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E-Book

Haltepunkte

Predigten

AutorPeter Muttersbach
VerlagBooks on Demand
Erscheinungsjahr2016
Seitenanzahl264 Seiten
ISBN9783741245695
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis8,99 EUR
Predigten können wie Haltepunkte wirken. Wie bei einem kleinen Verkehrsknoten kann man aussteigen, einsteigen, umsteigen, jemanden nach dem Weg fragen, den nächsten Bus abwarten, ein neues Ziel oder Zwischenziel ermitteln, einem Mitmenschen behilflich sein oder selbst Hilfe annehmen usw. Ein Haltepunkt kann manchmal zur Ruhe-Oase werden, wenn man länger warten muss und die Sonne gerade zum Genießen einlädt. Es bleibt aber dabei, ein Haltepunkt dient der Mobilität, obwohl sein Name das Gegenteil vorgaukelt. Ebenso sollen und können die Predigten des Autors vielseitig anregen, nachdenklich machen, Ziele ins Blickfeld rücken, Falschfahrten vermeiden helfen, ein aufgeregtes Herz zur Ruhe kommen lassen, aber auch Denken und Glauben in Bewegung bringen. Verblüffend sind die manchmal recht unkonventionellen Blickwinkel, die sich durch die hier vorliegenden Predigten eröffnen. - Ein anregendes Lesevergnügen.

Der Autor (1939 in Berlin geboren) absolvierte in Hamburg ein Theologiestudium und später in Braunschweig ein weiteres für das Lehramt. Er war Pastor der Evangelisch-Freikirchlichen Gemeinden (Baptisten) in Wuppertal-Elberfeld, Braunschweig und Schöningen. Dort lebt er heute im Ruhestand. Sein letzter Gemeindedienst war ungewöhnlich, denn sein Lehramtsstudium ermöglichte es ihm, zwanzig Jahre lang für die Gemeinde in Schöningen neben seinem Schuldienst ehrenamtlich Pastor zu sein. Aus dieser Kombination ergab sich ein erstaunlich unkonventionelles Modell der Gemeindeentwicklung.

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Leseprobe

17.07.2005

Was ist der Mensch?


Predigt zu Psalm 8,5


Der Psalm 8:

2 Herr, unser Herrscher! Groß ist dein Ruhm auf der ganzen Erde! Deine Hoheit reicht höher als der Himmel.

3 Aus dem Lobpreis der Schwachen und Hilflosen baust du eine Mauer, an der deine Widersacher und Feinde zu Fall kommen.

4 Ich bestaune den Himmel, das Werk deiner Hände, den Mond und alle die Sterne, die du geschaffen hast:

5 Wie klein ist da der Mensch, wie gering und unbedeutend! Und doch gibst du dich mit ihm ab und kümmerst dich um ihn! (Luther: Was ist doch der Mensch, dass du seiner gedenkst und des Menschen Kind, dass du dich seiner annimmst?)

6 Ja, du hast ihm Macht und Würde verliehen; es fehlt nicht viel und er wäre wie du.

7 Du hast ihn zum Herrscher gemacht über deine Geschöpfe, alles hast du ihm unterstellt:

8 die Schafe, Ziegen und Rinder, die Wildtiere in Feld und Wald, 9 die Vögel in der Luft und die Fische im Wasser, die kleinen und die großen, alles, was die Meere durchzieht.

10 Herr, unser Herrscher, groß ist dein Ruhm auf der ganzen Erde! (Gute Nachricht Bibel)

Der Dichter dieses Psalms – offensichtlich David – ist geradezu verblüfft. Er kommt aus dem Staunen nicht mehr heraus, wenn er darüber nachdenkt, welche Rolle wir Menschen im ganzen Weltgefüge spielen. Er stellt dabei nur fest, wie die Dinge sind. Er gibt aber keine Antwort darauf, warum sich Gott mit uns abgibt, warum wir eine besondere Position in der Welt haben.

Was macht überhaupt unser Menschsein aus? Was macht einen Menschen zum Menschen? Es geht mir dabei nicht um die akademische Frage nach dem Unterschied zwischen Tier und Mensch. Es geht mir um unsere ganz konkrete Lebenserfahrung: Was ist der Mensch, wenn er seelisch krank ist – körperlich krank – geistig verwirrt – alt und gebrechlich – herumgeschubst – ausgebeutet oder arbeitslos und abgeschoben – oder gar gefoltert? Was bleibt, was trägt? Wer bin ich trotzdem? Was ist die „Würde“ des Menschen dabei?

Wer bin ich vor mir selbst, vor anderen, vor Gott? – Das ist doch auch die Frage nach dem Sinn dessen, was ich bin und tue. Der erste Satz im Grundgesetz lautet: Die Würde des Menschen ist unantastbar. Was aber ist diese Würde? Woher bekomme ich sie?

Das Menschenbild der Bibel


Was sagt uns die Bibel dazu? Ich möchte dabei nicht bei der Schöpfungsgeschichte beginnen. Zu vieles ist zerstört am „Bilde Gottes“. Aber ich komme noch darauf zurück. Ich möchte lieber bei Jesus ansetzen.

Jesus hat niemals einen anderen zum letzten Dreck gemacht. Er hat niemanden zum Feind erklärt. Er trat die Seele des anderen nicht mit Füßen. Selbst um den mitgekreuzigten Verbrecher bemühte sich Jesus. Er hat gebetet für seine Peiniger. In wie vielen Gesprächen warb er um Verständnis bei den Pharisäern! Wie wichtig waren ihm die armen Schlucker in Galiläa! Und wenn wir die Bergpredigt lesen, lernen wir viel vom Menschenbild Jesu: Auch der sich mir gegenüber als Feind benimmt, ist ein Mensch!

Natürlich gebraucht auch die Bibel das Wort Mensch unterschiedlich und oft gar nicht sehr schmeichelhaft:

Du denkst, was menschlich ist, sagte Jesus zu Petrus (Mt 16,23). Bileam zu Balak: Gott ist nicht ein Mensch, dass er lüge! (4.Mo 23,19) Schärfer noch in Psalm 116,11: Alle Menschen sind Lügner! Oder schon in den Urgeschichten: Das Trachten des Menschen Herz ist böse von Jugend auf. (1.Mo 8,21)

Vielleicht hatte Tucholsky an diesen Zusammenhang gedacht, als er vorschlug, einander nicht mehr mit Tiernamen zu beschimpfen. Wir sollten vielmehr sagen: Du Mensch! als schlimmsten Ausdruck der Verachtung. Denn nur Menschen sind so gemein zu ihren Artgenossen.

Das negative Menschenbild der Bibel ist sehr realistisch. Aber das ist nicht alles und schon gar nicht so einseitig wie bei Tucholsky. Gott hat uns Menschen geschaffen nach seinem Bilde, nach seiner Vorstellung. Auch wenn dieses Bild entstellt wurde durch die Sünde wie ein kostbares Gemälde durch einen Säureanschlag. Gott hat dieses zerstörte Bild Jesus übergeben, um es wieder herzustellen, gleichsam als Restaurator. So sehr ist Gott interessiert an uns Menschen!

Gott achtet jeden Menschen! Gott hat beispielsweise gerade Menschen, die andere vielleicht gering achteten, erwählt, um mit ihnen in besonderer Weise in der Welt zu handeln: Abraham (ein Kleinviehnomade) – Mose (ein Mörder) – Maria (die Verlobte eines kleinen Handwerkers) – die Jünger (Fischer, Zöllner, Zeloten) usw.

Ich sehe es so: Die Würde des Menschen besteht darin – oder, ich will es anders sagen: Deine Würde als Mensch besteht darin, dass Gott dich als Mensch geschaffen hat, dass er dich als Mensch liebt. Er ist so sehr an dir interessiert, dass er es zuließ, dass Jesus um deiner Erlösung willen gelitten hat. Gott hat Sehnsucht danach, mit dir bleibende Gemeinschaft zu haben.

Das macht deine und meine Würde aus. Alles andere bleibt nicht, trägt nicht, kann mir genommen werden: Jugend, Schönheit, Tatkraft, Geld, Ansehen, Können…

Wollten wir einem alten Menschen vielleicht sagen: Ja, wenn du jung und knackig wärest, würde ich dich als Mensch achten? – Wollten wir einem kranken Menschen sagen: Ja wenn du gesund wärest, könnte ich Achtung vor dir haben. – Wollten wir einem geistig Behinderten sagen: Wenn du dein Schicksal tatkräftig selbst in die Hand nehmen würdest… – Wie wir selbst und in unserer Gesellschaft mit den Schwachen umgehen, zeigt unser wahres Menschenbild!

Wir merken sehr schnell, wohin das führen kann, wenn wir unser Menschenbild von Gottes Vorgaben abkoppeln. Aber: Nicht ich mache mich zum Menschen, sondern Gott hat es getan. Nicht meine Maßstäbe gelten, sondern Gottes Maßstäbe. Nicht was ich habe, sondern was Gott mir zuwendet, ja dass er sich selbst mir zuwendet, macht mich zum Menschen.

Nur vor Gott finde ich zu mir selbst, weiß ich, wer ich bin, hat mein Leben auch Sinn!

Konsequenzen


Dieses Menschenbild der Bibel hat für uns natürlich auch Folgen. Da haben z.B. Feindbilder keinen Platz mehr. Feindbilder zielen ja darauf ab, den anderen zu zerstören. Aber die Bibel lehrt uns, den anderen für uns nicht Feind sein zu lassen, auch wenn er selbst es sein möchte. Sein Menschsein schrumpft nicht zusammen zur Karikatur eines Feindbildes, so dass ich das Recht hätte, ihn zu zerstören.

Was haben wir im sogenannten „christlichen Abendland“ für ein Menschenbild, wenn wir Milliarden für eine schreckliche Tötungsmaschinerie ausgeben, während andere verhungern? Mit dem Geld für den Irakkrieg ließe sich Afrika sanieren. Weltweit lernen Menschen, wie man andere Menschen tötet (beim Militär sowieso) – aber auch Kinder werden zum Töten gedrillt als Kindersoldaten, deren Seelen dadurch zerstört werden. Oder denken wir an Ausbildungslager für Terroristen. Die Folge sind die aktuellen Anschläge. Einen anderen zu töten, heißt doch: Ich spreche ihm das Recht ab, ein Mensch sein zu dürfen. Ich nehme mir das Recht heraus, ihn zu vernichten, ob aus wirtschaftlichen Gründen oder aus religiösen, ethnischen usw.

Eine Folge des biblischen Menschenbildes ist es auch, den anderen nicht mehr zum Objekt, zum Mittel zum Zweck machen zu können in der Sexualität, der Politik, der Arbeitswelt usw. Mich schaudert‘s, wenn Manager arbeitende Menschen nur noch als „Kostenfaktoren“ hinstellen – als „Kosten mit zwei Beinen“.

Auch der Hochmut hat nun keinen Platz mehr im biblischen Menschenbild. Im Hochmut stelle ich mich ja über den anderen: der Gebildete über den weniger Gebildeten, der Wohlhabende über den armen Schlucker, der Deutsche über den Türken, der linke Politiker über den rechten und umgekehrt, der Baptist über den Lutheraner usw.

Das biblische Menschenbild hat für uns auch Folgen bei Spannungen zwischen Gruppen und einzelnen. Es gibt doch diese typischen Spannungen zwischen Vorgesetzten und Untergebenen, Lehrern und Schülern, Männern und Frauen, Gläubige und Nichtgläubige usw. Die Frage, die mich in Konfliktlagen immer wieder bewegen muss, bleibt die: Ist der andere – trotz des Konfliktes – in meinen Augen so sehr Mensch, wie er Mensch ist in den Augen Gottes? Dabei setzen wir bitte unsere Augen nicht gleich mit Gottes Augen! Nicht: Gott sieht bestimmt den anderen auch so, wie ich ihn sehe, sondern: Sehe ich den anderen so, wie Gott ihn sieht?

Zum Schluss möchte ich auf Psalm 8 zurückkommen: Was ist der Mensch, dass du seiner gedenkst? Gott gedenkt des Menschen, er denkt an ihn. Er denkt an dich und mich! Er nimmt sich des Menschen an. Er nimmt sich deiner an. Ich sagte...

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