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E-Book

Ihr kriegt mich nicht klein!

Eine Discounter-Angestellte kämpft um ihre Rechte

AutorUlrike Schramm-de Robertis
VerlagVerlag Kiepenheuer & Witsch GmbH
Erscheinungsjahr2010
Seitenanzahl208 Seiten
ISBN9783462301700
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis7,49 EUR
Eine Frau, die Nein sagtEin Buch, das Mut macht Ulrike Schramm-de Robertis arbeitet schon immer im Einzelhandel. Bei KiK, Plus und Lidl erlebte sie schlechte Arbeitsbedingungen, Leistungsdruck und autoritäre Vorgesetzte. Doch alles wollte sich die Mutter von fünf Kindern nicht gefallen lassen. Sie hat sich gewehrt - mit Erfolg. Heute ist sie eine von weniger als zehn Betriebsräten in den über 3000 Lidl-Filialen in Deutschland. In diesem Buch erzählt sie ihre Geschichte. Hauptsache billig - dieses Motto von Lidl und anderen Discountern gilt nicht nur für die Produkte, sondern auch für den Umgang mit ihren Mitarbeitern. Unbezahlte Überstunden, ungeheurer Arbeitsdruck und Willkür von Vorgesetzten gehören zum Alltag. Setzen sich Beschäftigte dagegen zur Wehr - zum Beispiel durch die Gründung von Betriebsräten -, ist systematische Einschüchterung bis hin zu Psychoterror die Reaktion. Dies musste auch Ulrike Schramm-de Robertis erleben, als sie in einer süddeutschen Lidl-Filiale die Wahl einer Beschäftigtenvertretung initiierte. Doch sie blieb standhaft. Gemeinsam mit ihren Kolleginnen setzte Schramm-de Robertis sich schließlich durch.Dieses Buch soll Mut machen. Es zeigt, dass eine einfache Angestellte gegen einen scheinbar allmächtigen Großkonzern bestehen kann. Dabei will sie nichts anderes als ihr Recht - das Recht auf faire Arbeitsbedingungen, freie Meinungsäußerung und die Wahl eines Betriebsrats. In ihrem Buch schildert sie ihre Erlebnisse als Beschäftigte eines Konzerns, der in der Öffentlichkeit wie kaum ein zweiter mit Skandalen und Ausbeutung assoziiert wird. Es ist ein Plädoyer, nicht alles widerstandslos hinzunehmen.

Ulrike Schramm-de Robertis, Jahrgang 1964, ist Verkäuferin und Filialleiterin. Sie arbeitete unter anderem bei KiK, Plus und Lidl. Seit einigen Jahren ist die fünffache Mutter Betriebsrätin in einer süddeutschen Lidl-Filiale. Im Zusammenhang mit den diversen Skandalen des Lebensmitteldiscounters schilderte sie in Talkshows (u.a. Anne Will, Maischberger) und Interviews die Situation der Beschäftigten. Als aktive Gewerkschafterin unterstützt sie Kolleginnen und Kollegen anderer Betriebe beim Widerstand gegen schlechte Arbeitsbedingungen und Willkür.

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Leseprobe

1
Filialbesuch

Der Bezirksleiter Schulz eilt im Geschäft mit ernstem Blick auf mich zu. »Frau Schramm, eine Filialbegehung steht an«, ruft er aufgeregt. »Was bedeutet das genau?«, frage ich. Seit etwa anderthalb Jahren leite ich die Filiale des Textildiscounters KiK in H. Schulz erklärt: »Nächste Woche kommen die Leute vom Ein- und Verkauf, von der Dispo und so weiter.« Auch der Geschäftsführer sei dabei. »Die Filiale muss tipptopp ausschauen«, sagt Schulz in strengem Ton.

Die folgende Woche ist für mich und meine Stellvertreterin Martina Stress pur. Alles muss geordnet werden: rote T-Shirts zu roten T-Shirts, schwarze Jacken zu schwarzen Jacken. Sämtliche Kleidungsstücke werden akkurat gefaltet und in Regale gelegt oder einzeln auf Bügel gehängt. Das Problem: Das Geschäft ist in dieser Zeit nicht geschlossen. Jeden Tag laufen bis zu 400 Kunden durch den Laden und bringen alles wieder durcheinander. Sie hängen die Kleidung sonst wohin, durchstöbern die Ablagen mit Socken oder Unterwäsche, sodass es in kürzester Zeit aussieht wie auf einem Wühltisch. Wir laufen ständig hinterher und bringen alles wieder in Ordnung. Auch der Fliesenboden ist eine Herausforderung. Jeden Tag vor Feierabend müssen wir mit einfachen Reinigungsgeräten 600 Quadratmeter reinigen – und das bei den vielen Flusen, die von der Kleidung fallen.

Geöffnet ist ab 9 Uhr. Doch in den letzten drei Tagen vor der Begehung sind wir von 7 Uhr früh bis spätnachts im Laden. Schließlich kann die normale Arbeit nicht liegen bleiben. Weiterhin wird ständig neue Ware angeliefert. Jede Hose, jeder Pullover, jedes T-Shirt muss ausgepackt und auf Bügel gehängt werden – das kostet Zeit. Am Ende wissen wir nicht mehr, wo uns der Kopf steht. Mit dem vorhandenen Personal ist die zusätzliche Arbeit nicht zu bewältigen. Und von den Aushilfen oder meinem Handelsassistenten kann ich schlecht verlangen, dass sie zwölf Stunden oder noch länger arbeiten. Also bleibt alles an Martina und mir hängen. Gut, dass mein Mann zu Hause auf die Kinder aufpasst, sonst ginge das gar nicht.

Das größte Problem ist der fehlende Platz. Denn KiK hat kein Lager. Alles, was angeliefert wird, muss im Verkaufsraum untergebracht werden. Just zwei Tage vor der Begehung dann die Katastrophe: Wir bekommen eine Palette mit mehr als hundert Kartons mit T-Shirts, Unterwäsche usw. zu viel geliefert. Wohin damit? Die Kartons einfach in den Aufenthaltsraum stellen? Geht nicht, der Chef wird sich sicher nicht nur den Verkaufsraum ansehen. Also müssen wir auch diese Sachen noch in die Regale einsortieren. Um Platz dafür zu schaffen, müssen wir wieder alles umräumen.

Wir arbeiten und arbeiten. Um 3 Uhr nachts geht es einfach nicht mehr. »Wir können ja bei mir übernachten«, schlägt Martina vor, die im Gegensatz zu mir im Ort wohnt.

»Martina, das lohnt sich doch gar nicht. Wir können ohnehin maximal zwei, drei Stunden schlafen, dann müssen wir weitermachen, sonst schaffen wir es nicht.«

Ich habe zum Glück noch ein paar Decken im Auto, die holen wir. Im Aufenthaltsraum breiten wir zerrissene Kartons auf dem Fußboden aus und legen uns darauf, eine Decke unter dem Kopf, eine zum Zudecken. Ich schlafe schlecht. Um 6 Uhr stehen wir wieder auf und holen uns beim Bäcker einen Kaffee. Dann geht es wieder an die Arbeit.

Einige Stunden später erscheint der Bezirksleiter. Er ist begeistert, als er den blitzblanken Laden sieht: »Super habt ihr das gemacht. Das sieht hier ja aus wie bei der Neueröffnung.« Dass wir in der Nacht im Laden übernachtet haben, sagen wir ihm nicht. »Ist gestern denn noch Ware gekommen?«, fragt er. »Ja, aber das haben wir alles schon weggeräumt«, sage ich. Schulz ist sichtlich beeindruckt. Mir geht das runter wie Öl.

Am Abend vor der Filialbegehung kommen gegen 18 Uhr zwei elegant gekleidete junge Männer herein. Das können keine normalen Kunden sein, solche Leute kaufen nicht bei KiK ein, denke ich. Die beiden gehen schnurstracks an uns vorbei in die Kinderabteilung, wo sie anfangen, Jeanshosen von einem Kleiderständer zu reißen. Das gibt es doch nicht, man kann sich ja wohl zumindest vorstellen, denke ich. Schließlich bin ich hier die Filialleitung. Ich gehe also hin und sage: »Grüß Gott, ich gehe davon aus, dass Sie von der Firma KiK sind?«

»O ja, ja, grüß Gott. Sie sind die Filialleiterin? Wir haben keine Zeit«, sagt einer von ihnen, der braun gebrannt, mit modisch hochgegelten Haaren vor mir steht.

»Sie könnten sich zumindest mal vorstellen, wenn Sie hier reinkommen. Wir kennen uns schließlich nicht.« Ich bin völlig übermüdet, mein Ton ist entsprechend gereizt.

»Wir sind vom Einkauf und haben neue Ware mitgebracht, die wir der Geschäftsführung präsentieren wollen«, erklärt der eine, während er wahllos Kleidungsstücke über nebenstehende Ständer wirft. Und im Befehlston ergänzt: »Räumen Sie das weg.«

Die beiden packen Sweatshirts und Hosen aus Kartons und hängen sie auf den frei gemachten Rundständer, sodass die neuen Waren ansehnlich präsentiert sind. Dann marschieren sie in die Damenabteilung und machen dort weiter. Innerhalb von einer halben Stunde machen sie so unsere tagelange Arbeit zunichte.

»Martina, was machen wir denn jetzt? Wo tun wir bloß die Hosen hin?«, frage ich meine Kollegin verzweifelt. »Sollen wir sie aus dem Fenster oder ins Klo werfen, oder was?« Wir haben schließlich überhaupt keinen Platz mehr. Die einzige Lagerfläche ist ein entlang der Wände in etwa zweieinhalb Metern Höhe angebrachtes Regalbord, auf dem rote Körbe mit Nachfüllware stehen. Aber auch hier ist alles voll. »Ach, Chefin, wir stellen die Körbe einfach quer, sodass wir mehr reinkriegen«, schlägt Martina vor. Das ist tatsächlich die einzige Möglichkeit, auch wenn die Körbe dann überstehen.

Es ist mittlerweile 19.30 Uhr. Martina steht auf einer Leiter, ich gebe ihr die Körbe mit den überzähligen Waren an und schimpfe: »Was hier abgeht, ist doch unmöglich. Man rödelt tagelang rum, und dann kommen einfach welche, stellen sich nicht einmal vor und machen unsere Arbeit innerhalb von einer halben Stunde zunichte.« Martina nickt zustimmend, während sie die Körbe verrückt. »Aber das interessiert die einfach nicht. Das geht denen am Arsch vorbei. Und so ein arrogantes Auftreten, als wären wir der letzte Dreck. Nur weil sie Schlipsträger sind, oder was? Wer bringt denn den Umsatz, das sind ja wohl nicht die, sondern wir. Wenn man so behandelt wird, wundert es mich nicht, dass KiK keine guten Leute findet oder die bald wieder kündigen. Und die Bezahlung passt auch nicht.«

Martina schimpft kräftig mit. Es sind ohnehin kaum noch Kunden in der Filiale, so kurz vor Ladenschluss. Nur einer steht etwa drei Meter entfernt von mir und wühlt in einer Sockenkiste. Er ist ungefähr in meinem Alter, so Mitte 30, trägt einen Jogginganzug und hat eine Mütze auf. Der Mann ist durchtrainiert und braun gebrannt. Der kommt wohl gerade aus dem Urlaub – meiner ist auch schon wieder viel zu lange her, schießt es mir durch den Kopf. Er lächelt nett und nickt mir ermutigend zu. Ich beziehe ihn ins Gespräch mit ein: »Normalerweise bin ich ja nicht so, aber irgendwann reicht es einem auch.« Martina steigt wieder ein: »Ich hab auch die Schnauze voll. Komm, Chefin, wir hören hier auf und suchen uns eine andere Arbeit. Was Besseres als hier finden wir allemal. Denn an uns kann es nicht liegen: Unser Umsatz passt, die Kunden sind zufrieden – wir finden bestimmt überall was.« Der Mann nickt uns zu und lächelt, sagt aber nichts. Ich unterhalte mich weiter mit meiner Kollegin: »Martina, eins sag ich dir: Ich kenne diesen Herrn Geschäftsführer ja nicht. Aber wenn der morgen kommt und nur ein Wort darüber verliert, dass das jetzt nicht so passt oder dass die Körbe da oben überstehen, dann nehme ich ’ne Knarre und puste den weg. Ich hab nichts mehr zu verlieren, ist mir so was von egal.«

Später denke ich mir: Na, das war vielleicht nicht so gut, so etwas zu sagen, wenn noch ein Kunde im Laden ist. Dann aber: Macht jetzt auch nichts mehr. Für mich steht an diesem Tag fest: Ich werde kündigen. Wir arbeiten wie die Tiere, bekommen die Überstunden nicht bezahlt, und dann kommen auch noch irgendwelche Manager, die den ganzen Laden wieder durcheinanderbringen. Am meisten hat mich gekränkt, dass sie reingekommen sind – und sich nicht einmal vorgestellt haben. So etwas verbietet der Anstand. Schon im Kindergarten lernt man, dass man »Guten Tag, Grüß Gott, Auf Wiedersehen« sagt. Aber die Herren haben das einfach nicht für nötig befunden. Die zeigen damit, dass sie sich für etwas Besseres halten.

Wie immer nach Geschäftsschluss machen wir an diesem Abend die Kassenabrechnung. Während wir das Geld zählen, klingelt das Telefon. Was ist denn jetzt noch, denke ich. Wir sind zu diesem Zeitpunkt schon völlig am Ende, wollen nur noch nach Hause und schlafen. Der Bezirksleiter Schulz ist am Apparat: »Frau Schramm, sitzen Sie?«

»Nein, ich stehe. Ich mache gerade die Abrechnung.«

»Die Geschäftsführung hat mich angerufen. Sie und Ihre Stellvertretung sollen morgen bei der Besprechung im Hotel Göller dabei sein.«

»Aha, ist in Ordnung.« Ich vermute nichts Schlimmes.

»Aber das ist ganz und gar ungewöhnlich, Frau Schramm. Ich habe hin und her überlegt, was da los ist. Haben Sie irgendwas...

Blick ins Buch

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