1. Krieg der Weltanschauungen
»Naturwissenschaft und Religion können nicht versöhnt werden.«
Peter Atkins
»Alle meine naturwissenschaftlichen Studien […] haben meinen Glauben bestätigt.«
Ghillean Prance
»Wenn Ihnen das nächste Mal jemand erzählt, dass etwas wahr ist, dann fragen Sie ihn doch, welchen Beweis es dafür gibt. Erhalten Sie keine gute Antwort, dann denken Sie hoffentlich gut darüber nach, bevor Sie ein Wort glauben.«
Richard Dawkins
Der letzte Nagel in Gottes Sarg?
Es herrscht die weitverbreitete Vorstellung, dass mit jedem wissenschaftlichen Fortschritt ein weiterer Nagel in Gottes Sarg geschlagen wird. Dieser Eindruck wird von einflussreichen wissenschaftlichen Denkern vorangetrieben. Peter Atkins, Professor für Chemie in Oxford, schreibt: »Die Menschheit sollte akzeptieren, dass die Wissenschaft die Rechtfertigung für den Glauben an Sinn und Zweck des Kosmos beseitigt hat und dass jegliches Überleben von Zweckbestimmung nur dem Gefühl zu verdanken ist.«1 Es ist jedoch fraglich, wie der Wissenschaft so etwas gelingen konnte, da sie sich traditionell nicht mit Fragen der Zweckbestimmung beschäftigt; aber darauf kommen wir später zurück. Was klar wird, ist, dass Atkins den Glauben an Gott mit einem Schlag herabsetzt; nicht nur auf die Gefühlsebene, sondern auf ein wissenschaftsfeindliches Gefühl. Atkins ist nicht allein mit dieser Ansicht. Richard Dawkins geht – unübertroffen – noch einen Schritt weiter. Für ihn ist der Glaube an Gott ein Übel, das ausgemerzt werden muss: »Es ist modern, sich apokalyptisch mit der Bedrohung der Menschheit auseinanderzusetzen, die sich im Aids-Virus, im Rinderwahnsinn (BSE) und in anderen Krankheiten darstellt, aber ich stelle die These auf, dass der Glaube eines der größten Übel dieser Welt ist, vergleichbar mit dem Pockenvirus, aber schwieriger auszurotten. Glaube als eine Überzeugung, die nicht auf empirischen Indizien beruht, ist der größte Makel jeder Religion.«2
Unlängst ist der Glaube, laut Dawkins, vom Makel zur Wahnvorstellung aufgestiegen (sofern man das so bezeichnen kann). In seinem Buch Der Gotteswahn3 zitiert er Robert Pirsig, Autor des Buches Zen und die Kunst, ein Motorrad zu warten:»Leidet ein Mensch an einer Wahnvorstellung, so nennt man es Geisteskrankheit. Leiden viele Menschen an einer Wahnvorstellung, nennt man es Religion.« In Dawkins’ Augen ist Gott nicht nur eine Wahnvorstellung, sondern eine bösartige Wahnvorstellung.
Solche extremen Ansichten stellen das äußerste Ende einer Meinungsvielfalt dar, und es wäre falsch zu denken, sie seien typisch. Viele Atheisten heißen diesen Kampfgeist nicht für gut, ganz zu schweigen von den repressiven, ja sogar totalitären Andeutungen. Leider erhalten gerade die extremen Ansichten die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit und der Medien mit dem Ergebnis, dass viele Menschen davon erfahren und beeinflusst werden. Es wäre dumm, sie zu ignorieren; wir müssen sie ernst nehmen.
Anhand seiner Aussagen wird deutlich, dass Dawkins’ Feindseligkeit gegenüber dem Glauben auf der Annahme beruht, dass, während »wissenschaftliche Standpunkte auf öffentlich prüfbaren Indizien basieren, religiöser Glaube nicht nur solche Indizien vermissen lässt, sondern die Unabhängigkeit von Indizien ist seine Freude, die er von den Dächern pfeift«.4 Mit anderen Worten: Religiöser Glaube ist für ihn immer blinder Glaube. Wenn es so wäre, ist es vielleicht angemessen, Glauben mit Pocken gleichzusetzen. Aber befolgen wir doch Dawkins’ eigenen Rat und fragen: Wo ist der Beweis, dass religiöser Glaube nicht auf Tatsachen basiert? Zugegeben, es gibt leider Menschen, die sich zum Glauben an Gott bekennen und offen einen antiwissenschaftlichen und aufklärungsfeindlichen Standpunkt einnehmen – was bedauerlicherweise den Glauben an Gott in Verruf bringt. Vielleicht hatte Richard Dawkins das Pech, unverhältnismäßig vielen von ihnen zu begegnen.
Aber das ändert nichts an der Tatsache, dass die breite Masse unter den Christen davon ausgeht, dass Glaube und Indizien untrennbar sind. In der Tat ist der Glaube eine Antwort auf Indizien und nicht der Jubel über das Nichtvorhandensein von Indizien. Der christliche Apostel Johannes schreibt in seiner Biografie über Jesus: »Diese [Zeichen] aber sind aufgeschrieben, damit ihr glaubt, …«5 Das heißt, er versteht das, was er schreibt, als einen Teil der Indizien, auf die sich der Glaube stützt. Der Apostel Paulus sagt, was viele Wegbereiter der modernen Wissenschaft glaubten, und zwar, dass die Natur selbst auf die Existenz Gottes hinweist: »Seit Erschaffung der Welt wird seine unsichtbare Wirklichkeit an den Werken der Schöpfung mit der Vernunft wahrgenommen, seine ewige Macht und Gottheit. Daher sind sie unentschuldbar.«6 Es gehört nicht zur biblischen Sichtweise, dass Dinge geglaubt werden müssen, für die es keine Indizien gibt. Genau wie in der Wissenschaft gehören Glaube, Vernunft und Indizien zusammen. Dawkins Definition von Glaube als »blinder Glaube« erweist sich als das genaue Gegenteil des biblischen Glaubens. Seltsam, dass er den Widerspruch nicht zu bemerken scheint. Könnte das die Folge seines eigenen blinden Glaubens sein?
Dawkins’ eigenartige Definition von Glaube ist ein verblüffendes Beispiel für ein Denken, wie er es eigentlich selbst verabscheut – Denken, das nicht auf Indizien basiert. Denn in einer Darstellung von atemberaubender Widersprüchlichkeit liefert er keine Beweise für seine Behauptung, dass der Glaube sich darüber freut, von Indizien unabhängig zu sein. Der Grund, warum er den Beweis nicht liefern kann, ist – es gibt ihn nicht. Es bedarf keiner großen Nachforschung, um sich zu vergewissern, dass kein ernsthafter biblischer Gelehrter oder Denker Dawkins’ Definition von Glauben befürworten würde. Francis Collins sagt zu dieser Definition: »Sie beschreibt sicher nicht den Glauben der meisten ernsthaften Gläubigen in der Geschichte noch der meisten, die ich persönlich kenne.«7
Collins’ Standpunkt ist in diesem Zusammenhang als Beleg sehr wichtig. Er weist darauf hin, dass die neuen Atheisten ihre eigene Glaubwürdigkeit stark untergraben, wenn sie sagen, dass jeder Glaube blinder Glaube sei. John Haught sagte bereits: »Die Existenz einer einzigen weißen Krähe genügt, um zu zeigen, dass es nicht nur schwarze Krähen gibt. Ebenso genügt die Existenz zahlloser Gläubiger, die die simplizistische Definition der Neuen Atheisten über Glauben ablehnen, die Anwendbarkeit ihrer Kritik auf einen Großteil der religiösen Bevölkerung infrage zu stellen«.8
Alister McGrath9 macht in seiner kürzlich erschienenen, sehr verständlichen Beurteilung von Dawkins’ Standpunkt klar, dass dieser es eindeutig verpasst hat, sich mit irgendwelchen ernsthaften christlichen Denkern auseinanderzusetzen. Was sollten wir sonst von seiner ausgezeichneten Maxime halten: »Wenn Ihnen das nächste Mal jemand erzählt, dass etwas wahr ist, dann fragen Sie ihn, welchen Beweis es dafür gibt. Erhalten Sie keine gute Antwort, dann denken Sie hoffentlich gut darüber nach, bevor Sie ein Wort glauben.«10 Es sei dem verziehen, der der starken Versuchung nicht widerstehen kann, Dawkins’ Maxime an ihn selbst anzulegen und kein Wort von dem zu glauben, was er sagt.
Dawkins ist nicht der Einzige, der an der irrigen Auffassung festhält, der Glaube an Gott basiere auf keinerlei Indizien. Die Erfahrung zeigt, dass diese Auffassung unter den Mitgliedern der Gemeinschaft der Wissenschaftler weitverbreitet ist, auch wenn es etwas anders formuliert wird. Es wird zum Beispiel oft gesagt, dass der Glaube an Gott »in den privaten, und das wissenschaftliche Bekenntnis in den öffentlichen Bereich gehört, [dass] Glaube an Gott etwas anderes ist, als das, was wir in der Wissenschaft betreiben« – kurz gesagt, ein »blinder Glaube«. Dieses Thema wird in Kapitel vier im Abschnitt über die rationale Verstehbarkeit des Universums noch näher behandelt.
Zunächst verschaffen wir uns einen Überblick über das Verhältnis von Glaube und Unglaube in der Gemeinschaft der Wissenschaftler. Eine der interessantesten Umfragen dazu wurde 1996 von Edward Larsen und Larry Witham durchgeführt und in der Zeitschrift Nature11 veröffentlicht. Es handelte sich dabei um eine Wiederholung der Leuben-Umfrage von 1916, in der tausend Wissenschaftler (zufällig ausgewählt aus der Liste der »American Men of Science« von 1910) befragt wurden, ob sie an einen Gott glaubten, der Gebete erhört, und an ihre persönliche Unsterblichkeit (was viel tiefer geht als der Glaube an irgendeine Art göttliches Wesen). Die Antwortquote lag damals bei 70 Prozent, von denen 41,8 Prozent mit...