Einleitung
Seit der Auflösung der Sowjetunion und ihres Imperiums erleben wir einen atemberaubenden Prozess der wirtschaftlichen und politischen Neuordnung der Welt. Unter dem irreführenden Begriff der »Globalisierung« erscheint eine Flut von Veröffentlichungen bürgerlicher und kleinbürgerlicher Ökonomen zu diesem Thema. Aber kaum eine kann einem wissenschaftlichen Anspruch standhalten, vor allem nicht dem, auch die gesellschaftlichen Ursachen dieser Entwicklung allseitig aufzudecken.
Auch in der internationalen marxistisch-leninistischen und Arbeiterbewegung gibt es erst einige wichtige Betrachtungen über einzelne Seiten dieses Prozesses. An einer treffenden und allseitigen Gesamtbeurteilung mangelt es noch. Das kann zu folgenschweren Fehldeutungen der neuen gesellschaftlichen Entwicklungen führen und zu falschen Schlussfolgerungen für den Kampf gegen den Imperialismus und für den Sozialismus.
Das vorliegende Buch unterstreicht die Allgemeingültigkeit der Analysen des Imperialismus durch Lenin und des staatsmonopolistischen Kapitalismus in Deutschland durch Willi Dickhut1. Es richtet zugleich sein ganzes Augenmerk auf die neuen Erscheinungen, die wesentlichen Veränderungen im imperialistischen Weltsystem. Sie werden als Neuorganisation der internationalen kapitalistischen Produktion zusammengefasst.
Politischer Ausgangspunkt für diese Neuorganisation war das Ende der Ära der sozialimperialistischen Sowjetunion, das durch den gescheiterten Putschversuch sowjetischer Militärs im August 1991 besiegelt wurde. Die Weiterexistenz der Sowjetunion und des Rates für Gegenseitige Wirtschaftshilfe (RGW) als ein von der übrigen Welt relativ abgeschotteter Wirtschaftsraum war nicht mehr länger aufrechtzuerhalten. Die wissenschaftlich-technische Umwälzung durch Mikroelektronik und Vollautomation und die Internationalisierung der kapitalistischen Produktion hatten die ökonomische und politische Basis der Supermacht Sowjetunion weitgehend unterhöhlt. Die vollständige Integration der sowjetischen Einflussgebiete in einen einheitlichen Weltmarkt und die relative Angleichung ihrer Produktionsverhältnisse an die weitaus produktiveren des Westens waren zur unmittelbaren ökonomischen Notwendigkeit geworden.
Die anschließenden Umwälzungen in Russland, den übrigen Ländern der ehemaligen Sowjetunion und des ehemaligen RGW hatten freilich keinen allgemein gesellschaftsverändernden Charakter. Die Sowjetunion hatte schon seit dem XX. Parteitag der KPdSU im Februar 1956 ihren sozialistischen Charakter verloren. Mit der Machtergreifung einer neuen Bourgeoisie aus der zentralen Bürokratie der Partei, der Wirtschaft und des Staats degenerierte die Sowjetunion zu einem bürokratischen staatsmonopolistischen Kapitalismus neuen Typs. Dieser hatte nur noch dem Namen nach etwas mit dem Sozialismus gemein.
Die Propaganda vom »Ende des Sozialismus« oder gar vom »Ende der Geschichte« war nur das Triumphgeschrei der westlichen Siegermächte, die den sozialimperialistischen Rivalen im unerbittlichen Konkurrenzkampf besiegt hatten. Sie diente in erster Linie der Manipulation der Unterdrückten und Ausgebeuteten in aller Welt, die in ihrer wachsenden Unzufriedenheit immer mehr nach einer Alternative zur kapitalistischen Gesellschaft suchen.
Gescheitert ist mit der Auflösung der Sowjetunion nicht der Sozialismus, sondern der moderne Revisionismus Chruschtschows, Breschnews und Gorbatschows. Dieser bildete die weltanschauliche Grundlage der Herrschaft der neuen Bourgeoisie in der Sowjetunion und ihres Strebens, den Erzrivalen USA auszustechen und selbst zur weltweit führenden imperialistischen Supermacht aufzusteigen.
Der Bankrott der sozialimperialistischen Supermacht Sowjetunion war Ausdruck der Fäulnis und Zersetzung des imperialistischen Weltsystems im Allgemeinen und des bürokratischen staatsmonopolistischen Kapitalismus sowjetischer Machart im Besonderen. Dieses Scheitern löste eine tiefe Krise des modernen Revisionismus und der mit ihm verbundenen Parteien aus. Sie machte den Weg frei für die internationale marxistisch-leninistische und Arbeiterbewegung, diese negative Entwicklung grundsätzlich aufzuarbeiten und zu überwinden. In einem langwierigen ideologisch-politischen Prozess müssen die Ursachen, Bedingungen und Auswirkungen der revisionistischen Entartung und der Restauration des Kapitalismus in ausnahmslos allen ehemals sozialistischen Ländern restlos geklärt werden. Damit einhergehen muss die Neuformierung der Marxisten-Leninisten in aller Welt auf der Grundlage schöpferischer Schlussfolgerungen für die Zukunft des revolutionären Befreiungskampfs und für einen neuen Aufschwung des internationalen Kampfs für den Sozialismus/ Kommunismus.
Die Neuorganisation der internationalen Produktion ist ein vorläufiger Höhepunkt der Internationalisierung der kapitalistischen Produktionsweise. Sie leitete eine neue Phase der Entwicklung des imperialistischen Weltsystems ein.
Weil einige wesentliche Hemmnisse für die freie Entfaltung des Weltmarkts beseitigt wurden, kam es am Ende des 20. Jahrhunderts zu einem gewaltigen Schub in der Entwicklung der Produktivkräfte. Kein Land der Welt konnte und kann davon unberührt bleiben. Ein nie da gewesener grenzüberschreitender Konzentrations- und Zentralisationsprozess in Industrie, Agrarwirtschaft, Handel und Banken setzte sich in Gang und veränderte tiefgreifend die wirtschaftliche und politische Landschaft.
Der neue, einheitliche und für die internationalen Monopole relativ frei zugängliche Weltmarkt stellt alle herkömmlichen, noch in erster Linie national organisierten Strukturen von Produktion und Austausch sowie die dazugehörigen Formen der Kommunikation, des Wettbewerbs und der Zusammenarbeit radikal in Frage. Es gelingt den Herrschenden jedoch nicht annähernd, in internationalem Maßstab Produktionsverhältnisse und einen funktionierenden politischen Überbau zu schaffen, die dieser Revolutionierung der Produktivkräfte entsprechen.
Bei allen bürgerlichen Lobgesängen auf die angeblich heilsbringende »Globalisierung« wurden freilich die kapitalistischen Macht- und Eigentumsverhältnisse, die gesellschaftliche Grundlage der Veränderungen, nicht angetastet. Im Gegenteil offenbarte die weltweit agierende Schicht des internationalen Finanzkapitals in kaum zu überbietender Deutlichkeit ihr räuberisches und menschenverachtendes Wesen. Sie diktiert mehr denn je den einzelnen Volkswirtschaften und der nicht monopolisierten Bourgeoisie aller Länder ihre Bedingungen.
Die Nationalstaaten wurden gezwungen, ihre Grenzen weit zu öffnen und nationale Schutzmaßnahmen gegen die internationale Konkurrenz aufzugeben. Wie Heuschreckenschwärme fielen die internationalen Monopole in die neokolonial abhängigen Volkswirtschaften Asiens, Afrikas und Lateinamerikas ein. In einem einzigartigen Raubzug eigneten sie sich deren Arbeitskräfte, Rohstoffbasen, staatliche Einrichtungen, lukrative Industrien an und unterwarfen sich ihre Märkte. Die USA konnten als größte imperialistische Wirtschaftsmacht am meisten von diesem neokolonialistischen Raubzug profitieren.
Die reaktionären Regierungen der neokolonialen Länder öffneten dem imperialistischen Finanzkapital zumeist bereitwillig die Tore. Sie hofften auf einen entsprechenden Anteil an der Beute beim Ausverkauf ihrer Länder. Überall mussten jedoch traditionelle Industrien den internationalen Produktionsverbünden der hochproduktiven Monopolindustrie oder den billigen Handelsströmen aus aller Welt weichen. So wurde diesen Ländern oft der letzte Rest ökonomischer Eigenständigkeit und Unabhängigkeit geraubt.
Unter der betrügerischen Propaganda des »Neoliberalismus« setzte ein weltweiter Prozess der Privatisierung und Monopolisierung staatlicher Betriebe und Einrichtungen ein. Rücksichtslos verschlingt dieser oftmals hart erkämpfte soziale Errungenschaften, die über eine lange Zeit sicher erschienen.
Dabei weicht die herkömmliche Rolle des bürgerlichen Staats als zentraler Regulator der nationalen Ökonomie mehr und mehr einem System der weltweiten Konkurrenz zwischen den Nationalstaaten um die besten Dienstleistungen für die internationalen Monopole, für ihre optimale Kapitalverwertung und für günstige politische Rahmenbedingungen.
Den Kern der Neuorganisation der internationalen Produktion bildet die Tendenz der relativen Auflösung der nationalstaatlichen Organisation der Produktions- und Austauschverhältnisse. An ihre Stelle tritt eine Länder übergreifende Verknüpfung der fortgeschrittensten Produktionsund Austauschweisen unter der Herrschaft des internationalen Finanzkapitals. Eine Welle von grenzüberschreitenden Fusionen und Übernahmen begann die Unternehmenslandschaft neu zu ordnen. Der Konkurrenzkampf zwischen den internationalen Monopolen nahm den Charakter einer gegenseitigen Vernichtungsschlacht an.
Zugleich entstand in den Produktionsstätten der internationalen Monopole und den dazu...