Einleitung
Während man in Deutschland am zweiten Weihnachtsfeiertag des Jahres 2004 einmal wieder über »grüne Weihnachten« klagte, beobachteten die Menschen an den Küsten Süd- und Südostasiens an diesem Morgen ein merkwürdiges Phänomen. Schlagartig zog sich das Meer zurück. Einwohner und Touristen gleichermaßen rätselten an den märchenhaften weißen Sandstränden noch, was das zu bedeuten hatte, als sich weit draußen auf dem Ozean meterhohe Wellen aufbauten, die schon wenig später auf die Küsten zurasten und Tod und Zerstörung brachten. Ursache war ein verheerendes Beben im Indischen Ozean, das überall in der Gegend riesige Tsunamis auslöste. Menschen, Tiere, Häuser, Straßen und Brücken wurden erbarmungslos mitgerissen.
In Deutschland und ganz Europa war das Entsetzen über diese Naturkatastrophe von gigantischen Ausmaßen groß. Einige der vom Tsunami heimgesuchten Länder und Inseln – Thailand, Sri Lanka, die Malediven, die Seychellen, Réunion – waren beliebte Urlaubsziele, die viele selbst schon bereist hatten. In seiner Neujahrsansprache brachte ein sichtlich betroffener Bundeskanzler Gerhard Schröder seine Trauer zum Ausdruck und forderte die Bürgerinnen und Bürger zu Solidarität mit den betroffenen Regionen auf. Gleichzeitig machte er sich auf die Suche nach einer Person, die der Partnerschaftsinitiative Fluthilfe ein Gesicht geben und die nötige Durchschlagskraft verleihen würde. Schließlich griff er zum Hörer und rief Christina Rau an.
Es brauchte etwas Zeit, bis Schröder sie überreden konnte, denn die Familie Rau hatte gerade selbst eine schwere Zeit durchzustehen. Johannes Rau, erst im Juni aus dem Amt des Bundespräsidenten geschieden, war schwer krank. Schließlich aber sagte die ehemalige First Lady zu. Rasch entschied man sich, Doris Schröder-Köpfs Büro im Kanzleramt zum Krisenzentrum umzufunktionieren. Die Kanzlergattin packte ihre wichtigsten Unterlagen und machte Platz für die Frau, die während der letzten fünf Jahre quasi parallel mit ihr First Lady gewesen war. Christina Rau stürzte sich in die Arbeit und behielt doch, wie es ihre Art ist, einen kühlen Kopf. Qualität, so ihr Motto, müsse vor Schnelligkeit gehen. Bloß kein Aktionismus. Hunderte von Projekten wurden in den folgenden Monaten aufgegleist, Kommunen, Unternehmen, Schulen boten ihre Hilfe an. Der ehemaligen First Lady, die durch ihre vielen Staatsbesuche die besten Verbindungen zu Botschaften und Diplomaten hatte, gelang es, Spender und Projekte zusammenzubringen und sie auf solide Beine zu stellen. Das Unterfangen war politisch nicht wenig heikel, war es doch an der Schnittstelle zweier stets konkurrierender Ministerien angesiedelt. »Das größte Lob«, so Christina Rau heute, »als die Mission beendet war, lautete, dass es noch nie eine Zeit gegeben hat, in der das Außenministerium und das Entwicklungsministerium so gut zusammengearbeitet haben.«[1]
In dieser kurzen Episode kommen namentlich drei politische Akteure vor, die wichtige Aufgaben für das Land übernahmen, Verantwortung trugen, oft rund um die Uhr im Einsatz waren. Aber nur einer von ihnen – der Bundeskanzler nämlich – hatte ein offizielles Amt inne. Christina Rau und Doris Schröder-Köpf dagegen taten, was sie taten, weil sie mit einem führenden Politiker des Landes verheiratet waren. Und sie taten es unentgeltlich. First-Lady-Sein ist weder Job noch Amt, und doch erklärte sich Christina Rau im Januar 2005 spontan zur Koordination der Mammutaufgabe der Partnerschaftsinitiative bereit. Sie selbst war nicht gewählt worden, und doch hatte Doris Schröder-Köpf im Kanzleramt, dem Machtzentrum der Republik, ein eigenes Büro, in dem sie Korrespondenz erledigte, über Akten saß, Pressespiegel auswertete, Reden des Kanzlers durchging und Termine machte. Die Geschehnisse rund um die Organisation der Hilfe für die Tsunami-Opfer stoßen uns also mit der Nase auf das merkwürdige Konstrukt, das dieses Amt, das keines ist, darstellt. »Man kann als First Lady unendlich viel machen«, so Christina Rau, »man hat die ganze abgeleitete Autorität auf seiner Seite und kann eine breite Öffentlichkeit erreichen.«[2]
»Das Geheimnis, tausend Hände am Tag schütteln zu können«, so sagte einmal Eleanor Roosevelt, »besteht darin, selbst zu schütteln, nicht schütteln zu lassen.« Die Amerikanerin wusste, wovon sie sprach. Zwölf Jahre, davon vier lange Kriegsjahre, war sie an der Seite Franklin D. Roosevelts eine überaus beliebte, wirkmächtige und einflussreiche First Lady. Sie verpasste der Rolle einen gehörigen Modernisierungsschub, gab Interviews, setzte Themen, wurde selbst zur Handelnden. Der Journalist und Biograf zahlreicher amerikanischer Präsidenten, Jon Meacham, nannte Eleanor Roosevelt gar »das Gewissen des Weißen Hauses«.[3]
Viele Aufgaben, die First Ladies zu erfüllen haben, sind repräsentativ. Sie sollen gute Gastgeberinnen sein, würdige Vertreterinnen des Landes, man erwartet, dass sie sich benehmen können, dass sie eine gute Figur machen und sich nach Möglichkeit auch karitativ engagieren. Die Rolle der First Lady ist aber auch ein Drahtseilakt, denn Tradition und Protokoll verlangen ihren Tribut, die Öffentlichkeit beobachtet diese Frauen auf Schritt und Tritt, die Boulevardpresse ist allzeit bereit, jeden Fauxpas genüsslich auszuschlachten. Die Frau des Präsidenten und noch mehr die Frau des Kanzlers wurden nicht selten in der Geschichte der Bundesrepublik haftbar gemacht für die Politik ihrer Gatten. Rut Brandt, Hannelore Kohl oder Doris Schröder-Köpf konnten ein Lied davon singen. Manchmal nahm der politische Gegner sogar gezielt die Ehefrau ins Visier, um den Mann zu treffen. Nicht wenige der hier im Fokus stehenden Damen hatten zunächst mit ihrer Rolle zu kämpfen. Manche litten dauerhaft an diesem nicht selbst gewählten Dasein im Licht der Öffentlichkeit und den Zumutungen, die das Leben an der Seite eines Spitzenpolitikers mit sich bringt, wurden darüber sogar krank. Und alle zahlten einen Preis. Es ist nicht leicht, als First Lady »selber zu schütteln« – um Eleanor Roosevelts Worte zu bemühen. Und doch scheint genau darin der Schlüssel zu liegen.
Aber auf welche Weise kann die First Lady überhaupt wirken? Welchen Einfluss hat sie? Die achtzehn Ehefrauen von Bundespräsidenten und Bundeskanzlern der letzten siebzig Jahre entfalteten ihre Macht auf ganz unterschiedliche Weise und in sehr verschiedener Intensität. Einige, wie Elly Heuss-Knapp oder Doris Schröder-Köpf, waren selbst ausgeprägt politische Köpfe, die eng mit ihren Ehemännern zusammenarbeiteten, die gemeinsam Ideen entwickelten, unverzichtbare Sparringspartner wurden. Andere wirkten eher atmosphärisch, bauten persönliche Kontakte zu ausländischen Regierungs- und Staatschefs sowie deren Partnerinnen und Partnern auf, ergänzten ihren Ehemann und glichen dessen persönliche Defizite aus. So war es für den zurückhaltend, ja zuweilen distanziert wirkenden Willy Brandt ein Segen, die charmante und unkomplizierte Rut an seiner Seite zu wissen, die so manche Schrulligkeit mit einem Lächeln auszubügeln verstand. Und wieder andere machten einfach ihr eigenes Ding. Mildred Scheel zum Beispiel musste man Eleanor Roosevelts Empfehlung nicht zweimal sagen. Sie war ohnehin keine, die sich schütteln ließ, vielmehr trat sie selbst in Aktion – und zwar im ganz großen Stil.
Es ist ein faszinierendes und zugleich kein leichtes Unterfangen, dem Phänomen der First Ladies und ihrem Beitrag zur Geschichte dieses Landes auf die Spur zu kommen. Angesprochen auf die Frage, welchen Einfluss sie hätten, welche Rolle sie spielten, wird stets größte Bescheidenheit an den Tag gelegt. Vielleicht gehen die Damen dabei nicht so weit wie einst Mamie Eisenhower: »Ike kümmert sich um das Land und ich mich um die Schweinekoteletts.« Aber zunächst ist man doch meist mit einer Aussage konfrontiert, die da lautet: »Nicht ich wurde gewählt, sondern mein Mann.«[4] Das ist vollkommen korrekt – aber eben doch nur die halbe Wahrheit. Keine dieser Frauen würde jemals öffentlich zugeben, dass sie ihren Mann in dieser oder jener wichtigen Frage beeinflusst, ihm zu dieser oder jener Taktik oder Entscheidung geraten hat. Das würde ihr den Vorwurf der Selbstüberschätzung einbringen und darüber hinaus ihren Mann dauerhaft beschädigen. Ziel dieses Buchs ist es also, hinter die Rhetorik zu schauen, zu fragen, auf welchen Kanälen und mit welchen Mitteln bewusst und vielleicht zuweilen auch unbewusst Gestaltungsmacht wahrgenommen wurde, inwiefern die First Ladies durch ihre Persönlichkeit, durch ihren Stil oder durch ganz gezielte Beiträge Einfluss nahmen.
Sowohl sie selbst als auch ihre Männer haben dabei stets instinktiv begriffen, dass es in der Macht der First Lady liegt, ihren Ehemann fassbarer zu machen. Die First Lady kann dem zuweilen abgehoben wirkenden Spitzenpolitiker ein menschliches Gesicht geben, sie kann unabhängiger von Parteipolitik agieren als ihr Gatte, kann ihren Mann in der Öffentlichkeit in Zusammenhang bringen mit alltäglichen Themen, an die die Menschen anknüpfen können. Gleichzeitig betrachten hohe Politiker ihre Ehepartner nicht selten als Standleitung zum Volk. Von ihren Partnern, die direkter mit den Sorgen der Bürger in Berührung kommen, erhalten diese Politiker einen verlässlichen Realitätscheck, der zuweilen heilsam sein kann.
Einen Realitätscheck bieten die First Ladies aber noch in einer weiteren Hinsicht. »Es gibt da oben immer die Gefahr, paranoid zu werden,«, sagte Michael Dobbs, ehemaliger Stabschef von Margaret Thatcher, einmal über das Amt der Premierministerin, »plötzlich überall Stimmen zu hören von irgendwelchen Einflüsterern, wie in einem byzantinischen Palast.« In diesem Stimmengewirr ist jene der eigenen Partnerin...