2. Ursachen innerer Kündigung
Der schleichende Prozess einer inneren Kündigung speist sich aus mehreren Quellen. Dabei lassen sich vier Ebenen unterscheiden.
Die Ursachen können im einzelnen Mitarbeiter selbst begründet sein, sie sind aber auch in den wechselseitigen Beziehungen zu seinem Arbeitsumfeld, der betrieblichen Organisation und der Gesellschaft zu suchen.
Abb. 4: Ursachenbereiche der inneren Kündigung
Gesellschaftliche Ursachen oder: Das Schlagwort vom Wertewandel
Kleinfamilie, direkte Nachbarschaft,
Wertegemeinschaft – das alles sind
Vorstellungen von vorgestern für die
Gesellschaft von übermorgen.
(Ulrich Beck, Soziologe)
Wenn es um die gesellschaftlichen Verursacher der inneren Kündigung geht, ist meist auch vom «Wertewandel» die Rede. Werte als Ordnungskonzept helfen uns als Individuen und Gruppen, sich in der komplexen Umwelt zurechtzufinden. Sie stellen aus motivationstheoretischer Sicht Grundprogramme dar, die eine verhaltenslenkende Wirkung haben. Eine heftige Diskussion lösten die Thesen Inglehardts Ende der 1980er Jahre aus. Er behauptete, dass die «materielle» Werteorientierung der Nachkriegszeit wie Wohlstand, Leistung, Sicherheit usw. durch so genannte «postmaterielle» Orientierungen wie Selbstverwirklichung, Umwelt, Kontakte usw. abgelöst werde. Bereits 1978 hatte Noelle-Neumann einen Verfall der bürgerlichen Tugenden konstatiert, beispielsweise bei der Überzeugung, dass Arbeit und Leistung sich lohnen, aber auch beim Glauben an Aufstiegschancen und Gerechtigkeit. Ihrer Meinung nach verbreiteten sich Haltungen, die mit Arbeitsunlust, Ausweichen vor Anstrengung oder Statusfatalismus zu umschreiben seien. Dem wurde durch Untersuchungen von Schmidtchen (1984) widersprochen, der eine «Zweikomponentenstruktur der Arbeitsmoral» feststellte, da er sowohl überlieferte «preußische Tugenden» wie Pünktlichkeit, Fleiß usw. und neue kommunikative Arbeitstugenden wie das Vertreten der eigenen Meinung oder den Wunsch nach Teamarbeit feststellte.
In repräsentativen Stichproben wurde ein Nebeneinander traditioneller Pflicht- und Akzeptanzwerte und neuer Selbstentfaltungswerte gefunden (Klages, 1984):
Traditionelle Werte: | Selbstentfaltungswerte: |
Pflichterfüllung | Gleichheit |
Treue | Selbstverwirklichung |
Fleiß | Ausleben emotionaler Bedürfnisse |
Bescheidenheit | Eigenständigkeit |
Diese Wertegruppen ergeben vier mögliche Kombinationen, die als vier Wertetypen in Tabelle 10 dargestellt sind.
Tab. 10: Wertetypen nach Klages (1984)
Mit Blick auf die innere Kündigung sind vor allem die «perspektivelosen Resignierten» (31,5 Prozent) interessant, teilweise auch die «ordnungsliebenden Konventionalisten» (19,6 Prozent). Allerdings lässt sich daraus keine kollektive Neigung zu einem resignativen oder passiven Verhaltensmuster innerhalb der Gesellschaft ableiten.
Verändern sich Werte, hat dies Auswirkungen auf den Einzelnen und das Unternehmen, in dem er tätig ist, und damit auf das gesamte Handeln in Organisationen. Die Hypothese vom Wertewandel geht von drei Möglichkeiten des Wandels aus:
1. Werte der Organisation verändern sich über die Zeit nicht, wodurch starre Strukturen entstehen.
2. Beide Wertesysteme verändern sich, sowohl das des Mitarbeiters als auch das der Organisation.
3. Die verinnerlichten Werte des einzelnen Mitarbeiters bleiben unverändert, aber die der Organisation entwickeln sich weiter.
Betrachtet man die Varianten des Wertewandels, besteht im Sinne des psychologischen Vertrags die Möglichkeit, dass insbesondere die neuen Selbstentfaltungswerte sowohl von Mitarbeitern als auch von Seiten des Unternehmens eingefordert werden. Erwarten Mitarbeiter, diese Werte auch im Betrieb leben zu können, und ist dies nicht möglich, dann sind Frustrationen und entsprechende Reaktionen, bis hin zur inneren Kündigung, an der Tagesordnung. Entwickelt andererseits das Unternehmen Erwartungen hinsichtlich dieser Werte an Mitarbeiter und können diese von ihnen nicht erfüllt werden, kann eine innere Kündigung diesen Personen auch «zugeschrieben» werden.
Nicht das Arbeiten an sich hat wohl an Wert verloren, vielmehr sind die den Aufgabenstellungen entgegengebrachten Ansprüche gestiegen (Stengel, 1993, S. 705). So wünschen sich immer mehr Menschen eine abwechslungsreiche und interessante Arbeit, die den Kontakt zu anderen ermöglicht und die Chance zur Verwirklichung eigener Ideen beinhaltet. An Bedeutung gewinnen aber auch Verantwortung und eine Verkürzung der Arbeitszeit. Dagegen gehen die Erwartungen an das Einkommen und die Karrieremöglichkeiten eher zurück.
Im Kontext des Wertewandels lässt sich innere Kündigung als resignative Abkehr von der Arbeit verstehen, insofern sie die veränderten Ansprüche nicht erfüllen kann. Dies führt zu einer Hinwendung zum außerberuflichen, privaten Bereich. Werden Arbeiter, die vor allem repetitive Arbeiten verrichten müssen, mit Selbständigen, Freiberuflern und Angestellten verglichen, zeigt sich diese Tendenz besonders eindrucksvoll für die Gruppe der Arbeiter.
Vieles spricht dafür, dass grundsätzlich die Bereitschaft gesunken ist, sich beruflich zu engagieren. Bei genauerer Betrachtung scheint jedoch nicht das berufliche Engagement drastisch gesunken zu sein, sondern das Außerberufliche, die Freizeit hat stärker an Gewicht gewonnen. Daher vermuten Forscher wie Bolte & Voss (1988) hinter dem Wertewandel einen komplexen Prozess der Bedeutungsverschiebung im gesamten Spektrum der Lebensinteressen weg von der Erwerbsarbeit. Sie sehen keinen Verfall der Arbeitsethik, sondern eine Veränderung der Werterealität: «Diese Einstellungsänderungen sind vielmehr als Folge einer Festigung und weiteren Verbreitung tragender kultureller Werte der Industriegesellschaft und des Bestrebens zu verstehen, diese unter veränderten gesellschaftlichen Lebensbedingungen zu verwirklichen» (Bolte & Voss, 1988, S. 79). Menschen müssen heute Arbeits- und Lebenswelt zu einem biographischen Projekt verbinden. Aufgrund unterschiedlicher Begabungen, Fähigkeiten und Fertigkeiten wird dieses Projekt in verschiedener Form verwirklicht. Strümpel hat dafür den Begriff der «Gleichgewichtsethik» geprägt, der besagt, dass weder das eine noch das andere ein Übergewicht erhalten soll (1985, S. 65ff.).
Auch eine hohe Arbeitslosenquote kann zur gesellschaftlichen Bedingung für ein Abrutschen in die innere Kündigung werden; denn sie hat großen Einfluss auf die Wahl des Arbeitsplatzes. Eine hohe Arbeitslosenquote begrenzt die Chancen, Arbeitsbedingungen, die unzufrieden machen oder aus diversen Ursachen als unzumutbar empfunden werden, durch eine äußere Kündigung zu beenden. Dies trifft vor allem diejenigen, die Familie haben oder finanzielle Verpflichtungen eingegangen sind. In der Regel müssen Erwerbslose, vor allem nach langer Arbeitslosigkeit, Tätigkeiten annehmen, für die sie sich bei einer Wahlmöglichkeit nicht entscheiden würden. Weder Arbeitsinhalt noch Arbeitsbedingungen sind mit ihren Vorstellungen vereinbar und damit eher unbefriedigend. Die dabei entstehenden inneren Konflikte werden dann häufig durch eine Rücknahme des Engagements und einen «Dienst nach Vorschrift» gemildert.
Aus unseren Befragungsdaten lässt sich eine wechselseitige Beeinflussung von Gesellschaft und Unternehmen hinsichtlich gelebter Werte ableiten. Die Befragten stellten bei den von ihnen präferierten fünf gesellschaftlichen Auslösern einer inneren Kündigung den zunehmenden Druck im Arbeitsleben, d.h. den Trend zu einer Gesellschaft, in der nur noch die Leistung zählt, an erste Stelle. In toto werden folgende gesellschaftliche Ursachen für die innere Kündigung in absteigender Reihenfolge genannt:
♦ Trend zu einer Gesellschaft, in der nur noch die Leistung zählt;
♦ Trend zur Anspruchsgesellschaft;
♦ Wertewandel in der Gesellschaft;
♦ zunehmende Perspektive- und Orientierungslosigkeit;
♦ mangelnde gesellschaftliche Wertschätzung der ausgeübten Tätigkeit.
Die Analyse ergibt für die Daten zu den gesellschaftlichen Ursachen drei Faktoren:
♦ den gesellschaftlichen Wertewandel,
♦ eine zunehmende Individualisierung,
♦ eine mangelnde sozioökonomische Wertschätzung in der Berufswelt.
Der erste...