„Even after three decades of research and literally thousands of journal articles, economists have not yet reached a consensus about whether markets - particularly financial markets - are efficient or not.”(Lo, MacKinlay, 2002, S.6)
In der Wissenschaft gilt die neoklassische Kapitalmarkttheorie als einer der bedeutsamsten Ansätze zur Bewertung von Aktienpreisen an den Finanzmärkten. Diese große Bedeutung hat sie insbesondere ihrer Konsistenz und Einfachheit zu verdanken (vgl. Bies, 2011, S.10). Idealtypisch geht sie von vollkommenen und vollständigen Märkten aus. Demzufolge wird unterstellt, dass alle Marktteilnehmer nicht nur die gleichen Entscheidungsmodelle nutzen, sondern auch über den gleichen, vollkommenen Informationsstand verfügen. Dies bedeutet, dass sie alle für eine Entscheidung relevanten Daten besitzen und neue Informationen sofort verarbeiten können. Abgesehen davon weist jeder Marktteilnehmer das gleiche rationale Verhalten auf und besitzt demgemäß homogene Erwartungen. Zusätzlich sind sie in der Lage, sämtliche Transaktionen kostenlos durchzuführen (vgl. Kirchgässner, 2008, S.66). Verfechter der Effizienzmarkthypothese[1]argumentieren, dass irrationale Abweichungen vom Fundamentalwert stets unkorreliert sind bzw. auf einem Zufall beruhen und sich demnach gegenseitig aufheben. Ein fehlbewerteter Markt kann beispielsweise durch Arbitrage[2] wieder ins Gleichgewicht zurückgeführt werden (vgl. Hott, 2004b, S.10; Klug et al., 2009, S.29). Folglich geht die neoklassische Kapitalmarkttheorie von einem vollkommenen Markt aus, auf dem vollständige Konkurrenz herrscht. Hauptsächlich folgt sie zwei Leitbildern: Zum einen dem eines rationalen Anlegers, dem sogenannten homo oeconomicus, und zum anderen dem Leitbild effizienter Märkte (vgl. Scheufele, Haas, 2008, S.25). Im weiteren Verlauf dieses Kapitels sollen lediglich diese beiden Annahmen näher erläutert werden, um somit die Behavioral-Finance-Theorie besser von der Kapitalmarkttheorie abgrenzen zu können. Demnach wird an dieser Stelle auf eine konkretere Darstellung der neoklassischen Kapitalmarkttheorie bzw. auf die dazugehörigen Kapitalmarktmodelle verzichtet.
Grundlage der traditionellen Kapitalmarkttheorie ist das Menschenbild des homo oeconomicus - ein wirtschaftliches Verhaltensmodell, welches den Menschen als ein auf den Eigennutz orientiertes Individuum kennzeichnet. Eduard Spranger beschreibt einen homo oeconomicus wie folgt: „Der ökonomische Mensch im allgemeinsten Sinne ist also derjenige, der in allen Lebensbeziehungen den Nützlichkeitswert voranstellt. Alles wird für ihn zu Mitteln der Lebenserhaltung, des naturhaften Kampfes ums Dasein und der angenehmen Lebensgestaltung“ (Spranger, 1950, S.148). Demnach ist er das Idealbild eines ökonomisch rational handelnden und denkenden Individuums, das bestrebt ist, seinen Nutzen unter den Annahmen von Effizienz, Wirtschaftlichkeit und Zweckrationalität zu maximieren und zudem über vollständige und unverzerrte Informationen verfügt (vgl. von Nell, 2006, S.3). Jede Entscheidungssituation, insbesondere an Finanzmärkten, ist jedoch mit einem gewissen Grad an Unsicherheit verbunden. Der homo oeconomicus muss daher seine Entscheidungen unter Unsicherheit treffen und kann deshalb deren Folgen oft nur schwer abschätzen. Aufgrund dessen sieht er sich dazu gezwungen, Wahrscheinlichkeiten in seinen Entscheidungen zu berücksichtigen. Wahrscheinlichkeiten können beispielsweise mit Hilfe des Erwartungswertes berücksichtigt werden. Für einen rational denkenden Menschen ist es von Vorteil, jene Alternative zu wählen, die den höchsten Erwartungswert und demnach den höchsten erwarteten Nutzen aufweist. Ferner verfügt der homo oeconomicus über keinerlei Emotionen, das heißt, er lässt sich nicht von Freude, Wünschen, Gier, Angst und Panik etc. leiten (vgl. Goldberg, von Nitzsch, 2004, S.38f und S.44).
Die Modellvorstellung des homo oeconomicus steht jedoch stark in der Kritik: Viele Studien belegen, dass Marktteilnehmer nicht immer völlig rational handeln, geschweige denn in der Lage sind, sämtliche relevanten Informationen zu erfassen und korrekt zu verarbeiten. Die Überbewertung von Aktien oder die Entstehung von Spekulationsblasen lässt sich zudem auf Grundlage dieser Annahmen nicht zufriedenstellend erklären. Infolgedessen wird das Bild des rational handelnden und denkenden Marktakteurs zunehmend infrage gestellt, da dieses Modell die Realität nicht sachgerecht widerspiegelt (vgl. Ranzau, 2010; Goldberg, von Nitzsch, 2004, S.47).
Die Theorie effizienter Märkte, von deren Vorstellung die Finanz- und Kapitalmärkte stark geprägt sind, basiert auf der Random-Walk-Hypothese[3]. Die Effizienzmarkthypothese geht davon aus, dass sich alle verfügbaren Informationen in dem Preis eines Gutes exakt widerspiegeln, sodass es keinen Raum für Stimmungen, geschweige denn Herdenverhalten am Markt gibt (vgl. Weber, BehavioralFinance Group, 1999). Als Begründer der Effizienzmarkthypothese gilt der amerikanische Ökonom Eugene Fama, welcher einen effizienten Markt wie folgt definiert: „A market in whichpricesalwaysfullyreflectavailableinformationiscalledefficient“ (Fama, 1970, S.383). Erpräzisiertweiter: „In an efficient market, on the average, competition will cause the full effects of new information on intrinsic values to be reflected ‘instantaneously’ in actual prices” (Fama, 1970, S.383). Fama nimmt drei Abstufungen der Markteffizienz vor, wobei das Unterscheidungsmerkmal die jeweilige Definition des Begriffes „verfügbare Informationen“ ist (vgl. Fama, 1970, S.383). Wie anhand der nachfolgenden Grafik zu erkennen ist, wird die jeweils schwächere Form von der stärkeren Form eingeschlossen.
Abbildung 1: Stufen der Markteffizienz(Eigene Darstellung in Anlehnung an: Steiner, Bruns, 2007, S.40).
Die schwache Markteffizienz („weak-formefficiency“) enthält lediglich Informationen über die vergangenen Preise. Der aktuelle Marktpreis spiegelt zu jeder Zeit die Informationen aus den historischen Kursentwicklungen wider. Somit können mittels der Technischen Analyse[4], welche vergangene Preisbewegungen auswertet, keine Überrenditen erzielt werden (vgl. Rummer, 2006, S.19). Dies bedeutet nicht, dass auf einem Markt keine positiven Renditen erzielbar sind, vielmehr können diese nicht höher sein als der Gewinn, der am Kapitalmarkt allgemein für ein eingegangenes Risiko erwartet werden kann. Liegt schwache Informationseffizienz auf einem Markt vor, ist es allein durch die Analyse von öffentlich zugänglichen Informationen möglich, Gewinne zu generieren. Die halbstrenge Form der Markteffizienz („semi-strong-formefficiency“) impliziert, dass zusätzlich zu den vergangenen Daten auch sämtliche öffentlich verfügbaren Informationen, welche für alle Markteilnehmer frei zugänglich sind, im aktuellen Kurs enthalten sind (vgl. Stöttner, 1989, S.76). Daher gibt es weder unter- noch überbewertete Wertpapiere. Neue Informationen werden vollkommen und unmittelbar in die Preise integriert (vgl. Kaiser, 2007, S.72). Mit Hilfe der Fundamentalanalyse[5] lassen sich folglich keine Überrenditen erzielen. Diese können bei der halbstrengen Form einzig durch das Ausnutzen von Insider-Informationen erzielt werden. Ist ein Markt hingegen im strengen Sinne effizient („strong-formefficiency“), werden sämtliche Informationen, also vergangene, öffentlich zugängliche und selbst Insider-Informationen, die nicht frei zugänglich sind, unverzüglich in den aktuellen Kursen verarbeitet. Infolgedessen wird unterstellt, dass keinerlei Informationen existieren, die zur Erzielung von Überrenditen geeignet sind, sodass nicht einmal Insider über die Möglichkeit verfügen, Vorteile aus ihrem Informationsvorsprung zu ziehen bzw. die Kursentwicklungen zu prognostizieren (vgl. Schredelseker, 2002, S.418).
Unabhängig vom Grad der Informationseffizienz wird unterstellt, dass Aktien stets ihrem inneren Wert entsprechen und Kursänderungen somit nur durch neue Informationen eintreten können. Für den Marktanalytiker bedeutet dies, dass er davon ausgehen muss, dass alle Erkenntnisse, die durch seine Analyse gewonnen werden können, allen übrigen Marktteilnehmern bereits bekannt sind. Es wird so unter der Voraussetzung rationaler Investoren zu stets gleichgerichtetem Verhalten am Markt kommen. Daher spiegelt der Marktpreis zu jedem Zeitpunkt alle verfügbaren Informationen wider, was es unmöglich macht, durch Informationsvorsprünge gegenüber anderen Marktteilnehmern Vorteile zu erlangen (vgl. Stöttner, 1989, S.72). Zusammenfassend kann gesagt werden, dass Kapitalanleger aus den Börsendaten von Wertpapieren keinen Informationsvorsprung erhalten, der es ihnen ermöglicht, eine Rendite zu erzielen, die über dem Marktdurchschnitt liegt (vgl. Montassér, 2003, S.2). Die Dienste von Finanzanalysten, Portfolio-Managern und...