2.Motive, Typen, Rollenbilder: Journalisten
Journalisten kennen sich aus, sind bekannt, schreiben interessante Artikel. Sie sind irgendwie engagiert, wollen ständig etwas bewegen, graben immer etwas aus. Vermutlich haben sie kaum Privatleben, und wenn, dann ist es eine Art Prominentenparty. Sie würden auch ihre Großmutter für eine gute Story verkaufen.
Klischees, nicht selten durch journalistische Star-Rollen in Filmen geprägt. So lässt Jack Lemmon in Billy Wilders Film »Extrablatt« sogar seine Braut am Tag vor der Hochzeit für einen Scoop sitzen. Im Grunde genommen ist er mit seinem Chefredakteur glücklich verheiratet, sie lieben und sie schlagen sich. In »Reporter des Satans«, ebenfalls von Billy Wilder, nimmt Kirk Douglas als abgehalfterter Reporter das im Berg verschüttete Opfer buchstäblich als Geisel – und organisiert draußen exklusiv die Sensationsstory.
Dicht dran am spektakulären Geschehen
Die Wirklichkeit ist aber manchmal gar nicht so weit davon entfernt. Im so genannten Gladbecker Geiseldrama nahm der frühere Chefredakteur einer deutschen Boulevardzeitung neben dem schwer bewaffneten Geiselnehmer Platz und lotste den Wagen aus der Kölner Fußgängerzone. Journalisten sind dicht dran am spektakulären Geschehen, manchmal zu dicht – und manchmal werden sie sogar zu Akteuren. Dabei sind solche spektakulären Ereignisse nicht die Regel, häufig ist von Routine-Dienst, Frust, viel Alkohol, Zigaretten und zerrütteten Beziehungen die Rede.
Irgendwie ist Journalismus also spannend, aber irgendwie auch nicht gesund. Und er ist paradoxerweise ungemein attraktiv: Die Journalistenschulen können sich über einen Mangel an Kandidaten nicht beklagen, für ein Volontariat geht in der Regel ein Vielfaches an Bewerbungen ein, die medienwissenschaftlichen Studiengänge der Hochschulen sind überlaufen. »Irgendwas mit Zeitung« und »Irgendwas mit Journalismus« ist offenbar hochgradig attraktiv. Bloß, was das ist, Journalismus, darüber herrschen klischeehafte, bisweilen abenteuerliche Vorstellungen – falls überhaupt welche bestehen.
Viele Fragen: Warum soll ich mir das antun?
Das ist die große Frage. Warum soll ich mich mit etwas beschäftigen, das mich nicht mehr loslässt, rund um die Uhr in Beschlag nimmt, das mich mehr fordert, als ich vielleicht verkraften kann? Bin ich dazu überhaupt bereit?
•Warum soll ich es mir schwer machen, wenn ich es doch viel einfacher haben kann?
•Warum soll ich mich eigentlich mit Gott und der Welt anlegen, warum soll ich mir Feinde machen?
Warum muss ich mich eigentlich laufend mit Dingen beschäftigen, die ich nicht verstehe, weil ich sie nicht gelernt oder studiert habe? Warum muss ich so lange recherchieren und grübeln, bis ich sie verstehe? Ja, und warum treibe ich dann diesen ganzen aberwitzigen Aufwand schließlich noch mal, um es anderen zu erklären?
Ja, warum eigentlich? Was ist es, was Journalisten antreibt? Warum will man schreiben, berichten, kommentieren? Warum will man nicht nur wissen, wie die Welt tickt und was sie schmiert und zusammenhält, sondern sie in Dreiteufelsnamen auch noch den Leuten da draußen erklären? Sind wir noch ganz bei Verstand?
Diese Fragen sind allesamt rhetorischer Natur. Sie dienen einzig und allein dem Ziel, jetzt noch ein paar unentschlossene Leser hinauszukegeln. Damit wir von jetzt an unter uns sind. Nur noch wir paar Verrückte, die gemeint sind und die ich meine. Leute, die wirklich wissen wollen, wie es geht. Und die sich nicht abschrecken lassen wollen vom härtesten und gemeinsten Beruf der Welt. Es ist der Job, mit dem du dir keine Freunde machst. Es ist der Job, mit dem du dir höchstens Läuse in den Pelz setzt und ständig gegen die eigenen Fehler und Unzulänglichkeiten kämpfst, die auch noch jeden Tag brühwarm in der Zeitung stehen.
Es ist der Job, der dir wie ein Fallbeil mit Liebesentzug, Redaktionsschluss und Andruck droht. Der keine Dankbarkeit kennt, dafür aber die Umfänge der nächsten Ausgabe. Sisyphos ist nichts dagegen. Wir dürfen uns Sisyphos aber immerhin als glücklichen Menschen vorstellen.
Die Stärken: Interesse, Wachheit, Wachsamkeit
Ohne ein Höchstmaß an Interesse und Interessen, Wachheit und Wachsamkeit geht es nicht und wird es nicht gehen. Das ist eigentlich selbstverständlich, doch man erlebt sein blaues Wunder. Ich gebe eine Journalismus-Einführungsveranstaltung – und zu Beginn lote ich traditionell Interesse und Interessen des potenziellen Nachwuchses in Sachen Medienwissenschaften aus. Hinterher ist mir immer zum Weinen zumute.
Es gibt zwei Checks, an denen man vieles erkennt.
Blick in eine moderne Redaktion, Konferenz am News- und Online-Desk. Hier laufen die Fäden zusammen. Auf Bildschirmen wird der Fortschritt der Seiten kontrolliert, verantwortliche Redakteure, Blattmacher, Reporter und Mitarbeiter diskutieren über Themen und Überschriften.
Der eine lautet: Was ist heute Stadtgespräch? Worüber muss man heute auf jeden Fall Bescheid wissen? Schlicht und ergreifend: Wie ticken wir denn am heutigen Tag, was treibt uns um, was regt uns auf, was macht uns glücklich, lässt uns fiebern, lachen, weinen? Ein Teilnehmer, der einigermaßen am öffentlichen Leben interessiert ist und damit schon über die rudimentärsten journalistischen Grundvoraussetzungen verfügt, beginnt nun zu sprudeln. Eigentlich.
Griechenland, Portugal oder Irland pleite, die Bischöfin fährt in Schlangenlinien, der Oberbürgermeister in Handschellen, Showdown in Wimbledon oder Wolfsburg – irgendetwas Aufregendes oder Kurioses ist immer gerade passiert. Wer nicht jeden Tag mit dieser verrückten, schönen, spannenden Welt da draußen mitfiebert und ihr den Puls fühlt, der bekommt allerdings zwangsläufig ein Problem. Unvorstellbar, wie viele bei so einem simplen Check dumm dasitzen. Ich könnte jedes Mal heulen.
Aber es kommt noch schlimmer, denn dann ist Check Nr. 2 dran. Es ist eine Frage von bemerkenswerter Schlichtheit: Woher beziehen Sie Ihre täglichen Informationen, wie entsteht Ihr Weltbild?
Es ist also die simple Frage: Was lesen Sie täglich? (Mit Verlaub – die Frage lautet ja gar nicht: Welche Zeitung lesen Sie? So kühn bin ich nicht, jedenfalls nicht mehr.) Heraus kommt allzu oft ein erschütternder Analphabetismus in Sachen Lese- und Nachrichtenkultur. Der Höhepunkt ist regelmäßig die diffuse Antwort »Internet« oder »Google«. Auch »Wenn unter der Treppe eine Zeitung liegt, lese ich sie«, habe ich öfter gehört. Welche und ob das überhaupt eine war – ganz egal.
»Mehrere Zeitungen täglich, ich verschlinge sie förmlich« – diese Antwort habe ich allerdings noch nie gehört.
Nicht nur ohne Interesse und Interessen, auch ohne eigene Projekte geht es nicht. Es ist schwierig, Journalist zu sein, wenn es kein Thema gibt, für das man brennt. Okay, du hast ein Pferd auf der Weide stehen und kennst dich mit Pferden aus. Alles klar, du spielst ein Instrument oder bist gut im Sport. Vielleicht bist du Mitglied in einer Bürgerinitiative oder bei Greenpeace. Alles nicht schlecht für den Anfang – und vor allem schon mehr, als viele andere Journalismus-Aspiranten zu bieten haben. Bloß reicht das noch lange nicht.
Du brauchst neben überragendem Allgemeininteresse und mithin veritablem Allgemeinwissen, für das du dich allerdings überhaupt nicht quälen musst, mindestens ein Fach, Gebiet oder Projekt, in dem du dich richtig auskennst. Du brauchst eine Leidenschaft, in der du lebst und arbeitest, forschst und schreibst. Hier benötigst du von niemandem Anschub oder Nachhilfe, denn dein Wissensdurst ist von selber groß. Und, ehrlich gesagt, bei deinen Projekten macht dir so schnell keiner was vor. Da könntest du spontan eine kleine Rede oder einen Kurz-Vortrag halten. Ganz locker. Aber auch ganz easy, kein Problem, höchstens damit, sich kurz zu fassen.
Eine weitere Stärke, die wir uns zulegen müssen, an der wir arbeiten und die wir entwickeln müssen, ist das Gespür für Stimmungen, für Trends und Entwicklungen.
Es ist letztlich die Fähigkeit, Veränderungen auch in kleinsten Nuancen aufzuspüren, Haar-Risse unter glatten Oberflächen, aber auch Verbindendes, wo das Trennende noch überwiegt. Es ist die Fähigkeit und glänzende Aussicht, nicht nur über den Kuchen oder das Brot zu schreiben, sondern bereits über den Teig. Aber es ist nicht selbstverständlich und überaus zäh, denn es mag einem oft so vorkommen, dass gerade überhaupt nichts passiert. Hier trennt sich die Spreu vom Weizen. Der echte Journalist zeigt die Veränderung und Bewegung, die überall ist, selbst wenn ihre Geschwindigkeit so gering, ja fast eingefroren ist, dass man sie kaum erkennen kann.
Um diese Wachheit und Wachsamkeit geht...