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E-Book

Geheimnisse der Vernehmungskunst

Die Strategien des legendären Mordermittlers

AutorJosef Wilfling
VerlagHeyne
Erscheinungsjahr2019
Seitenanzahl272 Seiten
ISBN9783641222680
FormatePUB
KopierschutzDRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis15,99 EUR
Sein ganzes Wissen als Verhörspezialist ist in dieses Handbuch eingeflossen: Josef Wilfling, legendärer Ermittler und langjähriger Leiter der Münchner Mordkommission, hat es in der Ausbildung von Polizeibeamten eingesetzt. Psychologisch fundiert und juristisch versiert führt er in die Geheimnisse der Vernehmungskunst ein, das Herzstück der polizeilichen Ermittlungsarbeit. Welche Vernehmungstechniken gibt es? Woran erkennt man, ob das Gegenüber lügt oder die Wahrheit sagt? Und wie überzeugt man Tatverdächtige davon, dass sie besser kooperieren? Das Verblüffende daran: Vieles lässt sich in unserem Alltag anwenden, sei es bei Verhandlungen oder um dem Wahrheitsgehalt einer Darstellung auf den Grund zu gehen. Ein einzigartiges Dokument, ein Blick hinter die Kulissen der Polizeiarbeit, wie er spannender nicht sein könnte.

Josef Wilfling, 1947 - 2022, war 42 Jahre lang im Polizeidienst tätig, 22 davon bei der Münchner Mordkommission. Der Vernehmungsspezialist klärte spektakuläre Fälle wie den Sedlmayr- und den Moshammer-Mord auf, schnappte Serientäter wie den Frauenmörder Horst David und verhörte Hunderte Kriminelle. Bei Heyne sind bereits seine Bestseller Abgründe, Unheil und Verderben erschienen.

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Leseprobe

2Mündliche Aussagen und Vernehmungen


2.1Informatorische Befragung


Die informatorische Befragung (Komm. 9 zu § 163 StPO und 24 zu § 163a StPO) ist den förmlichen Vernehmungen vorgelagert. Polizisten beginnen, wenn sie zu einem Einsatz gerufen werden oder eine Anzeige entgegennehmen, bei der Stunde null. Sie kennen weder den zu ermittelnden Sachverhalt noch können sie ohne nähere Informationsgewinnung darüber entscheiden, wer Beschuldigter oder Zeuge sein könnte und welche Zeugnisverweigerungsrechte gegebenenfalls bestehen. Sie wissen nicht einmal, ob der Befragte überhaupt für die Ermittlungen von Bedeutung sein kann oder als Zeuge von vornherein ausscheidet. Sie können daher noch gar nicht sachgerecht belehren, sodass folglich eine Belehrung in diesem Stadium auch nicht vorgeschrieben sein kann.

Am Anfang steht also die Informationsgewinnung durch Erfragen bzw. Aufhellung eines Sachverhaltes, den es erst einmal einzuordnen gilt. Das ist bei einem Verkehrsunfall nicht anders als bei einem Tötungsdelikt. Sodann gilt es zu sondieren, wer als Zeuge oder Beschuldigter in Betracht kommt und wer für die Ermittlungen wertlos ist. Es wird die Spreu vom Weizen getrennt. Insofern wird den Beamten ein »Herumfragen« zum Zwecke der Sondierung zugestanden.

Sobald sich die Nebel aber gelichtet haben und man Übersicht über die Sachlage und die Beteiligten gewonnen hat – man also quasi wissend wurde –, ist auf eine förmliche Vernehmung mit adäquater Belehrung umzuschalten. Entscheidend ist hierbei der Informationsstand, den der Vernehmer zum Beginn der Aussage und deren Fortlauf jeweils hatte, da diese Kenntnisse ausschlaggebend dafür sind, ob der Beamte hätte belehren und somit förmlich vernehmen müssen.

An diese Belehrungspflicht sind nämlich weitreichende Konsequenzen geknüpft: Wird eine Befragung ohne bereits erforderliche Beschuldigtenbelehrung fortgeführt, unterliegt diese Aussage grundsätzlich einem Verwertungsverbot (BGHSt 38, 214 ff.). Das Gleiche gilt, wenn nicht oder nur unzureichend auf das Recht zur Verteidigerkonsultation hingewiesen wurde (BGHSt 47, 172).

Gerade in diesen Anfangsphasen (Anzeigeerstattung, Erstzugriff, Unfallaufnahme) werden von Beteiligten oft (unbedachte, emotionale) Äußerungen oder Aussagen gemacht, die sie später nicht aufrechterhalten wollen bzw. widerrufen oder bestreiten. Solche Aussagen oder Äußerungen kommen erfahrungsgemäß der Wahrheit oft am nächsten und sind daher äußerst wichtig für die weiteren Ermittlungen. Um sie zu sichern, sollten gerade Erstzugriffskräfte wissen, wie mit Aussagen im Rahmen informatorischer Befragungen (und Spontanäußerungen) umzugehen ist.

Bei Beschuldigten, die sich im Rahmen der informatorischen Befragung zum Sachverhalt geäußert haben, später aber von ihrem Aussageverweigerungsrecht Gebrauch machen, sind dennoch diejenigen Angaben verwertbar, die sie im zulässigen Rahmen einer informatorischen Befragung gemacht haben. Allerdings wird genau geprüft werden, ob der Beamte bereits wissen konnte, dass er einen Beschuldigten vor sich hatte, welchen er hätte belehren müssen. Insofern ist es sehr wichtig, in einem Aktenvermerk festzuhalten, wie der jeweilige Informationsstand zu dem Zeitpunkt war, als der später Beschuldigte Angaben machte.

Noch strenger sind die Regeln bei Personen, denen ein Zeugnisverweigerungsrecht zusteht. Hat jemand, dem dieses Recht zusteht, bei einer informatorischen Befragung (also ohne Belehrung) im Rahmen des Herumfragens Angaben gemacht, so werden diese der (späteren) förmlichen Vernehmung gleichgestellt (BGHSt 29, 230). Verweigert ein solcher Zeuge die Aussage in der Hauptverhandlung und widerruft alle seine vorherigen Aussagen, können weder die Äußerungen, die er bei der informatorischen Befragung gemacht hat, verwertet werden (§ 252 StPO), noch kann der vernehmende Beamte hierüber befragt werden (BGHSt 21, 218). Es sei denn, es erfolgte eine richterliche Vernehmung zur »Sicherung« der Aussagen (s. hierzu Kapitel 5.3).

ZUSAMMENFASSUNG

Informatorische Befragungen

dienen zur Feststellung, ob eine Straftat vorliegt

sind keine Vernehmung, da keine Belehrung erfolgt

sind ein »Herumfragen«, ein noch »Im-Nebel-Herumstochern«, bis hin zur »Verdachtsschöpfung«, wer Zeuge ist oder wer Täter sein könnte.

Beispiel einer informatorischen Befragung

Aktenvermerk

•zu Aussagen der Zeugin Huber im Rahmen der informatorischen Befragung

•zu Aussage des Beschuldigten im Rahmen der informatorischen Befragung

Polizeiobermeister Huber und ich wurden um 22.32 Uhr von der EZ (Einsatzzentrale) zur Marxstr. 65 beordert, Einsatzgrund wortwörtlich: »Streit mit Tätlichkeiten«. Um 22.35 Uhr trafen wir am EO (Einsatzort) ein. Vor dem Haus stand eine Frau, wie sich später herausstellte, die Zeugin Marx, Ehefrau des Beschuldigten. Ich fragte, ob sie wisse, was da los sei. Sie sagte wortwörtlich: »Mein Alter, die besoffene Sau, hat den Freund von meiner Kleinen (Tochter) abgestochen.« Daraufhin eilten wir nach oben …

Die Beamten wussten bis zum Zeitpunkt dieser Äußerung weder, ob überhaupt eine Straftat vorliegt, noch wussten sie, wie diese Frau einzuordnen war. Insofern erfolgte deren Aussage im Rahmen der informatorischen Befragung und war auch Grundlage weiterer polizeilicher Maßnahmen. Denn aufgrund dieser Information, die auf ausdrückliche Nachfrage (»Wissen Sie, was da los ist?«) der Beamten erfolgte, wussten die Beamten sofort, dass mit hoher Wahrscheinlichkeit eine schwere Straftat vorliegt und wer als Täter in Betracht kommt. Damit war jegliche weitere informatorische Befragung beendet. Wie aber sind diese ersten, im Rahmen der informatorischen Befragung erlangten Erkenntnisse (»Mein Alter … hat den Freund von meiner Kleinen abgestochen«) zu bewerten? Sind sie in jedem Fall verwertbar, egal wie sich die Zeugin künftig entscheidet? Nein! Da nämlich der »Auskunftsperson« als Ehefrau des Täters ein Zeugnisverweigerungsrecht zusteht, kann sie diese Aussage später für null und nichtig erklären. Denn das Zeugnisverweigerungsrecht strahlt zurück auf alles, was vorher ausgesagt wurde. Deshalb darf diese Aussage durch den Beamten nicht eingebracht werden, obwohl sie im Rahmen der informatorischen Befragung erfolgte. Nur wenn die Frau unverzüglich richterlich vernommen worden wäre, hätte diese erste Aussage vor Gericht verwertet werden dürfen, eingebracht durch den Richter (s. Kapitel 5.3).

Hätte die Zeugin allerdings von sich aus, also ohne ausdrückliche Nachfrage durch den als solchen erkennbaren Polizeibeamten, diese erste Äußerung gemacht, wäre es keine Aussage im Rahmen einer informatorischen Befragung gewesen, sondern eine Spontanäußerung. Und Spontanäußerungen sind nicht wie die informatorische Befragung einer formellen Vernehmung gleichgestellt und unterliegen deshalb weniger strengen Regeln (vgl. Kapitel 2.2).

Wäre der Beschuldigte selbst vor dem Haus gestanden und hätte auf die Frage der Beamten, was da passiert sei, angegeben: »Ich habe gerade diesen Strolch abgestochen, die besoffene Sau, und ich bin froh, dass er hinüber ist«, wäre das zwar auch eine Aussage im Rahmen der informatorischen Befragung, allerdings wäre hier nicht das Zeugnisverweigerungsrecht, sondern das Aussageverweigerungsrecht tangiert, und das hat einen geringeren Stellenwert als das Zeugnisverweigerungsrecht.

Selbst wenn dieser Täter später keinerlei Angaben mehr zur Sache machen würde, könnte seine Aussage gegen ihn verwendet werden. Allerdings muss der Beamte dann glaubhaft machen, dass er sich noch im Stadium der informatorischen Befragung befand und damit eine Vernehmung samt Belehrung noch gar nicht möglich war, schließlich habe er zu diesem Zeitpunkt nicht wissen können, dass er einen Beschuldigten vor sich hat. Es ist daher unabdinglich, in Form eines Aktenvermerkes genau zu dokumentieren, wie der eigene Informationsstand zum Zeitpunkt dieser Aussage des Beschuldigten war (s. Kapitel 3.1).

2.2Spontanäußerung


Während sich der Beamte bei der informatorischen Befragung aktiv um die Aufklärung bemüht und »herum«- bzw. nachfragt, bleibt er bei Spontanäußerungen (hierzu Komm. Einl. 79 S. 1, 20 zu § 136 StPO) passiv und nimmt nur wahr, was das Gegenüber von sich aus und ungefragt äußert. Sobald er aber nachfragt, endet eine Spontanäußerung, da mit einer Nachfrage eine zur Belehrung verpflichtende Vernehmung beginnt. (»Was sagten Sie, wer hat zugestochen?«) Es empfiehlt sich, Spontanäußerungen stillschweigend zu notieren und in einem...

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