Der beeindruckende Ton von Sebalds Prosa, die zwischen Fakt und Fiktion ebenso changiert wie zwischen fotografischem Erzählen und akribischer Geschichtsschreibung hat besonders nach dem Unfalltod des Autors im Dezember 2001 viele Menschen in seinen Bann gezogen. Den größten Verdienst daran trägt die aus dem Text entstehende Forderung an den Leser, sich als Teil einer sensiblen Erinnerungskultur persönlich angesprochen zu fühlen. Die Fiktion als Gedächtnisort erweist sich bei diesem Projekt als die der Zerbrechlichkeit des Individuums Raum gebende Form eines Erzählens, das sich auch als eine Kontemplation der Menschheitsgeschichte der Zerstörung und als ein Festhalten an der Hoffnung auf Einsicht und Umkehr versteht. Für die Entstehung dieses Impulses spielen die unübersehbaren Fotografien in Sebalds Texten eine entscheidende Rolle. Ihrem ursprünglichen Kontext entrissen und so in einen neuen Zusammenhang gestellt funktionieren sie gleichzeitig als Vektoren für Figuren und Handlung innerhalb des Gesamtwerkes und als Verknüpfungspunkte mit der außertextlichen und unbeschriebenen Welt. Sie aktivieren im Leser das persönliche Text-Bild-Gedächtnis, das für die Stiftung der Koinzidenzen durch Sebalds fiktionales Erzählen maßgeblich ist. Die vorliegende Studie beleuchtet zunächst die in der Erzählstruktur sich manifestierenden fiktionalen und fiktiven Strategien, die zur Unsicherheit über Faktizität bzw. Fiktionalität der Texte beitragen. Dabei wird das für den Autor typische geweitete und beschreibende Erzählen als eine wichtige Voraussetzung für die Aufbrechung der genannten Kategorien erkannt. Der zweite Teil der Studie beschäftigt sich zunächst mit den Eigenschaften des Mediums Fotografie und den Besonderheiten der in den Text eingewebten Fotos. Wie Sebald ihnen eine neue Relevanz als Medium der Erinnerung im literarischen Text zuweist, wird anschließend anhand einiger prägnanter Beispiele aus Austerlitz und Die Ausgewanderten erläutert.
Julia Kraushaar (30) ist Freie Lektorin und lebt in Berlin. Sie studierte Neuere Deutsche und Französische Literaturwissenschaft in Berlin und Paris. Schwerpunkte ihrer Forschung liegen in den Bereichen Intermedialität, Zeitgeist und Sprache, verknüpft mit Gedenk- und Erinnerungskultur.
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