Kapitel 1
Die neue Wissenschaft vom Wasser:
Wie der Wasserhaushalt des Körpers
unsere Gesundheit beeinflusst
Nichts ist weicher oder biegsamer als Wasser,
und doch kann nichts ihm Widerstand leisten.
– Laozi
Ausreichend zu trinken ist ein menschliches Grundbedürfnis, und doch begehen wir nach wie vor den Fehler, seine Wichtigkeit zu unterschätzen. Der Grad der Hydrierung beeinflusst die Funktionsfähigkeit des Immunsystems, die Elastizität der Haut, das Energieniveau, die Bewegungsfähigkeit und die allgemeine Widerstandskraft des Körpers gegen Krankheiten und vorzeitiges Altern. Er bestimmt sogar darüber, wie wir uns am Morgen nach dem Aufwachen fühlen.
Da die Wissenschaft immer mehr Kenntnisse über die Wasserversorgung und -regulierung des Körpers erhält – und wie wir in diesem Buch nicht müde werden zu betonen, reicht es durchaus nicht, einfach acht Gläser Wasser pro Tag in sich hineinzuschütten –, wird auch immer deutlicher, dass die Menge des täglich aufgenommenen Wassers nur die halbe Miete ist. Wir wissen mittlerweile, dass, was getrunken wird, wann es getrunken wird und wie der Körper die Flüssigkeit anschließend in die Zellen transportiert, ganz entscheidende Faktoren für Gesundheit und Wohlbefinden sind. Deshalb wollen wir im Folgenden die Wissenschaft vom Wasser und der Hydrierung genauer unter die Lupe nehmen.
Schwer zu messen
Es gibt verschiedene Möglichkeiten zu bestimmen, aus wie viel Wasser wir bestehen, doch wurde dabei nicht bedacht, welche Untersuchungsmethoden zum Einsatz kamen, also wann und bei wem der Wasseranteil gemessen wurde. Babys beispielsweise bestehen zu 75 Prozent aus Wasser, ältere Menschen teilweise nur noch zu 55 Prozent – mit zunehmendem Alter verliert der Körper immer mehr Flüssigkeit. In unserem Inneren ist das Wasser ständig in Bewegung: Es ändert seine Form und seine Funktion, wird zu Blut, Atem oder Gelenkflüssigkeit. Um all das zu verstehen, brauchen wir eine differenziertere Art, das Wasser im Körper zu messen.
Brian Richter, ein renommierter Wasserforscher, hat diese mathematische Seite der Hydrierung in Angriff genommen. In einem 2012 veröffentlichten Post auf der Webseite des National Geographic mit dem Titel »Walking Water« (»Wandelndes Wasser«) schreibt er:
Stellen Sie sich vor, Sie schleppen 54 Kilo Wasser … mit sich herum, den ganzen Tag, jeden Tag, sieben Tage die Woche. Kein Wunder, dass ich abends immer so müde bin … Dazu noch rund zehn Kilo Haut, und heraus kommt, dass die Evolution in Millionen von Jahren im Grunde einen von Fleisch umhüllten Wasserballon auf zwei Beinen namens Mensch hervorgebracht hat … An einem normalen Tag verlieren wir durch Atem, Urin und Schweiß rund 2,25 Liter Wasser, was etwa fünf bis zehn Prozent des gesamten Wassergehalts des Körpers entspricht.
Schon bei einem Wasserverlust von ungefähr 0,75 Litern, so Richter weiter, lassen kognitive Funktionen, Aufmerksamkeit und Konzentrationsfähigkeit nach. »Beträgt der Wasserverlust etwa dreieinhalb Liter, hat der Betroffene aller Wahrscheinlichkeit nach schwere Kopfschmerzen. Bei siebeneinhalb Litern erfolgt die Einweisung ins Krankenhaus. Bei über zehn Litern kommen Sie gleich in die Pathologie.«
Um wirklich zu begreifen, wie wichtig Wasser für uns ist, werfen wir einen Blick auf die Molekularebene. Denn in der Welt der Moleküle bestehen wir nicht zu 60 Prozent aus Wasser, auch nicht zu 70 und noch nicht einmal zu 75 – in der Welt der Moleküle bestehen wir zu 99 Prozent aus Wasser. Wie das sein kann? Wenn das stimmt, wären wir dann nicht nur Wasserpfützen? Um auf die Zahl zu kommen, müssen wir alle Moleküle im Körper zählen. Und dann stellen wir fest, dass 99 von 100 Molekülen Wassermoleküle sind. Was daran liegt, dass Wasser das kleinste Molekül ist. Eine ganze Menge H2O, das da in unserem Körper herumschwimmt! Und was macht es da? Lassen Sie es uns herausfinden.
Wasser tut dem Körper gut
Wie können ein einfaches Sauerstoffatom und zwei Wasserstoffatome so viel ausrichten?
Zwischen dem Sauerstoffatom und den Wasserstoffatomen besteht ein polares Arrangement: Wasserstoff ist positiv geladen, Sauerstoff negativ. Dies ermöglicht es dem Wassermolekül, zahlreiche andere Arten von Molekülen anzuziehen, etwa Salz (NaCl). Wasser kann Salz auflösen, weil der Wasserstoff die negativ geladenen Chloridionen anzieht und der negativ geladene Sauerstoff die positiv geladenen Natriumionen. Substanzen, die sich leicht in Wasser lösen – etwa Zucker oder Salz –, nennt man hydrophil (wasserliebend), während Substanzen, die in Wasser nur schwer oder gar nicht löslich sind – beispielsweise Öl –, als hydrophob (wasserabstoßend oder -abweisend) bezeichnet werden.
Doch es ist nicht nur die chemische Zusammensetzung des Wassers, die es zu einem exzellenten Lösungsmittel macht, was zur Folge hat, dass es auf seinem Weg, ob nun im Boden oder in unserem Körper, wertvolle chemische Stoffe, Mineralien und Nährstoffe an sich binden und so beispielsweise in unsere Zellen transportieren kann. Darüber hinaus ist es auch die molekulare Konfiguration des H2O, die dazu führt, dass Wasser etwas in die Zellen hinein- und aus den Zellen heraustransportieren kann. Faktisch baut Wasser Material auf molekularer Ebene ab.
Obendrein ist das Molekül für unseren Körper so ungeheuer wichtig, weil es ihm hilft, die Homöostase in den Zellen aufrechtzuerhalten. Und dieses prekäre Gleichgewicht kann Wasser dank fünf ganz entscheidender Funktionen halten:
- Wasser fördert die Zellfunktion. Auch im Körper funktioniert Wasser wie ein Bewässerungssystem: Es transportiert Nährstoffe wie Vitamine, Mineralien und Kohlenhydrate sowie Sauerstoff in die Zellen und aus ihnen heraus – ohne Wasser hätten unsere Zellen keine Überlebenschance.
- Wasser hilft bei der Wärmeregulierung. Steigt unsere Körpertemperatur, wird Schweiß produziert, der den Körper wieder herunterkühlt.
- Wasser entsorgt Abfallstoffe. Einerseits durch das Ausscheiden von Urin und durch Schweiß, andererseits aber durchaus auch durch das Ausscheiden fester Stoffe
. - Wasser ist ein großartiges Gleit- und Schmiermittel. Es federt Stöße ab, schmiert unsere Gelenke und unser Gewebe, schützt unsere Organe – durch Wasser ruht das Gehirn im Schädel wie in einer Wiege –, hält Augen, Nase und Mund feucht und erleichtert uns so das Essen, Atmen und Weinen.
- Wasser ist entscheidend an den chemischen und stoffwechselbedingten Reaktionen des Körpers beteiligt. Wasser hilft beim biochemischen Zerlegen der Nahrung, indem es sie in Eiweiße, Fette und Kohlenhydrate aufspaltet. Im Grunde brauchen wir H2O, um die aufgenommene Nahrung in Energie umzuwandeln und das, was wir nicht benötigen, zu entsorgen.
Das Bewässerungssystem des Körpers
Ob Sie nun Wasser trinken oder Lebensmittel mit einem hohen Wassergehalt zu sich nehmen, die Flüssigkeit landet auf jeden Fall in Ihrem Magen. Anschließend wird ein Teil davon ins Blut abgegeben, das das Gewebe mit Flüssigkeit versorgt, und ein weiterer Teil wird in den Verdauungstrakt geleitet.
Allerdings ist das Blut nicht die einzige Möglichkeit, die inneren Organe und andere Bereiche mit dem Wasser zu versorgen, das sie brauchen. Spannenden und aufschlussreichen neuen Forschungen zufolge sind die Faszien – unser schwammartiges Bindegewebe, das unsere Haut unterfüttert und Organe, Muskeln, Nerven, Blutgefäße sowie Knochen umgibt – nicht nur dazu da, eben jene Organe zu umhüllen und sie in unserem Inneren miteinander zu verbinden. Sie bilden darüber hinaus ein ausgeklügeltes Bewässerungssystem, das die Flüssigkeit auf direktem Weg an die Stellen transportiert, an denen sie benötigt wird. Um den genauen Zusammenhang zwischen Hydrierung und Faszien geht es in Kapitel 3, hier nur so viel: Jedes Mal, wenn Sie einen Schluck Wasser trinken, nähren Sie damit dieses komplexe und wunderschöne Gewebe.
Hydrierung und Krankheit
Betrachten wir Wasser nicht mehr auf molekularer, sondern auf der Makroebene, so wissen wir mittlerweile, dass es einer Reihe von chronischen Erkrankungen und Beschwerden entgegenwirkt. Und zwar in einem Ausmaß, dass wir und viele andere Experten sogar behaupten, dass Wasser der quantitativ wichtigste Nährstoff hinsichtlich der Ursache chronischer Erkrankungen ist. Es spielt bei einer Vielzahl gesundheitlicher Aspekte, die mit zunehmendem Alter alle Menschen früher oder später betreffen, definitiv eine Rolle.
Herz-Kreislauf-Erkrankungen wie koronare Herzkrankheit, Schlaganfall und Bluthochdruck
Hätten Sie gedacht, dass selbst eine ganz leichte Dehydrierung – ein, sagen wir, lediglich zweiprozentiger Rückgang des Hydrierungsniveaus – die gleiche Wirkung auf die Blutgefäße hat wie das Rauchen einer Zigarette? Wahrscheinlich nicht, und doch stimmt das. Eine jüngere Studie der University of Arkansas ergab, dass bei nicht optimal hydrierten jungen Männern umgehend die Fähigkeit des Endothels, der innersten Wandschicht von Lymph- und Blutgefäßen, nachließ, sich zu verengen und zu weiten – beide Funktionen sind für einen gesunden Blutfluss unerlässlich.1 Und wenn das schon...