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Gier, Angst und Risikomanagement
1.1 Gier und Angst: Emotionale Entscheidungen
»Gier ist gut.« Dieser Ausspruch stammt von dem legendären Investor Gordon Gekko (gespielt von Michael Douglas) aus dem Film Wall Street aus dem Jahr 1987. Da Gordon Gekko seine Investitionsentscheidungen auf Basis von Insiderinformationen – was ihn letztlich ins Gefängnis gebracht hat – getroffen hat, kann man bezweifeln, ob sein Leitmotto für ihn selbst hilfreich war. Die Gier und ihr Gegenstück, die Angst, sind starke Triebkräfte für das Verhalten des Menschen. Sicherlich ist Gier bisweilen gut, wenn sie zu Anstrengung motiviert. Gleichsam ist Angst hilfreich, wenn sie achtsames und vorsichtiges Verhalten in gefährlichen Situationen bewirkt. Als Basis für Entscheidungen unter Unsicherheit taugen beide Emotionen – Gier und Angst – jedoch nicht!
Jeder kennt Situationen, in denen er aus Gier oder Angst Entscheidungen getroffen hat, die er im Nachhinein bereut hat. Viele hören in der Spätphase eines Börsenbooms von den Gewinnen Anderer und fühlen sich schlecht, da die Anderen und nicht sie selbst mühelos viel Geld mit steigenden Wertpapieren verdient haben. Dann kommt die Emotion Neid auf, eine Spielart der Gier. Dadurch wird der angemessene Gedanke, dass die Börsenkurse nun schon sehr hoch sind und damit ein erhebliches Verlustrisiko besteht, zur Seite geschoben, und es werden Aktien gekauft. Bei einer Blase am Aktienmarkt in der Spätphase spricht man von einer Hausfrauenhausse, wenn nun sogar diejenigen massiv in den Markt einsteigen, die für das Treffen von derartigen Entscheidungen keine speziellen Fähigkeiten mitbringen.
In diesem Zusammenhang erinnere ich mich noch gut an den Internetaktienboom bis Frühjahr 2001. In diesem Aktienboom sind speziell Internet‐ und Telekommunikationsaktien enorm gestiegen. In der Spätphase des Booms waren Börsengänge junger Techfirmen das Flurgespräch meiner Studierenden. Da während des Booms die Kurse nach einer Aktienemission meist deutlich stiegen, wollte niemand etwas verpassen und Aktienemissionen wurden vielfach – natürlich ohne den Emissionsprospekt zu lesen oder sich Gedanken über die Angemessenheit des Emissionspreises zu machen – gezeichnet. Es ging zunächst meist gut, bis dann am Ende….
Aus Gier werden viele Fehlentscheidungen getroffen. Manche sind so gierig auf eine Beute, dass sie das Risiko, erwischt und bestraft zu werden, nicht ausreichend analysieren. Der fiktive Gordon Gekko aus dem Film Wall Street könnte hier als Beispiel herhalten. Aber auch viele Manager und Prominente, von deren Verurteilungen wegen Betrugs oder Steuerhinterziehung man in der Tagespresse liest, haben häufig irrational gehandelt.
Nun ein Beispiel zur Veranschaulichung: Angenommen jemand, der schon 100 Millionen Euro hat, kann ein Geschäft machen, das mit einer Wahrscheinlichkeit von 90% weitere 20 Millionen Euro Profit verspricht und mit einer Wahrscheinlichkeit von 10% zu keinem Profit, aber zu einer Haftstrafe von mehreren Jahren führt. Wie würden Sie sich entscheiden? Würden Sie in das Geschäft einsteigen? Für jemanden, der nichts hat, könnte es interessant sein, eine mehrjährige, aber unwahrscheinliche Haftstrafe zu riskieren, um mit großer Wahrscheinlichkeit an 20 Millionen Euro zu kommen. Für jemanden, der jedoch schon 100 Millionen Euro hat, ist diese Option wesentlich weniger interessant. Dennoch riskieren viele (reiche) Betrüger Haftstrafen, um an Geld zu kommen, das sie mit großer Wahrscheinlichkeit in diesem Leben ohnehin nicht mehr ausgeben würden. Ist das logisch, ist das rational? Nein, die Entscheidung ist emotional getrieben – durch Gier.
Angst ist kein besserer Berater als Gier. Angst ist eine unangenehme Emotion. Man möchte sie loswerden, sie vermeiden. Aus Angst nehmen viele Menschen vollkommen ungerechtfertigte Strapazen oder Kosten auf sich, um zum Teil triviale Risiken zu vermeiden. Mir sind Menschen bekannt, die aus Angst vor Altersarmut so viele Vorsorgeverträge abschließen, dass sich als Folge dessen ihr verfügbares Einkommen (nach Abzug der für die Vorsorge zu leistenden Zahlungen) mit Eintritt in den Ruhestand höchstwahrscheinlich erhöhen wird! Viele Arbeitnehmer sind mit ihrer Arbeit unzufrieden. Obgleich sie der Ansicht sind, dass andere Tätigkeiten erfüllender und/oder erfolgversprechender wären, bemühen sie sich nicht ernsthaft um eine Alternative. Das wirkt auf den ersten Blick irrational. Es hat aber viel mit Angst zu tun. Der Angst vor Veränderung, die in der Angst vor Ungewissheit begründet ist. Denn die jetzige missliche Situation ist bekannt. Obgleich eine Veränderung höchstwahrscheinlich Verbesserungen bringen würde, könnte es jedoch auch schlimmer werden. Der gleiche Mechanismus trifft in vielen Ehen, Partnerschaften und anderen Beziehungen zu. Gut sind sie vielfach nicht! Da die leidbehaftete Situation jedoch bekannt ist, wird aus Angst (vor der ungewissen und möglicherweise noch schlechteren Zukunft) von jedweder Veränderung abgesehen. Lieber »sicheres« Leiden als Ungewissheit lautet in diesem Fall die Devise.
Es sind auch vollkommen andere Szenarien denkbar, in denen Angst kein guter Berater im Umgang mit Risiken ist. Aus mangelnder Angst, man kann es Leichtsinn nennen, werden manche Risiken unterschätzt: Wenn ein Vertreter durch eine riskante Fahrweise bei viel zu hoher Geschwindigkeit sowohl seine als auch die körperliche Unversehrtheit anderer Verkehrsteilnehmer aufs Spiel setzt, um sich bei einem Termin nicht einige Minuten zu verspäten, so hat er möglicherweise das falsche Risiko vermieden. Abends nach dem Kneipenbesuch – bei dem sich die Risikoakzeptanz in der Regel deutlich erhöht – fahren viele mit dem Auto nach Hause. Ihnen ist dabei klar, dass sie bei einer Alkoholkontrolle durch die Polizei ihren Führerschein verlieren würden. Da reicht die Angst vor dem Führerscheinentzug, der möglicherweise den Arbeitsplatz kostet, nicht, um die Unbequemlichkeit einer alternativen Heimfahrt zu rechtfertigen.
1.2 Risikomanagement: Rationale Entscheidungen
Wie kann nun dem Problem beigekommen werden, dass aus Gier oder Angst viele Fehlentscheidungen getroffen werden? Es gibt zwei generelle Möglichkeiten. Die erste ist der psychologische Ansatz. Er setzt an den Emotionen an. Durch ihre Untersuchung und Verminderung können sicherlich enorme Verbesserungen erreicht werden. Die zweite Möglichkeit ist das Risikomanagement. Im Risikomanagement wird die Angst als psychologisches Phänomen erst einmal beiseite geschoben. Damit wird die Situation objektiviert. Dann werden die Risiken aufgedeckt, analysiert und bewertet. Auf dieser Basis ist es schlussendlich möglich, rational begründbare Entscheidungen zum Umgang mit den Risiken zu treffen. Dies kann bedeuten, dass manche Risiken einfach hingenommen, andere dagegen vermieden werden, auch wenn dies zu Kosten führt. Insbesondere bedeutet Risikomanagement die Entwicklung ausgefeilter Strategien zur Verbesserung des Verhältnisses von Risiken, Erfolgsaussichten und Kosten. Da auch das Risikomanagement die Ungewissheit der Zukunft nicht verhindern kann, verbleiben stets Risiken. Manche nach den Kriterien des Risikomanagements getroffene Entscheidungen mögen im Nachhinein auch bereut werden. Die Wahrscheinlichkeit für einen ungünstigen Ausgang wird aber in Bezug auf das, was zu erreichen ist, minimiert.
Dass Risikomanagement so populär ist, liegt, meiner Meinung nach, daran, dass schon der Erwerb von Risikomanagementprodukten oder die Einführung derartiger Konzepte unterschwellige Angst mindert und ein gutes Gefühl bewirkt. Da Risikomanagement immer Ressourcen bindet und mithin Kosten verursacht, muss auch hier der Tendenz entgegengetreten werden, aus Angst »zuviel« Risikomanagement einzuführen. Es ist stets hilfreich, der bekannten Devise so viel wie nötig und so wenig wie möglich zu folgen.
Das vorliegende Buch hat das Ziel, dem Leser auf eine praxisorienterte und verständliche Art und Weise grundlegende Methoden des Risikomanagements nahe zu bringen. Nach meiner Erfahrung vermeiden viele Manager penibel die Beschäftigung mit mathematisch‐statistischen Methoden. Diese Widerstände wurden mir persönlich an folgender Erfahrung deutlich: Als ich in einer Vorlesung des strategischen Controllings die Lernkurve erläuterte und dazu (eine einfache) mathematische Gleichung vorstellte, fragte mich unlängst ein Student empört: »Bitte sagen Sie mir einmal, was Logarithmen mit strategischem Controlling zu tun haben können?!«
Der Kern des Risikomanagements ist zwangsläufig der Zufall beziehungsweise die Unsicherheit. Deren Beschreibung und Analyse ist für die meisten Menschen nicht intuitiv möglich. Daher ist Risikomanagement ohne mathematisch‐statistische Methoden nicht seriös denkbar. Aus diesem Grund werden im Folgenden vor allem quantitative Methoden zur Steuerung von Risiken vorgestellt. Das mathematisch‐statistische Rüstzeug wird dabei bewusst nicht ausgespart. Mir ist es jedoch ein wichtiges Anliegen, die Zugangsschwellen der Leser abzubauen. Daher habe ich versucht, Abstraktes anschaulich und interessant darzustellen – auch wenn dies...