Vorwort
Gigantismus ist kein lobendes Wort. Weder in der Architektur noch in der Technik. Es bezeichnet sinnfremdes Streben nach Größe um der Größe willen. Dem Nationalsozialismus ist der Vorwurf der Megalomanie und der Gigantomanie oft gemacht worden – und oft zu Recht. Dieses Buch zeigt einige der wichtigsten Großprojekte des Dritten Reiches im Bereich der Architektur und der Technik: vollendete ebenso wie geplante und gescheiterte.
Die Berauschung und Selbstberauschung an der Größe, aber auch die kühle Überlegung ihrer Wirkung spielten eine Rolle, wie etwa die Schriften und Reden Hitlers und einer seiner wichtigsten architektonischen Planer, Albert Speer, zeigen. Der Stil, den der Nationalsozialismus in seinen offiziellen Großbauten pflegte, war der Neoklassizismus. Dieser war keine Erfindung des Nationalsozialismus, und er war in seiner Herkunft keineswegs auf Deutschland beschränkt, sondern ging aus einer allgemeinen europäischen Entwicklung seit etwa 1900 hervor. Seine Steigerung ins Gigantische zwischen 1933 und dem Ende des Dritten Reiches aber ist eng mit den Vorstellungen von Macht und nicht zuletzt auch mit dem Geschichtsbild Hitlers verbunden, der Freund und Feind, aber auch die Nachwelt gleichermaßen beeindrucken wollte. Nicht nur einschüchtern sollte diese Architektur, sondern auch mitreißen und verführen. Das Gelände des Reichsparteitags in Nürnberg mit seinen Gebäuden und dem Lichtdom sowie die Architektur und Inszenierung der Olympischen Spiele sind dafür nur ein Beispiel.
So wird man insgesamt bei dieser Form des Bauens nicht vergessen dürfen, daß sie stets als Teil einer Inszenierung gedacht war: zur Inszenierung der Macht aber auch zu der von den Nationalsozialisten propagierten „Volksgemeinschaft“. Tatsächlich haftet manchen der geplanten Gebäude für die neue Reichshauptstadt Germania und an anderen Orten auch etwas Theatralisches und Kulissenhaftes an. So sollten etwa die Gebäude der Ministerien an der Großen Achse in Germania nach Hitlers Vorstellungen keineswegs der Unterbringung des Personals der Ministerien dienen, sondern einzig der „Repräsentation“.
Für Hitler hatte die architektonische Umgestaltung der Städte eine so große Priorität, daß er damit bereits während des Krieges begann. Neben Berlin als Reichshauptstadt, Nürnberg als Stadt der Reichsparteitage, München als „Hauptstadt der Bewegung“ und Linz, in dem er einen Teil seiner Jugend verbracht hatte und in der er begraben werden wollte, waren dies weitere 27 Städte, denen er den Stempel nationalsozialistischer Architektur aufprägen wollte.
Doch nicht nur die Repräsentationsarchitektur zeigte den Willen der Nationalsozialisten zur Monumentalität, sondern auch in den Bereichen Straßen- und Bahnbau sowie Waffentechnik zeigte sich eine Hinwendung zu gigantischen Projekten:
Die Breitspur-Fernbahn (Reichsspurbahn) knüpft direkt an die gigantischen Projekte des NS-Regimes im Architekturbereich an und wurde vor allem auf Betreiben Adolf Hitlers vorangetrieben. Bei dieser Fernbahn handelte es sich, salopp gesagt, um eine mehrfach vergrößerte neue Eisenbahn, welche mit einer Spurweite von 3 Metern Europa verbinden und erschließen sollte. Die anfänglichen Planungen sahen sogar Spurweiten von 3,7 m und 4 m vor. Aussicht auf eine Realisierung hatte dieses Projekt allerdings zu keinem Zeitpunkt, da dem Deutschen Reich im Zweiten Weltkrieg für ein derartiges Projekt schlicht die Ressourcen fehlten.
Im Mai 1933 machte Hitler sein Programm zum Bau von Autobahnen öffentlich, gemäß dem sich ein dichtes Netz von vierspurigen Autostraßen über Deutschland spannen sollte.
Der gesamtverantwortliche Generalinspektor für das deutsche Straßenwesen, Dr. Ing. Fritz Todt, übernahm, wie unsere Ausführungen zeigen, eine technische Herausforderung, für die es in der Geschichte bis dahin kein Vorbild gab. Nicht ohne Grund sind die Reichsautobahnen deshalb auch als „Pyramiden des Dritten Reiches“ bezeichnet worden.
Viele in diesem Buch im Bereich Waffentechnik angesprochenen Projekte werden unter das Etikett „Geheim- oder Wunderwaffen“ subsumiert. Sie waren eine Reaktion auf die Einsicht, daß Deutschland den Krieg mit konventionellen Waffen nicht mehr gewinnen konnte. Die Wende erhoffte man sich von eben jenen „Geheim- oder Wunderwaffen“, an denen vor allem in den letzten drei Kriegsjahren mit Hochdruck gearbeitet wurde. Diese Waffen reduzierten sich nicht auf den Marschflugkörper „V 1“, die Rakete „V 2“ oder auf Flugzeuge, wie die Messerschmitt Me 262 (erster einsatzfähiger Düsenjäger), Me 163 (raketengetriebenes Jagdflugzeug) oder die Arado Ar 234 (düsengetriebener Bomber und Aufklärer), sondern umfaßten fast alle Waffengattungen, in denen zum Teil erhebliche Fortschritte gemacht werden konnten.
Mit dem Begriff „Geheimwaffen“ sind in diesem Buch Entwicklungen gemeint, die eine völlig neuartige Technologie hervorbrachten. Daß es immer wieder zu Fehlgriffen kam, war unter anderem auf Hitler zurückzuführen, dessen Vorliebe für Gigantismen aller Art auch hier zum Tragen kam. Auf Hitlers Intervention ist es zum Beispiel zurückzuführen, daß trotz der sich schnell offenbarenden Probleme bei den Kampfpanzern „Tiger I“ und „Tiger II“ festgehalten wurde, obwohl sich der Kampfpanzer V („Panther“), der nach Einschätzung vieler Experten der beste Panzer des Zweiten Weltkrieges war, als fronttauglicher erwies. Dennoch hielt Hitler nicht nur am „Tiger I“ und dessen Derivaten fest, sondern war auch – zusammen mit Ferdinand Porsche, dem Panzerkonstrukteur und Leiter der Panzer-Kommission – die maßgebliche Kraft hinter der Entwicklung von Stahlmonstren wie dem Panzerprojekt „Maus“, das ein wahres Schlachtschiffe auf dem Land hätte werden sollen, über die Anfangsphase freilich nicht mehr hinauskam. Allerdings, und auch dies muß in Rechnung gestellt werden: Hitler war auch Motor hinter Waffensystemen, die, wären sie noch wirkungsvoll in den Fronteinsatz gekommen, im Krieg möglicherweise eine Wende hätten herbeiführen können. Viele dieser Projekte kamen aber zu spät. Dies gilt zum Beispiel für die Großrakete unter der Bezeichnung „A 9“/„A 10“ („Amerikarakete“), die auf Basis der bereits eingesetzten „A 4“/„Vergeltungswaffe 2“ („V 2“) New York ebenso erreichen sollte, wie auch für die verschiedenen Bomberprojekte, die als „Amerikabomber“ gehandelt wurden. Einige, wie die Entwürfe der Arado-555- oder die Horten-XVIII-Reihe, fallen auch heute noch wegen ihres futuristischen Aussehens ins Auge.
Wenn der Begriff „Wunderwaffe“ eine Berechtigung hat, dann dürfte er wohl für den U-Boot-Typ XXI (sowie Typ XXIII) gelten, der zum ersten Mal konsequent für die Unterwasserfahrt konzipiert wurde. Vor allem der Typ XXI (heute in Bremerhaven als „Wilhelm Bauer“ zu besichtigen) wurde von vielen nachfolgenden konventionellen U-Boot-Entwürfen kopiert.
Wenn diese Waffenprojekte an dieser Stelle zur Sprache gebracht werden, dann vor allem deshalb, weil eine Reihe dieser Waffen, die durch die Kreativität und durch den Erfindungsgeist deutscher Wissenschaftler und Ingenieure Realität wurden, später Bestandteile der allgemeinen Bewaffnung wurden. Einige, wie die deutschen Raketenprojekte, entfalteten auch im außermilitärischen Bereich eine nachhaltige Wirkungsgeschichte.
Viele „Wunder- und Geheimwaffen“ wurden in gigantischen unterirdischen Anlagen wie Dora-Mittelbau, der größten unterirdischen Anlage im Zweiten Weltkrieg, gebaut. Während Dora-Mittelbau zu einer Art Synonym für die deutsche „Geheim- oder Wunderwaffenproduktion“, aber auch für grenzenloses Elend der hier eingesetzten KZ-Häftlinge geworden ist, ist der Befund im Hinblick auf die bis heute geheimnisumwitterten Projekte im thüringischen Jonastal und beim „Führerhauptquartier Riese“ in Niederschlesien nicht so eindeutig. Dienten diese Areale, die unter größtem Zeitdruck und mit maximalem Material- und Häftlingseinsatz vorangetrieben wurden, nur dem Zweck des „Führerhauptquartiers“ oder waren hier vielmehr „Geheimwaffenschmieden“ geplant? Auch diesen Fragen wird im Buch nachgespürt.
Weniger kreativ und innovativ fielen die deutschen Bemühungen im Hinblick auf die Festungstechnik, Stichworte: „Atlantik-“, „West-“ oder „Ostwall“, aus. Während der gigantische „Atlantikwall“ Fragment blieb und auch deshalb seine Aufgabe am „D-Day“, dem Tag der alliierten Invasion in der Normandie (6. Juni 1944), nicht erfüllen konnte, erwiesen sich sowohl der „West-“ als auch der „Ostwall“ im modernen Bewegungskrieg militärisch als sinn- und effektlos. Sie stellten beim alliierten Vormarsch keine nennenswerten Hindernisse dar. Daß deutscherseits an diesen Projekten dennoch festgehalten wurde, verwundert angesichts der Erfahrungen, die die deutsche Wehrmacht 1940 mit der französischen „Maginot-Linie“ machte. Auch dieses Festungswerk spielte militärisch bereits zu diesem frühen Zeitpunkt des Krieges keine...