I.
„Weil du das getan
hast …“
(Gen 3,14)
Vertreibung aus dem Paradies
Der biblische „Garten Eden“ wird in griechischer Übersetzung „Parádeisos“ – zu Deutsch „Paradies“ – genannt. Ursprünglich stammt dieser Begriff aus der persischen Sprache und diente zur Bezeichnung eines umfriedeten Gartens. In dieser praktischen Bedeutung gelangte der Ausdruck auch in die griechische Sprachwelt. Xenophon (430–355 v. Chr.) benutzt ihn zum Beispiel zur Beschreibung von Parkanlagen persischer Großkönige. Gestaltete Gärten haben für die Menschen aller Zeiten eine besondere Bedeutung gehabt. Sie bringen Natur und Kultur zusammen. Es wundert daher kaum, dass sie leichthin zum Realsymbol kosmologischer Weltbilder wurden. Zahlreiche Mythen sprechen von einem urzeitlichen Garten und verbinden mit solch einem Paradies vollkommene Glückseligkeit. Dort leben die Götter; Helden und andere ausgezeichnete Sterbliche werden dorthin entrückt. Kronos, der Herr des Goldenen Zeitalters, wohnt nach der Vorstellung griechischer Mythologie auf den rosenumrankten Feldern Elysions, einer Traumlandschaft fortwährenden Frühlings.
Gottes Garten
Von einem Gottesgarten spricht auch das Alte Testament. Das zweite Kapitel der Genesis erzählt seine Geschichte:
4b Zur Zeit, als Gott, der Herr, Erde und Himmel machte, 5 gab es auf der Erde noch keine Feldsträucher und wuchsen noch keine Feldpflanzen; denn Gott, der Herr, hatte es auf die Erde noch nicht regnen lassen, und es gab noch keinen Menschen, der den Ackerboden bestellte; 6 aber Feuchtigkeit stieg aus der Erde auf und tränkte die ganze Fläche des Ackerbodens. 7 Da formte Gott, der Herr, den Menschen aus der Erde vom Ackerboden und blies in seine Nase den Lebensatem. So wurde der Mensch zu einem lebendigen Wesen. 8 Dann legte Gott, der Herr, in Eden, im Osten, einen Garten an und setzte dorthin den Menschen, den er geformt hatte. 9 Gott, der Herr, ließ aus dem Ackerboden allerlei Bäume wachsen, verlockend anzusehen und mit köstlichen Früchten, in der Mitte des Gartens aber den Baum des Lebens und den Baum der Erkenntnis von Gut und Böse. 10 Ein Strom entspringt in Eden, der den Garten bewässert; dort teilt er sich und wird zu vier Hauptflüssen. 11 Der eine heißt Pischon; er ist es, der das ganze Land Hawila umfließt, wo es Gold gibt. 12 Das Gold jenes Landes ist gut, dort gibt es auch Bdelliumharz und Karneolsteine. 13 Der zweite Strom heißt Gihon; er ist es, der das ganze Land Kusch umfließt. 14 Der dritte Strom heißt Tigris; er ist es, der östlich an Assur vorbeifließt. Der vierte Strom ist der Eufrat. (Gen 2,4b–14)
Ausgehend von einer Art Urzustand, berichtet der biblische Text von der Erschaffung des Menschen. Das Ganze wird in das Licht einer kunstvollen Handlung getaucht. Der Ausdruck „formen“ ist in der hebräischen Bibel – ähnlich wie „erschaffen“ – allein Gott vorbehalten. Er ist der Künstler, der Mensch ist Gottes Kunstwerk. Es ist bezeichnend, wie groß hier vom Menschen gedacht wird. Der Mensch ist mit unermesslicher Würde ausgestattet seit Anbeginn. Er ist viel mehr als eine nur zufällig ins Dasein geworfene Kreatur – er ist von Gott gewollt, ein wahres Meisterstück.
Kurz zuvor fiel noch der Hinweis, es habe niemanden gegeben, der den vorhandenen Ackerboden hätte bestellen können – der Mensch sei schließlich noch nicht geschaffen worden (Gen 2,5). Jetzt ist er da – doch überraschenderweise stellt Gott die Krone seiner Schöpfung nicht gleich hinter den Pflug, wie folgerichtig zu erwarten stünde, sondern setzt ihn in einen Garten. Eden mag früher einmal tatsächlich der Name eines Landstrichs gewesen sein.1 Für die biblische Erzählung ist Eden ein Programmwort. Im Hebräischen erinnert das Wort an Freude und Wonne.2 Darum geht es. Die grundlegende Schöpfungswirklichkeit des Menschen ist sein Geschaffensein aus Gott. Diese Ursprünglichkeit in unermesslicher und ewiger Liebe ist Grund lebendiger Fröhlichkeit und tiefer Freude.
Dass die Bäume des Gottesgartens schön und seine Früchte köstlich sind, weist ihn als etwas Besonderes aus. Zwei Bäume werden eigens erwähnt: der „Baum des Lebens“ und der „Baum der Erkenntnis von Gut und Böse“. Sie markieren nicht nur die geografische Mitte des Gartens. Im „Baum des Lebens“ scheint ein Motiv auf, das sich in vielen altorientalischen Mythen findet. Immer geht es um Sorglosigkeit und Unsterblichkeit. Die Genesis erwähnt den Baum zunächst nur ganz kurz. Seine besondere Rolle in der Dramaturgie der Erzählung erklärt sich erst vom Ende der biblischen Paradiesgeschichte her. Ähnlich verhält es sich mit dem „Baum der Erkenntnis von Gut und Böse“. Für ihn sind keine außerbiblischen Vorbilder bekannt. Aber es ist klar, dass Erkenntnis im Vorstellungsraum der Heiligen Schrift weit mehr bedeutet als menschliche Fassungsgabe und Intelligenz. Vielmehr geht es um das auch spirituelle Erfassen dessen, was diese Welt im Innersten zusammen hält.
Jeder Garten braucht eine ausreichende Bewässerung. Im Garten Eden entspringt ein breiter Strom, der zugleich als Ursprung der lebenspendenden Wasserläufe der Erde vorgestellt wird. Die Vierzahl dieser Flüsse entspricht den vier Himmelsrichtungen und steht für die ganze Schöpfung. Auf der Symbolebene wird so eine Verbindungslinie gezogen zwischen den unzählbar vielen vitalisierenden Rinnsalen dieser Welt und ihrem einen und einzigen mystischen Ursprung, aus dem sie hervorgegangen sind. Wasser ist die Quelle des Lebens. Und dieses Leben überströmt die Erde. Man kann sicher fragen, ob dem biblischen Autor konkrete Flüsse vor Augen gestanden haben. Das ist durchaus möglich, aber durch moderne Bibelwissenschaft kaum rekonstruierbar. Eufrat und Tigris sind bis in die Gegenwart hinein bekannt. Die restlichen Angaben verlieren sich im Nebulösen. Das Land Hawil könnte Arabien sein, der Pischon vielleicht der Indus. Wenn das Land Kusch Äthiopien sein sollte, wäre der Gihon möglicherweise der Nil, dem die antike Welt einen geheimnisvollen Ursprung zusprach. Entscheidend ist, dass der zweite Schöpfungsbericht dem Wasser eine hohe Bedeutung beimisst. Nicht sein lebensbedrohliches Potenzial steht im Vordergrund, sondern seine Leben schaffende und ermöglichende Kraft. Die aber ist auf das Engste mit Eden verbunden.
In diesen Garten hinein platziert Gott den Menschen:
15 Gott, der Herr, nahm also den Menschen und setzte ihn in den Garten von Eden, damit er ihn bebaue und hüte. 16 Dann gebot Gott, der Herr, dem Menschen: Von allen Bäumen des Gartens darfst du essen, 17 doch vom Baum der Erkenntnis von Gut und Böse darfst du nicht essen; denn sobald du davon isst, wirst du sterben. 18 Dann sprach Gott, der Herr: Es ist nicht gut, dass der Mensch allein bleibt. Ich will ihm eine Hilfe machen, die ihm entspricht. 19 Gott, der Herr, formte aus dem Ackerboden alle Tiere des Feldes und alle Vögel des Himmels und führte sie dem Menschen zu, um zu sehen, wie er sie benennen würde. Und wie der Mensch jedes lebendige Wesen benannte, so sollte es heißen. 20 Der Mensch gab Namen allem Vieh, den Vögeln des Himmels und allen Tieren des Feldes. Aber eine Hilfe, die dem Menschen entsprach, fand er nicht. 21 Da ließ Gott, der Herr, einen tiefen Schlaf auf den Menschen fallen, sodass er einschlief, nahm eine seiner Rippen und verschloss ihre Stelle mit Fleisch. 22 Gott, der Herr, baute aus der Rippe, die er vom Menschen genommen hatte, eine Frau und führte sie dem Menschen zu. 23 Und der Mensch sprach: Das endlich ist Bein von meinem Bein und Fleisch von meinem Fleisch. Frau soll sie heißen, denn vom Mann ist sie genommen. 24 Darum verlässt der Mann Vater und Mutter und bindet sich an seine Frau, und sie werden ein Fleisch. 25 Beide, Adam und seine Frau, waren nackt, aber sie schämten sich nicht voreinander. (Gen 2,15–25)
Es lohnt sich, einen Blick auf die genaue Formulierung zu werfen. Die Bibel sagt, dass Gott den Menschen „nahm“ und ihn dann „in den Garten von Eden setzte“ (Gen 2,15). Diese Wendung hat Gewicht. Im Kontext des ganzen Alten Testaments zeigt sie eine besondere göttliche Erwählung an (vgl. Gen 24,7 im Blick auf Abraham; Ps 78,70 im Blick auf David und Am 7,15 im Blick auf Amos). Die Tatsache, dass der Schöpfer dieser Welt sein vornehmstes Geschöpf, den Menschen, vom Ackerboden weg hinein in den Paradiesgarten verlegt, ist erneut Ausdruck seiner einzigartigen Würde. Dem widerspricht nicht, dass es von nun an Aufgabe des Menschen sein sollte, den Paradiesgarten zu hegen und zu pflegen (vgl. Gen 2,15). Der kultivierte Garten ist offenkundig Gottes anvisiertes Ziel. Das ist nicht nur eine Aussage über die Schöpfung, es...