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E-Book

Hier ist Hoeneß!

AutorPatrick Strasser
Verlagriva Verlag
Erscheinungsjahr2009
Seitenanzahl304 Seiten
ISBN9783864130526
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis15,99 EUR
Wenn Uli Hoeneß anruft, meldet er sich mit 'Hallo! Hier ist Hoeneß!'. Das hat sich seit 1979 nicht verändert. So lange schon lenkt er die Geschicke des FC Bayern München, den er in der finanziellen Krise übernahm und bis heute zu größtem Ruhm und Erfolg führte. Uli Hoeneß war und ist der FC Bayern, er ist sein Anwalt und sein erster Fan. Nach 30 Jahren legt er sein Manageramt nieder, um dem Verein künftig als Präsident und Aufsichtsratsvorsitzender zur Seite zu stehen. Zur Ruhe setzen wird er sich nicht. Denn Uli Hoeneß bleibt immer: Uli Hoeneß. Anhand vieler Interviews und Gespräche zeichnet der Sportjournalist Patrick Strasser, der Hoeneß seit Jahren kennt und begleitet, den Lebensweg des Rekordmanagers aus nächster Nähe nach. Er zeigt den willensstarken Geschäftsmann, aber auch den warmherzigen Privatmenschen, der Tag und Nacht für seine Spieler da ist.

Patrick Strasser ist 1975 in München geboren - im Klinikum Harlaching, nur einen Steinwurf von der Säbener Straße entfernt, wo der FC Bayern heute seinen Sitz hat. Seit 1983 verfolgt er die Spiele der Bayern im Stadion; beim ersten Mal traf Sören Lerby zum 1:0 gegen Dortmund in den Winkel - und in sein Herz. Einst Kurve, nun Pressetribüne: Seit 1998 arbeitet Strasser als Redakteur bei der Münchner Abendzeitung. Nicht immer war er einer Meinung mit Manager Uli Hoeneß, den er seit Jahren kennt und begleitet - doch Auseinandersetzung belebt das Geschäft.

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Leseprobe

2. Weltmeister und Depp der Nation


Denkt man an Uli Hoeneß und seine Zeit als Spieler zurück, hat man drei Bilder im Kopf. Gut, das ist wenig schmeichelhaft, weil zwei der Bilder negativ besetzt sind. Und der bei vielen in Erinnerung gebliebene Uli-Hoeneß-spielt-Fußball-Moment ist im Grunde der, als ein Ball weit über eine Querlatte hinwegsauste.

Belgrad 1976, der 20. Juni, das Stadion Roter Stern. Das Finale um die Europameisterschaft der deutschen Nationalmannschaft gegen die Tschechoslowakei ging mit unangemessenen Rahmenbedingungen über die Bühne. Ein schlecht ausgeleuchtetes Stadion und nur mäßig gefüllte Tribünen, da der Gastgeber Jugoslawien im Halbfinale gegen Deutschland ausgeschieden war. Die Tschechoslowaken führten bald 2 : 0, doch wie so oft glich die DFB-Elf noch aus, wie so oft erst kurz vor Schluss, Hölzenbein traf in der 90. Minute zum 2 : 2. Es gab Verlängerung, 30 Minuten ohne besondere Vorkommnisse, Ende. Normalerweise würde wie bis dahin üblich ein Wiederholungsspiel an selber Stelle zwei Tage danach ausgetragen werden. Doch von wegen. Der DFB hatte aus Fürsorgepflicht seinen Spielern gegenüber per Antrag durchgedrückt, dass es im Falle eines Unentschiedens erstmals bei einer EM oder WM ein Elfmeterschießen und kein kräftezehrendes Wiederholungsspiel geben sollte. Die Einigung war erst am Vorabend zustande gekommen. Die Spieler sollten nach einer langen Saison früher in den Urlaub gehen können.

Und so wurde Hoeneß wieder einmal zu einem Pionier. Er wollte ja immer schon in allen möglichen Dingen der Erste sein, und seit jener Juninacht 1976 war er der erste Depp der Nation, der erste Profispieler, der bei einem Elfmeterschießen eines großen Turniers versagte. Und das nicht irgendwie läppisch per Flachschuss in die Arme des Torhüters, nein, er ballerte die Kugel so richtig herzhaft über das Tor in den Nachthimmel von Belgrad. All die sieben Schützen vor ihm hatten souverän getroffen, nur Hoeneß nicht. »Das werde ich nie vergessen, diese Momente habe ich immer noch vor mir. Ich war körperlich völlig am Ende und dann nach dem Schuss völlig apathisch, alles um mich herum rückte in weite Ferne«, erinnert er sich später. Der Weg vom Elfmeterpunkt zurück zur Mittellinie wird zu einem Marathon der Selbstvorwürfe. Als er bei den Kollegen ankommt, tröstet ihn Franz Beckenbauer und streichelt ihm übers Haar. Gleichzeitig lupft der nächste Schütze, der Tschechoslowake Antonín Panenka, die Kugel ganz zart und zugleich rotzfrech am gefoppten Sepp Maier vorbei mitten ins Tor. So, als wolle er zeigen: Herr Hoeneß, es geht auch mit Gefühl. 7 : 5, Ende.

Die Deutschen konnten also ihren EM-Titel nicht verteidigen. Und das alles wegen zwei Tagen früher Urlaub. Hoeneß hatte etwas getan, das in Erinnerung bleiben sollte, und musste dafür in all den Jahren danach mit einer Menge Spott leben. »Ulis Ball suchen sie in Belgrad wohl heute noch«, ist einer von Beckenbauers Lieblingswitzen. In einem ehrlichen Moment aber gestand er Hoeneß gegenüber: »Ich bin ja sogar froh, dass du den Ball verschossen hast, weil ich nach dir drangekommen wäre.« Viele Jahre später konnte auch der Versager von 1976 über die Schmach lachen, er konterte bei einem Uefa-Cup-Spiel des FC Bayern vor Ort in Belgrad im Herbst 2007: »Den Ball hat man kürzlich bei den Aufräumarbeiten nach dem Balkankrieg wiedergefunden.«

1974 hatte Uli Hoeneß nicht für den Schlusspunkt, sondern auch für die unglückliche Ouvertüre eines bedeutenden Spiels gesorgt, indem er einen Elfmeter verursachte. »Die schrecklichste Nacht meines Lebens«, wie er sagt, musste er vor dem WM-Finale am 7. Juli 1974 im Münchner Olympiastadion gegen die Niederlande durchmachen. Ausgerechnet vor dem wohl größten Spiel seines Lebens litt er an einem fiebrigen Infekt – 39 Grad Fieber, Schüttelfrost und Schweißausbrüche. In seinem Hotelzimmer wechselte er mehrmals den Schlafanzug und wendete die Matratze. Trainer Helmut Schön sagte Hoeneß nichts, aus Angst, nicht dabei sein zu dürfen. Er schwindelte sich also ins Finale, und sein Plan ging auf. Hoeneß durfte spielen, die Ärzte merkten nichts. Das bisschen Fieber hätte ja auch Lampenfieber sein können.

Das Unglück kommt in Gestalt des niederländischen Kapitäns Johann Cruyff auf Uli Hoeneß zu, schon zwei Minuten nach dem Anpfiff. Unaufhaltsam führt der Oranje-Spielmacher den Ball von der Mittellinie wie einen Hund an der Leine bis in den Strafraum der Deutschen, er wird dabei von Berti Vogts verfolgt, als wäre er Cruyffs Leibwächter. Im Strafraum angekommen, übernimmt dann Hoeneß und foult den Eindringling – Elfmeter. Die Deutschen hatten den Ball noch nicht wirklich berührt und lagen schon 0 : 1 hinten, Schuld hatte Hoeneß. Doch sein Kumpel Breitner und später Gerd Müller schafften die Wende und erlösten ihn – 2 : 1. Der Weltmeistertitel 1974. Für Hoeneß der größte Erfolg seiner Karriere als Nationalspieler.

Wenige Wochen zuvor – und das ist der dritte, jedoch freudigste Moment in seiner Zeit als Spieler – hatte er den für ihn wichtigsten Titel als Bayern-Profi erreicht. Den wertvollsten jener drei Serientriumphe im Europapokal der Landesmeister ab 1974, weil es der erste war und weil Hoeneß den größten Beitrag geliefert hatte. Im Finale in Brüssel gegen Atletico Madrid zeigte er der Welt, was Schnelligkeit und Coolness bedeuten. Mit dieser Mischung erzielte er das 1 : 0. Einen Pass von Breitner aus der eigenen Hälfte nimmt Hoeneß auf, sprintet auf den Atletico-Torwart zu und schiebt dem Spanier den Ball elegant durch die Beine. Zwischendrin trifft – natürlich – Gerd Müller zweimal. Die Krönung ist jedoch das 4 : 0, wohl das schönste Tor in Hoeneß’ gesamter Karriere. Nach einem Fehler der Spanier erhält Hoeneß an der Mittellinie den Ball und startet ein Solo, begleitet von ARD-Kommentator Oskar Klose, der seine sonst stets vornehme Zurückhaltung in diesem Moment völlig vergisst: »Hoeneß – ein Mann noch, einer ist bei ihm. An dem muss er noch vorüber, der Zweite kommt. Jetzt legen sie ihn um. Nein, er macht sie alle fertig.« So war es.

Und das holt sich Hoeneß immer wieder in Erinnerung. Es ist das einzige Spiel, das er sich alle paar Jahre einmal auf Video anschaut und dabei »heute noch Gänsehaut bekommt«. Es ist der bedeutendste Moment während seiner Bayern-Zeit als Aktiver. »Als ich damals in der Kabine saß, habe ich mir gedacht: Wenn man das Leben anhalten könnte und Glück spüren – da hatte ich es.«

Das Glück von Brüssel im Mai 1974, das süß-saure Erlebnis WM-Finale im Juli desselben Jahres in München, zwei Jahre später der Moment der Wahrheit beim Elfmeterschießen in Belgrad. Es sind bis heute diese drei Momente, welche die aktive Fußballerkarriere von Uli Hoeneß nachhaltig geprägt haben.

Wegen jenes Treffers gegen Atletico Madrid und vieler anderer gleicher Bauart wurde Hoeneß in den 1970er-Jahren der Titel »Jungsiegfried« verliehen, die blonden, kaum zu bändigenden Locken und die hohe Stirn waren sein Markenzeichen. Sepp Maier freut sich heute noch über die Sorge, die ihn als Torwart damals umtrieb: »Wenn er da rechts außen mit seiner roten Birne über den Platz gehetzt ist, dachte ich oft: Jetzt platzt er gleich.« Zur WM 1974 widmete die Deutsche Post Uli Hoeneß eine Sonderbriefmarke aus der Serie »Fußballweltmeisterschaft« im Wert von 40 Pfennig, eine Ehre, die sonst nur bereits Verstorbenen zuteilwurde. Darauf zu sehen war Hoeneß im Duell mit zwei Gegenspielern, allerdings wie bei einem Cartoon leicht verfremdet.

Zu jener Zeit war er der schnellste lebende Stürmer Europas. An guten Tagen konnte er die 100 Meter in elf Sekunden laufen, was theoretisch beinahe für die Qualifikation zu den Olympischen Spielen gereicht hätte. Tatsächlich trat er sogar einmal bei Olympia an, 1972 in München, nicht als Profi, sondern als Amateurspieler. Das hatte er zwei Jahre zuvor bei Vertragsabschluss mit Bayerns damaligem Manager Robert Schwan so vereinbart. Mit Hoeneß in der deutschen Mannschaft war Ottmar Hitzfeld, den er 26 Jahre später als Trainer engagieren wird. Eine Medaille gab es allerdings nicht für Uli, den Olympioniken, trotz des Heimvorteils. Nach einem 2 : 3 gegen die DDR schied die vom späteren Bundestrainer Jupp Derwall betreute Elf in der Zwischenrunde aus.

Zwei Monate zuvor hatte Hoeneß den Europameistertitel gewonnen. Überhaupt war seine Karriere geprägt durch eine komprimierte Titelsammlung, der Mann war zur richtigen Zeit am richtigen Fleck. Europameister und Weltmeister mit der Nationalelf, dreimal mit dem FC Bayern in der besten Mannschaft Europas, Weltpokalsieger und Deutscher Meister sowieso. Fast als hätte er es geahnt, dass alles ganz schnell gehen musste. Schließlich hatte er nur wenig Zeit, denn mit 27 Jahren musste er seine Spielerkarriere beenden. Zuvor aber war er es, der die Arrivierten, die Altstars um Beckenbauer, Maier und Müller, die schon seit Mitte der 60er-Jahre zusammenspielten, als Jungspund kräftig aufmischte.

1970 war er gemeinsam mit Paul Breitner und Rainer Zobel zum FC Bayern gekommen. Und Hoeneß, der Neuling aus Ulm, entwickelte sich zu einem aufmüpfigen Zeitgenossen, einem frechen Burschen, der die bestehenden Hierarchien und anwesenden Autoritäten zwar respektierte, sich aber dennoch viel herausnahm. Bis es Franz Beckenbauer, dem Kapitän, einmal zu viel wurde und er Hoeneß öffentlich heruntermachte: »Bayern ist auch ohne ihn Europapokalsieger geworden.« So wurden damals zu renitente Jungprofis zurechtgestutzt.

Auch Sepp...

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