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E-Book

Gerhard Schröder

Die Biographie

AutorGregor Schöllgen
VerlagDeutsche Verlags-Anstalt
Erscheinungsjahr2015
Seitenanzahl1040 Seiten
ISBN9783641150075
FormatePUB
KopierschutzDRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis15,99 EUR
Die erste grosse und umfassende Biographie
Gerhard Schröder polarisiert. Ganz gleich ob er als Juso-Vorsitzender die eigene Truppe aufmischt, als junger Bundestagsabgeordneter den politischen Gegner in Wallung bringt, als Rechtsanwalt Außenseiter verteidigt oder als Ministerpräsident den Alleingang zur Perfektion entwickelt - der vorwärtstürmende Aufsteiger aus randständigem Milieu hat immer provoziert. Als Bundeskanzler und SPD-Vorsitzender verweigert er den USA die Gefolgschaft im Irakkrieg, mit seiner Agenda-2010-Reformpolitik riskiert er die Kanzlerschaft, und auch als umtriebiger Wirtschaftsberater und Putin-Freund trotzt er aller Kritik. Der »vielfach bewährte Biograph Gregor Schöllgen« (FAZ) hatte uneingeschränkten Zugang zu sämtlichen Papieren Gerhard Schröders und sprach mit vielen Weggefährten - Freunden und Verwandten, Gegnern und Rivalen, Förderern und Neidern, Opfern und Bezwingern -, die sich ungewohnt offen äußerten. Schöllgen gelingt so die erste große und Maßstab setzende Biographie dieser ungewöhnlichen Politikerpersönlichkeit.

Gregor Schöllgen, Jahrgang 1952, lehrte von 1985 bis 2017 Neuere und Neueste Geschichte an der Universität Erlangen und in der Attachéausbildung des Auswärtigen Amtes. Er wirkte als Gastprofessor in New York, Oxford, London und Zürich, war Mitherausgeber der Akten des Auswärtigen Amtes sowie des Nachlasses von Willy Brandt.

Als profilierter Biograph folgte er den Spuren unter anderem von Willy Brandt, Ulrich von Hassell, Martin Herrenknecht, Gustav Schickedanz, Theo Schöller, Gerhard Schröder und Max Weber sowie von bedeutenden Unternehmerfamilien wie Brose, Diehl und Schaeffler. Zuletzt erschien bei DVA seine Geschichte der Familie Weiss und ihres Unternehmens, des Anlagenbauers SMS.

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Leseprobe

Der Aussteiger
1944–1966

»Ich wollte raus da.« Als er das im Rückblick auf seine jungen Jahre sagt, geht Gerhard Schröder auf die fünfzig zu.1 Inzwischen hat er mehr erreicht, als man zu träumen wagt, wenn man von ganz unten kommt. Und Schröder kommt von ganz unten. Kaum ein anderer hat so früh so tief geblickt wie er. Schon gar kein zweiter Bundeskanzler kommt aus derart schwierigen Verhältnissen. Dass er als Kriegskind ohne leiblichen Vater aufwächst, dass er in ganz und gar unübersichtlichen familiären Verhältnissen groß wird und dass er lernen muss, sich in einem sozial randständigen Umfeld zu behaupten, gibt diesem Leben früh seine Prägung.

Als Gerhard Fritz Kurt Schröder am 7. April 1944, einem Karfreitag, im Lippeschen geboren wird, steht das Deutsche Reich vor dem Zusammenbruch. Aus dem knapp fünf Jahre zuvor begonnenen Eroberungsfeldzug ist eine Abwehrschlacht geworden. Am 20. August erreichen die Spitzen der alliierten Streitkräfte die Seine beiderseits Paris. Am selben Tag eröffnen die 2. und 3. Ukrainische Front in Nordostrumänien den Großangriff auf die 6. deutsche Armee, in der Gerhard Schröders Vater kämpft. Die Verluste sind gewaltig. Im Herbst 1944 kommen bis zu 5000 deutsche Soldaten ums Leben. Tag für Tag, die meisten im Osten.

Einer von ihnen ist Fritz Schröder. Gerhard Schröders Vater fällt am 4. Oktober 1944 auf einer Höhe beim rumänischen Pustasan, etwa 30 Kilometer südöstlich von Klausenburg.2 Er wird auf dem Friedhof von Ceanu Mare beigesetzt. Das Grab wird 1978 entdeckt. Im Frühjahr 2001 erhält die Familie davon Kenntnis. Bei dieser Gelegenheit sieht Gerhard Schröder auch erstmals ein Foto seines Vaters. Es zeigt Fritz Schröder als Soldaten der Wehrmacht und findet seinen Platz auf dem Schreibtisch im Kanzleramt. Im August 2004, 60 Jahre nach dem Tod des Vaters, steht Gerhard Schröder erstmals an dessen Grab.

Weitere sieben Jahre gehen ins Land, bis er schließlich die Dokumente sichten kann, die aus dessen Dienstzeit bei der Wehrmacht erhalten geblieben sind.3 Darunter befinden sich neben dem Wehrstammbuch und dem Soldbuch Fritz Schröders unter anderem das einzige bis dahin bekannte Foto, das den Vater als Zivilisten zeigt, außerdem ein Auszug aus dessen Strafregister, ein von der Ehefrau Erika Schröder unterzeichnetes, aber – da diese nur mühsam schreibt – von Klara Schröder, Gerhard Schröders Großmutter, handschriftlich aufgesetztes Dokument sowie die Geburtsurkunde des Sohnes Gerhard Schröder, den Fritz Schröder nie gesehen hat.

Gesichert zurückverfolgen, wenn auch nicht im Einzelnen erhellen, lässt sich die Familiengeschichte der Schröders bis in die Mitte des 19. Jahrhunderts. August Schröder, Gerhard Schröders Ururgroßvater, ist Winzer im Ramdohrschen Weinberg, angestellt beim Kaufmann August Ramdohr, Inhaber des gleichnamigen Bankhauses. Die Gegend ist wegen des Weinbaus an der klimatisch begünstigten Mündung der Unstrut in die Saale auch überregional bekannt, und offenbar haben die Schröders über Generationen hinweg dort ihren Lebensunterhalt als Winzer verdient. Am 2. März 1856 kommt August Schröders viertes Kind, Gerhard Schröders Urgroßvater Franz August Schröder, in Naumburg an der Saale zur Welt, wird dort auch drei Wochen später evangelisch getauft.4

Warum Franz Schröder beruflich andere Wege geht als sein Vater, entzieht sich unserer Kenntnis. Jedenfalls erlernt er den Beruf des Zimmermanns, heiratet Ende Juli 1879, als er 23 ist, im benachbarten Großjena und kehrt mit seiner Frau Pauline Emma zwei Tage später in seine Geburtsstadt Naumburg zurück. Dort wird am 18. November 1879, also nicht einmal vier Monate nach der Hochzeit, der erste gemeinsame Sohn geboren, dem drei weitere Söhne und zwei Töchter folgen, von denen eine zweijährig verstirbt. Emil Hermann Schröder, der Großvater Gerhard Schröders, erblickt am 2. November 1887 das Licht der Welt und zieht im Alter von fast zwei Jahren mit der Familie nach Leipzig.5 Die Stadt, die seit Ende der achtziger Jahre des 19. Jahrhunderts eine rasante Entwicklung nimmt, wird in der Geschichte der Familie Schröder eine fassbare Rolle spielen.

Viel wissen wir über die frühen Jahre von Gerhard Schröders Großvater nicht. Aber einiges spricht dafür, dass Emil Schröder keine höhere Schulbildung genossen, sondern nach der Volksschule eine handwerkliche Ausbildung absolviert hat. Seine Spur findet sich 1906 wieder, als er sich für einige Jahre in unterschiedlichen Berufen, zum Beispiel als Kutscher und Fabrikarbeiter, durchschlägt, zeitweilig auch auf Wanderschaft unter anderem in der Pfalz zu finden ist. Sicher ist, dass Emil Schröder im Oktober 1909, also kurz vor Vollendung seines 22. Lebensjahres, in die Georg-Schumann-Kaserne in Leipzig-Möckern zum zweijährigen Wehrdienst einrückt und fortan im königlich-sächsischen 7. Infanterieregiment »König Georg« (Nr. 106) seinen Dienst tut.6

Am 17. Februar 1912 heiratet Emil Schröder »Klara« Marie Auguste Werner, die am 16. Oktober 1890 in Leipzig zur Welt gekommen ist. Das ist die später in der Familie legendäre »Oma Schröder«, die auch den aufwachsenden Enkel Gerhard mit betreuen wird. Aus der Ehe gehen drei Kinder hervor: Sieben Monate nach der Hochzeit wird am 12. September 1912 Fritz Werner Schröder, Gerhards Vater, geboren, am 6. August 1913 folgt Charlotte Elsa, die nach wenigen Monaten verstirbt, und am 5. August 1914 Emil Kurt Schröder,7 Gerhard Schröders Onkel und Vater dreier Töchter, von denen er erst als Bundeskanzler erfährt. Viel sieht der Großvater Emil Schröder nicht von seinen beiden Söhnen, denn im Sommer 1914 wird er zu den Waffen gerufen.

Der europäische Krieg, der im August 1914 mit den deutschen Kriegserklärungen an Russland und Frankreich beginnt, wird nicht nur das Gesicht Deutschlands, Europas und der Welt nachhaltig verändern, sondern auch in den meisten Familien, die der Schröders eingeschlossen, mehr oder weniger gravierende Folgen zeitigen. Dass sich aus einem nur regional bedeutsamen Zwischenfall – der Ermordung des österreichisch-ungarischen Thronfolgers in Sarajevo – ein Konflikt dieser Dimension entwickeln konnte, hatte vielfältige Gründe. Heute wissen wir, dass die Großmacht Deutsches Reich und das Gleichgewicht der Kräfte in Europa nicht miteinander vereinbar gewesen sind und dass darin die entscheidende Ursache für den Ausbruch dieser Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts zu sehen ist.

Das Deutsche Reich war 1871 aus der Taufe gehoben worden. Politisch geschickt und militärisch entschlossen hatte Preußen die Machtverschiebungen infolge des Krimkrieges genutzt, um in den sechziger Jahren des 19. Jahrhunderts die nationalstaatliche Einheit Deutschlands herbeizuführen. Die Regie hatte Otto von Bismarck geführt, der dann auch als erster Kanzler die Geschicke des Reiches leitete. Mit ihm haben sich sämtliche Nachfolger auseinandersetzen müssen. Die Reichskanzler bis 1945, weil sie auf die eine oder andere Weise an ihm gemessen wurden, und die Bundeskanzler seit 1949, weil Bismarcks Schöpfung, wenn auch in den Grenzen der Zwischenkriegszeit, so lange ein Bezugspunkt ihres außenpolitischen Denkens blieb, wie das Grundgesetz ihnen die Vollendung der Einheit Deutschlands auftrug.

Wenn sich die Kanzler der Bundesrepublik Deutschland auch nicht als Nachfolger Bismarcks sehen mochten, hat er sie doch allesamt beschäftigt. Selbst die drei Sozialdemokraten unter ihnen. Willy Brandt und Helmut Schmidt haben stets einen »wachen Sinn für Bismarcks Leistung« gehabt8 und gelegentlich die Außenpolitik des ersten Reichskanzlers als »genial« gepriesen.Auch Gerhard Schröder, von dem man das vielleicht am wenigsten erwarten würde, kannte nie Berührungsängste, im Gegenteil: In seinem Hannoveraner Büro hängt – gleich neben der Fotoporträtgalerie der Kanzler von Adenauer bis Schröder – ein großformatiges Bismarck-Porträt Franz Lenbachs. Es zeugt von dem unverkrampften Respekt, den der vorerst letzte sozialdemokratische Bundeskanzler für den »aufgeklärte[n] Pragmatismus« des ersten Reichskanzlers – »eine vorbildliche Figur« – empfindet, wie er 2015 anlässlich Bismarcks 200. Geburtstag in einem großen Gespräch mit dem Spiegel bekannte.9 In diesem Sinne hat Hans-Peter Schwarz, der Biograph Konrad Adenauers und Helmut Kohls, Gerhard Schröder jüngst als eine »fast Bismarcksche Figur« charakterisiert: »ein herrlich ungebremster Machtpolitiker, wie sie in Deutschland eigentlich wenig kommen«.10

Mehr als mit Bismarck selbst hatten sich sämtliche Bundeskanzler allerdings mit den mittelbaren Folgen seiner Schöpfung auseinanderzusetzen. Denn innerhalb von 30 Jahren hatte das Deutsche Reich Europa zwei Mal mit einem verheerenden Krieg überzogen. Wer weiß, was der Welt erspart geblieben wäre, hätten die Kriegsgegner Deutschlands schon 1918, also am Ende des Ersten Weltkriegs, die Konsequenz aus der Erkenntnis gezogen, dass dieses Deutsche Reich sich nicht mit dem Gleichgewicht der Kräfte in Europa vertrug. Nachdem sie dies 1945 getan hatten, war Deutschland ein besetztes, später geteiltes und bis zum Zusammenbruch der alten Weltordnung nicht vollständig souveränes Land. Die Geschichte des geteilten Deutschlands, die Vereinigung der beiden Staaten westlich von Oder und Neiße sowie die neue Rolle des wieder völlig souveränen Deutschlands in der...

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