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Für ein gutes Ende

Von der Kunst, Menschen in ihrem Sterben zu begleiten - Erfahrungen auf einer Palliativstation

AutorAndreas S. Lübbe
VerlagHeyne
Erscheinungsjahr2014
Seitenanzahl320 Seiten
ISBN9783641142865
FormatePUB
KopierschutzDRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis15,99 EUR
Wie wollen wir sterben?
Andreas Lübbe, Onkologe und Palliativmediziner, erzählt von der Kunst, Sterbende an ihrem Lebensende zu begleiten. So, dass sie sich geborgen fühlen. Dass auf ihre Bedürfnisse eingegangen wird. Dass das Leben bis zuletzt lebenswert ist. - Vor über 15 Jahren baute Lübbe eine Palliativstation auf, die er bis heute leitet. Von den Patienten und ihren Schicksalen, vom Umgang mit dem Sterben, von den Defiziten unseres Gesundheitssystems und den Möglichkeiten der Palliativmedizin berichtet er auf berührende Weise. Ein engagiertes Plädoyer dafür, worauf es ankommt: den Menschen.

Wenn Patienten den Eindruck bekommen, ein Laborwert wäre wichtiger als ihr Wohlbefinden, wenn Ärzten Mitgefühl und Empathie als Schwäche und fachliche Inkompetenz ausgelegt werden, dann läuft etwas schrecklich schief. Als junger Arzt hat Andreas Lübbe selbst erfahren, wie unmenschlich der Medizinbetrieb sein kann - heute sorgt er dafür, dass Sterbenskranke Linderung, Respekt und Zuwendung erfahren. Denn auch wenn es unausweichlich ist, dass das Leben eines Tages zu Ende geht: Wie es endet, darauf können wir Einfluss nehmen. Beispielhaft beschreibt Lübbe anhand der Erfahrungen auf der Palliativstation, worauf es dabei ankommt: Wie sieht eine gute Kommunikation zwischen Arzt und Patient aus? Wie gehen Ärzte und Pflegekräfte mit den höchst individuellen Krankheitsgeschichten um? Wie mit den Ängsten und Sorgen der Kranken? Was, wenn Kinder betroffen sind? Welche Möglichkeiten gibt es bei chronischen Leiden und Schmerzen? - Eine eindringliche Schilderung des Alltags auf einer Palliativstation: Aufklärung und konkrete Information, Hoffnung und Perspektive zu einem immer noch verdrängten Thema.

Prof. Dr. med. Dr. rer. nat. (USA) Andreas S. Lübbe studierte und promovierte im Fach Humanmedizin an der Freien Universität Berlin, bevor er an der University of Louisville, KY, ein Studium der Physiologie und Biophysik absolvierte und in diesen Fächern promovierte. Er leitet als Chefarzt die Palliativstation der Karl-Hansen-Klinik und eine onkologische Schwerpunktklinik für Anschlussrehabilitation in Bad Lippspringe, ist Professor an der Philipps-Universität in Marburg, Ausbilder im Fach Palliativmedizin sowie Gründer und Vorsitzender des Ambulanten Palliativnetzes in seiner Region. Professor Lübbe ist ehemaliger Vorsitzender der 'Pain and Symptom Control Group' der Europäischen Krebsgesellschaft EORTC. Sein Publikationsverzeichnis umfasst mehr als 100 Arbeiten.

Andreas Lübbe ist mit einer Palliativpsychotherapeutin verheiratet und hat drei Kinder.

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Leseprobe

Warum dieses Buch? – Zur Einführung

Unsere Angst vor dem Sterben

»Vor welcher Krankheit fürchten Sie sich am meisten?«, wollte 2013 eine große deutsche Krankenkasse in einer Umfrage wissen. Zwei von drei Befragten nannten an erster Stelle den Krebs. Als den König der Krankheiten hat ihn der Krebsforscher Siddhartha Mukherjee in seinem Buch bezeichnet. Wer kennt das nicht? Kommt man auf das Thema Krebs zu sprechen, dann versteinern die Gesichter, und Fakten werden plötzlich mit hochemotionalen Begriffen aufgeladen, von bösartig, zerstörerisch oder einem Kampf um Leben und Tod ist dann die Rede.

Ein Herzinfarkt kann ebenfalls tödlich sein. Doch auch wenn er ebenso präsent ist, wird er weniger mystifiziert und flößt uns weniger Angst ein als der Krebs: Erst die Haare, dann die Freunde und schließlich sein Leben zu verlieren, das macht Angst. Es gibt kein Allheilmittel, es bleibt nach der Therapie eine lebenslange Unsicherheit, und noch immer stirbt die Hälfte der Erkrankten daran.

Wir alle müssen sterben. Doch obwohl wir das wissen, bleibt diese Angst. Angst ist ein Gefühl, und Gefühle sind mächtiger als der Verstand, der uns häufig im Stich lässt. Viele Menschen sind nicht gut genug über Dinge informiert, die sie selbst betreffen. Wenn jede dritte Patientin glaubt, durch eine Vorsorgeuntersuchung könne man Brustkrebs verhindern, dann gibt es bei der Aufklärung der Bevölkerung noch viel zu tun.

Als Palliativmediziner bin ich tagtäglich mit der Angst vor dem Sterben konfrontiert. Die größte Angst, die sich daran knüpft, ist die Angst vor Schmerzen und Qualen, zum Beispiel dem unerträglichen Gefühl des Erstickens. Eine andere ist die vor einem einsamen Tod, ob im Krankenzimmer oder zu Hause. Immer mehr Menschen leben alleine. Das nenne ich auch eine Art von Altersarmut. Vor gut sechzig Jahren hat der jüdische Religionsphilosoph Martin Buber geschrieben, dass er, wenn es ans Sterben gehe, die Hand eines Menschen in der seinen halten wolle. Doch wenn immer mehr Menschen alleine leben, wer kann da schon wissen, wessen Hand es sein wird – die einer geliebten Person oder die eines professionellen Pflegers?

Angst kann lähmen, sie kann sprachlos machen; sie kann aber auch dazu führen, über sich hinauszuwachsen, den Mut der Verzweiflung in sich zu entdecken und dem Schrecken etwas entgegenzusetzen. Eine interessante Erfahrung habe ich in diesem Zusammenhang mit Kindern gemacht. Ausgerechnet sie gehen mit dem Sterben meist gelassener um als Erwachsene. Manche werden durch ihr Schicksal so schnell erwachsen, dass sie sogar ihre trauernden Eltern stützen. Deswegen mutet man heute praktisch allen Kindern mit unheilbaren Erkrankungen die Wahrheit über ihren Zustand zu. Von Kindern kann man noch viel mehr über das Sterben lernen: wie sie sich auf das Ende vorbereiten, die Verabschiedung planen und dass sie sich die Trauergäste bei der Beerdigung in bunter Kleidung wünschen.

Die Angst vor einem langen, qualvollen Ende ist es, die in letzter Zeit die Sterbehilfediskussion anheizt. Immer mehr Menschen sind der Ansicht, aktive Sterbehilfe oder der Suizid seien eine geeignete Möglichkeit, der Angst und den Qualen zu entfliehen. Wie man am Ende eines langen und anstrengenden Tages das Licht ausmacht, so möchten sie den Schalter ihres Lebens am Ende selbst bedienen. Die Kontrolle nicht zu verlieren, darauf hoffen viele, die für geplantes Sterben von eigener (oder fremder) Hand plädieren. Doch wenn es einmal zu Ende geht, sind wir andere Menschen als heute und würden vielleicht anders entscheiden; und wenn wir als Gesunde heute zu wissen glauben, was wir wollen, wird sich das, wenn wir schwer krank sind und es so weit ist, in den meisten Fällen verändert haben. So sind wir Menschen.

Eine Legalisierung der Sterbehilfe bereitet mir vor allem aus folgendem Grund Sorgen: Ich habe Angst, dass dann der moralische und faktische Druck auf Menschen enorm steigen wird, auch davon Gebrauch zu machen. Etwa bei einer alten Frau, die mitbekommt, wie sich die Familie ihretwegen streitet, die sieht, dass sie eine Belastung für die anderen darstellt, wo es doch so leicht sein könnte, endlich aus dem Leben zu scheiden. Dazu kommt die Frage der Gerechtigkeit. Nicht jeder verfügt über das nötige Geld oder Möglichkeiten der Unterstützung.

Ich werde später noch genauer auf die Sterbehilfediskussion eingehen. Hier nur so viel: Ich leite seit über 16 Jahren eine Palliativstation. Mir begegneten in meinem Berufsleben bislang viele Tausend Menschen an ihrem Lebensende, und der Wunsch nach Hilfe zum Sterben war extrem selten. Was die Menschen in jedem Fall wünschen, ist Hilfe bei der Linderung von körperlichen Beschwerden, aber auch bei der Bewältigung von Sorgen und Nöten in dieser schweren Zeit.

Sterbehilfe kann auch Hilfe beim Sterben bedeuten, und das möchte ich in diesem Buch beschreiben. Früher hieß es einmal salus aegroti suprema lex: Das Wohl des Kranken sei für mich als Arzt die oberste Richtschnur. Weiß ich als Arzt immer von diesem Wohl? Heute könnte es heißen voluntas aegroti suprema lex: Der Wunsch des Patienten scheint inzwischen die oberste Richtschnur zu sein. Meiner Meinung nach sollte die Palliativmedizin Hilfe beim Sterben sein, aber nicht den Tod herbeiführen.

Die Angst vor dem Tod kann ich Ihnen nicht nehmen, aber hoffentlich ein wenig die Angst vor einem qualvollen Ende. Wenn Sie nach der Lektüre dem Sterben mit etwas mehr Gelassenheit entgegensehen, dann hat dieses Buch seinen Zweck erfüllt.

Meine Mitarbeiter und ich erleben täglich die Höhen und Tiefen unserer Arbeit, in die ich Ihnen im Folgenden einen Einblick gewähren möchte. Dabei lege ich den Schwerpunkt auf die Patienten mit ihren individuellen Biografien, Erkrankungen, Wünschen und Ängsten und stelle ihre Fälle im Rahmen der Aufgaben und Bedingungen der Palliativmedizin in Deutschland dar. Die Palliativstation in diesem Buch ist eine von vielen in Deutschland. Die Patienten und ihre familiären Umstände sind so verfremdet, dass die Persönlichkeitsrechte der geschilderten Personen gewahrt bleiben. Die Krankengeschichten und Ereignisse auf der Station sind jedoch absolut realistisch beschrieben, sodass der Leser einen klaren Eindruck davon gewinnt, was am Lebensende auf einen zukommen kann und vor welche Herausforderungen dies den Betroffenen, aber auch das medizinische Personal und die Angehörigen stellt.

Ich bin zutiefst überzeugt davon, dass die Palliativmedizin gerade in einer alternden Gesellschaft eine tragende Rolle spielen muss. Der Umgang mit sterbenden Menschen ist ein Gradmesser für unsere Humanität; an ihm wird deutlich, welchen Stellenwert wir Menschen zumessen.

Damit Sie nachvollziehen können, vor welchem Hintergrund ich meine Philosophie von einem Sterben in Würde entwickelt habe und auch, warum ich an bestimmten Zuständen oder Haltungen harsche Kritik übe, möchte ich zuerst ein wenig über meinen Werdegang erzählen. Viele Erlebnisse und Menschen – Kollegen wie Patienten – haben meine Auffassung vom Arztberuf geprägt. Und einige alte Fälle werden mir wohl immer im Gedächtnis bleiben, nicht unbedingt aus medizinischen Gründen, sondern weil sie so viel über den Umgang mit Krankheit, Sterben und Tod aussagen.

Wie ich zur Palliativmedizin kam

Als Konrad Adenauer im hohen Alter starb oder wenn jemand in meinem Umfeld schwer erkrankte, dann hatte mich das schon als Kind immer interessiert. Ich wollte nicht nur die genauen Umstände und die Todesursache erfahren, sondern vor allem auch, warum man dem jeweiligen Menschen nicht besser helfen konnte. Zum einen brachte mich also das Mitgefühl zur Heilkunde, das Interesse am anderen und die Ohnmacht der Medizin, der es nicht geglückt war, den Hausmeister von nebenan zu heilen. Zum anderen faszinierte mich die technisch-wissenschaftliche Seite, die Strukturiertheit des Faches, wie es sich in den didaktisch gut aufbereiteten Medizinbüchern präsentierte, die ich nach dem Abitur zur Hand nahm. Da nämlich arbeitete ich ein paar Monate lang am Fließband und im Lager der Fischfabrik meines damaligen Wohnortes in Bremerhaven, und mit der Fachliteratur beschäftigte ich mich in den Pausen (auch in Phasen des Leerlaufs, womit ich mir einmal einen gehörigen Anpfiff des Meisters einhandelte). Nun komme ich weder aus einem Akademikerhaushalt, noch hätte mir jemand aus der Familie oder dem Bekanntenkreis meiner Eltern aus erster Hand etwas über die Laufbahn und das Berufsleben eines Arztes berichten können. Den für das Medizinstudium nötigen Numerus clausus hatte ich mir also aus eigenem Antrieb und nicht ohne viel Mühe erarbeitet. Die Erfahrungen in der Fisch verarbeitenden Industrie haben mich später immer wieder motiviert, wenn ich mit mir haderte, weil der Prüfungsstoff kaum zu bewältigen war oder die schwere Krankheit eines Patienten mich bedrückte. Die Arbeit in der Fabrik hatte mir sehr deutlich gemacht, wo ich unter anderen Umständen hätte landen können: wenn ich einem anderen Elternhaus entstammt, in einem anderen Land geboren und zu einer anderen Zeit groß geworden wäre. Am Fließband hatte ich kluge, fleißige und freundliche Menschen kennengelernt, die in vielen Fällen zu Höherem befähigt gewesen wären, die die Umstände jedoch in ebendiese Fabrikhallen gebracht hatten.

Während meines Studiums hinterließ Oberschwester Renate einen unvergesslichen Eindruck: Ich sammelte damals an Wochenenden und Feiertagen Erfahrungen als Hilfspfleger in einem Krankenhaus in Berlin-Neukölln. Die Strukturen und Abläufe auf der orthopädischen Frauenstation waren Anfang der Achtziger altmodisch und liebenswert zugleich. Es gab noch...

Blick ins Buch

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