Lektion 2
Atem und Prana-Energie
Die Ganzatmung
Ob du ein höheres Bewusstsein, größere psychische Empfindsamkeit, bessere Gesundheit (physische wie geistige) oder einen Ganzkörperorgasmus erleben möchtest: Der Schlüssel zu alldem ist eine intensivere Atmung. Schließe für einen Moment die Augen, und beobachte deinen Atem, ohne ihn zu beeinflussen. Du wirst vermutlich feststellen, dass er flach und ziemlich rasch ist. Leider ist das in unserem Kulturraum normal. Yogis legen großen Wert darauf, langsam und tief atmen zu lernen, die Lungen ganz zu füllen und dann wieder vollständig zu entleeren. Du wirst außerdem feststellen, dass sich das Atemmuster in dem Augenblick, in dem du dir deines Atems bewusst wirst, verändert. Bewusstes Atmen ist die Grundlage für die Kontrolle des Atems.
Sieh dir an, wie groß die Lunge ist (siehe Abbildung rechte Seite). Sie besteht aus drei verschiedenen Kammern oder Lappen, aber die oberen und unteren Lappen werden kaum benutzt. Die meisten Menschen atmen nur mit dem mittleren Lappen. Wenn du ein schlafendes Baby beobachtest, wirst du feststellen, dass sich beim Atmen zuerst sein Bauch und dann sein Brustkorb hebt. Dies ist die natürliche Art zu atmen. Die meisten Menschen schöpfen ihre Lungenkapazität zu weniger als einem Siebtel aus und nehmen mit jedem Atemzug nur etwa einen halben Liter Luft auf. Die voll ausgedehnte Lunge hat ein Fassungsvermögen von etwas mehr als drei Litern. Wenn mehr Sauerstoff in den Körper gelangt, wird jede Zelle jedes Organs genährt und kann ihre Aufgabe sehr viel effektiver ausführen. Wenn mehr Sauerstoff in die Nervenzellen des Gehirns gelangt, löst das im Gehirn klarere und stärkere Impulse aus, was die Sinne schärft und das gesamte Nervensystem stärkt. Wir werden uns der feinen Energien, die in und um uns herum sind, sehr viel bewusster.
Wenn man nach dem Einatmen die Luft für einen Augenblick anhält, gibt das dem Blut zusätzliche Zeit, Abfallstoffe loszuwerden und dann mehr Sauerstoff aufzunehmen. Mehr Sauerstoff im Körper zu haben, das hat erstaunliche heilende und verjüngende Wirkungen.
Das Ausatmen befreit den Körper von Kohlendioxid und anderen Abfallprodukten des Stoffwechsels. Wenn diese Abfallstoffe nicht gründlich beseitigt werden, versagen die Zellen und werden anfällig für Krankheiten. Beim unbewussten Atmen wird die Lunge nur selten völlig geleert. (Siehe Abbildung rechte Seite.)
Zugang zum Unterbewusstsein. Das Nervensystem besteht aus zwei Teilen: erstens dem Zentralnervensystem für willentliche (bewusste) Bewegungen und zweitens dem vegetativen Nervensystem, das Körperfunktionen automatisch steuert (unbewusst). Das Atmen ist normalerweise ein automatischer Vorgang, aber von allen automatischen Funktionen ist es diejenige, die am leichtesten willentlich kontrolliert werden kann. Es ist daher die Brücke zwischen den bewussten und unbewussten Funktionen unseres Körpers bzw. Geistes.
Deine Gesundheit schützen. Das vegetative Nervensystem wird wiederum in zwei Teile unterteilt – in das sympathische und das parasympathische Nervensystem. Der Parasympathikus sorgt für Entspannung und Wohlergehen. Die Ganzatmung beruhigt, weil tiefe Bauchatmung das parasympathische Nervensystem anspricht. Bei flacher Atmung behält das sympathische Nervensystem die Kontrolle – jenes System, das bei Gefahr den Kampf-oder-Flucht-Mechanismus auslöst. Wenn du flach und rasch atmest, nimmt dein Körper an, dass du in Gefahr bist. Der Stress, ständig auf der Hut zu sein, ist an der Entstehung der meisten Krankheiten beteiligt. Dieses Notfallsystem abzuschalten und in einen entspannten Zustand zurückzukehren, ist einer der wichtigsten Vorteile der Ganzatmung.
Wird der Atem verlangsamt, schafft das große Veränderungen in Körper und Geist. Der Durchschnittsmensch atmet ungefähr fünfzehnmal pro Minute. Wenn dies auf achtmal pro Minute reduziert wird, beginnt die Hypophyse (Hirnanhangsdrüse) optimal zu arbeiten. Diese Drüse reguliert alle anderen Drüsen im Körper, um das Gleichgewicht der Hormone sicherzustellen, das der Schlüssel zu strahlender Gesundheit ist.
Die feinstofflichen Kanäle öffnen. Wenn du weniger als 4-mal pro Minute atmest, beginnt die Zirbeldrüse perfekt zu arbeiten. Wenn die Zirbel- und die Hirnanhangsdrüse stimuliert werden, beginnt sich das Dritte Auge zu öffnen, und es kommt zu einer leichten Hellsichtigkeit.
Atmung und emotionales Bewusstsein
Babys werden auf grausame Art zur Welt gebracht; auf ihre Empfindungen wird keinerlei Rücksicht genommen. Ärzte durchtrennen die Nabelschnur, bevor die kleine Lunge Zeit hat, das Fruchtwasser, mit der sie im Uterus gefüllt war, loszuwerden. Daher erfolgt der erste Atemzug eines Babys in Panik und mit einem beißenden Schmerz, wenn das zarte Lungengewebe dem Luftstrom zum ersten Mal ausgesetzt ist. Die meisten von uns erholen sich von diesem Trauma nie und nehmen aus Furcht vor weiterem Schmerz niemals mehr einen vollen Atemzug.
Als Kinder lernten wir, dass es für unsere Eltern nicht akzeptabel war, wenn wir vollkommen lebendig waren. Zu viel Energie zu haben führte zu Problemen. Wir begriffen, dass wir diese Lebendigkeit unterdrücken konnten, indem wir unsere Atmung drosselten. Schon sehr früh erfuhren wir so, dass wir in Angst auslösenden oder schmerzhaften Situationen unsere Empfindsamkeit für diesen Moment abschwächen konnten, indem wir den Atem anhielten. Das hatte eine betäubende Wirkung und half uns, viele Situationen zu überstehen, auf die wir nicht vorbereitet waren. Wir lernten außerdem, aufsteigende Gefühle, die den Eltern nicht willkommen waren, abzustellen, indem wir die Kraft und Tiefe unserer Atmung einschränkten.
Wenn man wütend ist, atmet man in einer bestimmten Weise, und falls man nicht so atmet, kann man seine Wut nicht aufrechterhalten. Umgekehrt atmet ein Schauspieler auf diese besondere Art, wenn er sich in einen Zustand der Wut versetzen möchte. Das gleiche Prinzip gilt für alle Gefühle. Wenn du sexuell erregt bist, ändert sich die Art, wie du atmest. Unterdrückst du dieses Atemmuster, kannst du dein Lustgefühl abstellen. Jeder von uns steuert sich ständig durch seine Atmung und all das geschieht unbewusst und automatisch.
Nun hat dieser Selbststeuerungsmechanismus zwar seine Vorteile und er hat uns geholfen, in dieser verrückten Welt zu überleben, aber er hat auch ungute Folgen. Es stimmt schon, dass er uns vor übergroßem Schmerz, vor Angst, Wut oder sexueller Erregung geschützt hat, aber gleichzeitig hat er auch alles, was sich in uns zu regen versucht, unterdrückt: zu große Sehnsucht nach Liebe; ein zu starkes Glücksgefühl, wenn wir jemand Besonderem nahe waren; zu viel Freude darüber, am Leben zu sein. Wir geben uns lieber mit einem sehr engen Erfahrungshorizont zufrieden, als die Folgen dessen zu riskieren, unsere Gefühle und unser Bewusstsein frei fließen zu lassen.
Wir haben also auf eine bestimmte Weise geatmet, um unsere Gefühle zu unterdrücken, und so können wir durch bestimmte Atemtechniken auch wieder Zugang zu diesen dunklen und verborgenen Teilen unserer Psyche finden und sie ins Bewusstsein zurückholen. Die Gefühle sind nicht verschwunden, sie wurden nur vergraben. Nicht anerkannt, ungelebt, unserer Wahrnehmung entfremdet, führen sie in einem Bereich jenseits unserer Kontrolle ihr eigenes Leben. Alte Ängste, Schmerzen, alter Groll aus unserer Kindheit vermiesen unser Erleben noch immer auf indirekte Weise und sabotieren unsere guten Absichten. Durch bewusste Atmung beginnen diese vergrabenen Gefühle an die Oberfläche zu kommen, sodass wir uns als Erwachsene mit ihnen auseinandersetzen können. Wir können uns langsam durch die aufgestauten Gefühle hindurcharbeiten, sie durchleben, uns dabei beobachten und sie am Ende loslassen.
Schließlich werden wir frei, einfach das zu erleben, was gerade ist. Ärger kommt auf, wir stellen dies fest, erleben ihn, und im nächsten Atemzug ist er auch schon wieder vorbei. Wir sammeln nicht an. Sich durch eine beängstigende Situation mit tiefen Atemzügen hindurchzuatmen, lässt sie zu einem großartigen Abenteuer werden. Du kannst dir dieses Prinzip leicht durch eigene Erfahrung beweisen: Angst plus Sauerstoff ergibt Erregung.
Wenn wir uns der im Augenblick in unserem Körper stattfindenden Prozesse bewusst werden, lernen wir, auch unsere Gedanken und Gefühle, die in diesem Moment da sind, wahrzunehmen. Bis wir die Entscheidung treffen, bewusst zu bleiben, werden wir weiterhin wie Roboter den Alltag unseren Gewohnheiten entsprechend „automatisch“ leben, und uns vor allem schützen, was außerhalb dieses engen Erfahrungsbereiches liegt, in dem wir uns sicher fühlen. Das ist wie Schlafwandeln. Das ist unbewusstes Leben.
Warum wissen wir so wenig über die Bedeutung der Atmung? Warum klären Ärzte die Menschen nicht darüber auf, dass Tiefenatmung sie...