2. Methoden
Bei den angewandten Methoden der teilnehmenden Beobachtung, der Filmanalyse und des teilstandardisierten Interviews handelt es sich um formal wissenschaftliche Methoden, die im Folgenden kurz dargestellt werden. Dabei wird reflektiert, dass „Methoden [...] keine neutralen Messinstrumente [sind], die unabhängig von Theorie und Interesse der Forschenden und vom Forschungsgegenstand eingesetzt werden können“ (Dausien, in: Diezinger (Hrsg.) 1994, S. 130). Die scheinbare Rationalität wissenschaftlicher Untersuchungen bedeutet immer auch einen Eingriff in das Forschungsfeld. Dieser kann auch durch qualitative Methoden, welche die Subjektperspektive und die persönliche Erfahrung reflektieren, nicht gänzlich aufgehoben werden, da die Forschenden durch Wissen, Haltung und Moral die untersuchten Verhältnisse mitkonstituieren (vgl. Wohlrab-Sahr 1993, S. 129). Paul Mecheril weist darauf hin, dass in den deutschsprachigen sozialwissenschaftlichen Untersuchungen über das „natio-ethno-kulturell Andere“ regelmäßig die Differenz zwischen „Wir“ und „Nicht-Wir“ beibehalten wird (vgl. Castro Varela, 2007, S. 93). Dieser wissenschaftlichen Normierung, die darauf hinausläuft, den gesellschaftlichen Ist-Zustand beizubehalten, stehen Ansätze13 gegenüber, die scheinbar allgemeingültige Gesetzmäßigkeiten als zeitlich, prozesshaft und veränderbar sehen (vgl. Dausien, In: Diezinger (Hrsg.) 1994, S. 131). Diese verstehen sich als politisch und herrschaftskritisch insofern sie den gesellschaftlichen Status Quo skandalisieren. Die vorliegende Arbeit, die dem Anderen im Anderswo auf der Spur ist, bewegt sich methodisch im oben aufgezeigten Spannungsfeld. In ihrer zum Teil ethnographischen Methodenwahl versucht sie sich durch Transparenz und Markierung kritisch zu positionieren.
Die teilnehmende Beobachtung kann in dieser Untersuchung als erste wissenschaftliche Annäherung an den Untersuchungsgegenstand verstanden werden. Die Analyse des Dokumentarfilms Feiern (2006) von Maja Classen und Oskar Axelrod nutzt dessen vielschichtige Einblicke durch die Interviews mit 19 Protagonisten_innen, die sich mit einer aus dem Umfeld des Berghains stammenden Szene verbunden fühlen. Dies ermöglicht differente Positionen in einen Umfang auszuwerten, wie er im Rahmen dieser Bachelorarbeit durch selbstgeführte Interviews nicht möglich gewesen wäre. Das teilstandardisierte Interview fokussiert ergänzend und abschließend die Perspektive eines regelmäßigen Besuchers des Berghains und der Panoramabar.
Die ausgewählten Methoden dienen alle der Überprüfung des Konzepts der Heterotopie im Clubkontext und untersuchen den möglichen Konnex zu den Technologien des Selbst.
2.1 Teilnehmende Beobachtung
Die moderne sozialwissenschaftliche Methodenlehre bemüht sich um eine „kontrollierte, d.h. standardisierte teilnehmende Beobachtung verschiedener Objekte eines Feldes […] anhand eines einheitlichen Beobachtungsschemas“ (Friedrichs/Lüdtke 1971, S. 7). Eine solche Systematisierung der Methode soll eine exakte Forschung ermöglichen. Es verbleibt dabei allerdings eine subjektive Verzerrung durch den Beobachtenden aufgrund von eigenen Gefühlen, Wertungen und Projektionen. Diese Verzerrung kann in der teilnehmenden Beobachtung nicht gänzlich vermieden werden. Die Erstellungen von Paradigmen im Vorfeld der Untersuchung, mit denen sich dem Beobachtungsfeld genähert werden soll, sind daher hilfreich: Definition des Beobachtungsraums und des zeitlichen Rahmens, eine festgelegte Anzahl von Beobachtungen und die Bestimmung der eigenen Rolle im Feld (vgl. ebd.).
Die eingenommene Rolle des Beobachtenden in dieser Arbeit ist die des Besuchers und bedeutet daher im unübersichtlichen Feld des hoch frequentierten Clubs nur einen minimalen Eingriff in den Raum. Ziel der Beobachtung soll eine „sachliche Beschreibung des räumlichen Arrangements“ (ebd., S. 111) und der sich darin bewegenden Personen sein, ohne dabei deren Denken und Handeln zu interpretieren. Es geht um eine Vernüchterung, Entmystifizierung und den Versuch einer Objektivierung des Raums. Dabei werden Örtlichkeiten, die nach den Kriterien der Heterotopologie eine Bedeutung haben, jeweils einmalig zwanzig Minuten beobachtet und die Ergebnisse anschließend protokolliert. Kriterien der Beobachtung sind: Funktion der Räume, Architektur, Sounddesign, Anzahl der Nutzer_innen, deren Geschlecht14 und geschätztes Alter. Es handelt sich um eine Stichprobenbeobachtung, die nur Bruchteile des gesamten räumlichen Arrangements parallel erfassen kann. Zudem werden einige Räume bei der Beobachtung bewusst ausgelassen, da ein Eingriff in diese nicht zwingend notwendig ist und ein voyeuristisches Interesse am „exotisch Anderen“ nicht bedient werden soll15 (vgl. ebd., S. 27).
2.2. Filmanalyse
Die Filmanalyse, verstanden als Werkzeug der „Zergliederung“ (Kuchenbuch 2005, S. 23) eines Kommunikats, in diesem Falle eines Dokumentarfilms, ermöglicht eine rationale, übersichtliche und wissenschaftliche Auseinandersetzung mit einer Filmproduktion16.
Kuchenbuch beschreibt verschiedene Kriterien der Filmanalyse bei Dokumentarfilmen: Um den Gesamtansatz der Produktion zu beurteilen, soll das Zusammenspiel von dem Organisationsprinzip des Films, den eingesetzten Mitteln und der Perspektive der Filmemacher_innen analysiert werden (vgl. Kuchenbuch 2005, S. 285). Dazu ist eine Unterteilung in Thema, filmische und, falls vorhanden, schauspielerische Umsetzung notwendig. Zusätzlich ist der Diskurs des Films in die sprachliche und in die filmbildliche Auseinandersetzung zu unterteilen. Der sprachliche Diskurs meint hier die Argumentationsstruktur, während unter dem filmbildlichen alle optisch wahrnehmbaren Prozesse verstanden werden. Darunter sind Strategien der Aktionsdarstellung, der Kameraoptionen und des Schnittverfahrens zu verstehen (vgl. ebd., S. 293). Hierzu wird die Struktur des Films analysiert und außerdem dessen thematische Blöcke, ihre Reihenfolge und die Logik der Anordnung untersucht (vgl. ebd., S. 289).
2.3 Das teilstandardisierte Interview
Das teilstandardisierte Interview ist eine seit den 1980er Jahren angewandte Methode der Sozialforschung (vgl. Bernart/Krapp 1998, S. 9). Diese Methode schließt an die alltägliche, vertraute Kommunikation des Erzählens an. Nach einer anfänglichen Literaturrecherche erstellt der/die Interviewer_in einen Leitfaden für das Gespräch (vgl. ebd., S. 28). Der Katalog17 wird auf der Grundlage von offenen Fragen erstellt, die in der Gesprächssituation in der Reihenfolge vertauscht und durch spontane Fragen vertieft werden können. Die subjektive Perspektive steht so im Mittelpunkt und für den/die Interviewer_in besteht die Chance, „auch unerwartete und dadurch instruktive Informationen“ (Lamnek 2005, S. 21) zu erlangen. Dabei entstehen Ungleichheiten zwischen Forschungssubjekt und -objekt, die reflektiert werden müssen (vgl. Castro Varela 2007, S. 94). Dem/der Interviewer_in geht es um das Erlangen von Informationen, die für die Textproduktion benötigt werden und mit deren Abschluss ein Gewinn verknüpft ist. Für das erforschte Subjekt ergibt sich nicht selten „eine Verlustrechnung, denn die Energie - gemessen an Zeit, Engagement, Erfahrungen, und Wissen [...] wird selten materiell noch symbolisch entlohnt“ (ebd.).
Nach der Durchführung des Interviews wird dieses transkribiert und interpretiert (vgl. Bernart/Krapp 1998, S. 33-50). Dabei wird die Sichtweise der Interviewten schrittweise in die zugrunde gelegten Theorien eingebettet. Aus den empirischen Befunden und dem begleitenden Kontextwissen kann die Grundlage für neue Theorien entstehen (vgl. ebd., S. 22).
Das teilstandardisierte Interview wurde in dieser Untersuchung gewählt, um die Foucaultsche Theorie der Heterotopien und der Selbsttechniken auf ihre Relevanz für Menschen, die sich im Clubkontext bewegen, zu überprüfen. Dafür wurde eine männliche Person gesucht, die das Berghain in den letzten drei Jahren etwa alle zwei Monate besuchte. Diese wurde gebeten ihre subjektiven Eindrücke zu schildern. Die Person fand sich durch die persönliche Ansprache während eines Besuchs einer Musikveranstaltung und war dem Autor dieser Arbeit flüchtig bekannt.
13 Viele dieser Ansätze entstanden in den 1970er, 1980er Jahren in der feministischen Frauenforschung.
14 Da nach dem theoretischen Ansatz von Judith Butler die biologische und soziale Kategorie Geschlecht konstruiert ist, wird in dieser Arbeit auf das performativ dargestellte Geschlecht geachtet (vgl. Butler 1991).
15 Der Darkroom bleibt in dieser Arbeit im Dunkeln.
16 Am Anfang ihrer Entstehungsgeschichte ab den 1960er Jahren war die Theorie der Filmanalyse davon geprägt, die versteckte Grundhaltung der Filmemacher_innen zu hinterfragen und die gezeigte Realität stand unter dem ständigen Verdacht konstruiert, ideologisch verbogen oder/und von der Perspektive der Filmemacher_innen...