2Neue Autorität: Stärke statt Macht
»Das traditionelle Bild von Autorität ist längst demoliert, keine Führungskraft will autoritär sein. Denn das würde bedeuten, distanziert, herabblickend, machtbewusst, kontrollierend und streng hierarchisch zu interagieren. In einem derartigen Schema wird sich kein Führender erkennen wollen. Denn Gehorsam würde als Ziel sichtbar werden und zugleich auch das Problem eines neuen Führungsverständnisses bedeuten« (Omer 2017). Wie wollen Führungskräfte aber stattdessen sein? Lässt sich der Autoritätsbegriff ungestraft ausblenden? Kann man ohne Autorität Führungskraft sein? Kann man mit dem Begriff Autorität Ansehen und Würde verbinden? Und: Was kennzeichnet eine Neue Autorität, die nicht autoritär sein will? Antworten auf diese Fragen finden Sie in diesem Buch.
Der Begriff Autorität geht zurück auf das lateinische Wort auctoritas. Im lateinisch-deutschen Schulwörterbuch Stowasser findet man als Übersetzung Begriffe wie Ansehen, Einfluss, Bedeutung, aber auch Wille und Meinung sowie Ermächtigung. Schlägt man den Begriff im Fremdwörterbuch (Duden Band 5) nach, erhält man gleichlautende Vorschläge zu diesem Substantiv, allerdings wird differenziert zwischen autoritär: 1. (abwertend) totalitär, diktatorisch; unbedingten Gehorsam fordernd und 2. (veraltend) auf Autorität beruhend usw. und autoritativ: auf Autorität, Ansehen beruhend; maßgebend, entscheidend. Es fällt überraschend auf, dass der Terminus Autorität vorwiegend positiv konnotiert ist. Deshalb findet er bei Haim Omer und seine Kollegen eine Renaissance – und zwar in seiner positiven Bedeutungsfülle und gesamten Bandbreite als Fundament für ein neues Führungsverständnis, das von Stärke statt Macht geprägt ist.
2.1Führungsstile – ideologischer Dampf?
Nahezu alle Führungskräfte behaupten, sie wünschten sich selbstständig denkende und kooperativ handelnde Mitarbeiter, die Verantwortung übernehmen. Gibt es Verhaltensweisen, die solche Einstellungen und Entwicklungen begünstigen? Die Antwort darauf erwarten viele in der Entwicklung kognitiver Fähigkeiten und treffen in den zahlreichen Managementschulen auf die sogenannten Führungsstile und Leadership-Modelle. Sie durchlaufen hoffnungsfroh aufwendige Lehrgangsprogramme. Daraus entwachsen Führungskräfte, die einen feinen Anzug von der Stange verpasst bekommen haben. Einen Anzug, in dem sie sich zwar zunächst gefallen, sich auf Dauer aber nicht so recht wohlfühlen. Denn: Ist das neue Outfit angemessen und alltagstauglich? Solange alles gut läuft, freut man sich im neuen Anzug. Was aber, wenn man unerwartet in Turbulenzen oder unter Druck gerät? Ist der Anzug dann die passende Kleidung? Gerade im Bereich Führung muss man damit rechnen, mit unerwarteten Alltagsproblemen konfrontiert zu sein: Konflikte, kleine Krisen u. a. Hier geraten Führungskräfte mit dem vermeintlich feinen Maßanzug sehr schnell an die Grenzen ihres hochgelobten und wohltrainierten Führungsstiles oder einer trendigen Leadership-Mode, die angeblich einer New School entspringt. Es stellt sich heraus, dass der Maßanzug für diese und jene Situation völlig unbrauchbar ist und man nicht mehr auf der zugehörigen Verhaltensschiene bleiben kann. Wenn es ans Eingemachte geht, erlebt man sich auf sich selbst zurückgeworfen. Der Führungsstil löst sich dabei in ideologischem Dampf auf und verflüchtigt sich. Übrig bleibt ein quasi nackter Mensch mit seinem Ursprungsverhalten, seiner Persönlichkeitsstruktur und den dazugehörigen Handlungsoptionen, dem die vermeintlich attraktive Verpackung abhandengekommen ist und der erkennt, dass er bei der Lösung von Problemen in hohem Maße von seinen Mitarbeitern abhängig ist.
2.2Funktionen von Führung
Woran erkennt man Führungskräfte? Was tun sie, wenn sie führen? Wodurch unterscheiden sie sich von ihren Mitarbeitern? Die Antwort ist einfach: Führungskräfte treffen Entscheidungen oder sorgen für Entscheidungen. Das ist ihre Schlüsselfunktion, denn eine Organisation wird über Entscheidungen bewegt. Werden keine Entscheidungen getroffen, tritt Stillstand ein, der für alle Beteiligten meist unangenehm spürbar ist. Entscheidungen – richtig getroffen – bringen eine Organisation in eine Vorwärtsbewegung und sorgen für frischen Wind.
Der Schiedsrichter leitet ein Fußballspiel durch seine Entscheidungen. Er unterbricht bei Regelverstößen das Spiel durch einen Pfiff und entscheidet auf Freistoß, Elfmeter, Verwarnung, im schlimmsten Fall auf Ausschluss. Greift er nicht ein und überlässt die Klärung der Situation den Spielern, den Trainern oder den Zuschauern, führt das zu unberechenbaren Auswirkungen, zu Tumulten, Chaos – zu Eskalation. Egal, ob die Entscheidung des Schiedsrichters richtig oder falsch ist: Sie muss getroffen werden, damit das Spiel weitergehen kann. Gute Schiedsrichter sind dafür bekannt, dass sie nach Fehlentscheidungen wahrnehmen, wenn sich die Chance auf einen Ausgleich bietet, um für die Mannschaften, so gut es geht, wieder Gerechtigkeit herzustellen. Die Spieler und Trainer wissen meist, was sie an guten Schiedsrichtern haben.
Erschöpft sich das Thema Führung mit dieser Fußball-Metapher bereits? Nein, Führung ist doch viel differenzierter zu betrachten, nicht nur, weil ein Schiedsrichter nach dem Spiel nach Hause fährt und dann wieder längere Zeit in Abstand von den Teams lebt. Die Funktion einer Führungskraft lässt sich nicht auf die Arbeit eines Schiedsrichters reduzieren – das wäre unangemessen, sie erweist sich natürlich als weitaus vielfältiger.
So müssen wir uns fragen: Was ist denn Führung überhaupt? Und dabei kommen wir um ein paar unangenehme Themen nicht herum.
Führung ist nicht sichtbar und fällt erst auf, wenn sie fehlt. Soziale Systeme, also Menschen und Organisationen, lassen sich nach Seliger (2008, S. 18) nur bedingt führen, weil sie ein paar besondere Eigenheiten aufweisen: Sie sind eigensinnig, reagieren unerwartet, folgen ihrer eigenen Logik, führen sich selbst und lassen sich von außen kaum steuern. Führung, so Seliger, ist prinzipiell unmöglich – wozu ist sie dann also gut? Die paradoxe Antwort: Damit es dennoch funktioniert! Wenn es stimmt, dass Menschen sich prinzipiell nicht führen lassen, heißt das dann, den Steuerungsgedanken ganz aufzugeben und auf Einfluss zu verzichten? Keineswegs, nur die Formen der Einflussnahme und die Ansatzpunkte verändern sich. Also: Wo kann man ansetzen?
Rosenstiel (1988, S. 338) definiert Führung »als unmittelbare, absichtliche und zielbezogene Einflussnahme von Vorgesetztenpositionen auf Unterstellte mithilfe der Kommunikationsmittel«.
Welche Kommunikationsmittel sind tauglich?
Simon (1997) sieht zwei Führungsfunktionen: den Aufmerksamkeitsfokus zu lenken und die Kommunikation zu beeinflussen.
Wie kann man das bewerkstelligen?
In den folgenden Punkten stimmen die meisten Experten bezüglich Führungsfunktionen überein:
•die Sicherung des zukünftigen Überlebens der Organisation oder Organisationseinheit als übergeordnete Funktion.
Als zentrale Aufgaben von Leadership werden angesehen:
•die Konstruktion einer gemeinsam getragenen Zukunftsorientierung (Vision)
•die Umsetzung der entsprechenden Strategie (Weg zur Vision)
•die Organisation durch Entscheidungen in Bewegung bringen bzw. halten
•die richtigen Leute an der richtigen Stelle einsetzen, sie fördern, gerecht und transparent entlohnen, Aufgabenzuschnitt definieren, Feedback zur Leistung geben.
Ein eminent wichtiger Punkt, um den ich diese Liste ergänzen will:
•das Management der weichen Faktoren: Vertrauen bilden, Kooperation und Teamgeist entwickeln, Kreativität fördern, die Gestaltung von Kommunikation, Lern- und Veränderungsbereitschaft, Engagement, Verantwortungsbewusstsein und Eigeninitiative.
2.3Harte Faktoren – weiche Faktoren
Im Studium der Wirtschaftswissenschaften und der Betriebswirtschaft bemüht man sich offensichtlich noch immer redlich, einen echten »homo oeconomicus« auf den Arbeitsmarkt zu bringen. Es überrascht aber, dass nur ein kleiner Prozentsatz der Abgänger davon den Weg in die berufliche Selbstständigkeit wählt. Die meisten suchen Arbeitgeber, also die Unselbstständigkeit in ihrem wirtschaftlichen Handeln. Wie kommt das?
Universitäten und Fachhochschulen lassen sich in der Vermittlung von harten Faktoren (Zahlen, Daten, Fakten, Ergebnisse, Prozesse)...