Einführung
„Gesundheit ist weniger ein Zustand als eine Haltung und sie gedeiht mit der Freude am Leben.“
– Thomas von Aquin (1225–1274)
1. Die Schlüsselrolle des Herzens
Wie oft geht in unserem heutigen Alltag die Freude verloren und es herrschen vor allem Druck und Stress. Stress ist eine Volkskrankheit unserer Zeit; 80–90 % aller durch unsere Lebensweise bedingten Beschwerden werden durch Stress verursacht (Untersuchung an der Harvard University, 2003). Unser Körper erfährt ihn als Spannung, Druck und Belastung; in unserer Gefühlswelt machen sich Gereiztheit, Nervosität, Frustration, Angst oder Ärger breit. In der Hektik des Alltags haben heute viele Menschen Mühe, körperlich und seelisch im Gleichgewicht zu bleiben. Wir können an manchen Lebensumständen nichts ändern, aber wir können lernen, anders mit ihnen umzugehen. Ein Weg, der Sie darin unterstützen kann, ist das Praktizieren von Herz-Resonanz. Neueste Forschungen haben gezeigt, dass das Herz eine Schlüsselrolle spielt, wenn es um unsere Gesundheit und Gesamtbefindlichkeit geht – und zwar sowohl das physische als auch das emotionale Herz.
Seit alters her ist das Herz eine Metapher für die Liebe und steht für eine tiefe Verbindung mit unserem Inneren. Unsere Sprache weist darauf hin mit Ausdrücken wie: „mit Herz und Seele dabei sein“, etwas kommt „von Herzen“, „ein weites Herz haben“, „der Stimme des Herzens folgen“, eine „Herzensverbindung haben“. Die Weisen, Philosophen und Dichter verschiedenster Kulturen sprechen von der „Liebe im Herzen“ und von der „Weisheit des Herzens“. Das Herz ist ein Ort, der uns mit dem Geistigen verbindet. In unserem Herzen erfahren wir Gefühle wie Dankbarkeit, Wertschätzung, Mitgefühl, Freude, Liebe. Sind wir in Verbindung mit unserem Herzen und unserem Inneren, führt dies zu Harmonie und innerem Gleichgewicht. Dieses Wissen ist uralt.
„Wohin du auch gehst, geh mit deinem ganzen Herzen.“
– Konfuzius
Seit den neunziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts wird zunehmend die Verbindung zwischen dem emotionalen und dem physischen Herzen erforscht. Das Herz ist mehr als ein Organ, das Blut durch den Körper pumpt; es beeinflusst die harmonische Zusammenarbeit verschiedener Körpersysteme. Man hat entdeckt, dass das Herz eine Zentrale zur Informationsverarbeitung ist und ein eigenes unabhängiges Nervensystem hat, das „Gehirn im Herzen“. Es nimmt wahr und sendet Signale aus; die sogenannte Herzfrequenzvariabilität spielt hierbei eine Schlüsselrolle.
Unser Herz schlägt nicht regelmäßig wie ein Metronom. Es zeigen sich vielmehr subtile Unterschiede in den Zeitintervallen zwischen den einzelnen Herzschlägen, ein gesundes Phänomen, das die Wissenschaft mit dem Terminus „Herzfrequenzvariabilität“ (heart rate variability = HRV) bezeichnet.
Abbildung 1: EKG: Die Abstände zwischen den einzelnen Herzschlägen variieren
Die beiden Teile des vegetativen Nervensystems – das sympathische und das parasympathische System – sind permanent damit beschäftigt, den Herzrhythmus zu beschleunigen beziehungsweise zu verlangsamen; sie wirken wie Gas und Bremse. Und um im Bild zu bleiben: Bei Menschen mit viel Stress ist das harmonische Zusammenspiel der Kräfte gestört, sie geben zu viel Gas und bremsen ungenügend.
Es gibt zwei Arten von Herzschlagschwankungen: Ist das Muster der Variationen im Herzrhythmus regelmäßig und geordnet, wird dies als „Kohärenz“ bezeichnet (lat. cohaerere = zusammenhängen); im Biofeedback ist dann ein regelmäßiges Wellenmuster zu sehen. Wechselt sich das Treten auf Gas- und Bremspedal in unregelmäßiger Weise ab, spricht man von „Chaos“. Im Biofeedback zeigt sich dann ein unregelmäßiges Zackenmuster.
Abbildung 2: a) Inkohärentes und b) kohärentes Muster des Herzrhythmus
Untersuchungen(McCraty & Atkinson et al. 1995) haben gezeigt, dass es eine messbare Verbindung zwischen dem emotionalen Zustand eines Menschen und dem Muster seines Herzrhythmus gibt. Sind wir frustriert, irritiert, ängstlich, besorgt oder ärgerlich, ist das Muster unregelmäßig und ungeordnet. Gefühle wie Dankbarkeit, Wertschätzung, Mitgefühl und Liebe hingegen erzeugen ein kohärentes Muster im Herzrhythmus. Unser emotionales Herz beeinflusst also unmittelbar die Tätigkeit des physischen Herzens.
Das Herz ist wie ein Dirigent für das Orchester unseres Organismus. Es gibt auch anderen Körpersystemen den „Takt“ an und kann sie in Balance und Harmonie bringen; dies gilt insbesondere für das Nerven-, Hormon- und Immunsystem; unser gesamter Organismus arbeitet dann effektiver.
Das Phänomen der Herzfrequenzvariabilität findet momentan in der Medizin zunehmend Beachtung. Es scheint ein wesentlicher Indikator für einen gesund funktionierenden Organismus zu sein.[1] Bei jungen Menschen ist die HRV relativ hoch, nimmt im Laufe unseres Lebens jedoch kontinuierlich ab. Mit zunehmendem Alter verliert unsere Physiologie allmählich ihre Fähigkeit zur Anpassung und es wird immer schwerer, bei den wechselnden Einflüssen des Lebens ein Gleichgewicht zu finden. Je größer die HRV, desto gesünder und anpassungsfähiger ist unser vegetatives Nervensystem.
Die gute Nachricht ist: Wir können lernen, unsere Physiologie positiv zu beeinflussen und uns bewusst in einen kohärenten Zustand, d. h. in Herz-Resonanz zu bringen.
2. Wie lässt sich Herz-Resonanz erlernen?
Vielleicht ist Herz-Resonanz für Sie ein neuer Begriff, der Ihnen noch abstrakt erscheint, weil Sie ihn nicht mit einer eigenen Erfahrung verbinden können. Doch diesen Zustand von Balance und Harmonie hat vermutlich jeder schon erfahren, auch Sie. Bestimmt erinnern Sie sich an einen Moment, in dem Sie sich rundum wohlgefühlt haben. In diesem Zustand, den man auch Flow nennt, waren Sie in Verbindung mit Ihrem Herzen – und höchstwahrscheinlich im Zustand von Herz-Resonanz.
Die regulierende Kraft des Atems
Ein kohärenter Herzrhythmus kann spontan auftreten, wir können diesen physiologischen Zustand jedoch auch bewusst einüben und herstellen. Der Atem ist hierbei ein entscheidendes Mittel. Untersuchungen haben gezeigt, dass regelmäßiges Atmen in einer Frequenz von vier bis sieben Atemzügen pro Minute zur Kohärenz führt. Jeder Mensch hat innerhalb dieser Spanne eine individuelle Frequenz, bei der Atem- und Herzrhythmus in Übereinstimmung – in Resonanz – miteinander kommen. Es erfordert jedoch etwas Übung, den Alltagsrhythmus so zu verlangsamen. Wichtig ist dabei ebenfalls, dass wir mit ungeteilter Aufmerksamkeit bei unserem Atem präsent sind, das heißt nicht in unseren Kopf und ins Denken zu rutschen.
Ein weiterer Schritt ist, beim Atmen unsere Aufmerksamkeit in der Herzgegend zu fokussieren und uns innerlich mit unserem Herzen zu verbinden. Um Herz-Resonanz zu vertiefen, stimmen wir uns auf ein Gefühl des Herzens wie Dankbarkeit, Wertschätzung, Mitgefühl, Freude oder Liebe ein; wir durchfühlen es aufs Neue, indem wir uns intensiv eine Situation aus der Vergangenheit vergegenwärtigen. Es ist möglich, diese positiven Zustände aus unserem emotionalen Gedächtnis abzurufen und im Hier und Jetzt zu aktivieren, um ihre ausgleichende Kraft zu nutzen.
Lernen mit Biofeedback
Der Zustand von Herz-Resonanz wird im Körper oft als wohliges Kribbeln und Pulsieren erfahren; man fühlt sich gelöst und gleichzeitig wach. Beim Üben von Herz-Resonanz wird auch mit Biofeedback gearbeitet. Über einen Ohr- oder Fingersensor wird der Herzrhythmus auf einem Computerschirm sichtbar gemacht. Dies ist eine Hilfe, um zu überprüfen, in welchen Maß Sie kohärent sind und inwieweit Sie diesen Zustand über einen längeren Zeitraum aufrechterhalten können. Auf dem Bildschirm können Sie mit eigenen Augen verfolgen, welche Auswirkungen Ihre Gefühle und Gedanken auf Ihren Herzrhythmus haben, und erfahren, wie Sie mithilfe einfacher Übungen Ihre Physiologie beeinflussen können.
Ich vergleiche diesen Lernprozess gerne mit dem Surfen. Wenn wir total präsent bei unserem Atem sind und mit einem liebevollen Herzgefühl verbunden, dann stehen wir auf dem Surfbrett und gleiten auf den Wellen eines kohärenten Herzrhythmus. Sobald wir in mentaler Aktivität landen – das bedeutet entweder mit unseren Gedanken abzuschweifen oder beim Üben mehr an eine Herzqualität zu denken anstatt sie wirklich zu fühlen –, fallen wir ins Wasser. Alle subtilen inneren Bewegungen und ihre Auswirkungen auf den Herzrhythmus zeigen uns das Biofeedback sehr präzise. Es ist wie ein guter Surflehrer, der uns trainiert, unmittelbar im Empfinden und Fühlen zu bleiben, anstatt ins Denken zu rutschen. Das nämlich kann für überwiegend verstandesmäßig orientierte Menschen zu Anfang etwas herausfordernd sein.
Herz-Resonanz – ein Zustand der Balance
Messungen zeigen, dass einerseits mentale Aktivität und „Es-gut-machen-Wollen“ uns abhalten, in einen kohärenten Herzrhythmus zu kommen – andererseits aber auch zu viel Entspannung – auch wenn Letzteres manchen vielleicht verwundert. Mit Ent-spannung meine ich hier einen Zustand, der in Richtung Unterspannung geht und häufig mit einer gewissen Schläfrigkeit bzw. mangelnder Präsenz verbunden ist. Herz-Resonanz ist gekoppelt an Eutonie (wörtlich: gute Spannung) und an innere Wachheit. Es ist ein Zustand von Gelöstheit bei gleichzeitiger innerer Lebendigkeit und totaler Präsenz im Hier und Jetzt; denn dieser Ansatz zielt auf eine unmittelbare Integration ins tägliche Leben ab. Das Arbeiten mit Herz-Resonanz ist somit...