DER ROCK ’N’ ROLL
BETRITT DIE BÜHNE
Wie ich zur
amerikanischen Musik kam
EL: Peter, der 18. November 1956 – das ist ein historisches Datum der Musikgeschichte, das in deinem Leben sicher einen ganz bedeutenden Platz einnimmt. Fast auf den Tag genau fünfzig Jahre später startet im Oktober 2006 deine Jubiläumstour „I love Rock ’n’ Roll!“ Echte Rock-’n’-Roll-Fans kennen dieses Datum als einen Meilenstein in der Geschichte des Rock ’n’ Roll in Deutschland. An diesem Tag trat der Rock ’n’ Roll durch deinen Auftritt im Kongresssaal des Deutschen Museums in München zum ersten Mal ins Bewusstsein einer breiteren deutschen Öffentlichkeit. Wenn du auf deine „Fifity Years of Rock-’n’-Roll!-Jubiläumstour gehst, ist es für uns Fans von Rock ’n’ Roll und Peter Kraus an der Zeit zu erfahren: Wie kamst du denn zum Rock ’n’ Roll? Du hast doch sicher nicht erst acht Tage vor diesem denkwürdigen Datum gesagt: „Da mache ich mit!“ und bist dann dort auf die Bühne gestürmt.
PK: Nein, ganz so kühn war ich auch wieder nicht. Dass ich mich überhaupt vor so vielen Menschen mit siebzehn Jahren auf eine Bühne getraut habe, hat eine lange Vorgeschichte. Die reicht in meine früheste Kindheit zurück. Wir lebten damals noch in Wien. Fred Kraus, mein Vater, hatte in Salzburg ein Kabarett gegründet und war damit nach Wien gegangen, um ein größeres Publikum zu erreichen. Weil er damit trotz des großen Erfolges, den er mit seinem Kabarett hatte, nicht genügend Geld verdienen konnte, suchte er sich noch drei oder vier weitere Jobs. Am Vormittag war er häufig als Sprecher im Österreichischen Rundfunk engagiert und nachts, nach den Kabarett-Vorstellungen jobbte er in der Casanova-Bar. Das war damals die bevorzugte Kneipe der GIs. Heute ist diese Wiener Bar berühmt-berüchtigt und durch ein Intermezzo von Ottfried Fischer kam sie sogar in die Schlagzeilen der Yellow Press. Zur Zeit der amerikanischen Besatzung war die Casanova-Bar ein Revuetheater. Dort sang mein Vater Songs von Frank Sinatra. Wenn mein Vater diese Sinatra-Songs zu Hause einstudierte, sang ich mit. Ja, ich war ganz begierig, bei dieser tollen Musik mitzumachen.
Außerdem hat mein Vater seinen kleinen Sohn überall vorgeführt, wo es nur ging. Wir haben sogar beim Heurigen zusammen „Wiener Lieder“ gesungen. Zum Beispiel so lustige Couplets wie „Glernt hamma nix, warn nur arrogant, denn mei Vater is a Hausherr und a Seidenfabrikant!“ oder, was immer ein Riesenhallo gab „In der Schul schon warn wir zwei ganz schlechte Buam, ham niemals a Hetz und a Gaudi verdorbn. Da Lehrer hat gsagt, mit enk zwei is’s a Kreuz. Aus zwei solche Eseln wird niemals was Gescheits! Des hat er ganz groß auf die Tafel nauf g’schriebn. Und dass er net blamiert is, so san mir’s a bliebn!“
Mit großem Erfolg sang ich als kleiner Steppke auch den Song, den mein Vater auf seiner ersten Schallplatte aufgenommen hatte:
„Hallo, hallo, wir suchen eine Frau! Eine süße kleine, nette, junge, liebe, hübsche Frau! Ich wär’ so froh, ganz toll und froh, das weiß ich ganz genau, … Schön muss sie sein, aber auch klug und reich muss sie sein. Das ist genug. Hallo, hallo, wir suchen eine Frau …
Das war natürlich der Knaller, wenn ich zusammen mit meinem Vater diesen Song vortrug, wo ich ihm gerade bis zum Hosenbund reichte. Die Leute haben getobt!
EL: Du hättest also durchaus das Zeug dazu gehabt, ein Kinderstar zu werden wie deine spätere Filmpartnerin Conny Froboess mit ihrem Ohrwurm „Pack die Badehose ein!“
Drei der „Kleinen Vier“
PK: Sicher, ich war von Kind auf daran gewöhnt auf der Bühne zu stehen, nicht nur mit meinem Vater.
Rawabzibab, Rawabzibab …
Wien, Wien, nur du allein
PK: Das ging schon in Salzburg los. Der ehemalige Nervenarzt, unvergessliche Schauspieler und Autor Dr. Gunther Philipp, mein Vater Fred Kraus und Peter Wehle hatten 1948 in Salzburg das Kabarett-Ensemble „Die Kleinen Vier“ gegründet. Gunther Philipp, den ich zu meinem „Nenn-Onkel“ erklärt hatte und wegen seiner Sportlichkeit immens bewunderte, war ein „Rund-um-die-Uhr-Blödler“. Er war ganz wild darauf, mit mir verrückte Couplets einzustudieren und auf der Bühne vorzutragen oder einfach, wenn ein paar Leute beisammen saßen. Auch Peter Wehle, das Allroundgenie, der u. a. für Marika Rökk, für Johannes Heesters, Paul Hörbiger, Eddie Constantine und Peter Alexander als Komponist tätig war und dessen satirische Rundfunksendung „Der Guglhupf“ bis heute wöchentlich im ORF gesendet wird, saß ständig am Klavier und improvisierte. Für seinen Song „Da sprach der Häuptling der Indianer“, den Gus Backus in den 50er Jahren sang, erhielt er eine Goldene Schallplatte.
Ganz besonders liebte das Publikum seine Parodie auf „Wien, Wien nur du allein!“ Er sang diesen Evergreen so wie ihn vermutlich ein schwarzer GI gesungen hätte: „Rawabzibab, Rawabzibab, uh, ziwababuu, dabadubidaba, klipklup, Donaustrom, Rawabzibab, Rawabzibab, ziwebubu, ziwebubu, dabidubidaba, dabidubidaba, Wien, Wien, Wien, nur du allein, sollst stets die Stadt meiner Träume sein! Rawabzibab, Rawabzibab! usw.“ Ich war von diesem fetzigen Rhythmus total fasziniert und sang diese „Rawabzibab-Wien-Parodie“ auch sofort nach. Als Peter Wehle mich damit zum ersten Mal hörte, schleppte er mich schnurstracks auf die Bühne. Das war natürlich irrsinnig komisch – ein Neunjähriger singt eine verjazzte Parodie auf eine der österreichischen „Nationalhymnen“. Da blieb kein Auge trocken. Die Leute kugelten sich vor lauter Lachen.
Das Fliegende Klassenzimmer
EL: Wie war das für dich, wenn du als kleiner Steppke auf der Bühne standst – war das für dich normal oder hattest du Lampenfieber?
PK: Ich fand es aufregend und war selbstverständlich sehr stolz, wenn mir Gunther Philipp oder Peter Wehle während des tosenden Beifalls auf die Schulter klopften und mir anerkennend ein Auge zuknipsten. Aber meine Freude an solchen Auftritten hörte schlagartig auf, als ich ungefähr zehn Jahre alt war. Plötzlich war es aus! Ich verkroch mich, wenn mein Vater sagte: „Komm, Peter, lass uns was singen!“ Ich genierte mich. Wenn bei uns zu Hause eine größere Gesellschaft beisammen saß und mein Vater seine Gitarre in die Hand nahm, schlich ich mich davon, weil ich schon ahnte, dass er mich wieder zum Singen animieren will.
EL: Diese Scheu musst du aber bald wieder verloren haben, oder?
PK: Ja, und es passierte etwas sehr Eigenartiges. Insgeheim ärgerte ich mich über mich selbst, dass ich mich nicht mehr auf die Bühne traute. Als mir mein Onkel erzählte, dass der berühmte Filmregisseur Kurt Hoffmann ein paar begabte Jungen für die Verfilmung von Erich Kästners Jugendroman „Das Fliegende Klassenzimmer“ sucht, war ich jedenfalls ganz versessen darauf war, in diesem Streifen mitzuspielen,
EL: Woher hatte er das erfahren? Ein „Starcasting“ gab es doch damals sicher noch nicht.
PK: Ich muss vorausschicken – mein Vater war zu der Zeit mit seinem Kabarett bereits nach München umgezogen, und hier arbeitete dieser Onkel als Vertreter für einen Filmverleih. Das war die Boomzeit des Kinos, wo es selbst im entlegensten Kaff noch ein Kino gab. Mein Onkel fuhr von Kino zu Kino, stellte Filme vor, schloss mit den Besitzern Verträge über die Laufzeiten ab und kümmerte sich darum, dass diese Kinos dann auch rechtzeitig ihre Filmkopien bekamen. Das ist ein Beruf, den es heute in Zeiten des Internets nicht mehr gibt, aber damals war er hoch aktuell.
Dieser Onkel hatte in einer Filmzeitung gelesen, dass „Das Fliegende Klassenzimmer“ verfilmt werden soll und dass dafür in einem öffentlichen Casting Jugendliche gesucht werden. Mein erster Gedanke war: „Da muss ich hin! Ich muss mir einen Ruck geben! Ich muss mich wieder trauen auf die Bühne zu gehen und vor anderen Leuten zu spielen. Ich muss mich wieder trauen mich zu präsentieren!“
Mein Leben als Star beginnt –
mit einem Rückschlag
EL: Peter, die meisten Menschen betrachten große Erfolge und Karrieren als Zufall oder als eine schicksalhafte Selbstverständlichkeit, weil das für sie selbst die Ausrede zulässt: „Der oder die haben einfach Glück gehabt!“ Wie ging das vor sich? Wie kamst du an diese tolle Filmrolle?
PK: Als mein Onkel Fritz Wimmer mir erzählte, dass junge Leute für die Verfilmung des „Fliegenden...