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E-Book

Karl Bühler: Sprache und Denken

VerlagHerbert von Halem Verlag
Erscheinungsjahr2014
Seitenanzahl376 Seiten
ISBN9783869621531
FormatPDF/ePUB
KopierschutzWasserzeichen/DRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis23,99 EUR
Der Band 'Sprache und Denken' versammelt erstmalig alle denkpsychologischen Frühschriften von Karl Bühler. Dieser Teil seines Werks leistete einen bedeutenden Beitrag zur Würzburger Schule - von Franz Brentano über Oswald Külpe bis zu all deren herausragenden Schülern?wie etwa Anton Marty, Edmund Husserl, Christian von Ehrenfels oder Carl Stumpf. Karl Bühlers denkpsychologische Arbeiten führten nicht nur zu der sogenannten ?Wundt-Kontroverse?, die den jungen Privatdozenten quasi über Nacht berühmt machte. Sie bildeten ebenso die Grundlagen der kognitiven Wissenschaften und damit auch für Bühlers Meisterwerk 'Sprachtheorie'. Die Kommunikationswissenschaft wäre ohne ihre denkpsychologischen Fundamente kaum vorstellbar.

Achim Eschbach (* 1948 in Eschweiler) studierte Philosophie, Germanistik, Politologie und Soziologie an der RWTH-Aachen und promovierte dort 1975 zum Thema 'Pragmasemiotik und Theater'. Seine Habilitation legte er für die Fächer Semiotik, Sprachphilosophie und Wissenschaftsgeschichte an der Universität Essen ab. Nach Gastprofessuren an der Universität Tokyo und der Janos Pannonius Universität Pécs nahm er einen Ruf auf eine Professur für Kommunikationswissenschaft in Essen an. Von 1985 - 1987 war er Vorstandsmitglied der Deutschen Gesellschaft für Semiotik. Als Tagungspräsident leitete Eschbach den fünften internationalen Kongreß der Deutschen Gesellschaft für Semiotik in Essen. Achim Eschbach ist leiter des Editions-Projektes 'Karl Bühler' an der Universität Duisburg-Essen.

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Leseprobe

Über die Tieferlegung der Fundamente. Einleitung des Herausgebers


VON ACHIM ESCHBACH

Nach einer langen Phase eher verhaltener Rezeption, erzwungen durch Vertreibung durch die Nazis, Verlust des vertrauten muttersprachlichen Kontextes und abgeschnitten von weiten Teilen der Fachliteratur, setzte vor ca. 30 Jahren eine Bühler-Renaissance ein, die vor allen Dingen von den verdienstvollen Übersetzern von Karl Bühlers Sprachtheorie, den Herausgebern diverser Sammelbände und den Autoren immer zahlreicherer Zeitschriftenaufsätze eingeleitet und getragen wird (vgl. die Literaturverzeichnisse in ESCHBACH 1984; ESCHBACH/HALAWA 2006 sowie BÜHLER 2012). War damit erst einmal der Blick zurück auf Bühlers Meisterwerk gerichtet, blieb dennoch ein großes Stück Arbeit unerledigt: Dieses Meisterwerk war nicht plötzlich und unerwartet vom Himmel gefallen, sondern – wie Bühler selbst betont – in 25-jähriger Arbeit akribisch vorbereitet worden, was mit den Schriften zur Sprachtheorie (BÜHLER 2012) anschaulich unter Beweis gestellt wird: Karl Bühler hat seine Sprachtheorie auf einem soliden Fundament errichtet, weshalb es zum besseren Verständnis der Sprachtheorie äußerst nützlich und hilfreich ist, Bühler auf seinem Denkweg zu begleiten.

Nun gibt es bei Bühler noch eine zweite charakteristische Denkbewegung, die nicht die Stufenleiter hinaufführt, sondern in seiner kennzeichnenden Redeweise der Tieferlegung der Fundamente dient. Wir sind dieser zweiten Bewegung im Frühjahr 2014 bei dem von Janette Friedrich und Friedrich Stadler in Wien organisierten Symposium nachgegangen, bei dem es im Kern um Bühlers Krise der Psychologie (BÜHLER 1927) ging. Neben vielen anderen Ergebnissen hat dieses Wiener Symposium zu dem wichtigen Resultat geführt, dass die in der Krise der Psychologie (1927) vorgestellte Axiomatik in nuce die Umrisse einer kritischen Kommunikationswissenschaft enthält, worauf bereits der Bonner Kommunikationswissenschaftler Gerold Ungeheuer (1960) in seinem Beitrag zu Jacobson-Festschrift hingewiesen hat.

Das zweite Resultat des Wiener Symposiums ist allerdings nicht weniger bedeutsam, insofern es speziell im Kapitel der Krise aus der Stoffdenkerei und Freuds immerwährender Tendenz zu individualpsychologischen Argumentationen herausführen sollte. Der erste Punkt ist leicht zusammengefasst. Der Schluss von Materiellem auf Immaterielles ist schlicht unzulässig, eine Stoffentgleisung. Bühler hat die Notwendigkeit einer strikt gesonderten Behandlung des materiellen und des immateriellen Aspekts vor allem in seinem Aufsatz Phonetik und Phonologie (vgl. BÜHLER 2012) herausgearbeitet.

Der zweite Punkt ist keineswegs weniger spektakulär, obwohl sich seit mindestens 100 Jahren prominente Kronzeugen gegen den individualpsychologischen Ansatz aufrufen lassen: Charles Sanders Peirce, John Dewey, George Herbert Mead, Alfred Schütz usw. haben sich in teils heftiger Weise gegen die individualpsychologische Perspektive gewandt oder um mit Peirce zu sprechen:

Hier interessiert uns zunächst nur, »daß der Mensch nicht ganz ist, solange er einzeln ist, daß er wesenhaft ein mögliches Mitglied der Gesellschaft ist. Insbesondere: eines Menschen Erfahrung ist nichts, wenn sie allein steht. Wenn er sieht was andere nicht sehen können, so nennen wir es eine Halluzination. Es ist nicht ›meine‹ Erfahrung, sondern ›unsere‹ Erfahrung, was Gegenstand des Denkens zu sein hat; und dieses ›uns‹ hat unbegrenzte Möglichkeiten« (Peirce, zit. nach VON KEMPSKI 1992: 205).

Vielleicht sollten wir einfach abwarten, was die Publikation von Bühlers Sozialpsychologie erbringt und dann die Diskussion in aller Gründlichkeit und Breite aufnehmen, wozu alle Soziosemiotiker jeglicher Couleur herzlich eingeladen sind.

Die ›Tieferlegung der Fundamente‹ ist für Kenner der Materie mit der Krise noch längst nicht abgeschlossen, weil richtungsweisende Werke wie die Gestaltwahrnehmung (BÜHLER 1913) und Die geistige Entwicklung des Kindes (BÜHLER 1918) vorausgingen. Letztgenanntes Werk dürfte Ludwig Wittgenstein zu einigen handlungstheoretischen Gedanken inspiriert haben, da dieses Buch als Lehrwerk bei der Lehrerausbildung herangezogen wurde, die Wittgenstein am Bühler-Institut absolviert hat (vgl. TOULMIN 1978; BARTLEY 1970).

Damit ist die ›Tieferlegung der Fundamente‹ noch längst nicht abgeschlossen, aber zwischenzeitlich hatte sich die erste Katastrophe des 20. Jahrhunderts, der Erste Weltkrieg, ereignet, der kaum jemanden unberührt ließ und die Welt in ein gigantisches Chaos stürzte, an dem wir ohne Zweifel bis heute zu zehren haben.

Karl Bühler war 1913 seinem Mentor Oswald Külpe nach München gefolgt, wo sie nach ›Vorläufer‹-Stationen ein experimentalpsychologisches Institut aufbauten. Der nächste Schritt wäre wahrscheinlich dann die Annahme eines Rufs an die Universität Wien gewesen, der Külpe bereits in Aussicht gestellt worden war, dem er aber nicht mehr Folge leisten konnte, weil er an einer Infektion gestorben war, die er sich als Militärarzt in einem Hospital zugezogen hatte. Karl Bühler ist auf einigen Umwegen 1922 Külpes legitimer Nachfolger in Wien geworden.

Was ist aber seit 1922 aus der Würzburger Külpe-Schule geworden? Ein erster – oberflächlicher – Blick könnte den Eindruck erwecken, Bühler habe sich von der ursprünglichen, denkpsychologischen Fragestellung der Würzburger völlig abgewandt. Eine etwas sorgfältigere Durchsicht der unglaublich zahlreichen Promotionsschriften, die Bühler zwischen 1922 und 1938 in Wien betreut hat – und da brauchen wir ja gar nicht bei dem immer zitierten Karl Popper anzufangen, der nicht viel mehr getan hat, als Bühlers Krise der Psychologie nachzuerzählen –, belegt eindrucksvoll, dass die denkpsychologische Problematik tatsächlich auf der Tagesordnung stand. Ich würde die Behauptung wagen, dass die Bühler’sche Sprachtheorie der Wiener Zeit nichts anderes als die konsequente Weiterführung der Würzburger Denkpsychologie unter leicht modifizierten Vorzeichen gewesen ist. Zur Erhärtung dieser These soll der vorliegende Band dienen, der Bühlers denkpsychologische Frühschriften in chronologischer Reihenfolge präsentiert.

Wenn man sich darum bemüht, das Netzwerk zu rekonstruieren, in dem Karl Bühler seit Beginn seiner Karriere in Freiburg gelebt und gearbeitet hatte, stellt sich sehr schnell heraus, dass Bühler aus Kongressbesuchen, Gastvorträgen, Korrespondenz etc. über sehr weitreichende Kontakte verfügte, von denen einige in der Bühler-Forschung bislang nicht einmal annähernd adäquat berücksichtigt worden sind.

Ein derartiger Diskussionszusammenhang führt von Immanuel Kant über A. Spir zu Friedrich Nietzsche und Ferdinand de Saussure. Spirs Tochter Hélène war mit Th. Claparède verheiratet, der ein naher Verwandter de Saussures war und mit Bühler eng in verschiedenen Psychologengesellschaften kooperierte.

Gleich zu Beginn seiner wissenschaftlichen Laufbahn hatte Bühler Anregungen aus der schottischen Schule aufgenommen, die er in seiner philosophischen Doktorarbeit und gleich im ersten Absatz seiner Habilitationsschrift verarbeitete, wo es um Wahrnehmungs- oder Erweiterungsurteile geht, wofür Peirce, der sich ebenso wie Bühler auf die schottische Schule stützte, den Terminus ›Abduktion‹ benutzte. Nun wissen wir aus den Pragmatismus-Vorlesungen (PEIRCE 1991), dass ein Wahrnehmungsurteil nichts anderes als eine extreme Form abduktiven Schließens ist, womit gesagt ist, dass gleich zu Beginn des Erkenntnisprozesses für Peirce wie für Bühler die Zeichenproblematik in den Vordergrund gerückt ist, denn eine Abduktion ist ja nichts anderes als ein Zeichen.

Peirce und Bühler sind sich im Laufe der Zeit noch mindestens dreimal – vermittelt – begegnet: Es sollte einmal in einem gesonderten Aufsatz untersucht werden, wie weit die Ähnlichkeit der denkpsychologischen Versuchsreihen gegeben ist, die Charles Sanders Peirce mit seinen Mitarbeitern Joseph Jastrow und Christine Ladd-Franklin an der Johns Hopkins University durchführte, und der Experimente, die Karl Bühler mit seinen Würzburger Kollegen anstellte. Ein weiterer Zusammenhang verweist ebenfalls nach Würzburg: Die langjährige Korrespondenzpartnerin von Charles Sanders Peirce, Victoria Lady Wellby, hatte einen Prize-Essay ausgeschrieben; auf Vorschlag des Herausgebers der Zeitschrift Mind, George Frederick Stout, war Bühlers Würzburger Mentor Oswald Külpe in die Preis-Jury berufen worden. Da Külpe und Bühler jahrelang vertrauensvoll in Würzburg, Bonn und München zusammengearbeitet haben, möchte ich einmal unterstellen, dass die beiden Kollegen auch über diesen Vorgang miteinander gesprochen haben, zumal der bedeutende Soziologe Ferdinand Tönnies späterhin mit dem Welby-Preis ausgezeichnet worden ist. Eine weitere Gelegenheit, bei der sich Peirce und Bühler zumindest indirekt hätten begegnen...

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