SPAREN ODER ZOCKEN –
DIE DEUTSCHEN
LIEBEN ES EXTREM
Es ist oft nur eine vermeintlich unwichtige Nachricht: Die US-Arbeitsmarktdaten sind ein bisschen schwächer ausgefallen als erwartet, das Defizit der Griechen ist ein klein wenig höher als gedacht oder der Ausblick eines Dax-Konzerns enttäuscht geringfügig – schon schmieren die Kurse ab. Und stürzen Anleger in eine emotionale Krise.
Starke Kursschwankungen – vor allem nach unten – sind nichts für sanfte Gemüter und schon gar nichts für die zartbesaiteten Anlegernerven. Unbehagen, Angst, vielleicht sogar Panik erfassen den Aktionär. Gefühle, die er nicht mag, die er verhindern und am besten abstellen will. Um der leidigen Situation zu entkommen, verkauft er – leider oft viel zu billig – in den Kursrutsch hinein.
Ein anderer wiederum freut sich über den Absturz, denn er hat auf fallende Kurse gesetzt. Er hat Aktien verkauft, die er eigentlich gar nicht besessen, sondern sich nur geliehen hat. Sein Ziel: Er will die Papiere hinterher günstiger zurückkaufen. Die Differenz von Verkaufs- und Kaufkurs ist sein Gewinn. Er wähnt sich mit seinen Leerverkäufen – im Börsendeutsch Short Selling – im plötzlichen Absturz auf der sicheren Seite. Und deshalb erhöht er seine Short-Positionen sogar noch, schließlich hat er den richtigen Riecher gehabt. Die Gewinnchancen erscheinen hoch.
Doch so schnell und plötzlich, wie es zum Kursrutsch kommt, so schnell endet er auch oft. Dann ist es der Leerverkäufer, den die Panik packt, schließlich muss er seine Positionen schnell glattstellen. Denn mit jedem Cent, den die Aktienkurse steigen, schmilzt sein Gewinn oder – schlimmer noch – wächst sein Verlust. Der andere Anleger ärgert sich: Er hat völlig übereilt verkauft. Nun steigt er wieder ein, teurer als er zuvor verkauft hat. Hinzu kommen in beiden Fällen die Transaktionskosten.
Volles Risiko, pure Gier oder übertriebene Panik – an der Börse können Anleger viele Fehler machen und sehr schnell sehr viel Geld verlieren. Wir setzen auf falsche Produkte oder haben die falsche – oder schlimmer noch gar keine – Strategie. Viele von uns steigen viel zu spät ein, nämlich dann, wenn die Börsenparty längst ihren Höhepunkt erreicht hat, wenn die Tageszeitungen auf Seite eins jubeln: „Dax 10.000“. Oder wir verkaufen viel zu spät, wenn die Kurse ihren Boden fast erreicht haben. Oder wir fallen auf selbst ernannte Gurus herein, deren todsichere Tipps sich als Rohrkrepierer erweisen. Ein großer Fehler ist es auch, der Börse gleich ganz fern zu blieben – aus welchen Gründen auch immer. All das verhindert oder schmälert zumindest unseren Anlageerfolg.
Der „Faktor Mensch“ spielt uns seine Streiche. Denn unser größter Feind in Sachen Geldanlage schaut uns jeden Morgen aus dem Spiegel entgegen. Ja, richtig: Sie selbst sind Ihr größter Feind! Denn Sie lassen sich von Ihren Gefühlen leiten. Gier, Harmoniesucht, selektive Wahrnehmung, auch Selbstbetrug und vor allem Angst, vielleicht sogar Panik bestimmen Ihre Investmententscheidungen. Von Emotionen und emotionalem Handeln kann sich niemand freisprechen, kein erfahrener Anleger, kein Vermögensverwalter, kein Fondsmanager und selbst weltbekannte, extrem erfolgreiche Investoren wie Warren Buffett oder George Soros nicht. Sie haben ihre Emotionen nur sehr viel besser im Griff.
Und darum geht es in diesem Buch: die Gefühle, also die Beweggründe für unsere Anlageentscheidungen, zu erkennen und zu kontrollieren. Abstellen können Sie Ihre Emotionen nicht. Versuchen Sie es gar nicht erst, Sie sind kein Computer und werden es nie sein. Sie sollen sich selbst erkennen und so häufige Fehler an der Bösen verhindern.
DIE DEUTSCHEN HABEN KEINE
AKTIENKULTUR
Wer sich an der Börse von seinen Gefühlen treiben lässt, wird selten ein erfolgreicher Investor. Die Deutschen haben allerdings zuerst ein ganz anderes Problem: Sie sind bekanntlich nicht gerade ein Volk von Aktionären – im Gegenteil. Kein Wunder, schließlich haben wir viele schmerzhafte Erfahrungen gemacht. Negative Emotionen wollen wir aber unbedingt verhindern, nicht zuletzt deshalb sind selbst in sehr guten Börsenjahren viele der Börse ferngeblieben. Sie sind überzeugt, dass die Aktienmärkte gefährlich sind, dort wird Teufelszeug gehandelt. Das sind natürlich Vorurteile, die sich aber psychologisch leicht erklären lassen.
Im Grunde ist es ganz einfach. An der Börse werden schlechte Nachrichten normalerweise sehr viel stärker gewichtet als gute. Der Grund: Läuft alles gut, schenkt die breite Masse der Sparer – und auch Aktionäre – den Kursen nicht mehr Aufmerksamkeit als nötig. Brechen die Kurse allerdings ein wie beispielsweise nach der Pleite der US-Investmentbank Lehman Brothers oder nach Ausbruch der Euro-Schuldenkrise, wird das Treiben auf dem Börsenparkett genau beobachtet und analysiert. Schnell landen Aktien in der „Schublade“ für Spekulation, gemeinsam mit riskanten Derivaten. Sie gelten als genauso gefährlich und auch noch undurchsichtig. Das, was sie eigentlich sind – nämlich Eigentumsanteile an Unternehmen, gehandelt an regulierten Börsen – wird dagegen fast schon ignoriert.
Die Deutschen haben leider nicht nur in Zeiten von Krisen die Nase voll von Aktien. Sie haben generell Angst vor dieser Anlageform. Das war aber schon einmal anders. Es war in den 1990er-Jahren, als in Deutschland das zarte Pflänzchen Aktienkultur zu sprießen begann. In Zeiten des Neuen Marktes lockten märchenhafte Gewinne die Bundesbürger auf das Börsenparkett. Vor allem der Börsengang der Deutschen Telekom, medienwirksam beworben von dem Schauspieler Manfred Krug, machte viele Deutsche erstmals zu Aktionären. Doch es war auch die T-Aktie, die vielen Anlegern später gründlich die Laune verderben sollte.
Aber der Reihe nach: Es sollte die neue, große Volksaktie werden. „Telekom. Die machen das“, so pries Krug 1996 die T-Aktie zur besten Sendezeit an. Kein Wohnzimmer war vor dem TV-Kommissar sicher, der unermüdlich für eine Beteiligung an dem Bonner Großkonzern trommelte. Die Kampagne mit dem Fernsehliebling verfehlte ihre Wirkung nicht.
Die Aktie verkaufte sich im November 1996 bestens, gleich mehrfach überzeichnet war die Emission. Es gab gar nicht so viele Aktien, wie Neuaktionäre sie gerne gehabt hätten. Anleger bekamen nur einen Bruchteil der Papiere, die sie geordert hatten. Der Erfolg ließ den Kurs der Aktien in die Höhe schießen – schon am ersten Handelstag kletterte sie von 28,50 D-Mark auf mehr als 33 D-Mark (umgerechnet 17,33 Euro). Ein satter Kursgewinne, über denn sich die Börsianer da freuen konnten (siehe Grafik auf der gegenüberliegenden Seite).
Das weckte natürlich den Neid derer, die nicht dabei waren. Kein Wunder, dass sich auch die zweite und dritte Tranche schneller verkauften als so mancher Festnetz- oder Handyvertrag. Im Juni 1999 mussten die Aktionäre allerdings schon 39,50 Euro pro Anteilschein bezahlen und damit fast dreimal so viel wie beim ersten Mal. Die Aktie stieg und stieg. Und die Gier der Anleger gleich mit. Ein Vierteljahr später, am 6. März 2000, erreichte die T-Aktie ihr absolutes Allzeithoch bei 103,50 Euro. Die dritte Tranche der Aktie kam im Juni 2000 auf den Markt. Der Ausgabepreis lag bei 66,50 Euro und war damit spürbar günstiger als die bereits gehandelten Papiere.
Der Niedergang der T-Aktie
Es war der Höhepunkt der Deutschen Aktienkultur. Immerhin 12,8 Millionen Aktionäre und Besitzer von Aktienfonds zählte das Deutsche Aktieninstitut (DAI) im Jahr 2001. Zum Vergleich: Heute sind es nur noch magere 8,9 Millionen Menschen. Und Jahr für Jahr werden es weniger.
Auch an diesem Abwärtstrend hat die Volksaktie aus Bonn ihren Anteil, denn vielen hat die T-Aktie mächtig die Laune verhagelt. Die Geschichte ihres langen Absturzes wurde schon oft erzählt. Wenn Sie das Papier in Ihrem Depot hatten oder sogar noch immer haben, sind Sie Kummer gewöhnt – geschäftliche Fehlentscheidungen, korrigierte Immobilienwerte, viel zu teure Zukäufe, Margendruck und das schwierige US-Geschäft ließen die Aktie immer weiter absacken. Und nebenbei platzte auch noch die gigantische Börsenblase. Noch 18 Jahre nach der Erstnotiz dümpelte das Papier unter seinem Ausgabepreis von 1996. Lange haben die Aktionäre sich mit den teils üppigen Dividendenzahlungen getröstet, doch auch diese Zeiten sind vorbei. Manfred Krug bekannte später, er bedauere zutiefst, dass er für eine Aktie geworben habe, die zahllosen Privatanlegern hohe Verluste eingebracht habe. Ein schwacher Trost für diejenigen, die das Papier teuer gekauft hatten.
Für die deutsche Aktienkultur war der Niedergang der T-Aktie ein herber Rückschlag: Die frustrierten Aktionäre kehrten der Börse den Rücken....