Prolog
Sie kommen aus der Dunkelheit: Weiße Masken über dem Kopf und brennende Fackeln in der Hand, so schreiten die Männer und Frauen über eine Wiese. Sie bilden einen Kreis, in kantigem Englisch beschwören sie die »White Power«, die Rasse, die Nation. Dann entzünden sie ein mannshohes Holzkreuz. Es ist eine Zusammenkunft des Ku-Klux-Klan (KKK), jenes rassistischen Geheimbundes aus den USA, der durch Lynchmorde an Schwarzen berüchtigt wurde. Gekleidet in Kutten und weiße Kapuzengewänder teerten und federten Mitglieder des Klans ihre Opfer oder erhängten sie am nächsten Baum.
Dieses Treffen aber findet nicht in den amerikanischen Südstaaten statt, sondern in Deutschland.
Immer wieder loderten in den vergangenen Jahrzehnten Kreuze auf Wald- und Wiesengrundstücken in der Bundesrepublik. Mehrere Male reisten Klanführer aus den USA nach Deutschland. Einer nahm an einer Kreuzverbrennung nahe Berlin teil, die sogar öffentlichkeitswirksam vom Privatfernsehen ausgestrahlt wurde. Ein anderer war zu Gast bei der rechtsextremen Partei DVU und dem Pressefest der NPD-Publikation ›Deutsche Stimme‹. Immer wieder tauchen Aufkleber, Pamphlete oder andere Hinweise auf neue Klanableger auf – meist in Verbindung mit rassistischen Verbrechen. Zeitweise hatte der deutsche Klan auch eine eigene Zeitschrift, die von einer »reinen arischen Nation« schwärmte, ja viel mehr noch: von einer »Gesellschaft der Mörder in Weiß«. Der Macher des Blattes war 1992 dabei, als ein rechter Mob versuchte, einen Afrikaner zu töten. Die Gruppe grölte rhythmisch: »Ku-Klux-Klan!« Einer fragte nach einem Strick und forderte dazu auf, das Opfer aufzuhängen. Spätestens seit diesem Tag ist klar: Die Kapuzenmänner sind unter uns.
◆
Mehr als vier Jahre dauernde Recherchen, Gespräche mit aktiven Klananhängern und mit Aussteigern, verdeckt gedrehte Videos, geheime Dokumente von Polizei, Geheimdiensten und diversen Untersuchungsausschüssen sowie Tausende Seiten Unterlagen der Stasi-Unterlagenbehörde, des Bundesamtes für Verfassungsschutz, des Landesarchivs Berlin sowie des rheinland-pfälzischen Verfassungsschutzes zeigen: Die Umtriebe des Geheimbundes in Deutschland sind kein Phänomen der jüngeren Jahre, sondern schon seit Anfang des 20. Jahrhunderts zu beobachten.
Zeitweise gab es in der Bundesrepublik parallel mehrere Landesverbände des Klans, im Jargon der maskierten Rassisten Realms genannt. Bis heute sind nach Einschätzung der Bundesregierung vier Gruppen in Deutschland aktiv, wie aus einer Erklärung vom Herbst 2016 hervorgeht. Manche von ihnen sind sicherlich nicht mehr als die Versammlung einiger Verwirrter. Und dennoch sollte man es nicht unterschätzen, wenn ein Geheimbund, der sich den Rassenkrieg auf die Fahnen geschrieben hat, über Jahrzehnte hinweg in Deutschland Anhänger um sich schart. Wenn ein angeblich ausschließlich amerikanisches Phänomen auch die deutsche rechte Szene ergreift. Wenn sich in deutschen Klangruppen Männer und Frauen tummeln, die Kontakte zur Mördertruppe des Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU) und seines Umfelds hatten.
Dieses Buch will einen Überblick bieten über die Geschichte des Klans in Deutschland, es will nicht aufbauschen, sondern darstellen. Es wird Fakt und Fiktion, Gerüchte und Tatsachen trennen und dem Leser auf diese Weise die Möglichkeit geben, sich selbst eine Meinung zu bilden – über eine Gruppe, deren deutsche Ursprünge Anfang des 20. Jahrhunderts im Berlin der Zwanzigerjahre zu suchen sind.
◆
Durch Zufall stieß die Berliner Polizei nach Ende des Ersten Weltkriegs auf eine mehrere Hundert Mann starke Gruppe, die sich um einen dubiosen deutsch-amerikanischen Pfarrer scharte und Mitglieder aus rechten Organisationen und Milizen wie »Frontbann« und »Stahlhelm« rekrutierte. Der Bund existierte erst wenige Wochen, da wurde er schon mit einem Mord in Verbindung gebracht.
Nach dem Zweiten Weltkrieg brannten auf mehreren Militärstützpunkten Kreuze des Klans – amerikanische GIs hatten ihren Rassenhass mit nach Deutschland gebracht. Bald folgten die ersten Mordanschläge auf sogenannte Dunkelhäutige. Die Presse spekulierte in den Sechzigerjahren, dass etwa zweitausend Klansmänner in der BRD ihr Unwesen trieben. In einem Interview sagte ein angeblicher KKK-Mann der ›Abendzeitung‹: »München ist die Hochburg des Ku-Klux-Klans in Europa, das außeramerikanische Hauptquartier unserer Geheimorganisation.« Es waren beunruhigende Nachrichten – und dennoch verhallten sie schnell. Polizei und Geheimdienste verfassten ein paar Aktenvermerke, verschlagworteten sie und legten sie ab. Damit war die Sache erledigt. Wie so oft in Deutschland, wie so auffällig oft ausgerechnet im Fall des Klans.
Obwohl Verfassungsschützer über Jahrzehnte geheime Vermerke zu dem Rassistenklub verfassten, erwähnten sie den Geheimbund nur wenige Male in Verfassungsschutzberichten und auch in diesen Fällen nur mit einigen mageren Zeilen. Ermittlungen der Polizei verliefen meist im Sande.
Und die Medien? Beließen es seit den Neunzigerjahren bei ein paar knappen Randnotizen. Ein Grund dafür dürfte auch der Skandal um eine gefälschte Klan-Szene in einem Film des berüchtigten Fernsehjournalisten Michael Born gewesen sein. Der frühere Schiffsoffizier und Tierfachhändler hatte in Amerika den Klanführer Dennis Mahon getroffen, der ihm und seinem Kameramann angeblich angeboten habe, »extra für uns einen Neger zu lynchen«, wie Born später in einem Buch behauptete. In Deutschland blieb seine Suche nach Klanmitgliedern, die sich filmen lassen würden, erfolglos. Statt es darauf beruhen zu lassen, ließ er sich Klankutten schneidern, steckte einige Freunde hinein und ließ sie in einer Höhle in der Eifel ein Kreuz abbrennen und Naziparolen plärren. Born brauchte Geld. Er filmte das inszenierte Spektakel und bot den Film 1994 der Sendung Stern TV an. Dem Team um Moderator Günther Jauch fiel offenbar nicht einmal auf, dass die Hakenkreuze auf den selbst geschneiderten Kutten falsch herum angebracht waren. Irgendwann flog der Mummenschanz aber doch auf. Der Fernseh-Karl-May Michael Born wurde 1996 zu vier Jahren Haft verurteilt. Außer dem Klan-Film hatte er etliche weitere Fernsehbeiträge gefälscht.
Die für Deutschlands Fernsehmacher höchst peinliche Angelegenheit hatte gravierende Folgen: In Politik und Öffentlichkeit führte sie zu dem Eindruck, es gäbe in Deutschland gar keinen Klan und auch andere Beiträge über den Geheimbund könnten aufgebauscht oder allein für die Medien inszeniert worden sein. Doch dieser Schluss war voreilig. Denn zumindest Teile der rechtsextremen Szene identifizieren sich hierzulande tatsächlich mit der amerikanischen Klan-Bewegung. Wer ernsthaft recherchiert, kann sehen, wohin diese Identifikation führt: Immer wieder haben in Deutschland Kreuzverbrennungen stattgefunden, die vor der Öffentlichkeit geheim gehalten wurden. Und immer wieder sind Menschen bedroht, halb tot geprügelt oder ermordet worden – im Namen des Klans oder von Menschen, die im Klan ein Vorbild sahen.
◆
Der Klan fasziniert die deutschen Rechtsextremisten, oft arbeiten verschiedene Gruppen Hand in Hand, die Grenzen zwischen dem Geheimbund und militanten Neonazis verfließen. In der Szene kursieren seit Langem Aufnäher und Kapuzen des Klans. Und die Neonazi-Band »Kommando Freisler« grölte schon vor Jahren: »Der Ku-Klux-Klan regiert dieses Land. (…) Die totale weiße Revolution.« Die Gruppe »Landser« sang: »Nigger, Nigger, raus aus unserem Land (…) nicht mehr lange, dann seid ihr dran, dann gibt’s auch hier den Ku-Klux-Klan.« Ein Klanführer aus den USA schwärmte bei einem Besuch in Deutschland davon, wie er mit deutschen Neonazis zusammenarbeite und man gemeinsam eine »Terrorfront im Untergrund« aufbaue. Sein deutscher Vertrauter schickte unterdessen die entsprechenden Tipps an seine Anhänger. Es ging darum, Waffenlager anzulegen und sich auf den Kampf vorzubereiten.
Zur Strategie vieler Rassisten und Rechtsextremisten gehört es, die Öffentlichkeit und die Medien zu instrumentalisieren und sich mächtiger darzustellen, als sie sind. Dazu kommt, dass die Organisatoren der rechten Szene ein Geschäft machen wollen. Sie verkaufen Devotionalien, Magazine, Musik, Mitgliedschaften. Sie sind Händler des Hasses. Und diese Händler sind mitunter sehr geschickt darin, sich zu inszenieren und für ihre Botschaften und »Produkte« zu werben, sowohl im eigenen, engen Kreis als auch in der weiteren Öffentlichkeit.
Für Publizisten und Politiker ist es deshalb nicht leicht zu entscheiden, ob man bestimmten Gruppen und Aktionen überhaupt Aufmerksamkeit schenken und sie dadurch womöglich noch populärer machen soll. Und der Fall des Filmefälschers Born lehrt auch, wie problematisch es ist, wenn Journalisten vor allem darauf aus sind, dramatische und sensationelle Storys zu bekommen. Die Wahrheit bleibt dabei oft auf der Strecke.
Auf der anderen Seite darf man die Augen vor der teils bizarren, teils brutalen Wirklichkeit nicht verschließen. Die Umtriebe des Geheimbunds sind leider ein Faktum, auch in der Bundesrepublik.
Wir wollen den...