Kapitel 2
Das Bauchgefühl – wenn man spürt, dass sich etwas ändern muss
(Jannike)
Sie halten dieses Buch nicht grundlos in den Händen. Sie haben dieses Buch gekauft oder geschenkt bekommen, weil Sie sich beruflich verändern wollen. Oder vielleicht doch lieber nicht? Zumindest haben Sie da so ein Gefühl. Sie sind unzufrieden, irgendetwas ist nicht stimmig in Ihrem Leben. Je nachdem, wie sensibel Sie sind und wie lange Sie Ihr Bauchgefühl schon mit sich herumtragen, spüren Sie es mehr oder weniger. Manchmal verschwindet es, dann ist es auf einmal wieder da.
So erging es auch mir. Nach meiner Ausbildung als Kauffrau für Bürokommunikation, neben der ich berufsbegleitend studierte, begann ich meine berufliche Laufbahn im Personalwesen von Volkswagen als Teamassistentin. Ich wurde gefördert und erhielt interessante Aufgaben. Nach kurzer Zeit im Job meldete sich mein Bauchgefühl zum ersten Mal. Ich konnte es nicht zuordnen, aber spürte, etwas stimmte mich unzufrieden. Die nächste Gehaltsstufe und größere Herausforderungen brachten vorübergehende Genugtuung. Alle ein bis zwei Jahre wechselte ich meinen Job und übernahm anspruchsvollere Aufgaben. Ich ging ins Ausland und arbeitete eine Zeit lang für Volkswagen in Peking. Ich wollte Karriere machen. Doch jedes Mal, wenn ich mir meinen nächsten beruflichen Wunsch erfüllt hatte, kehrte mein Gefühl innerhalb kurzer Zeit wieder zurück. Ich bekam Zweifel daran, dass »Karriere zu machen« mich dauerhaft zufrieden stimmen würde.
Die Unzufriedenheit wurde zu meinem treuen Begleiter. Vielleicht war es ja gar nicht der Job, der sie auslöste, und die Ursache war in meinem Privatleben zu suchen? Ich begann Sportarten auszuprobieren, Ehrenämter auszuführen, Sprachen zu lernen, einen Garten anzulegen und mich gesund zu ernähren. Ich suchte mein Glück im Konsum und im Reisen, anschließend im Konsum- und Medienverzicht. Je mehr ich suchte, desto unzufriedener wurde ich.
Es bedurfte erst eines besonderen Auslösers, damit ich Nägel mit Köpfen machte und meinem Gefühl in die Ungewissheit folgte. Ich zweifelte mittlerweile stark an mir selbst und meiner Fähigkeit, dankbar zu sein und die Dinge in meinem Leben wertzuschätzen. Als mein Vater mir von seiner Krebsdiagnose und seiner mittelmäßigen Überlebenschance erzählte, änderte sich mein Denken. Zehn Monate zuvor war er selbst in den Ruhestand gegangen und konnte alles tun, was er immer schon einmal tun wollte. Die Freiheit währte nicht lange, denn es folgten Chemotherapie, Operationen und Krankenhausaufenthalte.
Noch immer hatte ich keine Lösung im Kopf, doch ich wusste, wenn ich jetzt nichts täte, würde ich mein Leben lang grübeln und so niemals etwas ändern.
Ich reichte bei meinem Arbeitgeber einen Antrag auf eine mehrjährige Freistellung ein, ohne zu wissen, was ich mit der gewonnenen Zeit anstellen würde. Hatte ich überhaupt schon lange genug gearbeitet, um mir eine Auszeit erlauben zu können? Auch wenn ich das Gefühl hatte, mir die Auszeit noch nicht verdient zu haben, fiel mir ein riesiger Stein vom Herzen, als ich den Freistellungsbescheid schließlich unterschrieben in den Händen hielt. Ich musste einfach raus aus meinem Leben und einen klaren Kopf bekommen. Meinem Gefühl auf den Grund gehen. Zur Not eine Weltreise machen. Oder mich für einen Masterstudiengang einschreiben. Oder als Schaffnerin arbeiten. Oder Tischlerin? Besser noch, als Journalistin! Ich war jung und hatte keine Verpflichtungen, die sich nicht auflösen ließen. Wann, wenn nicht jetzt? Ein paar Monate später startete ich in mein Projekt »30 Jobs in einem Jahr«, zu dem mich die belgische Autorin Laura van Bouchout inspirierte, deren Geschichte ich in einem Ratgeber gelesen hatte. Mit ihrer Idee, ein Jahr lang Jobs zu testen, begeisterte sie mich sofort.
Viele Menschen kennen dieses ungute Bauchgefühl, die Intuition, die einem sagt, dass etwas nicht passt, einen über die Details aber im Unklaren lässt. Was ist Intuition eigentlich? Als Intuition wird diejenige Erkenntnis bezeichnet, die nicht auf einem Denkprozess oder auf Reflexion basiert. Eine plötzliche Eingebung beruht üblicherweise auf Intuition und greift auf uns unbewusstes, aber vorhandenes Wissen zu. Nach Daniel Kahneman1 kann intuitives Denken auch zu Fehlern führen, wenn Denkfaulheit mit ins Spiel kommt. Wenn es um das eigene Leben geht und um das, was für uns richtig ist, dürfen wir Intuitives aber dennoch als Ratgeber hinzuziehen. Denn bei den uns betreffenden Entscheidungen geht es oftmals nicht um harte Fakten, sondern um Situationen und Optionen, die wir niemals gänzlich bewerten können.
Sie haben da also auch so ein Bauchgefühl, aber zum Handeln verhilft Ihnen das trotzdem nicht? Denn was ist, wenn Ihre Annahmen sich als falsch herausstellen und Sie hinterher schlechtergestellt sind als zurzeit? Wenn Sie solche Gedanken kennen, befinden Sie sich in guter Gesellschaft.
Um meine Unzufriedenheit ernst zu nehmen und mein Leben zu verändern, brauchte ich den Schock, den die lebensbedrohliche Krankheit meines Vaters mit sich brachte. Die Erkenntnis, dass es nur ein Leben gibt, das darüber hinaus auch noch endlich ist, ließ mich nach jahrelangem Grübeln endlich handeln. Während für mich die Krankheit und schließlich der Tod meines Vaters der Trigger für die Veränderung waren, war es für die Texterin Manuela ein Streit mit ihrem Chef, der das Fass nach Jahren des Frusts im Büro zum Überlaufen brachte. Und so schrie sie schließlich ihrem Chef entgegen, dass sie kündigen würde. Eine Scheidung, der Verlust eines Jobs, die Insolvenz, ein Unfall oder eine Krankheit sind weitere Trigger, die zu einer Veränderung führen können. Veränderung erfordert Mut, und der lässt sich am leichtesten aufbringen, wenn man nichts mehr zu verlieren hat. Hat man dann den ersten Schritt ins Ungewisse getan, stellt man schnell fest, dass alles doch gar nicht so schlimm ist, wie man es sich vorgestellt hatte.
Warum habe ich mich nicht schon eher getraut?, ging es mir oftmals durch den Kopf, nachdem ich mich auf meine Reise außerhalb des Volkswagen-Konzerns begeben hatte. Die Hoffnung auf eine perfekte Lösung, die das Risiko des Umsteigens geringer gemacht hätte, sowie fehlender Mut hielten mich davon ab. Der Gedanke, ich müsse mich nur ein wenig zusammenreißen und dankbarer für das sein, was ich bereits hatte, tat ein Übriges. Wie so viele andere Menschen war ich lieber Verwalter meines Lebens, als es aktiv zu gestalten.
Auch bei Emilio Galli Zugaro gab es einen auslösenden Moment, der ihn zum beruflichen Umsteigen bewog. Jeden Morgen, wenn er vom Joggen wieder nach Hause kam, spielte er ein Spiel gegen sich selbst. Er musste das Zwischengeschoss seines Wohnhauses im Sprint erreicht haben, bevor die Haustür unten ins Schloss fiel. Für den Fall, dass er es nicht schaffte, malte er sich Bestrafungen aus, die ihn im Laufe des Tages treffen würden. Als abergläubischer Neapolitaner sorgte er sich sehr, als er immer öfter noch auf den Stufen die Haustür ins Schloss fallen hörte. Emilios Blutdruck befand sich zu diesem Zeitpunkt bei 220 zu 180. Die Begegnung mit seiner zweiten Frau, die Geburt des gemeinsamen Sohnes Fabio sowie der Zugang zur Meditation taten den Rest und führten erst zu dem Wunsch und schließlich zu der Entscheidung, in ein Leben ohne Kompromisse zu wechseln.
Eine Krise sowie lebensverändernde Ereignisse helfen. Wir wünschen sie aber niemandem. Können also nur Schicksalsschläge oder Zufälle zu einem erfüllten Leben, einer erfüllten Karriere führen? Natürlich nicht. Verschiedene Schritte, die Sie im Laufe dieses Buches kennenlernen werden, helfen dabei, auch ohne Krise vom Denken ins Handeln zu kommen.
Grundsätzlich gilt: Für ein nachhaltiges Umsteigen sollten wir, wie so oft, bei uns selbst anfangen, denn – Selbsterkenntnis ist der erste Schritt zur Besserung. Reflektieren Sie, warum Sie unzufrieden sind. Sich mit negativen Gefühlen auseinanderzusetzen empfinden wir naturgemäß als unangenehm. Möchten Sie Ihr ungutes Gefühl aber loswerden, helfen Ihnen weder Frustkauf noch Gehaltserhöhung. Nicht die Symptome wollen angegangen werden, sondern die Ursache. Und nur, weil man ein Problem oder eine unangenehme Vorahnung ignoriert oder kompensiert, heißt das nicht, dass sie sich auflöst.
Während ich über Jahre an den Symptomen herumdokterte, erkannte ich die Ursache meiner Unzufriedenheit erst, als ich bereits ausgestiegen und kurz davor war, mich unbewusst wieder in das Hamsterrad zu begeben. Bevor ich ausstieg, hatte ich bereits innerhalb von Volkswagen versucht, einen anderen Kurs einzuschlagen – ohne Erfolg. Über drei Ecken bekam ich kurz vor meinem Ausstieg dann doch noch eine Einladung zu einem Vorstellungsgespräch für eine Assistentenstelle bei einem Aufsichtsrat von Volkswagen. Ich nahm die Einladung an, auch wenn der Gesprächstermin in weiter Ferne lag. So eine Chance durfte ich mir nicht entgehen lassen.
Während meines fünften Jobtests war es dann so weit, und ich durfte mich für den Job vorstellen. Mittlerweile war ich gar nicht mehr so sehr von der Option überzeugt, aber ich wollte weder meine Kontakte enttäuschen, über die das Gespräch zustande gekommen war, noch wollte ich mir diese Möglichkeit entgehen lassen. Auch meine Freunde und meine Familie hatten mir geraten, die Chance wahrzunehmen. Bevor ich in das Gespräch ging, beherzigte ich den Tipp von Sozialpsychologin Amy Cuddy,2 die empfiehlt, sich vor herausfordernden Situationen für zwei Minuten in eine sogenannte Power-Pose zu begeben, eine Pose, die Kraft ausdrückt. Diese zwei Minuten verändern die Zusammensetzung der...