Madleen Podewski
Krieg in ‚kleinen Archiven‘:
Überlegungen zum Umgang mit der Medienspezifik der Zeitschrift
Medienordnungen: Zeitschriften als ‚kleine Archive‘
In den Literaturwissenschaften beginnt sich die Einsicht, dass Zeitungen und Zeitschriften zentrale Orte für literatur- und kulturgeschichtliche Entwicklungen sind, allmählich und auch nachhaltig durchzusetzen.1 Schwierig geblieben ist gleichwohl die Konzeptualisierung dieser Medien, was ganz sicher sehr viel mit dem komplexen Material selbst zu tun hat. Denn dem ist mit den kurrenten Interpretationsmodellen ganz offensichtlich nicht so recht beizukommen: Das gilt für den (traditionelleren) Fokus einer Sozialgeschichte der Literatur, der Zeitungen und Zeitschriften schon seit längerem für einen Zugriff auf das Sozialsystem Literatur nutzt – auf die Prozesse der Produktion, Distribution, Rezeption und Speicherung von Literatur also –, der aber den Zusammenhang mit dem Symbol-system literarischer Bedeutungskonstitution weitgehend ausgespart lässt.2 Das gilt aber auch für Ansätze, die stattdessen von einem ganz unmittelbaren funktionalen Zusammenhang zwischen (Massen-)Medien und literarischen Themen und Schreibverfahren ausgehen. Partiell ist hier immer noch das alte kulturkritische Argument im Schwange, dass Massenkulturen – und mit ihnen auch die populären Publikumszeitschriften, in denen Literatur erscheint – heteronome Kulturen sind: Die Literatur, die hier abgedruckt wird, sei – genau wie die Zeitschrift auch – Unterhaltungsbedürfnissen und dem „Schraubstock moderner Marktmechanismen“ unterworfen,3 wogegen sich autonome, ästhetisch „wertvolle“ Literatur von solchen Bedingungsfaktoren freihalten könne. Dass diese Aufteilung in zwei Literaturen eine Fiktion ist, die für den Bereich der kanonisierten autonomen Literatur auf einer eklatanten Medienvergessenheit der Literaturwissenschaft beruht, ist jüngst gezeigt worden. Allerdings behält auch hier das Modell eines direkt-funktionalen Zusammenhangs zwischen Zeitschriften und Literatur weiterhin seine Geltung, wenn auch nun ohne die alten kulturkritischen Implikationen und deren Unterscheidung von autonomen und heteronomen Kultursegmenten: Literatur erscheint nun durchweg spätestens seit der Mitte des 19. Jahrhunderts als so sehr an den Zeitschriftenmarkt gebunden, dass von einem eigenständigen Literatursystem nicht mehr die Rede sein kann. Und damit ist sie in Gänze – also nicht nur die so genannte Schema- oder Formelliteratur – den Selbstreproduktionslogiken des Massenmediums Zeitschrift unterworfen; deren Code, Programm und Funktionen determinieren die Textstrukturen ebenso wie die Werk- und Autorkonzeptionen.4
Es zeichnen sich also für den Umgang mit dem Zusammenhang zwischen Literatur und Zeitschriften zwei Grundtendenzen ab. In der einen Richtung wird Literatur von ihrem medialen Erscheinungskontext distanziert bzw. gänzlich abgelöst: Die Zeitschrift als einer ihrer wichtigen Publikationsorte bleibt hier entweder von vornherein irrelevant oder sie hat als Teil des Sozialsystems mit der Bedeutungsorganisation der Texte selbst nicht unmittelbar zu tun, oder aber diese Bedeutungsorganisation behauptet sich – allerdings nur im Fall ästhetisch „wertvoller“ Literatur – als eine strikt autonome gerade gegen die heteronomen Zentralfunktionen der im Grunde als kunstfremd gedachten populären Medien. In der anderen Richtung lassen sich dagegen Verfahren der Homogenisierung ausmachen: Zeitschriften werden dabei als kohärente Einheiten modelliert, deren Zusammenhang auf einem grundlegenden, auf alle Elemente der Zeitschrift gleichermaßen durchschlagenden Prinzip basiert. Das gilt vor allem für die Funktion der „Unterhaltung“, die für Massenmedien als konstitutiv angesetzt wird, das betrifft aber auch die Modellierung von Zeitschriften als Medien der (Volks-)Bildung und Identitätsstiftung. Und es zeigt sich in Versuchen, Zeitschriften in Orientierung an den literaturwissenschaftlichen bzw. semiotischen Kategorien „Werk“ bzw. „Text“ als eine Bedeutungseinheit zu konzipieren, die sich über bestimmte Schreib- und Darstellungsverfahren – etwa als „Kunstwerk“, „Essay“ oder als „Interdiskurs“ – herstellt.5
So unterschiedlich die Formen und Funktionen, die mit dem zuletzt skizzierten Zugriff ins Spiel gebracht werden, auch sind, sie haben allesamt denselben Status: Sie charakterisieren die Pressegattung ebenso wie das Text- und Bildmaterial, aus dem sie besteht, und sie sind in den meisten Fällen so abstrakt (und dabei zum Teil geradezu essentialistisch) konzipiert, dass kaum diachrone, geschweige denn synchrone Unterscheidungen zwischen unterschiedlichen Zeitschriftentypen möglich sind.6 Die Rolle, die die Literatur innerhalb einer Zeitschrift übernehmen könnte, ist hier nur schwer zu bestimmen, weil auf diese Weise unterschiedslos alle Elemente demselben Funktionsprinzip unterworfen sind und Binnendifferenzierungen letzten Endes unmöglich werden. Unberücksichtigt bleibt so in jedem Falle das, was hier als das Spezifikum von Publikumszeitschriften herausgestellt werden soll: ihre formale und thematische Vielfalt einerseits und die je spezifische Zeitschriftenordnung, die sich mit ihr herstellt, andererseits. Zeitschriften sind komplexe Funktions- und Formenbündel, die formal unterschiedliche Textsorten versammeln (etwa literarische, populärwissenschaftliche Texte, Essays, Nachrichten, Notizen, Werbung), die wiederum von verschiedenen Autoren verfasst sind, dabei außerdem ein breites Themenspektrum abdecken können, ergänzt werden um diverse Text-Bild-Kombination von Bildserien über Karikaturen bis hin zu den Werbeanzeigen, darüber hinaus um Bildmaterial aus Reproduktionen unterschiedlichster Gattungen der bildenden Kunst, Fotografien, Vignetten, Zierbändern, und schließlich ergänzt durch eine große Vielfalt an typografischen Gestaltungsmöglichkeiten.
Eben dass sie eine solche Vielfalt auf solch vielfältige Weise präsentieren, macht, so die Grundüberlegung dieses Beitrags, die Medienspezifik von Zeitschriften aus. Dabei funktionieren sie wie ‚kleine Archive‘:7 Im Zusammenbinden von Papierseiten und mit Heft- und nachträglichen Jahrgangsdeckeln werden sie zu ganz konkreten, materiell hergestellten „Sammelorten“, die zugleich auf eine eigene Weise sortiert und strukturiert sind: durch die Wahl der Themen und deren Verteilung auf bestimmte Argumentations-, Schreib- und Bildformen, durch interne Strukturierungsformen wie etwa die Graduierung von Relevanz über die Positionierung des Text- und Bildmaterials (z. B. als Leitartikel oder im hinteren, bereits mit kommerzieller Werbung durchsetzten Teil), in der Steuerung der Aufmerksamkeit auf Textsortendifferenzen (z. B. in der expliziten Zuordnung zu einer Rubrik „Lyrik“ im Heft- oder Jahresinhaltsverzeichnis oder auf der Heftseite selbst), mit verschiedenen und dabei wiederum signifikant werdenden Archivierungstechniken (z. B. mit einem Register der Jahresinhaltsverzeichnisse) oder im Umgang mit Mediendifferenzen (z. B. in Text-Bild-Konstellationen).
Die Frage nach der Rolle der Literatur in einer Zeitschrift lässt sich nur mit Blick auf dieses komplexe Gesamtgefüge beantworten und damit nicht pauschal und vornherein: Ob sie etwa die These eines Essays in einer Erzählung an einer Figur individualisierend „veranschaulicht“, „modifiziert“ oder „widerlegt“, ob sie Wissen mit Werbeanzeigen oder Bildmaterial „teilt“, ob die Zeitschriftenhefte solche Differenzen und/oder Gemeinsamkeiten dann auch typografisch oder in ihren Inhaltsverzeichnissen markieren oder ob eben das auf der Ebene des Layouts und im Jahresinhaltsverzeichnis gar nicht wichtig ist – all das muss in Einzel- und schließlich in Korpusanalysen allererst geklärt werden. Denn die Kriterien, die hier für die Beschreibung der Medienspezifik der Zeitschrift vorgeschlagen werden sollen, sind nicht nur vielfältig, sie sind darüber hinaus auch noch variabel verwendbar; wie sie jeweils gebraucht werden, macht dann das Charakteristische des jeweiligen Zeitschriftentyps aus. Ebenso wenig aber lässt sich die Frage nach der Rolle von Zeitschriftenliteratur einsinnig beantworten. Denn Funktionen und Bedeutungen werden in Zeitschriften immer auf verschiedenen Ebenen zugleich zugeteilt – etwa so, dass zum Beispiel die Gattungsdifferenz von Lyrik auf typografischer Ebene in der Wahl einer besonderen Type oder in der isolierten Präsentation auf einer Einzelseite markiert erscheint, auf inhaltlich-konzeptioneller Ebene aber wieder nivelliert sein kann, weil das Gedicht etwas ganz Ähnliches thematisiert wie ein Essay, der im selben Heft abgedruckt wird oder weil die Sprechinstanzen beider Texte auf die gleiche Weise anonym bleiben. Zeitschriften verknüpfen in ihren Materialzusammenstellungen also immer auch bestimmte Themen mit bestimmten Formen – ganz grundlegend mit Zeichensystemen (Schrift, Bild), aber ebenso mit literarischen und sonstigen Text- und Bildgattungen, und damit geht es implizit immer auch darum, welche Reichweite, welche Zuständigkeiten diesen Formen angemessen sind und welche Beziehungen zwischen ihnen bestehen.
Solche Zeitschriftenordnungen aber besitzen eine eminente historische Signifikanz, weil sie anzeigen, was in...