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Kenningar

Die Götter der Germanen - Band 75

AutorHarry Eilenstein
VerlagBooks on Demand
Erscheinungsjahr2016
Seitenanzahl664 Seiten
ISBN9783741278655
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis13,99 EUR
Die Reihe Die achtzigbändige Reihe 'Die Götter der Germanen' stellt die Gottheiten und jeden Aspekt der Religion der Germanen anhand der schriftlichen Überlieferung und der archäologischen Funde detailliert dar. Dabei werden zu jeder Gottheit und zu jedem Thema außer den germanischen Quellen auch die Zusammenhänge zu den anderen indogermanischen Religionen dargestellt und, wenn möglich, deren Wurzeln in der Jungsteinzeit und Altsteinzeit. Daneben werden auch jeweils Möglichkeiten gezeigt, was eine solche alte Religion für die heutige Zeit bedeuten kann - schließlich ist eine Religion zu einem großen Teil stets der Versuch, die Welt und die Möglichkeit der Menschen in ihr zu beschreiben, Das Buch In diesem Band sind ca. 15.000 Kenningar zu ca. 800 alphabetisch geordneten Stichworten mit Erläuterungen und Quellenangaben aufgelistet. Zu manchen Begriffen wie 'Gold' und 'Krieger' gibt es hunderte von verschiedenen Kenningarn, während es zu anderen begriffen, die nur sehr selten gebraucht wurden wie 'Lachfältchen' oder 'Schamhaar' nur eine einzige Kenning überliefert worden ist.

Ich bin 1956 geboren und befasse mich nun seit 40 Jahren intensiv mit Magie, Religion, Meditation, Astrologie, Psychologie und verwandten Themen. Im Laufe der Zeit habe ich ca. 40 Bücher und ca. 50 Artikel für verschiedene Zeitschriften verfasst. Seit 2007 habe ich meine jahrzehntelange Nebentätigkeit ausgeweitet und bin nun hauptberuflich Lebensberater. Dies umfasst die eigentlichen Beratungen, aber auch das Deuten von Horoskopen, Heilungen, Rituale, Hilfe bei Spukhäusern u.ä. Problemen, Ausbildung in Meditation und Feng Shui und vieles mehr. Auf meiner Website www.HarryEilenstein.de finden Sie einen Teil meiner neueren Artikel und auch einen ausführlichen Lebenslauf.

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Leseprobe

Heitis und Kenningar


„Heitis“ und „Kenningar“ sind Umschreibungen eines Begriffes – bei einer Heiti wird dafür nur ein Wort benutzt, bei einer Kenning zwei oder mehrere.

Sowohl Heitis als auch Kenningar finden sich fast ausschließlich in der altnordischen und der altenglischen (altangelsächsischen) Dichtung. Die komplexen Kenningar, die aus mehr als zwei Worten bestehen, finden sich nur bei den Nordgermanen in Skandinavien und Island.

Es gab auch bei den keltischen Barden Kenning-ähnliche Umschreibungen, die jedoch eher Gleichnisse oder Rätsel waren, die sich nicht auf die Bildung eines einzelnen Wortes, sondern auf poetische Bilder bezogen, die sich oft über lange Textpassagen erstreckten.

Andere Kenning-ähnliche Wortschöpfungen gibt es auch im Sanskrit, in der z.B. die Formulierung „viel Reis“ die Bedeutung „reich“ hat – ein exakte Kenning ist dies jedoch nicht.

Heiti

„Heiti“ bedeutet „Name“ bzw. wörtlich „das, was solcherart geheißen (benannt) wird“. Eine Heiti ist ein Wort, durch das ein ähnliches Wort ersetzt wird wie z.B. „Hügelgrab“ durch „Berg“.

Solche Heitis sind durchaus auch heute noch in Gebrauch: So werden flotte Autos manchmal „Schlitten“ genannt, das Bett mit „Kiste“ umschrieben und der Fußball als „Leder“ bezeichnet.

Kenningar

Bei den „Kenningarn“ („Kennzeichnungen“) wird ein Wort durch zwei bis fünf Substantive umschrieben – mehr Worte galten zumindestens aus der Sicht des Skalden Snorri Sturluson, der die „Edda“ verfaßt hat, nicht mehr als gut verständlich. Der Rekord liegt jedoch bei einer aus neun Worten zusammengesetzten Kenning.

Bei der Bildung einer Kenning wird der eigentlich gemeinte Begriff wie z.B. „Schiff“, zunächst durch eine Heiti, also durch die Bezeichnung eines dem Gemeinten in irgendeiner wesentlichen Hinsicht gleichenden Sache ersetzt. Dies könnte in Bezug auf „Schiff“ z.B. ein Pferd sein, da beide Fortbewegungsmittel sind. Das Wort „Roß“ ist zunächst einmal eine Heiti für „Schiff“. Diese Heiti („Roß“) wird innerhalb einer Kenning „Stofnord“ genannt, was man mit „Grundwort“ übersetzten könnte.

Dieses Stofnord („Roß“) wird dann durch ein weiteres Wort näher definiert, das „Kenniord“, also „Kennzeichnungswort“ genannt wurde. Dieses Wort bezeichnete eine Sache, die zeigte, in welcher Richtung man das eigentlich Gemeinte suchen mußte. Für das „Roß“, das als „Schiff“ erkennbar sein sollte, boten sich als Kenniord die Begriffe „Wasser“, „Meer“, „See“, „Wellen“, „Wogen, „Fluß“ u.ä. an. Dadurch wurde das „Roß“ zu einem „Wogen-Roß“, das dann für jeden als „Schiff“ gut erkennbar war.

Auch diese Art der Begriffsbildung hat sich in der deutschen Sprache an vielen Stellen erhalten können. Diese modernen Kenningar haben meistens entweder einen technischen Charakter wie z.B. „Luft-Schiff“, „Raum-Schiff“, „Wüsten-Schiff“ (Kamel) und „Flug-Hafen“ oder sind eher poetisch wie „schäumendes Ährengold“ (Bier) oder sie sind humorvoll gemeint wie z.B. „Gesichts-Matraze“ (Bart), „Betten-Burg“ (Hotel), „Bet-Bunker“ (Kirche), „Kugel-Porsche“ (VW Käfer), „Stahl-Roß“ (Rennrad), „Draht-Esel“ (Fahrrad), „Rost-Laube“ (altes Auto), „Gicht-Griffel“ (Finger), „Taschen-Tiger“ (Katze), „Dach-Hase“ (Katze), „Schürzenjäger“ (Frauenheld) und „Hüftgold“ (nicht ganz schlanker Bauch).

Oft haben diese Kenningar noch immer einen Stabreim, d.h. beide Worte beginnen mit demselben Buchstaben wie „Betten-Burg“ und „Bet-Bunker“ – das wirkt überzeugender …

Es lassen sich auch durchaus neue Kenningar bilden, die nach kurzem Nachdenken verständlich sind wie z.B. „Feder-Volk“ für Vögel, „Schuppen-Schwarm“ für Fische, „Hörner-Herde“ für Rinder oder „Blätter-Balken“ für Bäume.

Derartige Kenningar finden sich manchmal auch in Beinamen wie dem des Königs Edward I von England, der „Schotten-Hammer“ genannt wurde, weil er die Schotten besiegt hat.

Vermutlich mußten die Germanen bei dem Vortrag der Dichtungen ihrer Skalden genauso schmunzeln wie die heutigen Menschen, wenn sie das erste Mal eine solche humorvolle Kenning hörten.

Die in den germanischen Dichtungen weit verbreitete Kenning „Wogen-Roß“ kann durch die Verwendung einer weiteren Heiti auch zu einem „Wogen-Fahrzeug“ oder zu einem „Wogen-Stier“ werden.

Da die Wogen das „Reich des Meeresgottes Ägir“ sind, kann man aus „Wogen-Roß“ auch eine Drei-Wort-Kenning für Meer bilden: „Fahrzeug des Reiches des Ägir“.

Ägir ist der Mann der Göttin Ran, was eine weitere Erweiterung der Kenning ermöglicht: „Fahrzeug des Reiches des Mannes der Ran“.

Die Göttin Ran ist wiederum für ihr Netz bekannt und berüchtigt, mit dem sie die Seeleute auf den Grund des Meeres zu ziehen versucht. Dies ermöglicht einen weiteren Ausbau dieser Kenning: „Fahrzeug des Reiches des Mannes der Netz-Asin.“

Da Ran auch als Riesin angesehen wurde, läßt sich, wenn man möchte, auch noch eine Heiti einbauen: „Fahrzeug des Reiches des Mannes der Netz-Riesin.“

Da eine Ausdehnung der Kenningar über fünf Worte hinaus im allgemeinen als nicht schicklich galt, enden die Beispiele jetzt an dieser Stelle.

Der Skalde Thordr Säreksson hat in seiner „Thoralfs drapa Skolmssonar“ die Kenning „Schwinger der Flamme des Sturmes der Trollfrau des schützenden Mondes des Pferdes des Bootshauses“ verwendet. Diese siebenteilige Kenning kann man wie folgt lesen:

„Pferd des Bootshauses“ = Schiff

„schützender Mond des Pferdes des Bootshauses“ = „schützender Mond des Schiffes“ = Schild an der Bordwand des Drachenschiffes

„Trollfrau des schützenden Mondes des Pferdes des Bootshauses“ = „Trollfrau des Schildes“ = Axt

„Sturm der Trollfrau des schützenden Mondes des Pferdes des Bootshauses“ = „Sturm der Axt“ = Kampf

„Flamme des Sturmes der Trollfrau des schützenden Mondes des Pferdes des Bootshauses“ =„Flamme des Kampfes“ = Schwert

„Schwinger der Flamme des Sturmes der Trollfrau des schützenden Mondes des Pferdes des Bootshauses“ = „Schwinger des Schwertes“ = Krieger

Zum Glück wird man von den Skalden nicht oft vor solche Herausforderungen gestellt, denn die Kenningar bestanden nur selten aus mehr als zwei Worten.

Aus den drei im heutigen Deutsch verwendeten Kenningar „Nasen-Fahrrad“, „Draht-Esel“ und „Stahl-Roß“ könnte man auf dieselbe Weise die beiden aus drei Worten bestehenden Brillen-Kenningar „Nasen-Stahl-Roß“ und „Nasen-Draht-Esel“ bilden. Man würde allerdings wohl etwas skeptisch angeschaut werden, wenn man diese Kenningar tatsächlich verwenden würde …

Man könnte diese Kenningar durch die Umschreibung „Lang-Ohr“ für „Esel“ auch noch auf „Nasen-Draht-Lang-Ohr“ erweitern …

Es gibt bei der Bildung von langen Kenningarn eine Regel, die stets beachtet wird: es wird stets nur das letzte Wort durch eine weitere Kenning ersetzt. Das Wort A wird also zunächst durch die Kenning B-C umschrieben. Dann wird C (und niemals B!) durch D-E ersetzt, sodaß sich B-D-E ergibt. Nun kann auschließlich E durch die Kenning F-G ersetzt werden, sodaß sich B-D-F-G ergibt.

     A+ A = B-C
=> B-C+ C = D-E
=> B-D-E+ E = F-G
=> B-D-F-G+ G = H-I
=> B-D-F-G-Iusw.

Die Benutzung von Heitis und Kenningarn haben zwei Vorteile: Sie ermöglichen zum einen Worte auszuwählen, die zu dem Stabreim, Vollreim oder Halbreim passen, den der Skalde in der Zeile, die er gerade verfaßt, benötigt, und sie lassen zum anderen in den Hörern Assoziationen zu den verschiedensten Lebensbereichen und Mythen entstehen.

Daher verwandelt sich der rote Faden der erzählten Geschichte durch den Gebrauch der Heitis und der Kenningar zu einem Geschichten-Geflecht. Statt beim Hören des Gedichtes, das der Skalde vorträgt, einem einfachen, geraden Weg zu folgen und dabei nur den Boden vor den eigenen Füßen zu sehen, verwandeln die Heitis und Kenningar das Zuhören in eine Wanderung durch die Landschaft der Mythen und der verschiedensten Lebensbereiche und...

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