager aus Zelten und Baracken im Nahen Osten, im Tschad, Kongo, Thailand … Außer den gemauerten Gebäuden vor diesem Büro sieht man dergleichen hier nicht.

Wir sind ja auch kein Camp, sondern eine weitläufige Siedlung, in der derzeit 26 000 Flüchtlinge verschiedener Nationalitäten leben. Der größte Teil stammt aus der Demokratischen Republik Kongo, etwa 90 Prozent. Außerdem haben wir Flüchtlinge aus Ruanda, Burundi, sehr viele stammen aus Kenia, wenige aus Äthiopien, Eritrea und Somalia sowie aus dem Sudan und dem Südsudan.

Auch Ugander aus gefährlichen Regionen, in denen islamistische oder andere Terrororganisationen aktiv sind?

Nein, sie gelten nicht als Flüchtlinge in diesem Sinne. Für sie sind andere Stellen zuständig.

Wie funktioniert das Flüchtlingssystem? Wer kommt hierher und auf welche Weise?

Wir unterscheiden in zwei verschiedene Kategorien. Die einen sind »prima facie«, sie werden »vorläufig und/oder unter Vorbehalt« als Flüchtlinge anerkannt. Die anderen erhalten gemäß der Genfer Flüchtlingskonvention von 1951 und des Uganda Refugee Act von 2006 durch Einzelfallprüfung (»individual status determination«) den Status als Flüchtling zuerkannt.

Die Prima-facie-Regelung ist vor allem für große Gruppen vorgesehen, die aus Bürgerkriegsregionen wie etwa dem Südsudan oder aus einer Katastrophenregion flüchten, etwa aus Dürregebieten, wo Hungersnot herrscht. In solchen Fällen entscheidet der zuständige Minister, dass Menschen aus dieser Region, die in einem bestimmten Zeitraum nach Uganda kommen, ohne Einzelfallprüfung als Flüchtlinge anerkannt werden. Es gibt viele Neuankömmlinge in so kurzer Zeit, dass es anders auch nicht zu bewältigen ist.

2012/13 hatten wir den Fall, dass viele Kongolesen aufgrund der eskalierenden Kämpfe zwischen Armee und Rebellen flüchteten. Die meisten kamen nach Uganda, in den Distrikt Bundibugyo. Das waren über 40 000 Menschen, die die Regierung in ihrer Gesamtheit als Flüchtlinge anerkannt hat.

Ein aktuelles Beispiel ist Burundi, wo schreckliche Unruhen toben. Für alle Flüchtlinge von dort gilt ebenfalls die Prima-facie-Regelung. Wir haben nur die Aufgabe zu überprüfen, ob diese Personen tatsächlich von dort kommen, unbewaffnet sind und kein Sicherheitsrisiko darstellen.

Die andere Variante ist die bereits erwähnte Einzelfallprüfung, wofür ein individueller Asylantrag vorliegen muss. Wenn jemand als Grund für seine Flucht Verfolgung in seiner Heimat angibt, prüft eine Kommission, das »Refugee Eligible Comitee«, ob die Kriterien für die Anerkennung als Flüchtling gegeben sind. Wenn das der Fall ist, wird ein entsprechendes Passdokument ausgestellt.

Wird ein solcher Antrag schon außerhalb Ugandas gestellt oder erst vor Ort?

In der Regel erst in Uganda. Es gibt drei Möglichkeiten. Entweder schlagen sich die Menschen nach Kampala durch und melden sich dort, oder sie werden von der Grenzpolizei aufgegriffen. Dritte Option: Sie melden sich direkt in einer Siedlung wie der unseren, weil sie davon gehört haben. Dann werden ihre Asylanträge direkt vor Ort bearbeitet. Die Prüfungskommission kommt in die Siedlung und befragt die Antragsteller.

Wer gehört dieser Kommission an?

Ugander aus verschiedenen Behörden, die mit dem Flüchtlingsproblem befasst sind.

Was geschieht, wenn die Prüfung die Angaben des Flüchtlings bestätigt und der Asylantrag positiv entschieden wird, er also bleiben kann?

Wer als Flüchtling anerkannt ist, hat Anspruch auf ein Stück Land von 50 mal 100 Metern. Ist die Familie größer, gibt es auch mehr. Auf diesem halben Hektar kann die Familie sich ein Hütte bauen und Landwirtschaft betreiben. Wir stellen dafür das Basismaterial zur Verfügung: Werkzeuge, Bau­material, Saatgut. Und natürlich liefern wir auch Know-how. Etwa wie man aus Lehm Ziegel für den Bau herstellt, mit welchem Material das Dach ausgestattet wird usw.

Und dieses Land befindet sich innerhalb dieser und ähnlicher Siedlungen?

Ja. Kyaka II umfasst 81 Quadratkilometer. Solange die Flüchtlinge hier leben, sind ihre Familien sicher und können Landwirtschaft betreiben, um sich zu ernähren. Es gibt Schulen, wir stellen Wasser, öffentliche Dienstleistungen und medizinische Versorgung sicher, den Lebensunterhalt und weiterführende Bildung.

Gibt es Gründe, warum diese Siedlung sehr weit von größeren Ortschaften entfernt liegt?

Ja, natürlich. In dieser Region steht einfach genügend Land bereit, das der Regierung gehört. Bedenken Sie: Wir haben hier 8,1 Millionen Hektar zur freien Verfügung. Und so weit weg von der Hauptstadt sind wir gar nicht, andere Siedlungen sind viel weiter von den Städten entfernt.

Es leben auch Flüchtlinge in Kampala, die nennen sich »Städtische«. Das sind solche, die mit Landwirtschaft nichts anfangen können. Somalis zum Beispiel kommen in der Stadt besser zurecht, sie sind keine Bauern.

Sie sagten »solange die Flüchtlinge hier leben«. Ist der Aufenthalt befristet? Müssen sie nach einer bestimmten Zeit wieder gehen? Ist ihnen überhaupt erlaubt, sich von hier fortzubegeben?

Es gilt die gesetzliche Freizügigkeit, sie können also in jeden beliebigen Landesteil reisen und sich dort ansiedeln, wenn sie mögen. Wir ermutigen sie sogar dazu, um Anschluss an Verwandte und Stammesangehörige zu finden. Allerdings erfolgt das alles kontrolliert. Wir haben – zum Schutz der Flüchtlinge – in der Siedlung Sicherheitspersonal und verfolgen nach, wohin sie gehen. Auf diese Weise können wir helfend eingreifen, wenn es Probleme gibt. Aber sie können sich frei bewegen, ohne Einschränkung arbeiten, egal in welcher Profession.

Wir stellen der Familie ein spezielles Dokument aus, »station parchment« genannt. Es weist alle Familienmitglieder mit Passbild aus. Daneben erhält jeder einen Flüchtlingsausweis. Damit können sie sich identifizieren, wenn sie unterwegs sind.

Kann man damit auch ins Ausland reisen?

Nein, der Flüchtlingsausweis gilt nur innerhalb Ugandas. Für Auslandsreisen benötigen sie einen Reiseausweis für Staatenlose, das »convention travel document« (CTD), was ihnen erlaubt, aus Uganda aus- und wieder einzureisen. Sie können damit natürlich auch in ihr Heimatland zurückkehren, aber dann verlieren sie ihren Flüchtlingsstatus.

Wie lange bleiben die Leute normalerweise hier in der Siedlung?

Sehr lange. Manche leben bereits seit 15 Jahren hier. Aber sie leben auf eigenen Füßen. Nach der Anschubunterstützung wird die Menge an Saatgut von Mal zu Mal reduziert, um sie zur Steigerung ihrer Ernten zu bewegen.

Seit wann existiert Kyaka II bereits?

Seit 1994, seit der Ruanda-Krise, als dort die Hutu innerhalb weniger Monate Hunderttausende Tutsi abschlachteten.

Sind von damals noch Flüchtlinge hier?

Nein. Die meisten waren Tutsi, sie kehrten wieder nach Ruanda...

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