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E-Book

Gewaltfreie Kommunikation und Macht

In Institutionen, Gesellschaft und Familie

AutorMarshall B. Rosenberg
VerlagJunfermann
Erscheinungsjahr2017
Seitenanzahl120 Seiten
ISBN9783955716844
FormatePUB
Kopierschutzkein Kopierschutz
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis15,99 EUR
Wie kann man mehr Macht erlangen, ohne andere zu unterdrücken oder sich zu unterwerfen? Die Gewaltfreie Kommunikation kennt zwei Konzepte von Macht: 'Macht über' und 'Macht mit'. Worin sie sich unterscheiden, darum geht es in diesem Buch. Die Frage, die sich in diesem Zusammenhang stellt, lautet: Wie ist es möglich, seine Macht zu vergrößern und dabei sowohl im Einklang mit den eigenen Werten und Bedürfnissen als auch mit denen der anderen zu handeln? Das Buch entstand auf der Grundlage eines Seminars, das Marshall Rosenberg vor einigen Jahren in Italien abhielt, in Zusammenarbeit mit Vilma Costetti. Im Austausch mit Seminarteilnehmern beleuchtet er verschiedene Machtbereiche, z.B. politische Macht und Macht in Unternehmen. Er untersucht auch, welche Rolle Macht in Schulen und Familien spielt und die Macht der Empathie und welche Bedeutung sie für unsere Gesundheit hat. In einfacher Sprache vermittelt dieses Buch einen sehr komplexen Sachverhalt. Es zeigt uns, wie wir uns theoretisch und auch praktisch eine Form der Macht zu Eigen machen können, deren größte Kraftquelle darin besteht, dass wir sie gemeinsam mit anderen ausüben.

Dr. Marshall B. Rosenberg (1934-2015) war international bekannt als Konfliktmediator und Gründer des internationalen Center for Nonviolent Communication in den USA. Die von ihm entwickelte Methode der Gewaltfreien Kommunikation hat sich als machtvolles Werkzeug herausgestellt, um Differenzen auf persönlichem, beruflichem und politischem Gebiet friedlich zu lösen. Dr. Rosenberg hat die Gewaltfreie Kommunikation in mehr als zwei Dutzend Ländern an Ausbilder, Schüler, Studenten, Eltern, Manager, medizinisches und psychologisches Fachpersonal, Militärs, Friedensaktivisten, Anwälte, Gefangene, Polizisten und Geistliche weitergegeben.

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Leseprobe

2. Gewaltfreie Kommunikation in der Politik


Wie lässt sich die GFK in der Politik anwenden?

V: Ich freue mich, dass ich Ihnen heute die Gelegenheit bieten kann, die Gewaltfreie Kommunikation direkt von ihrem Begründer Marshall Rosenberg kennenzulernen. Mein eigenes Leben hat sich durch diesen Kommunikationsprozess sehr zum Besseren verändert, beruflich wie familiär. Darüber bin ich sehr froh und ich weiß, dass es auch vielen anderen Menschen überall auf der Welt enorme Vorteile gebracht hat, diesen Prozess anzuwenden. Ich arbeite in verschiedenen Institutionen, vor allem in Schulen. Dort kann ich täglich spüren, was es für das Klassenklima bedeutet, ob Lehrer und Schüler Macht miteinander teilen oder ob die eine Seite Macht über die andere ausübt. Ich bin immer wieder ganz erfüllt, wenn ich Klassenkonferenzen sehe, die mithilfe der Gewaltfreien Kommunikation stattfinden, und möchte deshalb diese Art der Kommunikation auch Menschen näherbringen, die in anderen Bereichen tätig sind. Heute soll es darum gehen, wie sich die Gewaltfreie Kommunikation in der Politik anwenden lässt, sei es von Vertretern einer Partei – also Menschen, die für bestimmt Wertvorstellungen stehen –, sei es von Mandatsträgern auf lokaler und regionaler Ebene oder von Parlaments- und Regierungsmitgliedern.

MBR: Ich möchte unsere gemeinsame Zeit produktiv nutzen und daher in das, was ich anzubieten habe, Ihre speziellen Interessen einbinden. Dazu würde ich gerne von Ihnen wissen, in welchem Bereich Sie Ihre Macht vergrößern möchten. In welchen Situationen erleben Sie es, dass sich Menschen anders verhalten als Sie es sich wünschen? Und in welchen Situationen hätten Sie gerne mehr Macht?

T: Dort, wo ich lebe, sprechen die Menschen nicht über ihre Gefühle. Wenn ich sage, dass Gefühle wichtig sind, schauen sie mich freundlich an, aber sonst bekomme ich keine Reaktion. Ich habe einen Doktor in Psychologie und bin nun in Rente. Öffentlich trete ich nicht als Psychologin auf, aber immer wieder treffe ich auf Mütter, die sich über ihre Kinder beschweren, oder auf Kinder, die sich über ihre Mütter beschweren. Als ich anregte, ein Kommunikationsseminar zu organisieren, reagierten alle mit Ausflüchten. Ich denke, ich bin nicht in der Lage, mich verständlich zu machen.

In welchen Bereichen möchte ich mehr Macht haben?

MBR: Wenn ich Sie richtig verstanden habe, möchten Sie Ihre Macht dahingehend vergrößern, diesen Menschen einen Kurs anzubieten, der für sie nützlich sein könnte, aber man antwortet Ihnen, dies sei nicht möglich?

T: Ja.

MBR: Danke, das hilft mir weiter.

T: Bei mir sind es ganz verschiedene Situationen. Ich bin Erzieherin und arbeite in einer kommunal organisierten Wohngemeinschaft für Jugendliche. Im Team gibt es Konflikte zwischen den Kolleginnen und Kollegen. Ich bin zwar nicht direkt darin verwickelt, aber als Mitglied des Teams bin ich trotzdem betroffen. Die Kommunikation ist wirklich schwierig und zum Teil provozierend, schon fast beleidigend, und ich stelle fest, dass ich nicht in der Lage bin, daran etwas zu ändern. Hier hätte ich gerne mehr Macht, denn diese Konflikte haben leider auch Auswirkungen auf unsere Arbeit mit den Jugendlichen.

Außerdem arbeite ich in einer Gruppe, die sich mit Friedenserziehung beschäftigt. Vor Kurzem war ich dort unbewusst in einen Konflikt verwickelt und wurde beleidigt. Daraufhin habe ich versucht unter Zuhilfenahme meiner Kenntnisse der Gewaltfreien Kommunikation zu antwortete, das heißt Gefühle auszudrücken, nicht zu urteilen und zu beobachten, anstatt zu interpretieren. Aber die Reaktion der anderen war nur noch heftiger und sie sagten mir, sie seien nicht zu Spielchen bereit, denn es handele sich um einen echten Konflikt.

Dann möchte ich noch die Kommunikation in der Familie verbessern. Ich habe ein kleines Kind und nehme deshalb morgen am Familienseminar teil.

MBR: Danke.

T: Mein Problem ist, Macht überhaupt wahrzunehmen.

MBR: Was genau macht es so schwierig, Macht wahrzunehmen?

T: Vielleicht denke ich zu sehr an die Konsequenzen, die meine Handlungen haben könnten.

MBR: Was könnten Ihre Handlungen denn bewirken, das Ihnen unangenehm wäre?

T: Anstatt die Energie zu nutzen, um etwas Positives zu erschaffen, steigt mir die Macht zu Kopf.

T: Ich bin Stadtrat für Sozialpolitik in einer Gemeinde in der Emilia Romagna. Ich habe hauptsächlich zwei Anliegen. Das wichtigere ist, mir Gehör zu verschaffen. Damit meine ich die Suche nach Möglichkeiten, gemeinsam mit den anderen Ratsmitgliedern mehr Macht zu gewinnen, natürlich in positiver Hinsicht. Besonders in der Sozialpolitik zeigen sich in konzentrierter Form so ziemlich alle Schwächen der Region: Wohnungsnot, familiäre Probleme, Ausländerproblematik. Scheinbar schaffe ich es nicht, auf diesen Notstand in angemessener Weise und mit dem nötigen Nachdruck aufmerksam zu machen. Die vorherrschende Meinung scheint zu sein: Es geht uns sehr gut und hier herrschen allgemein gute Bedingungen. Ich habe aber das Gefühl, viele Probleme werden einfach ausgeblendet, und ich möchte in der Lage sein, eben auf diese Schwierigkeiten aufmerksam zu machen und ihnen mehr Gewicht zu geben.

Mein anderes Anliegen betrifft die Anwendung dieser Methode. Ist sie auch dazu geeignet, die Kommunikation innerhalb der Familie zu fördern? Oft gibt es zwischen den Generationen keinen Austausch, aber auch zwischen einzelnen Familienmitgliedern fehlt es an Kommunikation. In meinen Augen ist das ein großes und gar nicht so selten anzutreffendes Problem und ich möchte deshalb verstehen, ob ich in diesem Sinne etwas tun kann.

T: Ich bin ebenfalls Stadtratsmitglied und ich bin nicht mit dem Vorsatz hierhergekommen, meine Macht zu vergrößern. Ich möchte vielmehr verstehen, wie ich vor allem in der Politik Macht, egal ob ich viel oder wenig Einfluss habe, gewaltfrei und konstruktiv anwenden kann. Als Ratsmitglied halte ich die Kommunikation für das größte Problem. Das, was uns trennt, hat in der Politik oft mehr mit Verständnisschwierigkeiten zu tun als mit echten Differenzen. Das ist zumindest mein Eindruck.

Umgang mit Macht in der Kommunalpolitik

T: Meine Probleme gehen in die gleiche Richtung. Ich komme aus Ligurien, bin Bürgermeister meiner Stadt, und auch für mich ist der Umgang mit Macht ein Problem. Dabei mangelt es mir nicht unbedingt an Macht, ich möchte aber verhindern, mich durch die Ausübung dieser Macht von der Sichtweise der einfachen Bürger zu entfernen. Ich habe mittlerweile eine sehr technische Sicht der Dinge entwickelt und befürchte, bald nicht mehr dieselbe Sprache zu sprechen wie die normalen Leute.

MBR: Möchte noch jemand etwas hinzufügen, bevor ich antworte?

T: Ich denke, meine Schwierigkeit ähnelt der eben vorgestellten. Ich wäre gerne in der Lage, mir genug Zeit zu nehmen, um auch wirklich alles zur Sprache zu bringen, was ich im jeweiligen Moment zu sagen habe.

MBR: Ich möchte Ihnen jetzt einige Möglichkeiten zeigen, wie die Gewaltfreie Kommunikation für Menschen in den von Ihnen angesprochenen Situationen nützlich sein kann. Einige von Ihnen haben die Gewaltfreie Kommunikation bereits kennengelernt, andere noch nicht. Denjenigen, die bisher noch keine Gelegenheit hatten sie kennenzulernen, werde ich zeigen, wie die GFK in den von Ihnen geschilderten Situationen funktionieren kann. Die Gewaltfreie Kommunikation gibt uns Anregungen, wie wir in unterschiedlichen Bereichen handeln können: in der Politik, als Bürgermeister oder Ratsmitglieder. Es geht um Situationen, in denen wir auf Menschen einwirken wollen, damit sie die Dinge auf eine bestimmte Weise sehen und sich so verhalten, wie wir es uns wünschen. Das kann auch in der Familie der Fall sein, wenn wir für unsere Kinder effektivere Eltern sein wollen, oder in der Schule, wenn wir Konflikte mit Lehrern oder Schülern lösen wollen.

„Macht über andere“ vs. „Macht mit anderen“

Alle diese Handlungen werden dazu beitragen, die Macht mit den anderen zu vergrößern. Eben hat uns Vilma darauf aufmerksam gemacht, dass es zwei unterschiedliche Arten von Macht gibt. Eine Art können wir als „Macht über andere“ definieren. Ich werde versuchen zu verdeutlichen, was wir unter diesem Begriff verstehen. Die andere Form von Macht bezeichnen wir als „Macht mit anderen“.

Nehmen wir an, ich beobachte andere Menschen dabei, wie sie etwas tun, das mir nicht gefällt. Vielleicht sind es Arbeitskollegen oder Leute aus meiner Gemeinde oder meiner Partei. Vielleicht lebe ich mit diesen Menschen zusammen oder es sind Familienangehörige. Nehmen wir weiter an, ich unterhalte mich mit diesen Leuten, egal ob zu Hause oder bei irgendeiner anderen Gelegenheit. Bei diesem Gespräch möchte ich unbedingt destruktive Strategien vermeiden, die nur zu noch mehr Widerstand führen und die Kooperation behindern. Manchmal sieht es so aus, als funktionierten diese destruktiven Strategien, denn scheinbar erreichen wir etwas mit ihnen. Tatsächlich ist es aber so, dass diese Ergebnisse auf eine sehr zerstörerische Weise zustande kommen.

Zerstörerische Strategien (1): Scham, Kritik, Analysen, Beleidigungen

Bevor wir uns damit beschäftigen, welche Alternativen uns die GFK bietet, möchte ich auf einige dieser destruktiven Strategien eingehen. Wenn sich jemand auf eine Weise verhält, die mir nicht gefällt, könnte ich Scham einsetzen, um mir das Leben zu vermiesen. Ich bringe den...

Blick ins Buch

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