Kapitel 2
Kiffen ist nicht kriminell – die konfuse Rechtslage
Mit einer Vorlage beim Bundesverfassungsgericht hatte ich im Jahr 2002 gehofft, in der deutschen Cannabispolitik ein Umdenken in die Wege leiten zu können. Leider ist dieses Ansinnen damals gescheitert. Die Vorlage erzielte nicht die erhoffte Wirkung, sondern wurde als unzulässig abgewiesen, so dass die Rechtslage im Hinblick auf die Beurteilung von Cannabisdelikten bis zum heutigen Tag uneinheitlich und konfus ist, ja bisweilen menschenverachtende Züge trägt.
Wirr ist überhaupt die ganze Debatte über die Frage, wie gefährlich der Konsum von Cannabis ist, ob das Verbot oder die Legalisierung richtig ist, wie eine Legalisierung aussehen könnte oder müsste und ob man statt einer Legalisierung nicht lieber gleich Alkohol und Zigaretten mit verbieten sollte.
Die Unklarheit beginnt bei der Begriffsdefinition. Liest man Presseberichte und spricht mit Menschen über das Thema, werden die Begrifflichkeiten stets munter gemischt. Mal ist von Cannabis die Rede, mal von Hasch(isch), mal von Marihuana, wer etwas auf sein Expertenwissen hält, definiert die Sorten genauer und spricht dann auch gerne schon mal vom »Schwarzen Afghanen«, »Gelben Libanesen« oder »Kashmiri«. Oder man kommt gleich vom Stoff an sich weg und spricht über »Tüten«, »Joints« oder »Jive Sticks«. Schon dieses Unwissen über den Gegenstand der Diskussion sorgt dafür, dass in der breiten Öffentlichkeit kein präzises Bild der Sachlage entstehen kann.
Auch über die Wirkung der Droge herrscht oftmals Unsicherheit – über die von Alkohol beispielsweise wissen die meisten Menschen Bescheid. Sie kennen die Folgen, wenn sie einen über den Durst trinken, sie kennen die Risiken im Zusammenhang mit dem Straßenverkehr und sie wissen auch um die Langzeitfolgen übermäßigen Konsums. Dieses Wissen ist unter anderem eine Folge der Legalität von Alkohol. Es wird über das Thema gesprochen, und zwar in der Regel offen und intensiv.
Über Cannabis wird kaum gesprochen, denn Cannabis ist illegal. Dem Illegalen haftet etwas Dämonisches und Mythisches an, so dass man nur hinter vorgehaltener Hand darüber flüstert (und Gerüchte verbreitet). Offen spricht nur, wer sich in eingeweihten Kreisen sicher wähnt. Das zu ändern, ist das Anliegen, das ich mit diesem Buch verfolge. Man möge mir verzeihen, dass ich als Richter im Folgenden auch auf das eine oder andere juristische Detail unserer Gesetzgebung eingehe, um klarzumachen, worüber wir eigentlich sprechen und was sich ändern muss, um endlich Klarheit im Umgang mit Cannabis zu schaffen. Rechtlich und gesellschaftlich.
Haschisch, Marihuana, Cannabis: Kleine Begriffskunde
Da ich mich in diesem Buch häufiger des Vergleichs mit Alkohol bediene, mutet es fast wie ein kleiner Treppenwitz an, dass der nächste biologische Verwandte des Cannabisstrauchs ausgerechnet der Hopfen ist. Gleichwohl ist es bis zu einem markigen Spruch wie »Hopfen und Malz, Gott erhalt’s« noch ein langer Weg.
Wenn wir über Cannabis sprechen, reden wir über einen Blüten tragenden Strauch mit dem biologischen Namen Cannabis sativa. Die deutsche Bezeichnung kennen wir alle, sie lautet: Hanf.
Die Cannabispflanze ist zunächst mal eine ausgesprochen vielseitige Nutzpflanze. Verwertbar sind die Samen, Blätter und Blüten, die Rindenfasern in den Stängeln sowie die sogenannten »Schäben«, das sind die holzigen Pflanzenteile. Alle fünf Bestandteile können für die unterschiedlichsten Zwecke verwendet werden. Aus den Fasern wird überwiegend Papier hergestellt, eine Methode, die wesentlich älter ist als die Papierherstellung aus Holz: Mit Holzschliff wird seit der Erfindung dieser Methode im Jahr 1843 gearbeitet, die ersten nachweisbaren Papierherstellungsversuche unter Beteiligung von Hanf datieren dagegen bereits auf die Zeit um 100 n. Chr. in China. Aus Blättern und Blüten erhält man Aromen und Öle, die beispielsweise für Waschmittel oder für Kosmetikprodukte verwendet werden, die Samen dienen als Nahrungsmittel, man kann aus ihnen beispielsweise in der Küche verwendbare Speiseöle extrahieren.
Und die Droge? Die berauschende Wirkung von Cannabis hängt im Wesentlichen mit dem Wirkstoff THC zusammen, die Abkürzung steht für den chemischen Stoff »Tetrahydrocannabinol«. THC gilt fachsprachlich als »psychoaktives Cannabinoid«. THC findet sich fast ausschließlich in den weiblichen Cannabispflanzen, in der höchsten Konzentration in den unbefruchteten Blütenständen sowie in den Blättern nahe dieser Blütenstände. Dort beträgt der THC-Gehalt zwischen sechs und 20 Prozent, während die weiteren Pflanzenteile fast kein (Stängel) oder tatsächlich gar kein (Samen) THC enthalten.
Die weitverbreitete Begriffsverwirrung lässt sich einfach klären: Cannabis ist die gesamte Pflanze mit den gerade beschriebenen Einzelteilen. Sie an sich ist also eigentlich keine Droge, sondern »drogentauglich« sind nur einzelne kleine Teile der Pflanze, die psychoaktive Wirkungen auslösen.
Haschisch ist eine der zwei Erscheinungsformen von Cannabis als Droge. Als Haschisch bezeichnet man das hauptsächlich aus den Blütenständen der weiblichen Pflanzen extrahierte Harz. Dieses wird zu Platten gepresst, aus denen man wiederum kleinere Stückchen herausbrechen kann. Diese Stückchen sind im Jargon bekannt als piece. Haschisch wird geraucht und kann auch als Zutat zu Speisen verwendet werden, bekannt sind beispielsweise Haschkekse.
Als Marihuana hingegen bezeichnet man die getrockneten Blüten und blütennahen Blätter der Cannabispflanze. Diese werden nach dem Trocknen zerkrümelt und dann konsumiert. Auf Marihuana bezieht sich auch die volkstümliche Bezeichnung »Gras«. Marihuana taugt fast ausschließlich für den Konsum in Form von Joints.
Was natürlich interessiert ist die Frage: Was kostet das eigentlich? Manche haben die Vorstellung, dass Cannabis unheimlich teuer ist und zu wahnsinnigen finanziellen Aufwendungen führt, die sich kaum jemand leisten kann. Natürlich summiert es sich bei einem Dauerkonsumenten, der zwei bis drei Gramm pro Tag konsumiert, auf eine ziemliche Summe pro Monat. Das sind aber die Wenigsten. Abhängig von der Qualität müssen fünf bis zehn Euro pro Gramm aufgewendet werden; natürlich gibt es aber auch für diese Produkte »branchenüblichen« Mengenrabatt. Der Durchschnittskiffer bevorratet sich in der Regel mit weniger großen Mengen und kann mit einer Menge von einem Gramm, je nachdem, wie er sie gebraucht und wie oft er raucht, auch eine Woche auskommen.
Und die Wirkung? Dafür lässt sich eine Beschreibung des Mediziners Professor Michael Binder zitieren, die auch der Richter Wolfgang Nešković 1992 in seiner Vorlage beim Bundesverfassungsgericht nutzte, in der es bereits um die Legalisierung von Cannabis ging. Dort heißt es:
Nach dem Rauchen von einem Gramm Marihuana entsteht ein etwa drei Stunden dauernder Rauschzustand, der durch ein Gefühl von Losgelöstheit charakterisiert ist, das eine meditative Versenkung oder eine Hingabe an sensorische Stimuli erlaubt. Der Zustand ist im allgemeinen frei von optischen und akustischen Halluzinationen, die beim Vier- bis Fünffachen dieser Dosis auftreten können. Subjektiv gesteigert wird die Gefühlsintensität beim Hören von Musik, beim Betrachten von Bildern, bei Essen und Trinken und bei sexueller Aktivität. Der Rausch ist zweiphasig und geht nach der Anregungsphase in eine milde Sedierung über. Bei der genannten Dosierung dominiert eine passive euphorische Bewußtseinslage, bei höherer Dosierung kann es zu paranoiden Vorstellungen und Dysphorie kommen. – Die Droge führt kaum zu Toleranzbildung, und die Konsumenten kommen über Jahre ohne Dosissteigerung aus.2
In dieser Beschreibung wird von einem Gramm Marihuana ausgegangen. In aller Regel findet diese Menge aber nicht in einem Joint Verwendung, sondern kann natürlich auch für mehrere Joints genutzt werden. Nimmt man also weniger Marihuana oder Haschisch oder rauchen mehrere Personen gemeinsam einen Joint, kann der Rauschzustand auch von weit kürzerer Dauer sein – eben je nach Dosierung.
Aus dieser Beschreibung lässt sich bereits erahnen, warum die Kriminalisierung von Cannabis eigentlich nur als großes Missverständnis bezeichnet werden kann. Niemand bestreitet, dass der Konsum von Cannabis, wenn er nicht medizinischen Zwecken dient, dazu da ist, einen angenehmen Rauschzustand zu erreichen: einen kürzeren oder längeren, einen starken oder milden. Unabhängig davon, ob man die oft geführte Diskussion über ein »Recht auf Rausch« für sinnvoll hält oder nicht, muss man die Debatte über die Legalisierung vor diesem Hintergrund sehen. Immerhin werden auch die legalen Drogen Alkohol und Nikotin eingesetzt, um angenehme Zustände hervorzurufen, sprich für einen Rausch oder Entspannung zu sorgen.
Fakt ist, dass weltweit bisher kein Todesfall durch Cannabiseinwirkung nachgewiesen werden konnte. Das ist nicht weiter verwunderlich, ist doch die Toxizität, also die Giftigkeit, von Cannabis sehr gering. Das enthaltene THC löst in der Regel eine leichte Blutdrucksteigerung aus, solange man sich nicht groß bewegt. Der Blutdruck fällt dann stark ab, wenn man aufsteht, ein Phänomen, das auch ohne den Konsum von Cannabis den meisten Menschen bekannt sein dürfte, etwa beim Aufstehen nach einem ausgiebigen Sonnenbad. Passend zu diesen Blutdruckschwankungen gehört auch leichtes Herzrasen zu den häufigen unmittelbaren Symptomen. In niedriger Dosierung wirkt Cannabis beruhigend, leicht euphorisierend und appetitsteigernd. Die meisten Konsumenten berichten...