2.Wirtschaftsmacht China und die zukünftige Weltwirtschaftsordnung
Der Westen als Zauberlehrling beim Wirtschaftsaufstieg Chinas?
Als China im Jahre 2001 in die Welthandelsorganisation (WTO) aufgenommen wurde, verband der Westen damit zwei Erwartungen. Erstens, dass China die Regeln dieser globalen Handelsorganisation einhalten, und zeitens, dass es auch im Innern des Einparteienstaates einen Liberalisierungsprozess einleiten und dadurch dem Westen „ähnlicher“ werden würde.
Westliche WTO-Illusionen
Hinsichtlich des ersten Aspektes wird international überwiegend anerkennend eingeräumt, dass China im Großen und Ganzen seinen eingegangenen Verpflichtungen nachgekommen ist. Das Vordringen Chinas auf den Weltmärkten erfolgte unter Nutzung und Anpassung an die ihm von der WTO eröffneten Möglichkeiten und Grenzen. Gemäß den eingegangenen WTO-Verpflichtungen hat das Land umfangreiche Zollsenkungen durchgeführt, Einfuhrquoten zurückgenommen und den Binnenmarkt dem Ausland in vielfacher Weise geöffnet. Wenn westliche Länder von diesem Öffnungsprozess profitiert haben, dann zählt sicherlich Deutschland mit dazu.
Insofern gestattete die multilaterale Welthandelsordnung, wie sie sich Anfang der 2000er Jahre darstellte, eine bemerkenswerte Kompatibilität mit dem chinesischen Wachstumsmodell. Die nun vor allem von der Trump-Administration vertretene Auffassung, dass es ein strategischer Fehler gewesen sei, China in die WTO aufzunehmen, geht am Problem vorbei.1
Die Trump-Administration wettert vor allem gegen China, aber kaum weniger gegen deutsche Exportüberschüsse. Es ist zu dem Paradox gekommen, dass sich China mit seinem staatskapitalistischen Interventionismus heute als Verteidiger einer liberalen internationalen Wirtschaftsordnung darstellt, während sich die USA – als einer ihrer wesentlichen Begründer – mehr und mehr auf einen nationalistischen Protektionismus zurückzuziehen scheinen.
Der Handelsstreit zwischen den Vereinigten Staaten und China geht deshalb letztlich auch nicht darum, dass China seine diesbezüglich eingegangenen WTO-Verpflichtungen missachtet und zu deren Einhaltung gezwungen werden müsste. Die Auseinandersetzung dreht sich vielmehr darum, dass das Land im Schatten seiner WTO-Mitgliedschaft ein spezifisches handels-, wirtschafts- und industriepolitisches Instrumentarium vorhält, mit dem es seine Integration in die Weltwirtschaft planmäßig vorangetrieben hat. Dabei trug es wichtigen inneren Bedingungen und Anforderungen seiner von der Kommunistischen Partei gelenkten Wirtschafts- und Gesellschaftsentwicklung Rechnung.
In diesem Sinne erfolgte kein innerer Liberalisierungsprozess, wie viele Globalisierungsanhänger erhofften. Der „Zugriff“ des Westens auf die chinesische Wirtschaft blieb im Rahmen einer prinzipiell liberalen internationalen Wirtschaftsordnung tatsächlich beschränkt. In den Worten des französischen Historikers F. Godement konnte sich der Westen nämlich „… überhaupt nicht vorstellen, dass die Chinesen einmal ein entwickeltes Wirtschaftssystem haben würden, mit dem sie viel besser mit anderen Staaten konkurrieren können – innerhalb des erlaubten Rahmens der WTO, aber trotzdem nach ihren eigenen Regeln.“2
Der Protest gegen diese „duale“ handels- und wirtschaftspolitische Strategie Chinas ist angeschwollen, je bedrohlicher der ökonomische und technologische Aufstieg des Landes empfunden wird. Das bezieht sich vor allem auf den Verlust westlicher Vormachtpositionen. Die EU und in gewissem Maße auch Deutschland haben sich dem amerikanischen Vorstoß gegen China zwar tendenziell angeschlossen, befinden sich aber in einem Dilemma, da sie die Volksrepublik als weltwirtschaftlichen Partner dringend brauchen. Mit einem Einschwenken auf die Linie der Trump-Administration läuft die EU Gefahr, das Kind mit dem Bade auszuschütten, also unfreiwillig die Grundlagen der herrschenden liberalen internationalen Wirtschaftsordnung weiter zu schwächen.
Die westliche „Mängelliste“
Die Liste der entsprechenden „Verfehlungen“ Chinas aus dem Blickwinkel einer solchen Ordnung, die vom Westen als unfair und wettbewerbsverzerrend angesehen werden, ist inzwischen lang geworden. Zu den gegen China vorgebrachten Beschwerden gehören u. a.
•Der Zwang, bei der Erschließung des chinesischen Marktes Gemeinschaftsunternehmen (joint venture) mit einheimischen Unternehmen und den damit verbundenen Technologietransfer eingehen zu müssen; neuerdings auch verbunden mit der Befürchtung, dass sich die Kommunistische Partei in ausländischen Unternehmen Einflussmöglichkeiten aufbaue. Allerdings muss man einschränkend sagen, dass auch hier zumindest in den Bereichen Autos, Luftfahrt und Schiffbau eine weitere Öffnung für ausländische Unternehmen erfolgen soll. Sebastian Viehmann wies als Chinakorrespondent darauf in einem Online-Beitrag hin: „Noch in diesem Jahr soll die Begrenzung für ausländische Beteiligungen etwa beim Bau von Elektroautos, Flugzeugen und Schiffen fallen. 2018 erfolgt die Senkung der Beteiligungsgrenzen von ausländischen Firmen für Spezialfahrzeuge und E-Fahrzeuge, die in China NEVs (New Energy Vehicles) genannt werden. In 2020 soll die Senkung der Beteiligungsgrenzen für Nutzfahrzeuge folgen, an die sich ab 2022 die Verringerung entsprechender Grenzen für PKWs und die Aufhebung der Beschränkung auf zwei Joint Venture Partner anschließt, so dass nach einer fünfjährigen Übergangsfrist sämtliche Beteiligungsbeschränkungen entfallen.“3
•Hohe Verluste westlicher Unternehmen durch eine gravierende Produktpiraterie in China, obwohl zugegeben wird, dass der diesbezügliche gesetzliche Schutz anerkennenswerte Fortschritte aufweist, die Umsetzung des vorhandenen Rechtsrahmens aber noch unzureichend sei.
•Ein untragbarer Konkurrenzdruck gegen westliche Unternehmen, der von einem auf direktem und indirektem Wege subventionierten staatlichen Sektor ausgehe. Staatliche Beihilfen, z.B. durch Förderbanken gestützte umfassende Unternehmensakquisitionen chinesischer Akteure im Ausland insbesondere im Hochtechnologiebereich, begünstigten einen problematischen, weniger ökonomisch begründeten, sondern vielfach politisch-strategisch unterlegten Technologietransfer nach China. Gleichzeitig käme es zu einem Verbot bzw. einer Erschwerung ausländischer Investitionen in China, z.B. im Transport- und Infrastruktursektor.
•Ein besonders von einem sogenannten Cybersicherheitsgesetz ausgehender Zwang, Kunden- und Forschungsdaten bei wirtschaftlichen Aktivitäten in China auf chinesischen Servern zu speichern, gefährde deren Sicherheit und ermögliche entsprechende chinesische Spionage. Damit würde dem illegalen Datentransfer Tür und Tor geöffnet, wobei hier bekanntlich ein Problem vorliegt, dass die EU auch im Verhältnis zu den großen amerikanischen Internetunternehmen und Datenspeichern auf amerikanischen Servern umtreibt.
•Die Aufrechterhaltung relativ hoher Importzölle, z.B. bis in die jüngste Vergangenheit bei Autos, was zur Verlegung der Produktion ausländischer Anbieter nach China zwingt.
•Der Einsatz von Dumping-Preisen beim Export aus mit Überkapazitäten belasteten Branchen, wie z.B. bei Stahl, Aluminium oder Solartechnik; hier wären am ehesten WTO-Verstöße auszumachen. Ironischerweise haben sich solche Überkapazitäten vielfach aufgebaut, als China während der Finanzkrise als eine auch dem Westen willkommene globale Wachstumslokomotive fungierte und innere Krisenfestigkeit behielt.
Auf der Prioritätenliste zur Beobachtung und Einschätzung der weltweiten Handelspraktiken durch das Büro des Handelsbeauftragten der USA steht China an vorderster Stelle. Aus dem umfangreichen Problemkatalog ragt ein Thema als zentral heraus: Es ist der Angriff auf den aus Sicht der USA unzureichenden Schutz geistigen Eigentums und die damit zusammenhängenden Marktzugangsbarrieren in China. Die USA lassen keinen Zweifel aufkommen, dass sie nicht länger die Praxis akzeptieren wollen, dass im Gegenzug zum Zutritt zum chinesischen Markt ausländische Unternehmen die Kontrolle über ihr geistiges Eigentum und Know-how aufgeben müssen.4
Währungspolitische Beruhigung
Um einen in der Vergangenheit vieldiskutierten Versuch Chinas, seine internationale Handelsposition auf Kosten seiner Partner durch die Unterbewertung seiner Währung, des Renminbi (Yuan), zu stärken, ist es dagegen inzwischen deutlich ruhiger geworden. Es hat sich offensichtlich die Auffassung durchgesetzt, dass China keineswegs seine Währung zu diesem Zweck manipuliert und sogar ihre deutliche Aufwertung zugelassen hat. Nicht von ungefähr ist der Renminbi deshalb auch in den Währungskorb des Internationalen Währungsfonds (IWF) aufgenommen worden –übrigens zu Lasten des...