WIE WÄR’S MAL MIT TSCHETSCHENIEN?
Erkenntnis: „Alles hat seine Zeit.“
Schwierige Erreichbarkeit: ***
Schwierigkeitsgrad vor Ort: **
Gefährdungsgrad: *
Bestes Hotel: Grozny City Hotel *****
Beste Anreise: Flug via Istanbul oder Moskau
mit Grozny Avia oder Rusline
Es mag vielleicht absurd klingen,
aber die positivste Überraschung auf allen meinen Erkundungen war Tschetschenien. Zweifellos hat sich diese kleine abtrünnige Kaukasus-Republik ihren schlechten Ruf über die Jahrhunderte redlich verdient. Schon die Übersetzung des Namens der Hauptstadt „Grozny“ aus dem Russischen bedeutet auf Deutsch „die Schreckliche“. So wie Iwan IV., der Schreckliche, zurückübersetzt „Ivan Grozny“ heißt. Der hatte diese unbeugsame Volksgruppe bereits im 16. Jahrhundert ins russische Imperium zwangseingegliedert. Die Tschetschenen sagen denn auch lieber Sölsch-Ghala zu ihrer Republikhauptstadt mit immerhin 300.000 Einwohnern. Grozny war nach den beiden verlorenen Unabhängigkeitskriegen 1994/1995 und 1999/2000 die zerstörteste Stadt, die man sich auf der Welt vorstellen kann, die absolute Hölle auf Erden. Im restlichen Russland ist die halbautonome Kaukasusrepublik Tschetschenien bis heute ein solches Reizthema, dass die meisten Russen grußlos aus dem Gespräch aussteigen, sobald es nur annähernd um diese spezielle Volksgruppe geht. Zu dem ohnehin schlechten Ruf beigetragen hat die früher starke tschetschenische Mafia, die nicht nur in Moskau mit brutalen Methoden die Kontrolle über ganze Wirtschaftszweige übernommen hatte oder Oligarchen den Weg zur Herrschaft ebnete und später absicherte. Darin waren allerdings auch andere Kaukasusminoritäten aus dem vormaligen Sowjetreich recht erfolgreich, wie die Georgier, Armenier und die „Tat“ genannten Bergjuden aus Aserbaidschan. Zugestehen muss man jedoch, dass die Tschetschenen in einer eigenen Liga spielen, wenn es um die Faszination von körperlicher Stärke und die Ausstrahlung von Männlichkeit und Macht geht. Das meine ich durchaus im Weltmaßstab. Wenn mir heute jemand – sagen wir mal – mit der sizilianischen oder der albanischen Mafia droht – nicht dass das so oft vorkommt –, dann muss ich eigentlich nur müde lächelnd mein Foto mit dem tschetschenischen Präsidenten Ramsan Kadyrow zeigen und man lässt mich in Ruhe, beziehungsweise man zollt mir Respekt. Einen solchen Rambo- und Macho-Kult wie in der kleinen Bergrepublik habe ich noch nirgendwo erlebt.
Nach Grozny gelangte ich erstmals aus beruflichen Gründen kombiniert mit privaten Absichten, sprich Länderpunktesammeln. Für einen Vielreisenden ist das natürlich immer die günstigste Gemengelage. Mit meinem engsten Freund und Reise-Buddy Harald aus Österreich, der mein Faible für interessante Destinationen und interessante Persönlichkeiten teilt und von dem noch öfter die Rede sein wird, unterhielt ich mich über die noch offenen Ziele im Leben. Wir hatten uns zufällig bei einem Mittagessen im Privathaus des vielleicht berühmtesten Formel-1-Rennfahrers kennengelernt, mit dem uns beide eine langjährige geschäftliche wie private Freundschaft verbindet. Sowohl Harald als auch ich sind beruflich auf der ganzen Welt unterwegs und haben spannende Kunden und Kontakte. Bei mir durch die Tätigkeit als Formel-1-Agent und internationaler Geschäftsvermittler, bei Harald als überaus erfolgreicher Produzent von Uhren, Luxus-Safes und ganzen Sicherheitsräumen. Die Liste seiner Klientel liest sich wie ein Auszug aus dem Who is Who oder aus den Forbes-Listen. Seit wir uns angefreundet haben, sausen wir in einer besonderen Seelengemeinschaft durch die Welt. Das heißt, wir haken in Hochgeschwindigkeit die Listen mit den Ländern und Regionen der Welt ab. Meistens ergibt sich das als Nebenaspekt oder auf der Rückreise von Geschäftsterminen. Beide minimieren wir unseren Ballast auf kleines Handgepäck und tragen dennoch vorzugsweise geschäftsmäßiges Sakko mit Einstecktuch, auch wenn es in den Dschungel oder in die Wüste geht. Harald ist nicht nur ein fleißiger Geschäftsmann, sondern der Typ österreichischer Brachialbursche, der sich bei einer Operation nach dem Aufwachen selbst die Katheter und Kanülen aus dem Körper zieht und gegen den Protest der Ärzte auf eigenes Risiko sofort wieder beruflich Vollgas gibt. Harald hat definitiv vor nichts Angst, empfindet keinen Schmerz, braucht praktisch keinen Schlaf und liebt es, Tage und Nächte mit dem Auto durchzufahren. Wenn er sehr konzentriert Schriftliches bearbeiten muss, fliegt er schon mal nach Los Angeles und mit demselben Flieger zurück. Der tastaturhackende, fleißige Harald ist ein Horror für jeden nicht so wachen Sitznachbarn. Ich muss zugeben, dass ich von ihm einiges lernen konnte und meinen Leistungsgrad beim Ritt auf den Längengraden deutlich hochschrauben konnte. Harald wiederum profitiert vielleicht von meinem Hang zum Genuss und dementsprechenden Kenntnissen, wo man auf der Welt schön übernachten und essen und vor allem auch mal gemütlich eine Zigarre rauchen kann. Er Cohiba, ich Romeo y Julieta. Was ihm dann doch auch immer Spaß macht, auch wenn sein ewiges Motto bleibt „Wichtig ist, dass du tüchtig bist“. Wenn der kleine Mann auf der Straße, der gegen hohe Managergehälter und reiche Unternehmer wettert, wüsste, wie unglaublich hoch die geistige Leistungsfähigkeit, der Einsatzwille und die Risikobereitschaft mancher erfolgreicher Zeitgenossen im Vergleich zum Durchschnitt ist, er müsste sich direkt von seiner abendlichen Fernsehcouch für immer wegzappen.
Es war in Turkmenistan auf der Rückreise von Afghanistan. Harald und ich debattierten, wohin man jetzt noch reisen könnte, um auf das Hochrisikogebiet Hindukusch noch einen draufsetzen. Wir einigten uns auf Tschetschenien, das damals noch als die unzugänglichste aller Gefahrenzonen galt. Und weil uns die Person des angeblich etwas durchgeknallten dortigen Präsidenten Ramsan Kadyrow interessierte. Harald fand heraus, dass sein russischer Uhrenimporteur Sergej einen Draht nach Grozny hatte und das Thema Luxus dort im Palast durchaus auf offene Ohren stößt. Als der Anruf kam: „Wir fliegen nach Grozny“, war ich erst mal sprachlos. Das war 2009 und die harte Reisewarnung des Auswärtigen Amts war definitiv noch etwas begründeter als heute. Wir flogen also vom kleinsten der drei Moskauer Flughäfen, Wnukowo, mit einer altersschwachen Jak 40 der Grozny Avia, (da steigt man noch über eine steile Hecktreppe ein), in Richtung Dunkelheit und Ungewissheit. Bei späteren Reisen gab es zum Glück auch schon mal den Privatjet des Präsidenten, ein wesentlich moderneres Modell von Suchoi.
Unser Abholer in Grozny gehörte zur Leibgarde der berüchtigten Kadyrowtsys und hatte in seinem gepanzerten schwarzen Toyota-Landcruiser ganz locker die Kalaschnikow auf dem Beifahrersitz zurechtgelegt. Schon eine kleine Bremsung hätte zu einem größeren Kugelhagel führen können. Wo normalerweise der Sicherheitsgurt eingesteckt wird, befand sich die selbstgebaute Halterung für eine Makarow-Pistole. Nach ein paar Kilometern in der Abenddämmerung Richtung Stadtzentrum fuhren wir an einer Tankstelle vorbei, wo in der Mitte ein schwerer schwarzer Mercedes 600 betankt wurde, flankiert von zwei Brabus-getunten Mercedes G-Klasse-Geländewagen, natürlich alle gepanzert, und umgeben von acht mehr als filmreifen Bodyguards, die mit unbestechlich bösen Blicken, Maschinengewehr im Anschlag, granatengefüllten Kampfwesten und der in Russland beliebten Nacht-Camouflage-Uniform die Umgebung martialisch absicherten. In jedem Hollywoodfilm hätte man die Szene als kriegerisch-kitschig und völlig überzogen zurückgewiesen. Wir dachten, o Gott, worauf haben wir uns hier nur eingelassen? In einer Hochgeschwindigkeitsfahrt, selbst im Vergleich mit Formel-1-Rennen, ging es dann weiter auf der vierspurigen Ausfallstraße in Richtung Dagestan, wobei uns jede der zahlreichen Straßenkontrollen bereits von Ferne respektvoll salutierte. Die schwarzen Fahrzeuge mit dem K wie Kadyrow im Nummernschild genießen absolute Priorität.
Das damals schon ansatzweise wiederaufgebaute, aber immer noch russland-typisch triste Stadtbild wechselte rasch in die grüne ländliche Szenerie der Terek-Flussebene. Im Hintergrund die Silhouette der nördlichen Kaukasuskette. Nach einer halben Stunde erreichten wir den Privatpalast des Präsidenten in seinem Heimatort, dem Bergdorf Hosh-Yurt, auf russischen Landkarten Zentoroi genannt. Es war inzwischen dunkel. Selbst wenn man schon einiges an Glamour gesehen hat, ist dieser Ort beeindruckend. Hell erleuchtete, überlebensgroße Löwenfiguren vor hohen Marmormauern und verspielten Palastfassaden einerseits. Kolonnen schwarz gekleideter Sicherheitsleute vor brennenden Ölfässern andererseits. Es war bereits klirrend kalt im November im Kaukasus.
An diesem Abend hatte eine der vier Präsidentengattinnen Geburtstag und wir durften als Ehrengäste am Tisch des großen Meisters Platz...