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E-Book

Gesammelte Werke

Vollständige Ausgabe

AutorErich Mühsam
VerlagJazzybee Verlag
Erscheinungsjahr2012
Seitenanzahl923 Seiten
ISBN9783849632236
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis0,99 EUR
Erich Kurt Mühsam war ein anarchistischer deutscher Schriftsteller, Publizist und Antimilitarist. Als politischer Aktivist war er maßgeblich an der Ausrufung der Münchner Räterepublik beteiligt, wofür er zu 15 Jahren Festungshaft verurteilt wurde, aus der er nach fünf Jahren im Rahmen einer Amnestie freikam. In der Weimarer Republik setzte er sich in der Roten Hilfe für die Freilassung politischer Gefangener ein. Dieser Sammelband beinhaltet die Werke: Judas : Ein Arbeiterdrama Staatsräson : Ein Denkmal für Sacco und Vanzetti Unpolitische Erinnerungen Verse & Prosa

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Leseprobe

Zweiter Akt


 


Am Abend des nächsten Tages. Vereinszimmer der »Hütte«. Vorn ein schmaler Raum in der ganzen Ausdehnung der Bühne. An ihn schließt sich ohne Tür ein langes, in den Hintergrund führendes Zimmer an, das die Wand in der Mitte rechtwinklig durchbricht und etwa die halbe Breite des vorderen Raumes hat. Der Eingang zum zweiten Zimmer wird von Portieren und zwei Kübeln mit Blattpflanzen flankiert. Im vorderen Raum links ein Klavier mit Drehschemel. An der Hinterwand rechts Bank mit Armlehnen, davor ein längerer Tisch mit bunter Wirtshausdecke und Stühlen. Rechts von Holzläden verdecktes Fenster. Links vom Ausgang ein Schränkchen mit studentischen Verbindungszeichen. Darüber zwei gekreuzte Rapiere. An den Wänden Bilder des deutschen Kaisers, Hindenburgs und anderer Heerführer. Über der Bank eine Draperie von Fähnchen in deutschen, österreichischen, ungarischen, türkischen und bulgarischen Farben. Ein Fußläufer bedeckt einen Teil des Bodens. Elektrische Birnenarrangements über dem Klavier und zu beiden Seiten des Eingangs. Im hinteren Raum sieht man durch die Pflanzenkübel hindurch einen langen, ungedeckten Tisch mit Stühlen zu beiden Seiten und ganz im Hintergrund eine große Milchglastür, die von rückwärts schwach erleuchtet ist. Im vorderen Raum helle Beleuchtung, die den schwächer beleuchteten zweiten Raum in undeutliches Licht setzt. Wenn sich die Glastür hinten öffnet, ändert sich dabei die Beleuchtung. Der vordere Raum ist leer, im zweiten ist Stimmengewirr, man sieht undeutlich sich verschiedene Personen bewegen. Aus ihnen lösen sich Werra Adler, ältliche, aber jugendlich aufgeputzte Person, und Klara Wendt, junges Mädchen, die Arm in Arm den Vordergrund betreten.

 

 

WERRA. Und hier, siehst du, bleibt dann meistens nach den Diskussionen der engste Kreis beisammen – im ganz internen Gespräch.

 

KLARA. Da ist Herr Professor Seebald wohl immer dabei?

 

WERRA. Unser Meister! – Um den gruppiert sich doch alles. Ach, ich freue mich so, daß du ihn heute kennenlernen wirst.

 

KLARA. Ich auch – aber, ehrlich gestanden, ich bin etwas ängstlich. – So ein berühmter Mann. –

 

WERRA. So ein großer Mann, Klärchen! Aber du brauchst nichts zu fürchten –, er ist nicht hochmütig.

 

KLARA. Das erkennt man ja schon daran, daß so viele einfache Arbeiter hier sind.

 

WERRA. Du kannst mir glauben: Auf die bin ich oft geradezu eifersüchtig. Unsereiner kommt sich manchmal wie geduldet vor, so bevorzugt er das niedere Volk.

 

KLARA. Aber nach den Vorträgen – hier hinten – da finden sich wohl mehr die gebildeten Teilnehmer zusammen?

 

WERRA. Das ist verschieden. Manchmal schickt er uns Bessere direkt fort. – Du hast doch den lahmen Rothaarigen gesehen drinnen?

 

KLARA. Den blassen Menschen, der immer so hüstelt?

 

WERRA. Das ist sein Liebling; ein gewöhnlicher Buchdruckergeselle.

 

KLARA. Denk nur!

 

WERRA. Der bleibt fast immer mit hier; auch wenn bloß noch Klaviervorträge sind oder ein jüngerer Dichter, zum Beispiel Herr Tiedtken, Verse vorträgt.

 

KLARA. Ja, können denn diese Leute dies überhaupt verstehen?

 

WERRA. Der Meister glaubt es, ja. – Er ist so gut!

 

 

Hinten werden Stühle gerückt; lauteres Sprechen.

 

Der Wirt Präzold kommt vor, hinter ihm Damen und Herren, darunter Dr. Bossenius, und einzelne Arbeiter, unter ihnen Schenk und Klagenfurter.

 

 

PRÄZOLD sich umschauend. Herr Professor ist also wohl noch nicht da?

 

DR. BOSSENIUS. Müssen Sie ihn denn selber sprechen?

 

PRÄZOLD. Ist vielleicht nicht mal nötig. Ich möchte den Herrschaften bloß sagen, daß die Versammlung heute nicht sein kann.

 

DAMEN. Oh! Ach! – Ja, warum denn nicht?

 

PRÄZOLD. Ja – es ist grad wieder ein neuer Befehl gekommen, daß jede Art Versammlung, auch Vereinszusammenkünfte, verboten sind. Mir tut's ja selbst leid. Aber was soll ich wohl machen?

 

KLARA. Dann müssen wir wieder gehen?

 

WERRA. Ach, Herr Wirt, lassen Sie uns doch so lange bleiben, bis wir den Meister begrüßt haben. – Ja? – Bitte!

 

SCHENK. Herr Präzold – es ist gut.

 

PRÄZOLD. Wieso? – Was meinen Sie?

 

SCHENK. Ich meine, Sie haben Ihre Pflicht erfüllt und das Verbot mitgeteilt.

 

DR. BOSSENIUS zu Schenk. Wollen Sie etwa hierbleiben?

 

KLAGENFURTER. Ich kann doch ein Glas Bier bekommen, Herr Präzold?

 

PRÄZOLD. Aber ich möchte die Herren doch bitten – – an mir geht's doch schließlich aus.

 

SCHENK. Was kann Ihnen denn passieren, wenn Sie hier Gäste bewirten? – Schicken Sie uns das Fräulein, bitte.

 

PRÄZOLD. Ja – natürlich – – sofort! Will ab, dreht sich noch mal um. Nur bitte – Vorträge dürfen auf keinen Fall gehalten werden. – Nur ganz zwanglos. Ab.

 

DR. BOSSENIUS. Ich habe doch Bedenken gegen diese Umgehung. – Ah, da kommt Herr Strauß.

 

STRAUSS tritt vor. Guten Abend, allerseits. Was ist denn hier für ein Aufstand?

 

DR. BOSSENIUS. Sie wissen, Herr Strauß, von dem Verbot von Vereinszusammenkünften?

 

STRAUSS. Ach – ich hätt mir's denken können. Nach den letzten Nachrichten, die bei der Redaktion eingelaufen sind. –

 

KLAGENFURTER. Ist etwas Wichtiges, Neues?

 

STRAUSS. Ja, nun – der Streik dehnt sich aus. Besonders von Österreich kommen die beunruhigendsten Meldungen; in Wien, Graz, Prag, Brünn ruht die Arbeit vollständig.

 

DIETRICH auftauchend. Bravo, bravissimo!

 

KLAGENFURTER leis. Du bist unvernünftig, Mensch!

 

STRAUSS. Ich fürchte, Genosse Dietrich, Sie verkennen die Situation. Nach meiner Überzeugung kann diese Bewegung in einem solchen Augenblick den Frieden nicht fördern, sondern höchstens schädigen – – wenn die Wirkungen nicht noch bedenklicher werden sollten. Die Front ohne Munition lassen –

 

SCHENK. Na ja, das wollen wir jetzt nicht verhandeln.

 

STRAUSS. Ich kann nur sagen, daß das die Meinung aller führenden Männer der Sozialdemokratischen Partei ist.

 

DIETRICH lacht dröhnend. Das glaub ich. Diese – –

 

KLAGENFURTER. Still, Dietrich!

 

DR. BOSSENIUS. Also, Herr Strauß, der Wirt hat mir eben erklärt, daß eine Sitzung des Bundes keinesfalls stattfinden dürfe. Nun meinen die Herren –

 

STRAUSS. Wir müssen uns doch selbstverständlich dem Verbot fügen.

 

SCHENK. Das mag jeder halten, wie er will. Meine Freunde und ich sind in diesem Augenblicke Gäste in der »Hütte«. Wenn die Vereinsräume für Sitzungen gesperrt sind, so benützen wir sie eben als Wirtschaftsräume.

 

STRAUSS. Zu irgendwelcher Umgehung des Verbotes könnte ich mich keinesfalls verstehen.

 

DIETRICH. Es wird ja niemand gezwungen, dazubleiben.

 

WERRA. Ich bleibe nur, bis der Meister kommt. Ich will ihm wenigstens die Hand drücken und ihm ins Auge schauen.

 

KELLNERIN tritt auf. Die Herren haben gewünscht?

 

SCHENK. Bringen Sie mir eine Limonade, bitte – Fräulein.

 

KLAGENFURTER. Und mir ein Glas Bier.

 

DIETRICH. Mir auch ein Bier!

 

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