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E-Book

Helga

Als es noch keine Worte dafür gab - Mein Weg vom Mann zur Frau

AutorSabine Weigand
VerlagS. Fischer Verlag GmbH
Erscheinungsjahr2016
Seitenanzahl288 Seiten
ISBN9783104037882
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis8,99 EUR
Sie ist eine der allerersten, die das Wagnis einging, durch eine Operation zum richtigen Körper zu kommen. Helga F. erzählt in diesem bewegenden Memoir ihren Weg vom Mann zur Frau, in einer Zeit, die dafür noch keine Worte hatte. Aufgezeichnet von Erfolgsautorin Sabine Weigand, zeigt Helga F.s Autobiographie einen außergewöhnlichen Menschen von großer innerer Kraft, der aus tiefstem Elend ein gelingendes Leben macht. »Als ich so mutterseelenallein zum Flugzeug ging, dacht ich: ?Nürnberg, ade! Entweder komme ich als Frau wieder, oder ich bleib am Operationstisch.« Hermann ist 40, Familienvater in der fränkischen Provinz, als er 1970 erfährt, dass in Casablanca die OP angeboten wird, die ihn vom Mann zur Frau machen kann. Als einer der allerersten geht er das damals noch kaum vorstellbare Wagnis ein. Schon der 5jährige, mitten in Nazi-Deutschland, in ärmsten Verhältnissen, weiß, dass sein Geschlecht nicht zu ihm passt. »Da war einfach was in mir drin, das war übermächtig.« Aber für das, was er fühlt, gibt es noch keine Worte wie Transsexualität. Also heiratet er, gründet eine Familie, steigt auf im Wirtschaftswunderland. Doch nur nachts, heimlich, in Frauenkleidern, fühlt er sich richtig. Nach der OP beginnt Helgas zweites Leben. Sie erfährt, wie es ist, eine Frau zu sein. Und dass die Wirrnisse damit nicht aufhören. »Ohne die Operation hätt ich nie erfahren, wie das ist, wenn man weiß, jetzt bin ich der Mensch, der ich immer sein wollt.«

Sabine Weigand stammt aus Franken. Sie ist promovierte Historikerin, arbeitete als Ausstellungsplanerin für Museen und ist nun Abgeordnete im bayerischen Landtag. Historische Originaldokumente und reale Frauenbiographien sind der Ausgangspunkt ihrer insgesamt neun Romane, wie ?Die Markgräfin?, ?Die Seelen im Feuer? oder ?Die Tore des Himmels?. In ?Die Manufaktur der Düfte? schildert sie Aufstieg und Fall einer deutschen Seifenfabrikantendynastie. Das dramatische Leben der Daisy von Pless liegt ihrem neuen Roman ?Die englische Fürstin? zugrunde.Literaturpreise:»Kulturmeter« Stadt Schwabach, Kulturpreis der Kulturstiftung IHK Franken

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Leseprobe

Ich bin unehelich geboren, zu Nürnberg, am 22. Mai 1931. Ein lediges Kind, so hat man damals gesagt. Meine Mutter hat sich mit einem Schausteller eingelassen, und der hat sie sitzenlassen mit mir im Bauch. Da hat sie mich auch nicht mehr haben wollen. Jemand vom Amt ist gekommen und hat die Vaterschaft eingetragen und ihren Familienstand ledig, und dann hat sie mich mit vier Wochen hergegeben. So eine Mutter war das. Ich hab mir oft gesagt, sie war halt noch jung und dumm, sonst wär sie doch nicht mit einem von der Kirchweih mitgegangen, jeder hat doch gewusst, was das für Lumpen waren. Auch später hab ich sie nie gefragt, warum sie mich nicht behalten hat, aber da hab ich’s mir schon denken können.

 

Meine ersten Pflegeeltern waren die Weidingers in der Linnéstraße, das waren freundliche Leut. Viel Erinnerung hab ich nicht an sie, ich war ja noch ganz klein, aber die Weidingers-Mutter ist eine gute Frau gewesen. Einmal hat sie Papiersterne aus alten Tüten ausgeschnitten, die hat sie dann vom Fenster in den Hof runtergeschmissen. »Schau, Hermännle, da sind Sternle vom Himmel gefallen«, hat sie zu mir gesagt, »such nur schön, wo die hin sind.« Ja, da hab ich’s gut gehabt.

Aber die Weidingers-Mutter war bald zu alt, vielleicht ist sie auch krank gewesen. Jedenfalls hat sie mich nicht mehr recht versorgen können. Da bin ich dann zu anderen Leuten gekommen. Ich war vier Jahre alt.

 

Die anderen Leute, das waren die Schmidts. Er war gelernter Kürschner, und seine Frau, die Schmidti, war eine geborene Hupfer und kam von Hessen drüben. Mormonen waren die, das hab ich damals gar nicht verstanden. Es war ja das »Dritte Reich«, wie man es genannt hat, und die Nazis hatten die Macht. Die haben ja schon das Christentum nicht gewollt, und die Mormonen bestimmt erst recht nicht. Zu uns sind dann immer Leute gekommen, heimlich. Die haben sich nämlich gegenseitig in ihren Wohnungen besucht, damit ihnen keiner draufkommt. »Bruder soundso« und »Schwester soundso« hat’s dann geheißen. Aber was die geredet haben, davon hab ich nichts mitbekommen. Des ist ganz geheimnisvoll gegangen bei denen. Ich bin ja auch kein Mormone geworden, dazu haben die mich nicht erzogen. Aber wenn ich das Wort Mormonen höre, dann schüttelt’s mich heut noch.

 

Die Schmidts haben damals auch meinen Bruder Erwin genommen. Ich hab ihn da überhaupt erst kennengelernt, vorher hab ich nichts von ihm gewusst. Der Erwin ist zwei Jahre nach mir geboren und ist von einem anderen Vater. Unsere Mutter hat ihn auch gleich weggegeben, er war ihr genauso im Weg wie ich, so seh ich des heut. Eine Matz war das, hat sich mit jedem eingelassen, und die Kinder waren ihr ganz egal. Ein billiges Leben hat sie führen wollen.

 

Bei den Schmidts, des war die Hölle. Wenn der Erwin nicht gewesen wär, ich weiß nicht, ob ich das alles überstanden hätt. Die haben uns behandelt wie die Tiere. Wenn wir was falsch gemacht haben, hat die Schmidti uns in den Schwitzkasten gezwungen, ein Messer verkehrt herum in die Hand genommen und uns dann mit dem Knauf ein paarmal auf den Kopf geschlagen. Auf uns rumgehaut hat die wie auf einer Trommel. Des hat immer richtige Hörner gegeben. Unsere Köpf waren voll davon. Einmal waren wir beim Friseur, der hat sich recht gewundert über unsere »Nüss«. Von da an hat uns die Schmidti immer selber die Haare geschnitten.

Er, der Karl, hat überhaupt nichts zu sagen gehabt. Sie war eine böse Frau. Margaret hat die geheißen, und wir haben Mutter zu ihr sagen müssen. Arbeiten hat die uns lassen, von früh bis spät. Des war eine schwere Zeit. Schon mit fünf Jahren bin ich im Waschhaus gestanden und hab bei der Wäsche mitgeholfen, wir Buben haben Kohlen geschleppt zum Schüren, da mussten wir immer in den Keller, Allmächt, dabei haben wir uns so gefürchtet. Finster war’s da, und es hat Ratten gegeben, die haben uns eine Heidenangst eingejagt. Einmal haben alle Frauen im Mietshaus eine Ratzenjagd im Hof veranstaltet. Da standen sie alle in ihren Arbeitsschürzen, Kopftüchle umgebunden und alle möglichen Geräte in der Hand: Besen, Schaufeln, Schrubber. Der Ratz ist in wilder Flucht im Hof umeinandergerannt und konnte doch nicht hinaus, weil drumrum ja die Mauer war. Alle Weiber sind gerannt und haben geschrien und das Viech gescheucht, und am Schluss hat ihn dann die Schmidti mit einer Art Heugabel aufgespießt. Der hat vielleicht geschrien! Wie ein kleines Kind, so hat des geklungen. Ich hab dann jahrelang geträumt, dass die mich jagen und dass die Schmidti mir mit dem Dreizack in den Bauch sticht. Überhaupt hab ich viel Albträum gehabt, meine ganze Kindheit durch. Manchmal hat’s mich so gegraust davor, ins Bett zu gehen, und dann hab ich versucht, mich ganz lang wach zu halten, dass der grauslige Traum von der letzten Nacht nicht wiederkommt.

 

Der Erwin hat noch viel mehr Angst gehabt vor der Mutter als ich, na ja, er war ja auch zwei Jahre jünger. Ach, mein Erwin, der hat halt immer gleich gepflietscht, sogar wenn amal bloß geschimpft worden ist. Es hat ja ständig Schläge für uns gegeben, wegen nix und wieder nix. Wenn der Erwin ins Bett gemacht hat, hat sie ihm des nasse Laken aufs Gesicht gedrückt, bis er keine Luft mehr bekommen hat. Spielen haben wir überhaupt nicht dürfen. »Was wollt ihr?«, hat’s da geheißen. »Die Hausordnung ist noch net gemacht. Geht Treppen putzen, ihr faulen Säu!« Dann sind wir halt ins Treppenhaus, haben erst mit dem Rasch die Holzstufen gescheuert, dann nachgekehrt und dann gewischt. Wachsen haben wir auch müssen, damit’s am Schluss schön ausschaut. Der Erwin hat mit einem alten Fetzen das Wachs verteilt, und ich bin dann mit dem Blocker hinterher, bis alles geglänzt hat. Ich hab dabei immer geschwitzt wie ein Aff, das Raschen mit dem Fuß war g’scheit anstrengend, und so ein Blocker war ja auch schwer. Aber danach hat alles gut gerochen. Einmal ist dann die Nachbarin auf der frisch geblockerten Treppe ausgerutscht, da hat mich die Schmidti mit einem Stecken grün und blau geprügelt, weil ich das Schild »Vorsicht, frisch gewachst« vergessen hatte.

 

Wenn die Pflegeeltern fortgingen, haben sie uns Kinder nie mitgenommen. Und damit wir nichts anstellen konnten, haben sie mich und den Erwin immer in der Küche an zwei Stühle gefesselt. Erst die Hände zusammengebunden und dann uns an die Stühle. Stundenlang haben wir so sitzen müssen und uns nicht rühren können, bis die halt wieder da waren. Mein Lieber, da juckt’s dich irgendwann überall, und du kannst doch net kratzen! Und wehe, einer hat pieseln müssen und es net so lang ausgehalten. Dann ist wieder der Stecken geschwungen worden, und wir haben beide kein Abendessen gekriegt. Das war eine Tyrannin, kann man sagen, eine Hex. Einmal haben wir aus lauter Langweil mit den Stühlen vor und zurück gewippt, und ich bin dabei umgefallen, mit dem Kopf auf den Kartoffelkorb. Der ist umgekippt, und so hab ich dann die ganze Zeit daliegen müssen, mit dem Kopf mitten zwischen den Kartoffeln. Eine Angst hab ich gehabt, dass die Margaret mich so findet. Gott sei Dank ist der Karl eher heimgekommen, und als der mich gesehen hat, da hat er was zum Lachen gehabt. Aber wenigstens hat’s keine Prügel gesetzt.

Ja, heut würden sich die Kinder so was nicht mehr gefallen lassen. Die würden ihre Eltern anzeigen! Da gibt’s ja Gesetze. Aber damals, ach Gott, da hätten wir uns niemals getraut, aufzumucken. Des waren halt andere Zeiten.

 

Mit dem Essen war des auch so eine Sache. Wir Buben haben immer extra gekriegt, nie zusammen mit den Pflegeeltern. Da war dann Schmalhans Küchenmeister. Früh eine Scheibe Schwarzbrot mit so dünn Marmelade oder Honig drauf, dass man’s kaum gesehen hat, dazu eine Tasse Milch oder einen verdünnten Zichoriekaffee. Mittags eine Suppe ohne Fleisch, das haben sie danach selber gegessen. Und abends wieder ein Stück Brot, wenn wir Glück gehabt haben mit Margarine und Zucker oder, wenn die Schmidti gut gelaunt war, mit Butter und Senf drauf. Ja, das hat uns damals geschmeckt, wir haben doch immer einen Hunger gehabt, der Erwin und ich. Nur am Sonntag, des war ein Fest, da hat’s für uns Kloß mit Soß gegeben, und der Karl hat uns manchmal, wenn die Hex net hingeschaut hat, ein Bröckle Schweinefleisch unterm Sauerkraut versteckt. Der Karl wär ja vielleicht gar net so verkehrt gewesen, aber sie hat ihn unter der Fuchtel gehabt. Hörig war der seiner Frau, des sagt man doch so. Und er hat’s mit den Nerven gehabt. Der war so aufgeregt, dass er im Sitzen die Beine aneinandergerieben hat, andauernd. An der Stelle haben seine Hosenbeine richtig geglänzt, so hat der gerieben. Manchmal, wenn er ein paar Bier intus gehabt hat, hat er Lieder gesungen, dann ist er rührselig geworden. Und wehe, wenn er was gesungen hat, das der Schmidti net gepasst hat! Da ist die auf ihn losgegangen und hat zugeschlagen. Uns hat der Karl nie was getan, aber geholfen hat er uns auch net.

Wenn die zwei gegessen haben, mussten der Erwin und ich uns immer mit dem Rücken zum Tisch vor die Balkontür stellen. Und damit wir im Fensterglas net wie in einem Spiegel sehen konnten, was sie essen, hat uns die Schmidti schwarze Tücher über den Kopf geworfen. So mussten wir dann stehen, bis sie fertig waren. Meineherren, ist uns da manchmal vom Geruch das Wasser im Mund zusammengelaufen, und unsere Mägen haben geknurrt wie Nachbars Struppi. Wir haben hören können, wie die zwei gekaut und geschmatzt haben, und haben uns vorgestellt, was des alles Gutes ist. Manchmal, aber des war net oft, haben wir dann die Reste gekriegt, hei, da ging’s uns gut! Einen Batzen Kartoffelstopfer, ein Stück Schweinsrüssele oder einen Schnerpfel Krakauer, da haben wir bald gestritten, der Erwin und...

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