3 Strategische Elemente auf dem Weg zu einer inklusiven Sozialplanung für die Lebensphase Alter
Friedrich Dieckmann, Michael Katzer und Sabine Schäper
»Inklusive Sozialplanung hat dafür zu sorgen, dass grundsätzlich niemand die Kommune bzw. seinen Sozialraum verlassen muss, z. B. im Fall von Krankheit, Behinderung oder Pflegebedürftigkeit, dass tragfähige Nachbarschaftsstrukturen entstehen, Solidarität und Gemeinsinn gefördert werden und so ein inklusives Gemeinwesen zur Normalität wird« (VSOP, Werner 2012, 4).
Diese programmatische Aussage lässt erahnen, dass die Umsetzung einer inklusiven Sozialplanung ein komplexer Prozess ist und grundlegende Veränderungen gegenüber herkömmlichen Planungspraxen erfordert. Die einzelnen Bausteine und Schritte auf diesem Weg müssen daher sorgfältig geplant, mit vielen verschiedenen Akteuren politisch abgestimmt und im Prozess ggfs. mehrfach nachjustiert werden. Eine richtunggebende strategische Phase ist von zentraler Bedeutung für ein solches Vorhaben und findet sich auch in verschiedenen Prozessmodellen der Sozialplanung, die im deutschsprachigen Raum existieren ( Tab. 4).
In diesem Kapitel werden als strategische Elemente für eine inklusive Sozialplanung die politische Mandatierung ( Kap. 3.1), die Weiterentwicklung der Arbeitsstrukturen ( Kap. 3.2) und die Steuerung durch adressatenorientierte Ziele ( Kap. 3.3) vorgestellt. Dabei ist zu beachten, dass die Konkretisierung in einem örtlichen Planungsprozess jeweils an vorhandene kommunale Planungstraditionen und -kulturen anknüpft mit dem Ziel, diese zum Wohle der älteren Bürger/innen mit und ohne Behinderung weiterzuentwickeln.
Es ist hilfreich, wenn alle wesentlichen Akteure in einem Gemeinwesen (Politik und Verwaltung, Vertreter/innen der Zielgruppen, Leistungsanbieter der verschiedenen Bereiche, relevante lokale Akteure, Bürger/innen insgesamt) grundlegend bereit sind, den Prozess aktiv mitzugestalten. Davon kann aber nicht immer ausgegangen werden, weil die Einzelinteressen vielfältig sind. In Veränderungsprozessen ist immer mit einem gewissen Maß an Vorsicht, an Skepsis und mit Widerständen zu rechnen. Diese nicht als reines Hindernis zu erleben, sondern konstruktiv in den Prozess zu integrieren und als notwendigen Bestandteil wahrzunehmen, ist eine wichtige Voraussetzung für das Gelingen von Planungsprozessen.
Tab. 4: Prozessmodelle der Sozialplanung
Arbeitshilfe »Inklusive Gemeinwesen planen« (ZPE/MAIS NRW) 28Inklusive Sozialpla nung; Modell des Vereins für Sozial-planung (VSOP) 29Konzepte, Verfahren der Sozial-planung nach Böhmer 30Kommunaler Index für Inklusion 31
3.1 Politische Mandatierung
»Sozialplanung ist das maßgebliche Instrument zur Analyse, Aufklärung und Steuerung sozialer Prozesse und vermittelt zwischen der Lebenswelt betroffener Menschen und dem komplexen System der Verwaltung, mobilisiert die Ressourcen auf beiden Seiten und organisiert den politischen und sozialen Aushandlungsprozess, bei dem sich die beteiligten Akteure über soziale Handlungsprogramme, Prioritäten und die Mittelverteilung verständigen« (Werner 2007, 900).
Die Sozialplanung trägt damit zur bedarfsgerechten Allokation von Diensten, Leistungen und Ressourcen bei und leistet einen wichtigen Beitrag »zur sozialen Gerechtigkeit und Sozialstaatlichkeit auf der lokalen Ebene« (ebd.). Dieses Verständnis von Sozialplanung macht deutlich, dass Sozialplanung mehr ist als ein verwaltungstechnischer Vorgang: Planungsprozesse sind auf kommunaler Ebene immer eingebettet in sozialpolitische Entscheidungsprozesse und Priorisierungen mit Blick auf verschiedene Handlungsfelder, unterschiedliche Formen der Organisation von Planung (Planungstraditionen und -kulturen), planungsfeldadäquate Planungsmethoden sowie Fragen nach der Legitimation von Planungsvorgängen (Planungsethik) (Streich 2011, 61). Daher ist die strategische Phase im Gesamtprozess inklusiver Sozialplanung von entscheidender Bedeutung, um die Planungsprozesse in allen Dimensionen der Politik (»polity« im Sinne der normativen Grundlagen und institutionellen Strukturen, »policy« im Sinne der in einer bestimmten Phase als zentral definierten Inhalte kommunaler Politik und »politics« im Sinne der Prozesse und der üblichen Verfahren und Kulturen der Akteurseinbindung) an bestehende Beschlusslagen, Strukturen und laufende Entwicklungsprozesse anzubinden. Die Mehrdimensionalität entspricht dem Aufbau des Index für Inklusion, der die Bearbeitung von drei Dimensionen empfiehlt: Inklusion erfordert die Etablierung inklusiver Strukturen, die Schaffung inklusiver Kulturen und die Entwicklung inklusiver Praktiken und Prozesse.
Inklusive Sozialplanung erstreckt sich zudem immer auf mindestens zwei Handlungsfelder kommunaler Sozialplanung. Besonders wenn unterschiedliche Fachplanungen beteiligt sind, ist eine eindeutige Auftragsklärung durch die politische Ebene und die Leitungsebene der Verwaltung notwendig (Reichwein et al. 2011, 43) und ein wichtiger Erfolgsfaktor. Diese Auftragsklärung bezieht sich auf die inhaltliche Reichweite (Welche Fachplanungen und welche aktuellen Entwicklungen sind in den Planungsprozess aufzunehmen?) wie auch die Frage der Beteiligung sowie der Steuerung und Koordination des Prozesses.
Sozialplanerischen Prozessen gehen somit notwendig politische Prozesse voraus, die sie an normative Grundlagen rückbinden und dadurch legitimieren. Weil »eine zukunftsorientierte Alten- und Seniorenpolitik nur als eine umfassende Lebenslagenpolitik für alle Lebensalter sinnvoll ist« (Backes, Amrhein 2011, 246), ist dabei nicht nur an alle Senior/innen und Menschen mit Behinderung zu denken, sondern an Personengruppen jeden Alters. Sich dieser Tragweite der Veränderungsprozesse zu vergewissern, ist ein wichtiger Teil der Vorfeldarbeit: Eine Vision zur kommunalen Zukunftsentwicklung bildet die Grundlage für kommunale Entwicklungs- und Planungsstrategien, die idealerweise durch politische Beteiligung auf eine breite Zustimmung in der Bevölkerung und politisch mandatierte Positionsbildungsprozesse zurückgreifen können (Böhmer 2015b, 6). Eine selektive Planungsstrategie, die zunächst (nur) an einer sozialrechtlichen Schnittstelle Vorgehensweisen bündeln will, ist dabei leichter zu realisieren als eine umfassende inklusive Planung, bleibt aber in der Reichweite natürlich begrenzt. Die Frage nach möglichen Inklusionspotentialen an der Schnittstelle von Eingliederungshilfe und Altenhilfe kann zu diesem Zeitpunkt eine hilfreiche strategische Frage sein: Welche hilfesystemübergreifenden Unterstützungsangebote (z. B. nächtliche Bereitschaftsdienste, Pflegeleistungen in der Eingliederungshilfe, Pflegeeinrichtungen für Menschen mit Behinderungen oder für eine spezifische Klientel, tagesstrukturierende Maßnahmen) sind sinnvoll und politisch gewollt? Welche sozialrechtlichen Hürden sind bei einer gemeinsamen Nutzung von Angeboten durch unterschiedliche Gruppen von Adressat/innen zu bedenken? Je kleinräumiger Planungsprozesse für solche Fragen angelegt sind, umso eher lassen sie sich als inklusive realisieren.
Der Schritt des »Agendasetting« als Impuls zur Initiierung eines konkreten Planungsprozesses kann dabei ebenso von der mittleren Ebene der Sozialplaner/innen der Kommune oder der überörtlichen Ebene ausgehen wie »top-down« von politischen Akteur/innen und Gremien angestoßen oder »bottom-up« von Vertreter/innen der Zielgruppen oder auch von Leistungsanbietern angeregt werden. In einem nächsten Schritt ist aber die politische Mandatierung über den jeweiligen Stadtrat bzw. Kreistag als zuständige Beschlussgremien für die Etablierung einer inklusiven, quartiersbezogenen und partizipativen Sozialplanung für Menschen im Alter unabdingbar. Dabei kann ein Kreis im weiteren Prozess nur handeln, wenn die Idee einer inklusiven Sozialplanung auch von den jeweiligen Gemeinderäten kreisangehöriger Städte und Gemeinden geteilt wird. In den kreisfreien Städten sollten die Bezirksvertretungen aktiv in den Prozess der Mandatierung einbezogen werden. Die Gewinnung der Mandatsträger/innen vor Ort für die Idee einer inklusiven Sozialplanung wird einfacher sein, wenn es Anschlussmöglichkeiten an bereits bestehende Prozesse in Stadtbezirken oder Gemeinden gibt, die ähnliche Themenbereiche bearbeiten.
Hilfreich kann die Ausrichtung an gemeinsamen Leitzielen sein. Sind diese nicht durch bereits vorliegenden Beschlüsse legitimiert, sollten sie anlassbezogen mit den verantwortlichen Gremien und Leitungsverantwortlichen in der Kommune abgestimmt werden. Sind unterschiedliche Planungsebenen beteiligt (Stadtbezirks-/Gemeindeebene,...