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Hilfe, unser Essen wird normiert!

Wie uns EU-Bürokraten und Industrie vorschreiben, was wir anbauen und essen sollen

AutorClemens G. Arvay
VerlagRedline Verlag
Erscheinungsjahr2014
Seitenanzahl240 Seiten
ISBN9783864146213
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis15,99 EUR
Schon jetzt gelangt Obst und Gemüse, welches nicht der industriellen Norm entspricht, gar nicht erst in den Handel oder wird sogar vernichtet. Modernes Designersaatgut, das unter Laborbedingungen erzeugt wird, ist bereits zum alarmierenden Normalfall in der Lebensmittelproduktion geworden - meist ohne das Wissen der Endkunden. Und ein weiterer Skandal bahnt sich nun an: Konzern-Lobbys würden am liebsten auch allen Kleinbauern nur noch teuer registriertes Saatgut erlauben. Der Verlust vieler Sorten und negative Folgen für die Nahrungssicherheit und -vielfalt wären das unweigerliche Ergebnis dieser angestrebten Monokultur in den Gemüsebeeten. Der renommierte Agrarbiologe und Kritiker der Lebensmittelindustrie Clemens G. Arvay deckt diesen Wahnsinn mit Methode auf. Er zeigt, wer hier seine Interessen durchsetzen will und erklärt Verbrauchern, wie sie sich gegen die Saatgut-Diktatur wehren können. »Wir verlieren nach und nach unser Menschenerbe: die Vielfalt unserer Samen! Wieso das so ist, erläutert Clemens Arvay in diesem Buch. Er erzählt spannend und verständlich von der historischen Entwicklung der Kulturpflanzen bis in die Gegenwart, in der Saatgutkonzerne mehr oder weniger bestimmen, was auf unseren Tellern landet.« aus dem Vorwort von Sarah Wiener

Clemens G. Arvay, Dipl. Ing., studierte Biologie und angewandte Pflanzenwissenschaften in Wien und Graz. Als Agrarbiologe und Sachbuchautor beschäftigt er sich mit nachhaltigen und sozial verträglichen Formen des Landbaus und der Lebensmittelproduktion. Darüber hinaus unterrichtete er ökologische Landwirtschaft an der Fachhochschule Joanneum in Graz. Mit seinen Reportagen und Büchern hat sich Arvay einen Namen als einer der gegenwärtig besten investigativen Journalisten im Agrarbereich gemacht.

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Leseprobe

3. Die Gegenwart – Konzerne machen Profite


»Die Kinder werden nicht mehr wissen, wie eine Tomate geschmeckt hat, oder ein Apfel. Alles wird anders schmecken.«

Karl Otrok, ehemaliger Produktionsdirektor
beim Saatgutkonzern Pioneer
6

Pflanzendesign für das große Kassenklingeln


Eine Hybride ist eine agrarisch genutzte Pflanze, die für nur eine einzige Saison wirtschaftlich außerordentlich günstige Eigenschaften aufweist. Solche Züchtungen sind biologisch degeneriert und können sich nicht mehr genetisch stabil fortpflanzen. Am Ende der Saison sind die Samen, die in ihnen heranreifen, unbrauchbar. Um verständlich zu machen, weshalb dies so ist, beleuchte ich den Entstehungsprozess von Hybridpflanzen etwas näher.

Inzuchtkreuzung – wie Hybriden gemacht werden


Zur Herstellung von Hybridsaatgut sind Laborbedingungen, das heißt streng kontrollierte Bedingungen, erforderlich. Unkontrollierte Bestäubung muss verhindert werden. Am Beginn der Herstellung steht eine Pflanzenpopulation einer bestimmten Ausgangssorte. In der Regel handelt es sich um fremdbefruchtete Pflanzen, die also für die natürliche und vitale Fortpflanzung einen Sexualpartner benötigen. Der männliche Pollen einer anderen Pflanze muss auf die weibliche Narbe gelangen. Das wird aber unterbunden, und die einzelnen Pflanzen werden künstlich durch sich selbst befruchtet. Dieser Inzuchtprozess erfolgt über Jahre und somit über mehrere Pflanzengenerationen, bis Inzuchtlinien mit besonderen Eigenschaften entstanden sind. Alle diese Inzuchtlinien erleiden die sogenannte Inzuchtdepression. Das heißt, sie sind biologisch sowie genetisch stark degeneriert und auch wenig ertragreich.

Nun kommt eine andere Ausgangssorte ins Spiel. Aus ihr entstehen ebenfalls auf die soeben beschriebene Weise, also durch mehrjährige künstliche Selbstbefruchtung, degenerierte Inzuchtlinien.

Im nächsten Arbeitsschritt werden ausgewählte Inzuchtpflanzen der beiden Ausgangspopulationen untereinander gekreuzt. Das Ergebnis ist die Einfachhybride.

In den meisten Fällen ist die Produktion von Hybridsaatgut damit noch nicht abgeschlossen. Die Einfachhybriden werden durch die Zuchtkonzerne mit anderen Einfachhybriden gekreuzt, die denselben Entwicklungsweg hinter sich haben. Auch sie sind also durch Kreuzung von Inzuchtpflanzen entstanden, die wiederum durch künstliche Selbstbefruchtung gewonnen wurden. Das Ergebnis ist eine sogenannte Doppelhybride.

Der Großteil des Hybridsaatgutes entsteht nach dem soeben beschriebenen Schema. Heute werden neben Einfachhybriden und Doppelhybriden auch sogenannte Dreiweghybriden produziert. Für das Verständnis der folgenden Kapitel ist aber nur relevant, dass die Hybridzucht jedenfalls nach dem Prinzip der Inzuchtkreuzung funktioniert: Durch künstliche Selbstbefruchtung entstehen genetisch verarmte Inzuchtlinien, die dann wiederum mit anderen, auf demselben Wege entstandenen Pflanzen gekreuzt werden.

Leistungsexplosion durch den Heterosis-Effekt


Charles Darwin, Naturforscher und Pionier der Evolutionsbiologie im 19. Jahrhundert, sagte: »Die erste und bedeutendste Folgerung ist die, dass Befruchtung durch Kreuzung meist wohltätig und Selbstbefruchtung schädlich ist.«7 Warum aber sind Pflanzentypen, die auf solche Art entstehen, aus Sicht der Wirtschaft dennoch so interessant?

Dies liegt an einem Phänomen, das Biologen als »Heterosis-Effekt« bezeichnen. Die Degeneration, die durch die jahrelange Inzucht eintritt, ist von zentraler Bedeutung für das Erfolgsrezept der Hybridzüchtungen. Durch die Inzucht wird das Erbmaterial der Pflanzen mit der Zeit homozygot. Das bedeutet, dass für jedes Merkmal zwei völlig identische genetische Anlagen vorliegen, und nicht, wie unter natürlichen Bedingungen, jeweils zwei unterschiedliche Anlagen von zwei Elternpflanzen. Umgangssprachlich könnte man sagen, die Pflanze sei genetisch »monoton« oder verarmt.

Dann erfolgt die bereits beschriebene Kreuzung mit der anderen Inzuchtlinie, die ebenfalls genetisch verarmt ist, sich aber von der ersten unterscheidet – so stark, dass diese Kreuzung abermals nur unter kontrollierten Laborbedingungen möglich ist. Und dann macht es »Wumm!«. Die Gene aus den genetisch verarmten Elternpflanzen rekombinieren sich neu, und der bereits erwähnte Heterosis-Effekt tritt ein. Und das sieht dann so aus:

Die Nachkommen wachsen beträchtlich stärker als die Ausgangspflanzen. Sie bilden mehr Masse oder mehr Früchte, dickere Wurzeln oder Blätter. Tomatenpflanzen bilden große, schwere Früchte in hoher Zahl. Die Kolbengröße und das Kolbengewicht beim Mais explodieren regelrecht. »Explosion« ist hierfür durchaus der passende Begriff, und im Fachjargon der Biologie spricht man tatsächlich von einer »Leistungsexplosion«. Nach der Hybridisierung kommt es meist zu einer berauschenden quantitativen Leistungssteigerung im Vergleich zu »echten« Sorten. Dies aber hat einen hohen Preis, denn die Steigerung ist nicht nachhaltig. Sie tritt nur in der ersten Generation nach der Hybridisierung auf. Man spricht nach Gregor Mendel auch von der ersten Filialgeneration oder F1-Generation. Deswegen werden Hybriden auch als »F1-Hybriden« oder »F1-Pflanzen« bezeichnet.

Das Saatgut wird dann unbrauchbar


Entnimmt man der Frucht einer Hybridpflanze Samen und bringt diese zum Keimen, wird die biologische Degeneration dieser Züchtung erst sichtbar. Manche der Samen keimen gar nicht, andere entwickeln sich schlecht oder stellen ihr Wachstum nach der Keimung ein. In jedem Fall rasseln Leistung und Ertrag in den Keller. Die Pflanzen bilden gar keine oder sie bilden unbrauchbare Früchte. In vielen Fällen werden sie extrem anfällig für Krankheiten oder ertragen Wind und Regen nicht mehr. Diese massive Verarmung in der nächsten Generation – man spricht von der zweiten Filialgeneration oder F2-Generation – ist eine biologische Konsequenz der vorangegangenen Inzucht. In der F2-Generation spaltet sich aber vor allem das genetische Material wieder auf und man erhält völlig inhomogene Pflanzentypen. Die verarmten Gene der Inzuchteltern kommen zum Vorschein.

Samen, die den Früchten einer Hybridpflanze entnommen wurden, sind für Landwirte und sogar für Hobbygärtner unbrauchbar. Man könnte auch sagen, Hybridsaatgut enthält eine Art »Selbstzerstörungsmechanismus«. Dies dürfte den Saatgutkonzernen vermutlich nicht ungelegen kommen, führt doch die »Selbstzerstörung« des Saatgutes automatisch auch dazu, dass Landwirtinnen und Landwirte immer wieder aufs Neue zu Kunden der Saatgutindustrie werden, sofern sie sich nicht eines Tages für Sortensaatgut entscheiden. Zu diesen Alternativen werde ich später noch kommen.

Eines ist aber bereits anzumerken: Pflanzen aus Hybridtechnologie sind biologisch betrachtet eben keine Sorten. Von »Hybridsorten« zu sprechen, ist also fachlich falsch. Es handelt sich um agrarindustrielle Designerpflanzen, welche die Wünsche von Industrie und Handel erfüllen sollen. Man spricht korrekterweise von »Hybridherkünften«, nicht von »Sorten«. Denn eine Sorte wäre in der Lage, Nachkommen hervorzubringen, welche dieselben sortenspezifischen Eigenschaften aufweisen wie die Elternpflanzen. Diese Eigenschaft der – wenn man so will – »echten« Sorten wird als »Samenfestigkeit« bezeichnet.

Samenfeste Sorten stehen also den Hybriden gegenüber. Ich werde den Begriff der samenfesten Sorten in diesem Buch häufig verwenden, insbesondere in der zweiten Hälfte, wo es um Lösungen und Auswege für die Zukunft unserer Kulturpflanzen gehen wird.

Turbosaatgut ist doppelt so teuer


Der weltbekannte und bereits verstorbene Pflanzenzüchter Proffessor Tadeusz Wolski aus Polen sagte einmal: »Die Hybridzucht ist ein Weg für reiche Kapitalisten, ihr Geld hinauszuwerfen.«8 Tatsächlich ist die Herstellung von Hybridsaatgut ein enorm aufwendiger, teurer Prozess, der nur unter hohem technologischem Aufwand und mit großem Budget realisiert werden kann. Aus diesem Grund kostet Hybridsaatgut meistens doppelt so viel wie das Saatgut samenfester Sorten. Das Geschäft mit der teuren Turbosaat ist aber dennoch lukrativ und die Verlockung für Landwirte, diese einzusetzen, entsprechend groß. Immerhin warten so richtig fette Erträge, und auch die Ansprüche des Handels, beispielsweise auf Normierung und Hochglanzoptik bei Gemüse, sind anders nicht mehr zu erfüllen.

Aus Sicht der Saatgutkonzerne bietet das Geschäft mit dem Designersaatgut neben kassenfüllenden Einnahmen noch andere Vorteile. Denn der Schlüssel zum jeweiligen Züchtungsergebnis ist nur den Konzernen selbst bekannt. Es ist und bleibt ein wohlgehütetes Geheimnis, aus welchen Ausgangspopulationen die Hybriden, die dann klingende Namen wie Agressor, Space Star, Speedy oder Super Crop tragen, hervorgehen. Auch der komplexe Prozess bis zum fertigen Produkt unterliegt strenger Geheimhaltung. Aus jeder Ausgangspopulation werden mehrere Inzuchtlinien gewonnen. Nur der jeweilige Hersteller kennt das Rezept und weiß, welche der Inzuchtlinien mit welcher anderen gekreuzt werden muss, um ein Endergebnis mit den gewünschten Eigenschaften zu erhalten. Und nur ebendieser Hersteller verfügt über die nötigen Elternlinien. Wer die Turbosorten anbauen will, muss sich daher erst in die Abhängigkeit von der Saatgutindustrie begeben.

In seinem Lehrbuch »Pflanzenzüchtung« merkt der...

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