Folgende Primärsymptome kennzeichnen das aufmerksamkeitsgestörte- und hyperaktive Kind:
Aufmerksamkeits- und Konzentrationsunbeständigkeit
Impulsivität
Hyperaktivität
(vgl. Döpfner, Frölich, Lehmkuhl, 2000: 1)
Hyperaktive Kinder fallen auf, obwohl sie gar nicht auffallen wollen. Sie stoßen in ihrer Umwelt auf viel Unverständnis, da sie ruhe- und rastlos sind. Sie besitzen kaum Ausdauer, um begonnene Aktivitäten zu beenden und gelten als unausgeglichen und impulsiv.
Eichlseder skizziert das Erscheinungsbild des ADHS-Kindes als ein Drama: es ist unglücklich, da es in seiner Umwelt auf kein Verständnis trifft. Auf diese Weise geht es mit ihm bergab, sowohl privat als auch schulisch. Es wird stark in seinem Selbstwertgefühl beeinträchtigt und leidet unter einer ausgeprägten Mutlosigkeit. Nicht selten wird aus einer asozialen Haltung eine antisoziale und das betroffene Kind entwickelt Persönlichkeitsneurosen (vgl. Eichlseder, 1991: 8f).
ADHS-Kinder fallen am ehesten in der Grundschule im Alter von 6 bis 14 Jahren auf. Hier wird erstmalig die Kollision mit der Umwelt genauer ersichtlich. Konnte das temperamentvolle Verhalten des Kindes im Kindergarten noch einigermaßen akzeptiert werden, so muss es sich in der Schule an Regeln und Abmachungen halten, was ihm sichtlich schwer fällt.
Die mangelnde Aufmerksamkeits- und Konzentrationsbeständigkeit kennzeichnet die ADHS-Kinder besonders. „Sie bemühen sich, aufmerksam zu sein und die ihnen gestellten Aufgaben zu bewältigen. Aber es gelingt ihnen beim besten Willen nicht.“ (Eichlseder, 1991: 14). Dieses Bemühen wird von ADHS thematisch unerfahrenen Menschen, seien es Lehrer, Eltern oder Klassenkameraden, nicht wahrgenommen. Sie sehen nur, dass die gestellte Aufgabe nicht oder nur minderwertig erledigt wurde und das Kind sich anscheinend keine Mühe gegeben hat. Auf diese Weise wirken ADHS-Kinder faul und lustlos. Dieses Verhalten wird z.B. bei den täglichen Hausaufgaben erkennbar. Es vergeht viel Zeit, bis sich das Kind letztendlich an seine Aufgaben heransetzt. Nicht selten hat es sogar vergessen, welche Aufgaben es zu Hause bearbeiten soll, weil es in der Schule nicht in der Lage war, die Aufgabenstellung aufzunehmen. Selbst wenn es sich an seine Aufgaben erinnert, lässt es sich schnell von anderen Reizen ablenken. Dieses ist ein typisches Merkmal, auf das noch näher bei den Ursachen eingegangen wird (s. Kap 4.2). Unter großem Druck versucht das Kind die Aufgaben zu lösen, doch dabei häufen sich die Fehler und das Schreiben wird anstrengend. Es hat somit einen großen Hang zur Nichtbeachtung von Details und Flüchtigkeitsfehlern. In der Schule wird das u.a. dadurch deutlich, dass das Kind z.B. bei den ersten beiden Rechenaufgaben eine Additionsvorgabe erkennt, bei den folgenden Aufgaben, bei denen allerdings die Subtraktion im Mittelpunkt steht, ebenfalls addiert, weil es die Details der Aufgabe nicht beachtet hat. Zudem erfolgt vielfach ein unvollständiges Bearbeiten der Vorgaben.
Ein weiteres Kennzeichen für die schwache Aufmerksamkeitsspanne ist das planlose Vorgehen der Kinder. Sie verlieren sehr oft ihre Arbeitsmaterialien und bearbeiten die gestellten Aufgaben in einem großen Durcheinander. Humm erwähnt in einem Fallbeispiel den Viertklässler Michi, der ein „organisatorischer Chaot“ (Humm, 1998: 52) sei. Nichts kann er erfolgreich zu Ende bringen, seien es Bastelarbeiten oder Hausaufgaben (vgl. Humm, 1998: 52). Es wird deutlich, dass ADHS-Kinder planlos ihre Tätigkeiten wechseln.
Zusammenfassend kann man sagen, dass ADHS-Kinder in ihrer Aufmerksamkeit unbeständig sind und aufgrund dessen kaum eine angefangene Sache zu Ende bringen können.
Impulsivität ist eine weitere typische Erscheinung für Kinder mit ADHS. Eichlseder definiert sie folgendermaßen: „Impulsiv handelt jemand, der auf den ersten Anstoß, auf den ersten Impuls hin etwas tut, ohne vorher zu überlegen“ (Eichlseder, 1991: 16).
Diese Impulsivität beherrscht die hyperaktiven Kinder. Sie können ihr Handeln nicht konkret steuern, sind den Impulsen, die die Umwelt liefert, gänzlich ausgesetzt. Die Impulse „platzen überall dazwischen“ und stören somit das betroffene Kind und seine Mitmenschen. Aufgrund dessen macht sich das ADHS-Kind ungewollt unbeliebt. Es wird ausgelacht und verspottet bis hin zur Verstoßung. Es wird von seinen Kameraden isoliert. In der Schule äußert sich die Impulsivität darin, dass das Kind seine Antworten ungefragt in die Klasse ruft, seine Hand immer sofort auf die Frage der Lehrkraft erhebt. Aufgrund mangelhaften Überlegens sind die Antworten meistens falsch. Eines jedoch erreicht das Kind: es erhält Aufmerksamkeit, wenn auch keine wohlwollende und welche das Kind selber nicht adäquat deuten kann. Es versteht nicht, warum es in eine Isolation gedrängt wird.
Der soziale Lernprozess enthält beim ADHS-Kind große Schwächen. Es kann Spielregeln nur schwer akzeptieren und je größer die Gruppe ist, umso schwerer fällt es ihm, sich in sie einzuordnen. Zu Hause in der Familie setzen sich die Probleme fort. Die Geschwister sind genervt von der ständigen Unruhe ihres Bruders oder der Schwester, selbst hier gerät das Kind zunehmend in die Isolation.
Die Impulsivität lenkt also die hyperaktiven Kinder und erschwert ihnen das Leben in einer Gemeinschaft.
Die extreme Hyperaktivität stellt das dritte Primärsymptom dar. Es kennzeichnet sich aus durch Zappeligkeit und Nicht-Sitzenbleiben-Können, sowie häufiges Umherrennen und Klettern in unpassenden Situationen, wie z.B. in der Schule während des Unterrichts. Das ADHS-Kind hat eindeutig Probleme, sich mit einer Aktivität ruhig auseinanderzusetzen. Es handelt, als würde es „getrieben“ werden. In dem Fallbeispiel von Michi beschreibt Humm die Hyperaktivität des Jungen wie folgt: „Wenn etwas „läuft“, so herrscht Betrieb; bei Michi wird dieser Betrieb aber zur Betriebsamkeit und zum Getriebensein, zur Nervosität und zur Hyperaktivität. Nicht umsonst gilt er als ein Viertklässler, der sich überall vordrängt, der nicht warten kann, der dreinschiesst und keine Grenzen spürt“ (Humm, 1998: 41).
Hyperaktive Kinder reden schnell und viel, und wenn sie wütend werden, neigen sie zur Fäkalsprache, um ihren Gegenüber zu verletzen, weil sie sich selber verletzt fühlen. Neuhaus bezeichnet diese sprachliche Wut als „Sprechdurchfall“ (Neuhaus, 1999: 113).
Werden die schwache Aufmerksamkeitsspanne und die Impulsivität oft erst im Schulalter richtig deutlich, so macht sich die Hyperaktivität bereits im Säuglingsalter ansatzweise bemerkbar. Eichlseder erklärt, dass „die meisten hyperaktiven Kinder (...) schon im Kleinkindalter, im Kindergarten oder sogar schon als Säuglinge auffällig (sind)“ (Eichlseder, 1991: 41). Es hängt von der Umwelt, besonders von den Eltern ab, inwieweit sie ihr Kind als nicht normal entwickelt ansehen und dann die erforderlichen Untersuchungen einleiten. Spätestens die Erzieher im Kindergarten sollten aufgrund ihrer Erfahrung im Umgang mit Kindern eine eventuelle Störung im Verhalten bemerken.
Im Säuglingsalter fallen die Babys durch ihr ständiges Schreien auf und lassen sich nur schwer beruhigen. In einer Studie in England wurde herausgearbeitet, dass ADHS-Kinder mit einer wesentlich höheren Frequenz (650-800 Hertz/Sekunde, normal sind 400-450 Hertz/Sekunde) als „normale“ Babys schreien und bedingungslos mehr Aufmerksamkeit erzwingen wollen. Mütter haben berichtet, dass selbst der noch ungeborene Fötus sie während der Schwangerschaft hart und schmerzhaft getreten hat.
Im Vorschulalter kommt jedes Kind in eine Trotzphase, die interindividuell von unterschiedlicher Dauer ist. Hyperaktive Kinder aber scheinen ständig in dieser Phase zu sein. Im Kindergarten sind sie oft unbeliebt, da sie aus unerklärlichen Gründen plötzlich zu streiten beginnen und Bauwerke oder Bastelarbeiten der anderen Kinder beschädigen und zerstören. Die ADHS-Kinder schaffen es selten, sich ruhig und über längere Zeit hinweg mit ein und derselben Gegebenheit zu beschäftigen. Bei Bewegungsspielen kämpfen sie bis zur totalen Erschöpfung, sind danach aber nicht beruhigter, sondern vermehrt aggressiv, und beginnen sogar, andere Kinder zu beschimpfen und anzugreifen. Fällt ein Kind in diesem frühen Alter derart auf, benötigt es professionelle Hilfe, um zu lernen, sein Verhalten zu kontrollieren. Die Unruhe muss ergründet werden, bevor sich schulische Probleme anschließen (s. Kap. 5). Bereits im Kindergarten werden hyperaktive Kinder von ihren Kameraden ausgeschlossen und nicht zu...