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Geht's noch!

Warum die konservative Wende für Frauen gefährlich ist

AutorLisz Hirn
VerlagMolden Verlag
Erscheinungsjahr2019
Seitenanzahl144 Seiten
ISBN9783990405109
FormatePUB
Kopierschutzkein Kopierschutz
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis15,99 EUR
Es ist wieder schick, konservativ zu sein. Die neuen Biedermänner und Biederfrauen propagieren ein Weltbild, durch das alle verlieren werden: ein Gesellschaftsideal der 1950er-Jahre, das Männer und vor allem Frauen in alte Rollenbilder drängt. Kinder statt Karriere, Mutter statt Managerin? Damit nehmen nicht nur die Ungerechtigkeiten zwischen den Geschlechtern zu. Die Philosophin Lisz Hirn zeigt auf, wie diese Entwicklung unsere offene, demokratische Gesellschaft bedroht. Und liefert Ideen, wie wir uns dagegen zur Wehr setzen können.

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Leseprobe

DIE KONSERVATIVE OFFENSIVE


Die Menschen sind am konservativsten,
wenn sie am wenigsten tatkräftig sind
und am üppigsten.
Nach dem Essen ist man konservativ.

RALPH WALDO EMERSON

WIE KANN man sich also dagegen wehren? Woran erkennt man den Biedermann, die Biederfrau? Wie durchschaut man das Theater der Brandstifter? Indem wir uns zuerst bewusst machen, dass die »westliche« Gesellschaft, die sich für emanzipiert und kosmopolitisch hält, nie ihrem Ruf gerecht wurde. Sie hatte auch nie vollständig ihre konservativen Rollenbilder abgelegt. Frauen müssen in dieser Welt noch immer Männern gefallen, um in ihrem Frauenleben erfolgreich zu sein. »Eine Frau, die sich der herrschenden Vorstellung nicht anpaßt, entwertet sich sexuell und folglich auch gesellschaftlich, da die Gesellschaft die sexuellen Werte integriert hat.«4

BEISPIEL 1:
DER DEKORATIVE AUFPUTZ

Schladming 2018. Der österreichische Bundeskanzler Sebastian Kurz übernimmt den EU-Ratsvorsitz. Zusammen mit Ratspräsident Donald Tusk und dem bulgarischen Premierminister Bojko Borissow posiert Kurz körpernah zwischen drei blonden jungen Frauen für die offiziellen Pressefotos. Während die Herren in legere Anzüge gekleidet sind, tragen die »Dachsteinkönigin« und ihre beiden »Dachsteinprinzessinnen« Dirndl, Schärpe und Tiara.

Und da ist es wieder, diesmal sichtbar für die ganze Weltöffentlichkeit: dieses Frauenbild, das unter der aktuellen Regierung wieder gesellschaftsfähig geworden ist. Es lässt Frauen am liebsten ins politische Rampenlicht, wenn sie die Insignien einer Schönheitskönigin tragen. Lässt sich das Szenario mit umgekehrten Vorzeichen überhaupt denken? Hat die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel je mit hübschen jungen Männern in Lederhosen in die Kameras gewinkt? Es ist schwer vorstellbar, dass sich ein erwachsener Mann finden lässt, der mit einer Prinzenschärpe ausstaffiert posieren würde. Die Inszenierung der Frau im Namen ihrer Weiblichkeit »… ist das sicherste Mittel, ihr einen schlechten Dienst zu erweisen«5 und das gewünschte, konservative Rollenbild zu propagieren.

BEISPIEL 2:
SEXUELLE BELÄSTIGUNG 4.0

Sigrid Maurer hatte am 30. Mai 2018 obszöne Privatnachrichten, die vom Facebook-Account eines Wiener Craft-Beer-Geschäftsführers stammten, auf ihrem eigenen Facebook-Account öffentlich gemacht. Nachdem der Geschäftsbesitzer daraufhin von Usern beschimpft wurde und sein Lokal online schlechte Bewertungen erhielt, klagte er Maurer wegen übler Nachrede und bestritt, der Verfasser der Nachrichten zu sein.6 Angeblich habe es vor dem Lokal herumstehende Männer gegeben, die Maurer immer wieder anzügliche Kommentare hinterherriefen. Der Kommentar des klagenden Anwalts, Frauen könnten schließlich ausweichen und einfach die Straßenseite wechseln, erinnert an den Artikel einer Zeitung der 1950er-Jahre. In diesem wird reihum betont, dass eine Frau, »seine ›kleinen Fehler‹ auch schon mal lächelnd in Kauf nehmen« muss.

Unter diese »kleinen Fehler« – früher »Kavaliersdelikt« genannt – scheinen also auch sexistische Äußerungen zu fallen. Positiv zu vermerken ist, dass der Fall Maurer eine umfassende gesellschaftliche Debatte und Unterstützung ausgelöst hat, die es so vor einigen Jahrzehnten noch nicht gegeben hätte. Auf der »Sollseite« findet sich allerdings die reformbedürftige Gesetzeslage, die es Cybermobbingopfern – von der sexuellen Spielart sind überwiegend Frauen betroffen – momentan erschwert, gegen die Täter vorzugehen.

Von konservativer Seite werden Proteste von Frauen gegen sexuelle Belästigung und die implizite Reduktion auf ihren Körper übrigens oft als überempfindliche Reaktion spaß- und lustbefreiter »linker Emanzen« abgetan. Doch wie das nächste Beispiel zeigt, sind auch konservative Frauen nicht davor gefeit – womit die Absurdität eines »Lagerdenkens« in diesem Kontext deutlich wird.

BEISPIEL 3:
DIGITALES BODYSHAMING

Als die österreichische Ministerin für Nachhaltigkeit und Tourismus Elisabeth Köstinger nach der Geburt ihres Sohnes mit ein paar Kilos mehr auf den Rippen aus der Karenz zurückkehrte, wurde sie in sozialen Medien als »fett« bezeichnet; eine sexistische Hassnachricht, die viele prominente Frauen nach Schwangerschaft und Geburt erreicht. Köstinger reagierte darauf prompt mit einer Nachricht, in der sie ihren Stolz auf einen »gebärfähigen Körper« betonte.

Letzterer sei ihr gegönnt, diese Argumentation ist dennoch ein denkbar schlechtes Argument gegen Frauenhass dieser Art. Ist es doch gerade die Gebärfähigkeit, die der Auslöser aller dieser Aggressionen ist. Steht doch gerade sie für das Weibliche an sich. Einmal wendet sich der Hass gegen die Frauen, die nicht gebären wollen oder können, ein anderes Mal gegen die, die gerade schwanger sind. Jede Ausformung des weiblichen Körpers kann ihn provozieren. Ursache dafür ist das jahrhundertealte Selbstverständnis der Brandstifter und Biedermänner, freien Zugriff auf diese Körper zu haben, um diesen zu kontrollieren: durch Gesetze, Verbote, Schönheitsideale oder Postings. Sie beweisen, dass das Leben der Frauen trotz aller mehr oder minder erfolgreichen Emanzipationsfortschritte weiterhin im Mittelpunkt von Macht- und Gewaltfragen steht. Die Biederfrauen sind die Komplizinnen der Brandstifter, die mit ihrer konservativen Rhetorik »die Frau« auf ihre Gebärfähigkeit reduzieren, also essenzialisieren und naturalisieren. Freilich mit dem Zweck, damit gleichzeitig deren Diskriminierung zu rechtfertigen.

Klar sehnen wir uns nach den »starken Männern«, wie wir es aus den Geschichtsbüchern gewohnt sind, die uns diesmal aus dieser »Krise der liberalen Demokratie« führen, und den »hübschen Frauen«, die als harmloser Blickfang deren Anblick erträglicher machen sollen.

DIE RÜCKKEHR DES »STRENGEN VATERS«


George Lakoff brachte es auf den Punkt, als er den Zulauf zur konservativen Politik als Hilferuf beschrieb. Diese »Conservative Message Machine« wird auch hierzulande seit Jahrzehnten kultiviert. Ziel ist es dabei, über ein rechtskonservatives Framing (Schubladendenken) das eigene Wertesystem an die Wähler zu bringen. Einer der wesentlichsten politischen Werte des konservativen Weltbilds ist das Modell des »strengen Vaters«. In der sogenannten »Strict-Father-Family« wird der Unterschied zwischen moralisch richtigem und falschem Verhalten durch Strafe gelehrt. Das konservative Menschenbild geht davon aus, dass Menschen nicht nur an sich ungleich sind, sondern auch mithilfe von Autoritäten zu ihrem Besten erzogen werden müssen. Nach dieser Logik heißt das: Wer es nicht zu Wohlstand und sozialer Anerkennung bringt, hat einfach zu wenig Disziplin gehabt, um sich in die Hierarchie zu fügen.

Konservative Politik soll den »strengen Vater« als Familienerhalter unterstützen, indem sie ihn stärker macht – gegenüber fremden Kulturen oder auch gegenüber Feministinnen.

Dabei bauen die konservativen Brandstifter nicht nur Widerstand gegen die Emanzipation als solche auf, sondern brandmarken die Gleichstellung der Frau als männer- und familienfeindliche Ideologie, die das Wohl der Männer, Kinder und sogar das der gesamten Gemeinschaft bedroht. Nehmen wir nur die Frauenquoten für Spitzenpositionen als Beispiel. Angesichts der Tatsache, dass wir nach wie vor de facto eine bis zu 90-Prozent-Männerquote in Führungspositionen haben, wirkt diese »Bedrohung der Familienerhalter« geradezu paranoid.

behandelt und bejaht. Das Adjektiv »rückschrittlich« hat er treffend gewählt. Es verdeutlicht, dass Bewegungen, die anderes nicht tolerieren wollen, kein Interesse haben, Schritte auf einen Dialog hin zu machen. Sie wollen einen oder mehrere Schritte zurück, oft in eine fiktiv überhöhte Vergangenheit, in der die Herrschaftsverhältnisse noch sicher in Männerhand waren.

RENAISSANCE DER SEHNSUCHT NACH DEM STARKEN MANN?

So zeigte eine während der österreichischen Präsidentschaftswahl 2016 durchgeführte Studie des »Zentrum für Politische Bildung«, dass es nicht nur Abstiegsängste sind, die junge Männer in die Hände der Rechtspopulisten treibt.9 Die Studienautoren Georg Lauß und Stefan Schmid-Heher wollten von 700 männlichen Wiener Lehrlingen wissen, wie sie das politische System erleben, was sie von Demokratie im Allgemeinen halten und wie sie ihre beruflichen Chancen bewerten. Befragt wurden angehende Köche, Kfz-Mechaniker, Tischler, Banckaufleute und Friseure. Wenn einer der Autoren schreibt, dass sich diese jungen Männer »anscheinend nach einem starken Mann sehnen, der für sie ihre Welt ordnet«, vermutet man hinter dem Wunsch zu Recht die Sehnsucht nach einer unhinterfragten männlichen Autorität, die sie zu den Wahlurnen und in die Arme der Rechtskonservativen treibt.

Rechtspopulistische Politik verteidigt die privilegierte Rolle des Mannes in einem liberalen System, das den Wendigen und Erfolgreichen Chancen, den weniger Flexiblen jedoch vor mehr Herausforderungen stellt. Beispielsweise eine Partnerin zu finden, die sich seinen Bedürfnissen unterordnet und seinen Anteil an der Reproduktionsarbeit (Haushalt, Kinder) übernimmt. Vielleicht war es von den Progressiven und Linken naiv zu glauben, dass jeder Mann seine Position...

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