Eltern verboten
Warum Instagram das neue Facebook ist
Facebook ist so gut wie tot. Zumindest in den Augen vieler Jugendlicher. Die meisten von ihnen, erzählen Teenager, hätten zwar noch einen Account, um mit Freunden, die weggezogen sind, in Kontakt zu bleiben, alte Freunde wiederzufinden oder einfach nur, um zu sehen, was so gepostet werde – sporadisch. Facebook als Informationsbörse. Was Erwachsene praktisch finden, nämlich eine Seite, die verschiedene Anwendungen vereint, auf der sich alle treffen, empfinden Jugendliche als unpraktisch. Seit außerdem die eigenen Eltern Facebook für sich und ihr Vernetzungs- oder Spionagebedürfnis entdeckt haben, setzte unter Jugendlichen eine Fluchtbewegung ein. Für Videos gibt es YouTube. Für die schnelle Kommunikation WhatsApp, das ist die Standleitung zu den Freunden, absolut unverzichtbar. Und für Fotos gibt es die Fotosharing-Plattform Instagram, die immer populärer wird.
Instagram also. Dokumentiere den Augenblick, so das Prinzip der Plattform. Als Facebook Instagram 2012 für eine Milliarde Dollar kaufte, beschäftigte das Start-up dreizehn Mitarbeiter. Kevin Systrom, CEO und Mitgründer von Instagram, formulierte die Idee dahinter einmal so: »Wir haben einen Weg gefunden, gewöhnliche Alltagsszenen in magische Momente zu verwandeln.« Aus Fotografie als Form der Selbstdarstellung sei Kommunikation geworden. Soweit das Versprechen.
Kommen wir zur Realität: Die Instagram-Nutzerzahlen steigen unentwegt, inzwischen sind weltweit mehr als dreihundert Millionen Menschen registriert, die täglich mehr als siebzig Millionen Fotos teilen, Videos hochladen, Bilder liken, retweeten und kommentieren, darunter Stars und Models wie Taylor Swift, Miley Cyrus, Karlie Kloss, Justin Bieber, Kim Kardashian, Kendall Jenner und Selena Gomez, die Ex-Freundin von Justin Bieber. Selena Gomez ist das Vorbild zahlloser Teenager. Ihre bei Instagram hochgeladenen Fotos zeigen die pausbäckige Sängerin beim Lesen einer Zeitschrift, deren Cover sie selbst ziert. Wir sehen, wie Selena frisiert wird, wie sie mit ihren Freundinnen feiert, tanzt und sich prächtig amüsiert. Mal formt sie die Lippen zum Schmollmund, mal lacht sie entspannt in die Kamera. Mal ist der Teenie-Star am Strand unterwegs, mal posiert er in einem Loft. Ihr, meine Fans, seid mir ganz nah, scheint sie zu rufen, ich nehme euch mit in meine private Welt und lass euch an meinem Alltag teilhaben! Intime Backstage-Momente. Geschickt mischt Selena Gomez eindeutig inszenierte Fotos mit Pseudoschnappschüssen, die in Wahrheit ebenso inszeniert sind. Selena Gomez ist ein Selfie-Profi: Die Illusion von Privatheit funktioniert.
Surft man bei Instagram fernab der Stars, sticht als Erstes die Professionalität vieler Teenagerprofile ins Auge, als sei die Celebrity-Kultur Maßstab aller Dinge. Was unter dem Selfie-Label daherkommt, wirkt oft wie das Ergebnis eines akribisch durchgeplanten Fotoshootings. Perfektes Make-up, perfektes Styling, perfektes Licht, tolle Umgebung. Die Inszenierungsspielregeln sind bekannt. Instagram ist eine Bühne. Nicht immer geht es dabei um Schönheit, aber oft. Unzählige Apps verleihen den Fotos einen professionellen Schliff, die Möglichkeiten der Bildbearbeitung sind inzwischen schier grenzenlos. Im Grunde kann jeder, der sich Mühe gibt, bei Instagram gut aussehen.
David, siebzehn, erzählt von seinen Klassenkameradinnen: »Die verabreden sich zum Beispiel an verlassenen Bahngleisen, weil sie das cool finden, und machen dort Hunderte Fotos. Oder in einem leerstehenden Haus, wenn gerade die Sonne untergeht. Die Fotos schießen sie dann nicht mit dem Handy, sondern mit ihrer sechshundert Euro teuren Kamera, die sie sich für die Selbstvermarktung im Internet zu Weihnachten gewünscht haben.« Und er selbst? Er habe zuletzt ein Foto aus dem Skiurlaub in Österreich bei Instagram hochgeladen. »Eine Landschaftsaufnahme, kein Selfie«, sagt er. »Stay classy.« Natürlich stelle er auch Selfies ins Netz. »Selbstvermarktung gehört halt dazu. Es ist ein befriedigendes Gefühl, wenn man für ein Selfie viele Likes kriegt. Im Schnitt krieg ich so um die sechzig Likes, wenn es gut läuft, achtzig bis hundert. Wenn ein Bild nicht so läuft, überlegt man sich schon, weshalb. Trotzdem sind für mich Likes nicht ausschlaggebend, ich teile Momente mit meinen Freunden.«
Bei Instagram surfen heißt, in vermeintlich perfekte Hochglanzleben einzutauchen. Die Selbstinszenierungsbandbreite reicht von mädchenhaft verspielt bis eindeutig erotisch. Je mehr Haut, desto besser. Viel Haut bedeutet viele Likes. Likes sind die soziale Währung, digitale Komplimente als permanent abrufbares Ranking, sichtbar für jeden. Das Ich als volatile Aktie, deren Stand verrät, wer gerade in ist. Die, die extrem viele Likes verbuchen, fallen in die Kategorie »Fame«-Leute. Jeder, der sich digital zur Schau stellt, wünscht sich Applaus, jeder will zu den »Fame«-Leuten gehören, will »instafame« sein. Aus Kommunikation wird so ein Wettkampf um Likes, auch das ist Instagram-Realität. Was für die »Fame«-Leute Segen ist, kann für die, die ignoriert werden und deren Fotos nur wenige oder gar niemand liked, allerdings Fluch sein. Unkommentierte Sichtbarkeit ist Unsichtbarkeit.
Johanna ist siebzehn. Ihr dunkelblondes Haar reicht bis zum Schlüsselbein, weshalb der Schnitt, der in Hollywood gerade sehr beliebt ist, Clavi-Cut heißt. Ihre Augenbrauen sind dicht und breit, und auch diese Form ist sehr beliebt, alle wollen balkenartige Augenbrauen wie das Model Cara Delevingne oder die Schauspielerin Keira Knightley. Durch welche Modezeitschrift man auch blättert, überall erklären einem »Augenbrauen-Experten« Schminktipps für den »Cara-Effekt«. Instagram steht dieser Ratgeberflut in nichts nach.
Auch Cara Delevingne hat einen Instagram-Account, auf dem sie rege ihr Model- und Jetset-Leben dokumentiert. Millionen von Menschen folgen ihr. Menschen, die in Caras Bilderbuchwelt eintauchen, in der alles wie ein riesiger Spaß aussieht. Was ihre Follower sehen? Cara bei der Fashion Week (New York, London und so weiter). Cara in Los Angeles. Cara mit Kendall Jenner. Cara mit Karl Lagerfeld. Cara in irgendwelchen Clubs. Cara im Urlaub, einmal mit einem Äffchen auf der Schulter, ein anderes Mal mit einem Löwenbaby im Arm. Cara auf den Bahamas. Und vor allem: Cara, wie sie Grimassen schneidet, Augen und Mund weit aufreißt. Sie hat es geschafft, diese Faxen zu ihrem Markenzeichen zu machen, und ihre Fans lieben sie für diese Albernheit. 2015 war sie in drei Kinofilmen zu sehen. Die Britin ist das Model der Stunde.
Johanna trägt eine enge Jeans, Turnschuhe und eine schwarze Lederjacke. Sie sitzt in einer Frankfurter Straßenbahn, und wenn Jungs einsteigen, sehen sie sie an. Johanna reagiert nicht, als würde sie die Blicke gar nicht bemerken. Sie wächst in einer Optimierungsgesellschaft auf, in der schon kleinen Mädchen suggeriert wird, dass sie es im Leben, beruflich und privat, besonders weit bringen, wenn sie schön sind. Magazine behaupten, vierzig sei das neue dreißig und der Körper eine gestaltbare Spielfläche, als ließe sich der Alterungsprozess tatsächlich aufhalten. Die Oberfläche als Schlüssel, der die Tür zu Glück, Liebe und Erfolg öffnet. Die Maßstäbe werden nicht zufällig in Europa und Amerika gesetzt. Die Schönheitsindustrie hat die Grundlagen zur globalen Standardisierung von Schönheitsbildern bereits vor Jahrzehnten gelegt. Die Hauptprotagonisten heißen L’Oréal sowie Procter & Gamble. In den achtziger Jahren war der Einflussradius beider Unternehmen noch hauptsächlich auf ihre heimischen Absatzmärkte beschränkt. Das änderte sich in den Neunzigern. Sowohl L’Oréal als auch Procter & Gamble kauften nach und nach Firmen fern der Heimat auf. Heute sind sie globale Giganten. Schönheit liegt ja gerade nicht im Auge des Betrachters. Jedem Auge gefällt Symmetrie. Außerdem: volle Lippen, große Augen, eine reine Haut und glänzendes Haar. Darin besteht die Logik einer globalisierten Welt: Wir wissen ziemlich genau, wie ein Burger von McDonald’s zu schmecken hat, ganz gleich, in welchem Winkel der Welt wir ihn essen. Mit der Vorstellung, wie die perfekte Nase beschaffen ist, verhält es sich ähnlich. Beides, Burger wie Nase, sind westliche Exportgüter.
Niemand trägt eine immunisierende Hülle, an der die Bilderflut abperlt. Es war nur eine Frage der Zeit, bis die To-go-Kultur auch die Antifalten-Botoxspritze erreichen würde. Johanna ist dafür viel zu jung. »Botox? Würde ich nie machen!«, sagt sie. »Da sieht man doch aus, als hätte man ein eingefrorenes Gesicht.« Trotzdem verteufelt sie ästhetische Verschönerungsmaßnahmen nicht. Sie findet: »Wenn es eine Person zufriedener macht, warum nicht?«
Und Instagram? Johanna beginnt zu erzählen. Es wird eine lange Erzählung, über die Selbstverständlichkeit, mit der sie und ihre Freunde Instagram nutzen, aber auch über ihre Ängste und den Druck der Optimierung, den sie spürt.
»Ich bin seit zwei Jahren bei Instagram. Instagram nutze ich, um mit meinen Freunden in Kontakt zu sein, um sie an meinem Leben teilhaben zu lassen und zu erfahren, was in ihrem Leben gerade so passiert. Alle sind bei Instagram. Außerdem sind immer mehr Promis, Models und Sternchen bei Instagram und posten täglich mehr oder weniger private Bilder von sich und ihrem Leben. Für die Fans ist das eine megagute Sache, schließlich vermittelt es einem das Gefühl, seinem Idol näher zu sein, weil man eben Einblicke in das Privatleben erhält, nicht nur durch Paparazzi-Fotos, sondern durch private Fotos. Man kann auch Firmen wie Victoria’s Secret oder Triangl folgen und so immer auf dem neuesten Stand sein und sich mit anderen Fans direkt austauschen,...