Kommentar
Die Botschaft der Dschihad-Brigade
Im Januar 2015 hat der in London angesiedelte Thinktank »Quilliam Foundation« die Übersetzung eines Manifests veröffentlicht, das im arabischen Original auf die Al-ḫansā-Brigade, eine Gruppierung innerhalb des selbsternannten »Islamischen Staates« zurückgeht und »Die Frau im Islamischen Staat. Eine Botschaft und Erklärung der Brigade Al-ḫansāʾ« heißt und das später als »Manifest« bezeichnet wird. Die Al-ḫansāʾ-Brigade (auch Al-Khanssaa-Brigade) wird als eine Gruppe von »Sittenwächterinnen« beschrieben, die unislamisches Verhalten denunzieren oder gar selbst sanktionieren. Ein Artikel der deutschen Huffington Post zitiert Melanie Smith vom King’s College’s International Centre for the Study of Radicalisation mit dieser Einschätzung: »Al-Khanssaa ist eine Sharia-Polizei. Wir glauben, dass es sich dabei um britische und französische Frauen handelt. Die Anzahl der britischen Frauen, die auswandern wollen, ist zuletzt kometenhaft angestiegen. Denn für Frauen ist es einfacher, in den Dschihad zu ziehen – sie wirken einfach weniger verdächtig als Männer, wenn sie Großbritannien verlassen.« Eine Aussage, die angesichts steigender Zahlen belgischer, britischer oder deutscher Dschihadistinnen auch auf die Bundesrepublik und andere europäische Länder übertragen werden kann.
Das Manifest der Al-ḫansā -Brigade ist ein Dokument der Verachtung der modernen Lebensweise nach westlichem Vorbild sowie der Schmähung der angeblich dekadenten westlichen Welt und ihrer arabisch-muslimischen Verbündeten. Ferner beinhaltet das Manifest eine Reihe von Vorschriften und Regeln für die »wahren« muslimischen Frauen. Ebenso befasst es sich mit Wissenschaft nach der Vorstellung der Anhänger des selbsternannten »Islamischen Staates«, die auf religiöse Wissenschaft reduziert wird, und schließlich proklamiert die Brigade die angebliche Überlegenheit des »Islamischen Staates« und berichtet, wie glücklich die Menschen, vor allem die Frauen, seien, die in diesem »Staat« leben. Dieses Dokument wird von den Verfasserinnen vorrangig als »persönliche Interpretation« ausgegeben: »Diese Erklärung ist lediglich eine persönliche Interpretation einiger Befürworterinnen des Islamischen Staates, sie darf nicht dem Islamischen Staat oder seinen Anführern zugeschrieben werden. Ebenso handelt es sich hierbei um keine Verfassung oder ein ähnliches Dokument, das den Islamischen Staat über die Frauenangelegenheiten entscheiden lässt.« Im Verlauf des Textes jedoch wird deutlich, dass dieses Dokument durchaus eine programmatische Erklärung für den IS und seine Ideologie ist und den Anspruch auf Wahrheit, Richtigkeit und göttliche Legitimation erhebt: »Diese Bekanntmachung fußt auf dem Koran und der Sunna, welche die Menschheit nach einer Zeit der Ungerechtigkeit und Dunkelheit auf den rechten Weg brachten.«
Im gesamten Text werden die Lebensformen diffamiert, die nicht den Vorstellungen des »Islamischen Staates« entsprechen. Dabei werden nicht nur die Andersgläubigen und die westliche Welt, sondern auch Muslime genannt, die sich laut Manifest selbst und ihren Glauben verloren haben, weil sie sich »weltlichen Wissenschaften, die zu keiner Belohnung führen«, zugewandt haben, weil sie mit den »Ungläubigen« lernen, leben und Handel treiben.
Der Text beginnt mit einem Dank an Allah, der den »Islamischen Staat« erschaffen haben soll, einen »Staat«, der es den Muslimen ermöglicht, nach »Jahrzehnten der Demütigung und Unterwerfung«, in einer wirklich muslimischen Gesellschaft zu leben. Dieser Staat sieht in seiner Aufgabe die Befreiung der Muslime vom »ungläubigen Westen sowie von der wucherhaften Papierwährung« die der »Islamische Staat« durch Dinar und Dirham gemäß der Tradition des Propheten ersetzt hat. Vor allem hat dieser »Staat« einzig und allein die Anbetung Gottes als Ziel. Sagen die Verfasser.
Der Muslim wird als »eine besondere Person« definiert, die sich von anderen unterscheidet, denn er hat das Ziel der Gotteseinzigkeit (at-tauḥīd) auf Erden zu verwirklichen, ohne dass ihn das weltliche, vergängliche Leben davon abhält. Die prophetische Zeit in Medina wird als »beste Gesellschaft mit bester Führung« bezeichnet, weil sie eine einfache Gesellschaft war, in der Wissenschaft und Wirtschaft nicht von Bedeutung waren. Nur der Glaube und das Wissen über das Jenseits – die einzig wahre Wissenschaft – waren ihr Kapital und Glück. Weiter verheißt das Manifest den Untergang der »materiellen betrügerischen Zivilisation« und behauptet, dass die Muslime es nicht nötig hätten, sich um Wissenschaft und Wirtschaft zu kümmern. Die islamischen Geistesideen sowie die muslimischen Philosophen, Denker und Wissenschaftler, die über Jahrhunderte die Entwicklung der Wissenschaften maßgeblich bewirkt haben, werden als »Atheisten und Ketzer« abgetan: »Und daher sollen wir korrigieren, was man in unseren Gedanken zu befestigen versuchte, seitdem wir klein waren, denn man redete uns ein, dass der Muslim unbedingt den europäischen Ungläubigen und anderen beweisen soll, dass er zu seiner vergangenen Blütezeit eine materialistische Zivilisation aufbaute, deren Helden Atheisten und Ketzer sind, so wie Avicenna, der »Internist«, es war, oder Ibnan-Nafīs und Ibn al-Haiṯam und andere. Die Zivilisation dieser Menschen wurde auf den Trümmern vorangegangener aufgebaut. Wir erklären an dieser Stelle, dass wir uns von diesen Ketzern stark distanzieren. Jene wie auch die anderen aus Europa stammenden, rückschrittlichen Genies sind miteinander verbündet.«
Nachdem der Text sich ausführlich und wiederholt über weltliche und westliche Wissenschaft auslässt und sie mit Beschimpfung abqualifiziert, geht er auf das eigentliche Thema ein, nämlich »die Aufgabe der muslimischen Frau« im Leben. So habe Gott für Männer und Frauen bestimmte Rollen erschaffen, und wenn sie diese Rollenverteilung nicht beachten oder sie gar tauschen, handeln sie wider ihre »Natur«, fitra, und dies sei die Ursache allen Übels, das den Muslimen heute widerfährt.
Das Manifest liefert nun konkret beschriebene Verhaltensweisen für Frauen und verspricht ihnen ein ideales und glückliches Leben entsprechend ihrer »Natur«, wenn sie sich akribisch an diese Regeln halten. Es sind einige überschaubare und einfache Regeln, die angeblich zur Glückseligkeit im Dies- und Jenseits führen. Dagegen sei das westliche Frauenmodell gescheitert: »Das Frauenmodell des ungläubigen Westens, das die Frauen aus dem Band des Heimes entfesselte, zeigte sein Scheitern.« Die komplexe und vielfältige Rolle, die die Frauen im Westen gezwungen sind anzunehmen, weil sie sonst nichts wert seien – Ehefrau, Mutter und Berufstätigkeit –, wird als Ursache für die Entfremdung von ihrer »natürlichen« Rolle dargestellt, die schließlich zur ihrem Unglück und ihrer Unfreiheit im Westen geführt habe. Dem wird das Modell des »Islamischen Staats« gegenübergestellt, in dem die Frauen gemäß ihrer »Natur« leben würden und deshalb glücklich seien. Um die Richtigkeit dieses Konzeptes zu begründen, werden Kindergeld, Mutterschutzgeld und weitere Hilfen für Familien in der westlichen Welt als staatliche Prämien bezeichnet, die die Frauen in ihr Haus zurückbringen wollen: »Wir sehen sogar, dass die Regierungen einiger Staaten Gehälter und Prämien anbieten, damit die Frauen in ihr Haus zurückkehren und ihre Kinder erziehen.« Die Aussage dahinter: Der Westen versucht aufgrund seiner widernatürlichen Rollenverteilung durch die materielle Verlockung die Frauen wieder zu ihrer »eigentlichen Rolle« zurückzubringen. Dies wird als Begründung für die Richtigkeit der von den Verfassern des Manifests definierten »islamischen« Lebensweise herangezogen, die bereits seit Jahrhunderten als natürliches und göttliches Familienkonzept vorgegeben sei und nun durch den »Islamische Staat« mit den geeigneten Mitteln durchgesetzt werde.
An einigen Stellen wird besonders hervorgehoben, dass die Frauen sich ihren Ehemännern unterordnen und ihnen gehorchen sollen, damit die Ordnung der »von Gott erteilten« Rollenverteilung bestehen bleibe. Nur dadurch könnten die Menschen in der Familie ihr Glück auf dieser Welt und Belohnung im Jenseits erfahren. Mit Bezug auf Überlieferungen aus weniger authentischen Quellen werden ohne Rücksichtnahme auf den Zeitgeist und den Kontext ihrer Entstehung Normen festgelegt, die überzeitlich gültig sein sollen. Jegliche Abweichung davon bringt nach der Auffassung des Manifests Chaos und Entfremdung mit sich. Das angesprochene Recht des Ehemannes gehört zur Kategorie der Normen, für die sich der Prophet Muhammad ausgesprochen haben soll: »Und dies ist das größte Recht für den Ehemann: ›Wenn ich Jemandem einen Befehl erteilen würde, so würde ich die Frau dazu auffordern, sich ihrem Mann zu unterwerfen.‹ Die Frauen von heute verstehen dies leider im Allgemeinen nicht, es sei denn durch die Gnade Allahs. Wenn die Männer Männer wären, dann wären die Frauen ebenso Frauen.«
In diesem Zusammenhang wird eine hierarchisch geordnete Gesellschaftordnung verherrlicht, die aus Führern, also den Männer, und den Frauen besteht: »Und wenn der Islam dem Mann die Führung überlässt und der Frau die Ehre der Durchführung erweist, ist dies mit der fiṭra der Menschen begründet, damit, woran sie gewöhnt sind: einen Führer zu finden, der befiehlt, beobachtet und einschätzt, und sich dessen Führung zu fügen, seinen Befehlen zu gehorchen und sie auszuführen. Dies ist seit langer Zeit geläufig, und auch die ›liberalen‹ Gesellschaften und die jetzt existierenden Freiheitsbefürworter bauen darauf auf.« Allein dieser Abschnitt...