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E-Book

Isch geh Bundestag

Wie ich meiner Tochter versprach, die Welt zu retten

AutorPhilipp Möller
VerlagS. Fischer Verlag GmbH
Erscheinungsjahr2019
Seitenanzahl336 Seiten
ISBN9783104904481
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis12,99 EUR
Mietwahnsinn, marode Schulen, Klimawandel und Rechtsnationalismus ... Wer löst endlich unsere Probleme? »Der Auftrag meiner Tochter ist eindeutig: mit den Politikern schimpfen, weil die Toiletten auf ihrer Schule ekelhaft sind und trotzdem nicht saniert werden. Und wenn Super-Daddy schonmal im Bundestag unterwegs ist, könnte er doch gleich noch ein paar andere Dinge ansprechen: etwa, dass wir Jahr für Jahr einen unfassbaren Reichtum erwirtschaften, aber nur die allerwenigsten Menschen daran teilhaben lassen. Oder dass wir ganz genau wissen, wie krass der Klimawandel unser Leben verändern wird, und trotzdem jede politische Chance verpassen, ihn zu bremsen. Und was das Leben unter einer rechten Regierung bedeutet, weiß meine Tochter auch - und zwar von ihrer Uroma, die live dabei war.« Wie die Welt seiner Kinder wohl aussehen wird, wenn sich am momentanen Regierungsstil nichts ändert, fragt sich der dreifache Vater, Philipp Möller, schon lange - und will auf Antworten nicht länger warten. Stattdessen krempelt er die Ärmel hoch und will selbst mit anpacken ... doch ins Zentrum der Macht zu gelangen, ist gar nicht mal so einfach. Und als er es geschafft hat, kommt alles anders als erwartet. Ein unterhaltsamer und erkenntnisreicher Selbstversuch.

Philipp Möller, Jahrgang 1980, ist Diplom-Pädagoge und lebt als freier Autor mit seiner Familie in seiner Heimatstadt Berlin. Nach dem Studium der Erwachsenenbildung wagte er den Quereinstieg als Lehrer und unterrichtete zwei Jahre lang an Berliner Grundschulen, worüber er seinen ersten Bestseller 'Isch geh Schulhof' schrieb. Zudem engagiert er sich seit zehn Jahren in der Giordano Bruno Stiftung für Humanismus und Aufklärung.

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Leseprobe

Na, das geht ja gut los


»Manchmal komm’ ich mir hier vor wie im Irrenhaus!« Der junge Mann betritt vor mir eine Treppe im Jakob-Kaiser-Haus, also dem Gebäude, in dem ein Großteil der Abgeordnetenbüros des Bundestages untergebracht ist. Er hat eine tiefe Stimme und ein junges Gesicht und ist 1986 geboren. Ich folge ihm, denn ab heute bin ich sein Weltrettungspraktikant.

»Echt – ist es so schlimm?«, frage ich. Zugegeben, das ist kein Satz, den ich von einem Abgeordneten erwartet hätte, vor allem nicht, weil ich ihn erst seit etwa fünfzehn Minuten kenne. »Meinst du jetzt innerhalb deiner eigenen Partei oder im Gespräch mit den anderen Fraktionen?«

»Alter, nein!« Er lacht schallend durch das ganze Treppenhaus. »Wobei auch das manchmal vorkommt. Mir geht es eher um die Architektur – schau doch mal …« Er zeigt auf die Stahlgeländer, hinter denen auf allen Etagen rechts und links die Bürotüren liegen. Von der Treppe aus können wir sie gut einsehen. »Stell dir einfach vor, in jeder Tür wär so ein kleines Schiebefensterchen …«

»… und dann kommen die Wärter«, setze ich seinen Satz nickend fort, »und bringen das Essen!«

»Exakt, kluger Praktikant!« Er lacht wieder, zieht eine Augenbraue hoch und zeigt auf ein Poster mit einer blauweißen bayerischen Fahne, das im fünften Stock an einer Bürotür hängt.

»CSU?«, frage ich ihn, doch er schüttelt den Kopf und zeigt auf das Türschild, auf dem drei ganz andere Buchstaben stehen. Mein Lächeln fällt mir aus dem Gesicht. »Ach du Sch…«

»Sch!«, unterbricht er mich und zeigt dezent auf einen hageren, jungen Mann mit grauem Anzug und blondem Seitenscheitel, der gerade aus einem gläsernen Fahrstuhl steigt und uns entgegenkommt.

Und weil der Typ höchstwahrscheinlich zu der Partei gehört, deren Einzug in den Bundestag mich unter anderem zu der Erkenntnis gebracht hat, diese Welt müsse vor ihm und seinesgleichen gerettet werden, senke ich lieber meinen finsteren Blick und beiße mir auf die Unterlippe, als wir an ihm vorbeigehen. Er hingegen nickt uns zu.

»Hey!«, sagt er im Vorbeigehen – und bleibt dann stehen. »Philipp Möller?« Er lächelt mich aus blauen Augen an und streckt mir seine Hand entgegen. »Wir haben uns ja ewig nicht gesehen.«

Fuck. Woher kenne ich den Kerl doch gleich? Doch nicht etwa privat? Und was soll jetzt mein vorübergehender Vorgesetzter von mir denken?!

»J … Ja.« Mehr fällt mir erst mal nicht ein. »Der bin ich.«

»Wir kennen uns doch«, sagt er freundlich und schaut dann meinen Begleiter an. »Ich bin Felix Thiessen von der AfD, hallo.«

»Ich bin Lukas«, sagt mein vorübergehender Vorgesetzter mit Bariton-Stimme. Auf den Zusatz, dass er hier Abgeordneter ist, verzichtet er genauso wie auf die drei Buchstaben, die seine Zugehörigkeit zu einem der Bundestags-Teams verraten würden. »Ich geh schon mal vor, bis gleich!«

»Äh … Wo muss ich denn genau hin?«

»Ist ganz easy«, sagt Lukas. »Du gehst hier bis zum Fahrstuhl, fährst ins UG, nimmst den Tunnel durchs JKH Nord, und bevor’s zum RTG geht, biegst du zu, PLH …« Er blinzelt. »Frag einfach jemanden oder ruf mich an.«

So kommt es, dass ich ungefähr in meiner siebzehnten Minute als Weltrettungspraktikant allein mit einem AfD-Mann auf dem Flur des Bundestags stehe und ein Pläuschchen halte. Und keinen blassen Schimmer habe, wer er ist.

»Wir sind uns vor zehn Jahren mal begegnet«, erkennt er wohl meine Ratlosigkeit, »damals wollte ich mich auch in Sachen Atheismus engagieren …«

»Aha.« Ich schaue auf den kleinen Schwarzrotgold-Button an seinem Revers und grinse ihn frech an. »Und dann bist du versehentlich rechts abgebogen, ja?«

»So hätte ich das jetzt nicht gesagt …« Er rollt lächelnd mit den Augen. »Ich bin dann zur Jungen Alternative gegangen, und damit war ich nicht mehr so gern gesehen in euren Kreisen.«

»Ach, du warst das!« Jetzt erinnere mich an ihn. Wollte bei unserer saugeilen Buskampagne mitmachen, der Typ, weil er sich so über den Islam aufgeregt hat. Ich hatte aber schon damals den Eindruck, es gehe ihm nicht nur um die Ideologie des Islam, sondern auch um Muslime – was den gravierenden Unterschied ausmacht. Daher war ich ganz froh, dass er auf einmal von meiner Bildfläche verschwunden war. »Aber dir ist schon klar, warum du damit bei uns nicht mehr gern gesehen warst, oder?«

»Ja. Na ja.« Er schaut nach oben und nickt langsam. »Aber sag mal: Was machst du denn hier im Bundestag?«

»Ach du, das ist eine lange Geschichte.«

»Für lange Geschichten ist im Bundestag keine Zeit«, sagt er grinsend.

»Na gut: Ich habe meiner achtjährigen Tochter versprochen, die Welt zu retten.«

»Die Welt retten?« Er lacht laut, was ich bei allen anderen ja auch provozieren will, bei ihm und seinen Kollegen aber irgendwie gar nicht witzig finde. »Wovor denn genau?«

»Wovor genau?« Ich raufe mir die Haare. »Klimawandel, massive Jobverluste durch Digitalisierung, Vertrauensverlust in die Demokratie, Lobbyismus, soziale Spaltung, explodierende Mieten, Rechtsnationa…« Ich stocke. »Also …«

»Schon klar.« Er zieht eine Augenbraue hoch. »Wir werden natürlich als Bedrohung wahrgenommen.«

»Wahrgenommen?« Jetzt muss ich lachen. »Was sagte eurer Chefpopulist doch gleich am Wahlabend: Wir werden sie jagen?!«

»Ach komm!« Felix schüttelt den Kopf. »Das war politisch gemeint.«

»Schon klar.« Jetzt ziehe ich eine Augenbraue hoch, und an der Stelle merken wir wohl beide, dass diese Debatte zwischen Tür und Angel wenig Sinn ergibt.

»Und wie willst du hier die Welt retten?«, fragt er.

»Erst einmal will ich herausfinden, welche Parteien sich daran beteiligen«, beginne ich, woraufhin Felix nickt.

»Wir auf jeden Fall«, sagt er mit fester Stimme. »Das wissen die anderen nur nicht.«

Stille.

»Ich hab mir jedenfalls das Ziel gesetzt«, fahre ich fort, »eine Rede vorm Bundestag zu halten!«

»Aha.« Er lacht wieder. »Also wenn ich das mal zusammenfassen darf: Du versprichst deiner Tochter, die Welt zu retten, heuerst hier als Praktikant an …«

»Als Weltrettungspraktikant, bitte sehr – so viel Zeit muss sein!«

»Okay, sorry. Und dann willst du eine Rede vor dem Plenum halten und damit die Welt retten?«

»… und am Ende noch ein Buch darüber schreiben, genau.« So gesagt klingt es natürlich vollkommen unrealistisch, aber das werde ich gegenüber jemandem von der AfD ganz sicher nicht zugeben – schon aus Prinzip nicht! »Genau so werde ich das machen.«

»Klingt spannend«, sagt er. »Und warst du schon bei jemandem von uns?«

»Nee.«

»Haste aber sicher vor, oder?«

»Klar!« Meine Nase juckt. »Voll gerne!«

»Na dann …« Er greift in die Innentasche und zückt sein Kärtchen. »Meld dich gern bei mir! Für Weltrettungspraktikanten haben wir immer Platz – und zu verbergen haben wir bei der AfD schließlich auch nichts.« Dann streckt er mir wieder seine Hand entgegen.

»Abgemacht!« Ich schlage ein. »Demnächst komme ich zum Kaffee rum, und dann schauen wir nach einem Termin, ja?«

»Gerne – aber nur wenn du mir dann erzählst«, sagt er winkend, »wie du auf diese verrückte Idee gekommen bist.«

Ich drehe mich um und gehe mit gerunzelter Stirn weiter. Habe ich mich da gerade wirklich mit der AfD verabredet, heilige Scheiße?! Und von welcher verrückten Idee spricht der Kerl eigentlich – etwa von der Weltrettung?

Was soll denn daran verrückt sein? Ich dachte, genau darum geht es hier, und daher wüsste ich ehrlich gesagt nicht, wie ich meine Lebenszeit besser verbringen könnte. Wie kann ich denn schließlich als junger Vater, als Vollblutdemokrat und bekennender Friedens- und Freiheitsfanatiker tatenlos dabei zusehen, wie das System, in dem wir weltweit leben, mit zunehmender Geschwindigkeit auf den Abgrund zurast? Weil wir Menschen uns wie nimmersatte Raupen durch den Planeten fressen, haben wir den Klimawandel auf ein nie dagewesenes Tempo beschleunigt, haben das Artensterben mit unserem Raubbau an der Natur auf ein trauriges Rekordmaß gebracht und sehen mit einem Schulterzucken dabei zu, wie Naturkatastrophen immer mehr Opfer fordern? Armut, Hunger und Pandemien breiten sich aus, und zusätzlich sorgen Krieg und religiöser Terror für humanitäre Krisen und ganze Völkerwanderungen. Doch auch das luxuriöse System des Westens, in dem wir Klospülungen mit Trinkwasser bedienen, ist so ausgehöhlt, dass nur noch seine Fassaden stehen, wie der Philosoph Philipp Blom[1] bemerkt. Längst hat das katastrophal schlechte Migrationsmanagement unserer Regierung die tatsächlichen Herausforderungen schöngeredet und damit das Einfallstor für die Rechtsnationalisten geöffnet. Seit langem hat der moralbefreite Immobilienmarkt die Wohnungspreise auf ein perverses Niveau geschraubt und lässt einen Großteil der Gesellschaft abstürzen. Rentenkassen werden geplündert, soziale Sicherungssysteme marodieren langsam, aber sicher, und Kommunen, Städte und ganze Länder sind so heillos überschuldet, dass es nur eine Frage der Zeit ist, wann sie vor dem Kapitalismus kapitulieren. Und nicht zuletzt hat unser Bildungssystem seinen Namen kaum noch verdient. Das musste nicht nur ich am eigenen Leib erfahren, sondern inzwischen auch meine Tochter, die exakt jene Schule besuchen muss, über die ich mein erstes Buch[2] geschrieben habe, weil wir keine...

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