Wie alles anfing
Der Anruf
Alles begann mit einem Anruf vor Weihnachten 2013. Mittlerweile hatte ja ganz Österreich mitbekommen, dass meine Zeit im ORF zu Ende ging, dass ich mehr oder weniger mitten am Höhepunkt meiner Tätigkeit im ORF (als Moderator der „Zeit im Bild“) ausscheiden musste und dass ich versuchte, dagegen medial (und natürlich auch ORF-intern) anzukämpfen. Dass es dazu kam, war zum Teil auch meine Schuld: Zweieinhalb Jahre zuvor hatte ich – ohne Not – einen Vertrag unterschrieben, wonach ich mich bereit erklärte, am 31. Dezember 2013 in den (vorzeitigen) Ruhestand zu treten. „Und was ist, wenn ich dann nicht will, oder der ORF seine Meinung ändert?“, hatte ich den zuständigen Mitarbeiter der Personalabteilung gefragt. „Ach, dann reden wir halt wieder darüber …“, war seine gelassene Antwort. Und ich dachte mir: Zweieinhalb Jahre, das ist so eine lange Zeit, warum sollte ich mir jetzt den Kopf darüber zerbrechen. Doch im Oktober 2013 flatterte mir ein Brief des ORF ins Haus, der genau beschrieb, was ich alles bis zum Ausscheiden am Jahresende zu erledigen hätte, bis hin zu dem Satz, dass ich auch sämtliche Schlüssel hinterlegen müsse. Selbst da glaubte ich noch nicht daran, dass das wirklich das Ende bedeuten würde. Schließlich war ich seit April 1974 im ORF, erst 62 Jahre alt und hatte immer noch gute Kritiken, sowohl von Zusehern als auch von den Medienbeobachtern der Zeitungen. Doch das alles änderte nichts daran, dass ich „mitten im Leben“ (wie ich es empfand) plötzlich ohne Job dastehen würde.
Bis dieser Anruf kam. Ich war gerade am Sprung in die Arbeit, als das Festnetz-Telefon klingelte. Das tat es damals nur mehr selten, schließlich hatte ich seit Jahren ein Handy und alle meine Freunde und Bekannten hatten die Nummer. Ich hob also ab, und am anderen Ende der Leitung meldete sich: „Josef Ostermayer!“ Meine Gehirnräder drehten sich. Josef Ostermayer? Ach ja, das musste der Minister sein. Ich war mit ihm eineinhalb Jahre davor in Kärnten zusammengetroffen, als die Bundesregierung gemeinsam mit dem Kärntner Landeshauptmann Gerhard Dörfler einen Schlussstrich unter die leidige Problematik der zweisprachigen Ortstafeln gezogen hatte. Das wurde, nach der feierlichen Aufstellung von deutsch-slowenisch-sprachigen Straßenschildern in Eisenkappel und Sittersdorf, dann in einem Gasthaus in Globasnitz gefeiert, um nicht zu sagen, begossen. Weil mit der Auseinandersetzung um die Rechte der Kärntner Slowenen meine journalistische Karriere begonnen hatte, wollte ich auch bei der friedlichen Beilegung dieses Konfliktes dabei sein – und so luden mich Dörfler und Ostermayer auch ins Wirtshaus ein. Mehr als ein paar freundliche Worte tauschte ich damals mit Ostermayer, der als die rechte Hand von Bundeskanzler Werner Faymann galt, aber nicht aus. „Herr Freund“, klang es also durch das Telefon, „wären Sie an einer politischen Karriere interessiert? Sie wissen ja, dass im Mai die Wahlen zum Europäischen Parlament anstehen, und ich wollte Sie fragen, ob Sie sich vorstellen können, für die SPÖ als Spitzenkandidat anzutreten.“ Wumm! Ich hatte mir ja viel durch den Kopf gehen lassen, was ich nach meiner Tätigkeit beim ORF in Angriff nehmen könnte, aber eine politische Funktion stand nicht auf dieser Liste. „Puh, das kommt jetzt überraschend, da muss ich erst einmal darüber nachdenken und das mit meiner Familie besprechen …“
Europa-Abgeordneter? Ich hatte bis dahin wenig mit Brüssel zu tun gehabt, kurz schoss mir durch den Kopf, dass man mich vielleicht wieder einmal mit Raimund Löw verwechselt hatte, der ja immerhin Korrespondent in der EU-Hauptstadt war. Aber dann hätte Ostermayer mich ja nicht mit „Herr Freund“ angesprochen … Wir sprachen noch kurz über den Zeitplan, ich könne über die Feiertage nachdenken und ihm dann die Entscheidung mitteilen. „OK, danke, ich melde mich dann wieder. Auf Wiedersehen!“ Meine Frau hatte zumindest meine Seite des Gesprächs mitbekommen, aber sah mich jetzt natürlich fragend an. „Du wirst es nicht glauben“, sagte ich zu ihr, nachdem ich den Hörer aufgelegt hatte, „aber ich habe gerade von der SPÖ das Angebot erhalten, für das Europaparlament zu kandidieren.“
Familienrat
Es regnete in Strömen, als wir zwei Tage vor Weihnachten von Wien in unser Domizil nach Kärnten fuhren. Noch hatte ich niemandem von diesem Anruf und meiner möglichen politischen Karriere erzählt. Im ORF bereitete ich mich langsam auf meinen Abgang vor. Ich packte die Kartons mit all den Dingen ein, die sich im Lauf der vielen Jahre angesammelt hatten: Bücher, VHS-Kassetten, Zeitungsartikel, die ich ausgeschnitten und aufgehoben, und Krimskrams, das ich von meinen Reisen mitgebracht hatte. Das meiste hätte ich wegwerfen können, aber ich dachte mir, es sei besser, es erst einmal zu Hause zu sortieren und dann die Spreu vom Weizen zu trennen (Anmerkung am Rande: Die Kisten stehen noch so, wie ich sie damals gepackt hatte, in Kärnten …).
Während der Fahrt erzählte ich meinen Kindern, damals waren sie 20 und 24 Jahre alt, von dem nächsten großen Schritt, der mir bevorstand – wenn sie denn einverstanden seien. Unsere Tochter, die von ihrem Studium in den USA über Weihnachten zu uns gekommen war, hielt das für eine gute Sache („Papa, du hast dich eh immer für Politik interessiert. Jetzt kannst du endlich einmal auch etwas umsetzen!“), unser Sohn war skeptisch. Er hatte ein Jus-Studium und eines der Politikwissenschaften hinter sich und versuchte mich umzustimmen: „Tu dir das nicht an. Vor allem der Wahlkampf. Die werden dich in der Luft zerreißen!“ Ach was, dachte ich, das sind doch alles meine Freunde, in den vergangenen 30 Jahren hatte ich fast jeden österreichischen Journalisten einmal irgendwo getroffen. Was soll denn da passieren. Dann stimmten wir ab: 3 zu 1. Die Mehrheit war dafür, ich erleichtert. Wenigstens hier eine Mehrheit. Aber wie würden die Sozialdemokraten, abgesehen von Josef Ostermayer, auf den Vorschlag reagieren?
Beim Bundeskanzler
Am 7. Januar, mittlerweile waren wir wieder in Wien, meldete sich Norbert Darabos bei mir am Telefon: Ob er kurz vorbeikommen dürfe, für den Abend sei eine Sitzung im Bundeskanzleramt angesetzt und da wolle er vorher noch etwas mit mir besprechen. Als sich der SPÖ-Bundesgeschäftsführer bei mir im Wohnzimmer hinsetzte, fackelte er nicht lange: Erich Foglar, der mächtige Chef des ÖGB, müsse noch ein- oder umgestimmt werden. Er habe die Frage gestellt, wie ich denn zum Gewerkschaftsbund stehe. Das würde ich ihm am Abend beantworten, warf ich kurz ein. Laut Darabos zögere auch Faymann noch, vor allem wolle der Bundeskanzler nicht alleine dastehen, er sehe sich gerne an, was sich auf der anderen Seite tut. Sozialminister Rudolf Hundstorfer sei laut Darabos der Einzige, der wisse, dass Information auch Ware ist. Jörg Leichtfried, damals SP-EU-Delegationsleiter in Brüssel, habe sich auch gemeldet, wisse von meiner (möglichen) Kandidatur aber noch nichts. Langsam wurde mir klar, dass da bei Weitem noch nicht alles geklärt war. Das kann ja am Abend noch spannend werden, dachte ich mir, nicht ganz ohne Bauchweh.
Um knapp vor 19 Uhr kam ich dann im Bundeskanzleramt an. Das Gebäude war mir vertraut: Ich war dort in meiner Zeit als innenpolitischer Journalist ein- und ausgegangen (besonders häufig als Radioredakteur zwischen 1974 und 1978, später aber auch wieder während der Auseinandersetzung um Präsident Kurt Waldheim 1986 bis 1988). Ein Jahr lang war das BKA auch mein Arbeitsplatz gewesen, genauer das Außenministerium, das damals noch in diesem Gebäude untergebracht war, 1978, als Pressesprecher des damaligen Außenministers Willibald Pahr. Der Zufall wollte es, dass Werner Faymann seine Arbeitsstätte in die Räume des damaligen Kabinetts verlegt hatte. Die Räumlichkeiten waren freilich das Einzige, mit dem ich an diesem Abend vertraut war.
Im Büro des Bundeskanzlers stand ein großer Glastisch, an dem die Spitzen der Sozialdemokratie Platz genommen hatten: Faymann, Foglar, der Wiener Bürgermeister Michael Häupl, Ostermayer, Darabos. Ich durfte neben dem Kanzler Platz nehmen. Um dem Ganzen ein wenig die Schwere des Tages zu nehmen, wandte ich mich erst einmal gleich an den ÖGB-Chef: „Haben Sie mir die Urkunde für meine 35-jährige Mitgliedschaft bei der Gewerkschaft mitgebracht?“, fragte ich. Foglar war nicht amüsiert: „Für 35 Jahre gibt es keine Urkunde, nur für 20, 25, 40 und 50 Jahre!“ OK, dachte ich mir, da muss mir noch etwas anderes einfallen, um den Herrn Foglar für mich zu gewinnen.
In den nächsten drei Stunden diskutierten wir über die Europäische Union, über den ORF, die Innenpolitik und natürlich meine Einstellung zu den unterschiedlichsten Themen. Der SPÖ-Vorsitzende begann mit einer logisch klingenden Feststellung: „Wir kennen Sie ja alle vom Fernsehen, aber wofür der Eugen Freund steht, das wissen wir nicht. Gibt es etwas,...