2 Medizinische Technologie – eine tödliche Begegnung
Ich begegnete Ed K. erst, nachdem er gestorben war – seines Ablebens war ich mir jedenfalls sicher. Damit begann eine Erfahrung, deren Ende ebenso bizarr war wie ihr Anfang.
Ein langweiliger Winternachmittag zog sich endlos hin. Ich wertete Elektrokardiogramme für das Peter Bent Brigham Hospital aus, an dem ich in den frühen 1950er-Jahren als „Postdoc“ bei dem berühmten Kardiologen Dr. S. A. Levine tätig war. Das dreimonatige Training war die reinste Langeweile. Plötzlich stürzte eine atemlose, höchst aufgeregte Krankenschwester von der allgemeinen Männerstation, die auf der anderen Seite des Korridors lag, herein. Sie verkündete, dass Herr K. seinen „endgültigen Herzstillstand“ erlitten habe.
„Kommen Sie schnell“, drängte sie mich, „ich konnte keinen Pflichtassistenten finden.“
„Was soll das denn alles, und wer ist Herr K.?“, fragte ich, als wir zurück zu ihrer Station rasten. Aber sie war mit dringlicheren Dingen vollauf beschäftigt und sah keine Notwendigkeit, meine Neugier zu befriedigen.
Am Krankenbett angelangt, sah ich mich einem alten Mann gegenüber, der eindeutig tot war. Er atmete nicht, die Haut war marmoriert mit einer bläulichen Verfärbung, die Gliedmaßen waren schlaff, die Pupillen erweitert, Schaum tröpfelte aus seinem offenen Mund. Das Elektrokardiogramm lief und druckte Bündel von nutzlosem Konfetti aus, auf dem nichts als die gerade Linie eines stillgestandenen Herzens geschrieben stand. Herr K. war jenseits allen Lebens.
Wenn das stillstehende Herz eine gerade Linie statt unregelmäßiger Zacken im EKG zeigt, hat alle kardiale Aktivität aufgehört. Selbst in der heutigen Zeit, in der modernere Methoden zur Verfügung stehen, sind Wiederbelebungsversuche nach wie vor oft vergeblich. Man muss sich vergegenwärtigen, dass sich das Ereignis, von dem ich berichte, in einer Zeit zugetragen hat, in der Kouwenhoven und seine Gruppe an der Johns Hopkins Medical School die Wirkung der äußeren Brustkompression, die sogenannte Herzmassage, noch nicht demonstriert hatten. Darüber hinaus besaß das Peter Bent Brigham Hospital noch keinen äußerlich anwendbaren Wechselstrom-Defibrillator, der gerade in Mode kam. Die Patienten starben vorzeitig, oft unnötigerweise und ohne großes Aufheben.
„Wie lange dauert sein Herzstillstand schon an?“, fragte ich die Krankenschwester, um herauszufinden, ob überhaupt etwas getan werden solle. Sie öffnete das EKG-Gerät, schaute auf die verbliebene Rolle des EKG-Papiers und verkündete, dass die finale Episode vor etwa viereinhalb Minuten eingetreten sei. Sie erklärte, dass, als sie gerade eine neue Rolle EKG-Papier eingesetzt hatte, Herr K. seinen vierten Herzstillstand an diesem Tag erlitten habe. Jeder vorangegangene Herzanfall habe nach weniger als dreißig Sekunden spontan geendet. Als dieser letzte nicht aufhörte, ließ sie den EKG-Streifen laufen und raste auf der Suche nach Hilfe los. Sie wusste, dass eine EKG-Rolle fünf Minuten lang aufzeichnen konnte – und etwa 90 % davon waren bereits aufgebraucht. Dies war eine lange Zeit ohne einen Herzschlag. Schon ein fünfminütiger Herzstillstand kann ein in seinen Funktionen schwer geschädigtes Gehirn zurücklassen.
Als ich das EKG sorgfältig examinierte, bemerkte ich überrascht winzige, kaum wahrnehmbare Wellen, die in einem regelmäßigen Rhythmus von etwa 280-mal pro Minute hochschossen. Diese gingen von den oberen Herzkammern, den Vorhöfen, aus. Ärzte nennen diese Art von kardialem Mechanismus Vorhofflimmern. Im Allgemeinen reagieren die Ventrikel auf die Hälfte der ankommenden flatterigen Wellen. Bei Herrn K. waren die raschen elektrischen Impulse jedoch auf dem Weg zu den Herzkammern vollkommen blockiert.
Da Herr K. trotz seines hoffnungslosen klinischen Erscheinungsbilds noch immer ein Fünkchen Leben zeigte, war ich tollkühn genug, einem damals gängigen Ritual zu folgen, und injizierte Adrenalin direkt in sein Herz. Kaum hatte ich die lange Nadel durch die Brustwand gestochen und das Herz punktiert, als sich eine spontane ventrikuläre Kontraktion einstellte, die von weiteren regellosen Herzschlägen gefolgt war. Nach der Adrenalin-Injektion beschleunigte sich die Pulsfrequenz auf dreißig Schläge pro Minute. Überraschenderweise war Herr K. mit diesem sehr langsamen Herzschlag imstande, einen regelrechten Blutdruck aufrechtzuerhalten.
Er war jetzt mein Schützling, und ich wich nicht mehr von seinem Krankenbett.
Ich erfuhr, dass Herr K. in den vergangenen Monaten an Ohnmachtsanfällen gelitten hatte, die durch einen kompletten Herzblock bedingt waren. Dies war damals – nicht selten bei alten Menschen – ein potenziell tödlich endender Zustand, der heutzutage ohne Weiteres durch Implantieren eines Herzschrittmachers behoben werden kann. Sein Zustand resultierte aus einer Unterbrechung der elektrischen Signale im Herzen. Der normale elektrische Impuls geht von einem biologischen Schrittmacher aus, einem Bündel von speziellen Nervenzellen, die im rechten Vorhof beheimatet sind. Dieses Bündel wird als Sinusknoten bezeichnet. Es besitzt die unheimliche Fähigkeit, sechzig bis achtzig oder mehr Herzschläge zu erzeugen und dies mit der Präzision eines Uhrwerks ein Leben lang. Ein Bündel an Nerven, die als elektrisches Kabel dienen, verbindet den Sinusknoten mit den Ventrikeln, den dynamisch pulsierenden Kammern des Herzens, die Blut durch den gesamten Körper befördern. Bei Herrn K. war dieses den Sinusknoten und die Ventrikel verbindende Bündel unterbrochen. Er hätte dringend einen Schrittmacher gebraucht – der aber war noch nicht erfunden. Selbst Dr. Paul Zolls externer Schrittmacher lag noch 50 Jahre in der Zukunft. Da bei Herrn K. ein kompletter Herzblock bestand, betrug seine Pulsfrequenz nur achtundzwanzig bis zweiunddreißig Schläge pro Minute und stieg auch bei Anstrengung und Aufregung nicht an.
Es war ein Wunder, dass Herr K. noch am Leben war. Weitere Wunder sollten folgen. Nach ungefähr achtundvierzig Stunden begann er, auf schmerzhafte Reize zu reagieren. Nach einer Woche war er recht munter, wenngleich noch benommen. Ich war erstaunt, dass er keinen irreversiblen Gehirnschaden davongetragen hatte, obwohl er etwa zehn Minuten lang ohne ausreichende Blutzirkulation geblieben war. Nach einer weiteren Woche war Herr K. wieder sein gutes altes Selbst. Seine Familie entdeckte keinerlei Störungen in seinem Gedächtnis, seinem Denken oder seiner Persönlichkeit.
Herr K., den ich später Ed nannte, war ein Mann in seinen späten Sechzigern, der keinen einzigen Tag in seinem Leben krank gewesen war. Er war ein fröhlicher älterer Herr, früher als Verkäufer von Kinderkleidung tätig, jetzt pensioniert. Ed strahlte eine unbefangene Gutmütigkeit aus, die von einem Leben herrührte, in dem er sich bei allen beliebt zu machen wusste, wobei er in jedem einen potenziellen Kunden sah. Er war anspruchslos, besaß einen gesunden Menschenverstand und die Fähigkeit, mit jeglicher Art von Menschen unkomplizierte Beziehungen herzustellen. Er stammte aus einer armen Familie und hatte nur die Volksschulbildung erfahren. Seine häufigen jüdischen Witze waren von scharfer spitzer Selbstkritik geprägt.
Ed war froh, am Leben zu sein. Abgesehen vom Unvermögen, einer Straßenbahn nachzurennen, ohne übermäßig außer Atem zu geraten, war er noch immer geplagt von einem Herzen, das nur zu halber Leistung fähig war. Ich erwartete die Wiederkehr von Ohnmachtsanfällen, aber nichts geschah. Nach ein paar Jahren hörte ich auf, mir Sorgen zu machen.
Ich versuchte, seine Pulsfrequenz mit Ephedrin, einem Adrenalin-ähnlichen Medikament, zu beschleunigen, brach die Therapie aber ab, da sie ihn nervös machte. Trotz meiner trüben Vorahnungen ging es ihm bemerkenswert gut. Er meldete sich als Ehrenamtlicher in meinem Krankenhaus und arbeitete für eine der Oberschwestern, die Ed als ein Gottesgeschenk ansah. Schon sehr früh am Morgen erschien er gut gelaunt, kein Job war ihm zu nieder, jeder stellte eine Herausforderung dar. Er sortierte die Vorräte im Arzneimittelschrank und räumte in den Wäschelagern auf. Wo immer er auch arbeitete: Er brachte eine schöne Ordnung und gute Laune mit. Dies hielt viele Jahre hindurch an.
Ed war durch seinen Herzblock jetzt nur noch psychisch beeinträchtigt. Dies drückte sich in einem ungewöhnlichen Fehlverhalten, in einer seltsamen Form von Schlaflosigkeit, aus. Der Schlaf kam in kleinen Portionen von einstündigen Intervallen. Ed stellte den Wecker auf eine Stunde. Wenn er geweckt wurde, stellte er die Uhr um eine weitere Stunde vor und schlief wieder ein. Dies wiederholte er die ganze Nacht hindurch. Wenn er den Wecker nicht auf diese Art und Weise stellte, konnte er nicht schlafen. Ed versuchte erst gar nicht, diese Absonderlichkeit zu rechtfertigen. Wenn man ihn danach fragte, entgegnete er, dass er sich die Nacht hindurch vergewissern wolle, dass er noch am Leben sei. Seine Frau war aus dem Schlafzimmer ausgezogen. Seine Familie war so froh, ihn wieder in ihrer Mitte zu haben, dass sie diese besondere „Macke“ ignorierte. Ed gedieh; er hatte keine internistischen Beschwerden und nahm keine Medikamente.
Zwölf Jahre verstrichen ereignislos. Dann – als ich eines Tages mit einem führenden kardiologischen Chirurgen auf einem Krankenhauskorridor im Gespräch war – entdeckte ich Ed, der auf uns zukam. In wenigen Worten beschrieb ich seine bemerkenswerte Krankengeschichte. Als Ed bei uns angelangt war, stellte ich ihn dem Chirurgen vor, der sogleich nach seinem Puls griff. „Meine Güte, Sie haben aber einen langsamen Herzschlag! Ich kann das reparieren.“ Weiterhin wurde nichts gesagt, als jeder von uns seines Weges...