Vorwort
Aldis Umsatz auf dem Heimatmarkt Deutschland ist zum ersten Mal seit Unternehmensgründung rückläufig, hat die Unternehmensberatung Accenture in einer Studie ermittelt. Die Könige der Geiz-Gesellschaft müssen erkennen, dass sie Opfer der eigenen Philosophie geworden sind: Sparen, Billigheimerei und Preisdumping fressen die Margen ihrer Erfinder. Gleichzeitig meldet Hertie Konkurs an, Karstadt kommt einfach nicht auf die Beine und muss weiter Personalabbau betreiben, die Metro findet seit 2007 Geiz ganz offiziell nicht mehr geil und wird ihre Kaufhof-Filialen verkaufen. Die Liste ließe sich beliebig fortsetzen: Arcandor- beziehungsweise Karstadt-Chef Thomas Middelhoff schließt ein Zusammengehen von Karstadt und Kaufhof mittlerweile nicht mehr aus – aus den zwei Warenhausdinosauriern soll etwas Neues entstehen. Aber was?
Angegraute und verwechselbare Modeketten wie Sinn Leffers und Wehmeyer mussten in den letzten Wochen ebenfalls die Segel streichen, weil, so die offizielle Darstellung, die Mietpreise zu hoch seien. Tatsächlich verschlingen die Mietkosten an bestimmten Standorten bis zu einem Viertel des Umsatzes. Aber wie anachronistisch muss eigentlich ein Management sein, wenn es sich mit solch kurzgeschlossenen Begründungen zufriedengibt? Natürlich sind die Mieten ein Skandal – der größere Skandal ist jedoch, dass die Verantwortlichen offenbar schon seit längerer Zeit und mit beachtlichem Starrsinn an der bitteren Wahrheit vorbeigesehen haben, dass sich die Shopping-Gewohnheiten der Menschen verändert haben. Wer bemüht sich noch in die düsteren Waschbeton-Kaufhäuser der achtziger Jahre, wenn er im weltweiten Netz zum gleichen Preis schicke Markenklamotten bekommt?
Es stimmt, dass die Konsumenten in den nächsten Jahren ihre Budgets umverteilen werden. Ölpreis, Klimawandel und Endlichkeit der Ressourcen zwingen uns dazu. Doch wir geben schon seit Jahren immer weniger Geld für den klassischen Versorgungskonsum (Lebensmittel, Kleider) aus. Aber auch das hat zum einen damit zu tun, dass wir von hoher Preisstabilität und Discount- Hype profitiert haben. Zum anderen – und das ist das weitaus wichtigere Argument – hat das damit zu tun, dass wir neben dem Bedarfsdeckungskonsum immer mehr in Bereiche wie Gesundheit, Reisen und Genießen investieren. Allesamt Branchen, die sich über Konsumzurückhaltung in den nächsten Jahren nicht werden beklagen müssen. Was sich in Zukunft in der Konsumsphäre also verändern wird, ist, dass wir zur Bedarfsdeckung noch stärker auf den Preis schauen werden. Für das, was uns wirklich wichtig ist, werden wir jedoch gerne mehr Geld ausgeben. Die Karstadts, Kaufhofs und Woolworths sind auf diese Situation offenbar nicht vorbereitet. Noch immer möchten sie einen diffusen Durchschnittsgeschmack bedienen, den indes keiner mehr akzeptiert.
Warum haben wir dieses Buch geschrieben? Wir halten es nicht für notwendig, den plausiblen und mittlerweile kanonisierten Bestandsaufnahmen zu diesem Thema eine weitere hinzuzufügen. Was wir Ihnen, liebe Leserinnen und Leser, in »Future-Shopping« anbieten möchten, das sind Schlussfolgerungen und Perspektiven zur Zukunft des Konsums. Trends sind glücklicherweise etwas sehr Konkretes. In ihnen kristallisieren sich Veränderungen in Wirtschaft und Gesellschaft. Die vier Shopping-Trends für die Konsumzukunft der nächsten zehn bis fünfzehn Jahre tragen in sich eingekapselt ein ganzes Verweissystem an Thesen und Beobachtungen, die Ihnen helfen sollen, die Zukunft des Konsums ins Auge zu fassen. Die Shopping-Trends sollen Sie inspirieren oder kreativ irritieren.
Unsere Haltung ist klar: Die Konsumenten selbst – wir – haben die Nase voll von der gedankenlosen Nebeneinanderstapelei von Damenmiederware, Heimtierbedarf und Schrankwänden. Das veraltete Shopping-Prinzip der Hortung, der Stapelung und des Zusammenstopfens von Warenbergen wird in den nächsten Jahren unter der Wirkung der von uns identifizierten Shopping-Trends einer neuen Ordnung des Werthaltigen, des Luftigen, Für-sich-Stehenden, des Unikaten, Smarten und Intelligenten weichen.
Verabschieden wir uns doch endlich von der Vergangenheit: Das Warenhaus klassischer Prägung und der mittelgroße Supermarkt im Industriegebiet waren ein Kind der Nachkriegs- und Wirtschaftswunderkonsumkultur, in der es noch um Bedarfsdeckung und Teilhabe am massenhaften Wohlstand ging. Trotz des schönen Scheins der mit Waren vollgestopften Großkaufhäuser ging es immer noch um eine Versorgungsdienstleistung. Heute wissen wir, dass unsere Konsumkultur auf dem Weg von der Wohlstands- in die Wohlfühl-Kultur ist. Aus dankbaren Verbrauchern sind souveräne Konsumenten und manchmal ziemlich kapriziöse Geschmacksdiktatoren geworden.
Wir erleben gerade die Götterdämmerung des Massenkonsums und eines verallgemeinerbaren Mehrheitsgeschmacks. Die Kunden von morgen werden nach immer individuelleren Produkten suchen. Die Wirksamkeit eines Megatrends wie Individualisierung, der die Befreiung des Einzelnen aus den traditionellen Bezügen vollzieht, hat uns in den letzten rund zehn Jahren von der bürgerlichen Pflichtkultur in die postmoderne Multioptions- und Selbstverwirklichungsgesellschaft katapultiert. Individualisierung muss in ihrer bahnbrechenden Dimension endlich wahrgenommen werden. Doch wer Individualisierung ernst nimmt, der darf sich dabei nicht nur die Hände reiben und an Produktdiversifizierung denken. Was der Megatrend Individualisierung in den vergangenen fünfzig Jahren in unseren Konsumwelten verändert hat, ist Folgendes: In dem Maße, wie wir uns in diesem Zeitraum aus den traditionellen Bezügen von Kleinfamilie, Staat und Kirche befreit haben, ist unter anderem eine zunehmende Bewusstwerdung des eigenen Konsumhandelns und Genießens einhergegangen.
Um es noch einmal zu sagen: Individualisierung bedeutet für uns nicht schöne neue Welt der unlimitierten Produktvervielfältigungen und Line-Extensions. Individualisierung steht für die permanente und beschleunigte Veränderung von Bedürfnissen des Individuums und verweist auf eine zukünftige Shopping-Kultur, die reflektierter, dadurch auch puristischer (Downshifting, Simplify, »Less is more«) daherkommt, aber auch zu fragen wagt, was wirklich wichtig und genussversprechend ist.
Damit sind eigentlich schon die wichtigsten Zukunftstrends angedeutet, die wir Ihnen in unserem Buch ausführlich vorstellen möchten:
- Spaces of Identity: Im Konsum der Zukunft möchten wir diejenigen Werte wieder finden, die für uns wichtig sind.
- Neo-Noblesse: Im Konsum der Zukunft möchten wir keine Verbraucher oder Zielgruppen mehr sein, wir möchten intensive Erlebnisse machen, die über den schnöden Akt des Kaufens hinausgehen.
- Social Commerce: Im Konsum der Zukunft möchten wir neue Rollen einnehmen, mit changierenden Identitäten spielen, Verkäufer, Tester und Ratgeber sein.
- Stand-up-Konsum: Im Konsum der Zukunft sind wir immer häufiger unterwegs, möchten zu jeder Zeit alles bekommen können und auf nichts verzichten müssen.
Im Gravitationsfeld dieser vier Trends, davon sind wir überzeugt, wird sich die Zukunft des Konsums abspielen. Dabei dürfen wir nicht den Fehler machen, jeden einzelnen Trend mit einer einzelnen Person oder Zielgruppe zu verbinden. Die Werte, Wünsche und Bedürfnisse, die in den Trends hinterlegt sind, treffen auf viele von uns gleichzeitig zu. Wichtig ist jedoch, dass sie von Handel und Industrie in ihrer Eigendynamik verstanden werden.
- Spaces of Identity: Spaces of Identity sind unmittelbar abgeleitet aus dem conscious consumerism, wie er gerne in den USA bezeichnet wird, beziehungsweise aus den bewussten Konsumenten. Zu ihnen zählen wir vor allem auch die höchst einflussreiche Bewegung der LOHAS (»Lifestyle of Health and Sustainability«), die in den vergangenen drei, vier Jahren die weltweiten Konsummärkte umgekrempelt haben.
- Neo-Noblesse: Neo-Noblesse bezeichnet die Sehnsucht nach neuen Erfahrungen, die zwangsläufig über den Akt des Konsums hinausgeht. Neo-Noblesse hat nur wenig zu tun mit dem klassischen Status-Luxus. Neo-Noblesse verschreibt sich der Wiederverzauberung des Konsums, Neo- Noblesse ist anti-alltäglich und anti-industriell.
- Social Commerce: Social Commerce ist die kommende Form des Dialoghandels im Internet. Dort kaufen wir künftig in den Umgebungen, die wir mit Freunden und Fans selbst erzeugen. Social Commerce hat mit Ebay begonnen und ist eine Handelsform ohne Händler, aus Käufer und Verkäufer werden »Peers«, Gleichgesinnte: P2P, E-Commerce wird zum sozialen Erlebnis.
- Stand-up-Konsum: Die Stand-up-Konsumenten oder Stehgreif- oder Unterwegs-Konsumenten sind die neue Genusselite der mobilen Gesellschaft. Ihr permanentes Unterwegssein entwickelt neue Bedürfnisse. Und durch ihr Konsumverhalten entstehen neue Märkte und neue Handelsformen. Durch die Stand-up-Konsumenten werden Nicht-Orte wie Bahnhöfe und Flughäfen zu Shopping-Malls, Automaten und virtuelle Händler bekommen eine neue Bedeutung.
Vier Trends, mit denen wir die Zukunft des Konsums...