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E-Book

Klare Worte

Im Gespräch mit Georg Meck über Mut, Macht und unsere Zukunft

AutorGerhard Schröder
VerlagVerlag Herder GmbH
Erscheinungsjahr2014
Seitenanzahl224 Seiten
ISBN9783451801242
FormatePUB
Kopierschutzkein Kopierschutz
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis4,99 EUR
Gerhard Schröder - eine deutsche Geschichte. Und ein politisches Leben in Deutschland: Er hat es von ganz unten ins Kanzleramt geschafft und dieses Land entscheidend geprägt. Er hat in schwierigen Zeiten heiß umstrittene Entscheidungen getroffen, die Bundesrepublik durch grundlegende Reformen aus der Erstarrung geführt und sich weltweit Respekt verschafft. Im April 2014 wird er 70. Vorwärts - und nichts vergessen: Gerhard Schröder blickt in seinem neuen Buch zurück, aber er blickt auch nach vorn. Er reflektiert sein Leben. Und analysiert, was ansteht: in Deutschland und der Welt. Aus der persönlichen Aufstiegsgeschichte formuliert er sein politisches Credo: Jeder Mensch, Fähigkeiten und Leistung vorausgesetzt, soll es zu etwas bringen können in einer offenen Gesellschaft. Im Gespräch mit Georg Meck verknüpft Gerhard Schröder aber nicht nur seine Biographie mit der deutschen Politik. Er liefert aus der Nähe gewonnene faszinierende Einblicke in Mechanismen der Macht, macht sich grundsätzliche Gedanken über den Zusammenhang von Klarheit, Mut und Macht und darüber, was es bedeutet, zu führen und Politik zu gestalten. Schröder ist zu Recht stolz auf den internationalen Ruhm für die Agenda 2010. Und er ist manchmal ratlos, warum seine SPD so wenig daraus macht. 'Wer regieren will, muss liefern', davon war er immer überzeugt. Jetzt ist er, der Gestalter, plötzlich Elder Statesman. Seine politische Leidenschaft und den klaren Blick für die Wirklichkeit hat er trotzdem nicht verloren. Gerhard Schröder erklärt, warum Deutschland eine Agenda 2030 braucht, um sich in Europa und der Welt zu behaupten, in der China, Russland und Türkei eine Schlüsselrolle einnehmen. Im Blick auf die neue Regierung, im Herbst 2013 frisch gewählt, gibt er Perspektiven für das, was zu tun ist. Und er berichtet auch, wie sich sein neues Leben - abseits der Tagespolitik - anfühlt: Zwischen Betreuung der Kinder und zahlreichen neuen Mandaten in aller Welt.

Gerhard Schröder, geb. 1944, von 1990 bis 1998 Ministerpräsident von Niedersachsen, 1998 bis 2005 siebter Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland. 1999 bis 2004 Vorsitzender der SPD. Seit dem Ende seiner politischen Karriere ist er als Rechtsanwalt sowie in verschiedenen Positionen in der Wirtschaft tätig.

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Leseprobe

KAPITEL 2
Europa und der Euro


Herr Schröder, lassen Sie uns über Europa reden. Erinnern Sie sich noch an Ihren ersten EU-Gipfel als Bundeskanzler?

Der erste Gipfel war der Europäische Rat in Wien im Dezember 1998. Da wird man von den anderen Staats- und Regierungschefs freundlich begrüßt, und natürlich wartet man erst mal ab, was passiert. Aber gleich darauf kam im ersten Halbjahr 1999 die deutsche EU-Ratspräsidentschaft, außerdem noch der Vorsitz in der Gruppe der führenden Wirtschaftsnationen (G 8). Im Vorfeld des ersten Gipfels unter meinem Vorsitz gab es ein Gespräch mit Frankreichs Staatspräsident Jacques Chirac auf dem Petersberg in Bonn. Selbstverständlich habe ich ihn mit „Herr Präsident“ begrüßt, dann guckt er mich an und sagt: „Gerhard, das will ich dir sagen, auf dieser Ebene duzt man einander und spricht sich mit dem Vornamen an.“ Und das haben wir dann so gemacht.

Bevor Sie ins Amt kamen, sprachen Sie vom Euro als „kränkelnder Frühgeburt“ – fühlen Sie sich im Nachhinein bestätigt? Die Probleme in einem einheitlichen Währungsgebiet mit unterschiedlich starken Volkswirtschaften treten inzwischen offen zutage.

Dieser Satz, gesagt damals in der „Bild“-Zeitung, bezog sich auf den grundlegenden Strukturfehler dieser Währungsunion. Es gibt ja die sogenannte Krönungstheorie, die besagt, dass die gemeinsame Währung die Krönung der europäischen Integration sei. Erst die politische Union, dann der Euro. Idealtypisch ist das richtig, wie sich jetzt zeigt: Wir können im gemeinsamen Währungsraum die Geldpolitik über die Europäische Zentralbank koordinieren, sind aber nicht in der Lage, die Finanz- und Wirtschaftspolitik zu koordinieren. Das ist aber die Voraussetzung, damit der Euro seine Stärken ausspielen kann.

Fairerweise muss man sagen, dass es bei der Schaffung des Euro zwei unterschiedliche Vorstellungen gab: einerseits die von Frankreichs Präsident François Mitterrand und andererseits die von Bundeskanzler Helmut Kohl. Mitterrand, der ein sehr kluger Mann war, hatte die Idee, dass er über eine Gemeinschaftswährung die Stärke der deutschen Volkswirtschaft und damit verbunden die politische Macht des wiedervereinigten Deutschlands einbinden und damit in gewisser Weise kontrollieren könne. Die Wiedervereinigung hatte in ihm die Sorge geweckt, Deutschland könne über kurz oder lang Europa und damit eben auch Frankreich dominieren – daher sein Gedanke: Mehr Europa. Eine Vorstellung, die richtig war und gegen die Kohl als glühender Europäer auch nichts einzuwenden hatte. Dass die Franzosen damit auch das erstarkende Deutschland eindämmen wollten, hat ihn nicht irritiert. Denn Kohl war schon immer der Auffassung, dass die Bundesrepublik in einem voll integrierten Europa gut aufgehoben sei. Für die ungehinderte Entwicklung der exportorientierten deutschen Wirtschaft sind ja kaum bessere Rahmenbedingungen vorstellbar. Auch deshalb hat Kohl, die Krönungstheorie im Hinterkopf, dem Euro mit der Vorstellung zugestimmt: Dann machen wir den zweiten Schritt vor dem ersten; die gemeinsame Währung wird dann schon die politische Union erzwingen.

Ganz abgesehen von der Frage, ob das deutsche Volk dies wirklich wollte: Die Politische Union harrt noch immer der Vollendung.

Richtig. Kohl hat sie nicht liefern können, ich habe sie auch nicht liefern können, keiner hat sie bis heute liefern können. Wir haben das zu meiner Amtszeit mit der Europäischen Verfassung versucht, sind aber mit diesem Projekt gescheitert. Nach dem Zerfall des Eisernen Vorhangs in Europa begann eine andere Frage die europäische Szenerie zu dominieren: Wie können wir diese einmalige Chance nutzen und die ehemaligen Ostblockstaaten in die EU integrieren? Diese Frage hat die Debatten der Europäer bis zum Jahr 2004 dominiert. Das musste auch so sein, denn es wäre ein schrecklicher historischer Irrtum gewesen, wenn man diese Chance der Osterweiterung und der endgültigen Überwindung der Spaltung Europas nicht ergriffen hätte. Nur ist durch diese Erweiterung der EU ihre weitere Vertiefung unter die Räder gekommen. Ich weiß noch genau, wie viel politische Energie und welche enormen finanziellen Ressourcen wir aufgewendet haben, um zum Beispiel Polen in die EU zu bekommen. Der polnische Premierminister Leszek Miller sagte mir damals: „Das bekomme ich in einer Volksabstimmung nur geregelt, wenn ich unseren Landwirten etwas anbieten kann, und ihr Deutschen seid die Einzigen, die uns dabei politisch und finanziell unterstützen können.“

Sie haben bezahlt?

Ja, haben wir. Unvorstellbar, dass der EU-Beitritt Polens ausgerechnet an mangelnder deutscher Unterstützung gescheitert wäre – vor dem Hintergrund unserer gemeinsamen wechselvollen Geschichte. Das ging nicht. Interessant ist nun: Europas Krise, die als Währungskrise wahrgenommen wird, die aber in Wirklichkeit eine politische Krise ist, erfordert jetzt den Schritt, der Helmut Kohl vorschwebte: die politische Union, und damit eine Koordination der Finanz- und Wirtschaftspolitik, wie sie namentlich Jacques Delors, der EU-Kommissionspräsident der Jahre 1985 bis 1995, immer wollte. Merkwürdigerweise ist dies bislang an den deutschen Konservativen und Liberalen gescheitert. Für sie war eine Wirtschaftsregierung stets des Teufels, während die Franzosen sie konsequent gefordert haben. Es ist schon eine Ironie der Geschichte, dass ausgerechnet diejenigen, die immer gegen die Wirtschaftsregierung waren, jetzt dafür sein müssen, weil sie den Euro dauerhaft stabilisieren wollen. Man darf gespannt sein, wie die Kanzlerin und die Union diesen Widerspruch auflösen werden.

Und es erklärt das Aufkommen der euro-rebellischen „Alternative für Deutschland“, die nur knapp den Sprung in den Bundestag verpasst hat …

… so ist es. Anders als für diese Leute bleiben für mich allerdings die vereinbarten Schritte richtig und wichtig. Sie müssen im Zuge einer intensivierten europäischen Integration getan werden.

Was heißt das für die Franzosen? Ihre Idee hat sich durchgesetzt?

Frankreich hat allen Grund, stolz auf das Erreichte zu sein. Delors’ Forderung nach einer europäischen Wirtschaftsregierung ist nun zum Allgemeingut geworden und steht in Brüssel ganz oben auf der Agenda. Das müsste Frankreich große Selbstsicherheit geben und Kraft für die dringend notwendigen wirtschaftspolitischen Reformen. Der Sieg der Franzosen auf der europäischen Ebene verpflichtet sie im Inneren zu konsequenten Strukturreformen, auf dem Arbeitsmarkt, bei der Rente. Deutschland hingegen hat mit der Agenda 2010 längst die notwendigen Anpassungen vollzogen und ist nun gefordert, europapolitisch nachzuziehen, indem es zugunsten einer verstärkten europäischen Integration ein gewisses Maß an Souveränitätsverzicht leistet. Das ist die Aufgabe, vor der Deutschland steht. Auch in der Vergangenheit haben wir ja immer gesagt: Die Zukunft kann nur ein europäisches Deutschland, aber kein deutsches Europa sein. Auf diesem Weg müssen wir konsequent weitergehen.

Die deutsche Furcht vor der Wirtschaftsregierung war ja immer, dass damit die Unabhängigkeit einer Notenbank, die ausschließlich der Geldwertstabilität verpflichtet ist, drangegeben wird. Das ist jetzt schon mehr oder weniger passiert: Die Europäische Zentralbank interveniert massiv in Europas Schuldenkrise.

Das lese ich auch immer in der einschlägigen Presse. Aber da kann ich nur sagen: Die Wirklichkeit sieht anders aus. Diese Souveränität der Europäischen Zentralbank hat tatsächlich ebenso wenig je existiert wie die Souveränität der Bundesbank.

Ist das so? War die Unabhängigkeit nicht gesetzlich garantiert?

Natürlich war und ist sie das. Dennoch hat es immer Diskussionen zwischen der Regierung auf der einen Seite und der Bundesbank auf der anderen Seite gegeben. Der jeweilige Bundesbankpräsident oder sein Vize sitzt bei den Beratungen über den Haushalt immer mit am Kabinettstisch. Außerdem ist es so, dass der Bundesbankpräsident nicht geheim gewählt wird, sondern dass ihn die Bundesregierung vorschlägt. Natürlich wird nach fachlicher Eignung entschieden, aber eben auch unter politischen Gesichtspunkten – bei allem Respekt vor der Unabhängigkeit der Bundesbank.

Jetzt rauben Sie uns aber eine Illusion … Die Bundesbank schien in ihrer Unabhängigkeit unantastbar, oder, wie Jacques Delors immer spöttelte: Der Deutsche glaubt nicht an den lieben Gott, aber an die Bundesbank.

Ich glaube, der Deutsche glaubt doch eher an Gott als an die Bundesbank. Das ist auch richtig so – gerade wenn ich mir die Position der Bundesbank in der Euro-Krise anschaue.

Wenn Sie andeuten, so weit sei es nicht her mit der Unabhängigkeit der Bundesbank: Wie weit reichte dann die Einflussnahme in Ihrer Zeit? Hat das Kanzleramt gar die Zinssätze vorgegeben?

Nein, das konnte man nicht. Aber es gab eine öffentliche Debatte, an der sich auch Politiker beteiligt haben. Das bleibt sicher nicht ohne Einfluss auf die Bundesbank. Keine Institution – wiederum bei allem Respekt vor der Unabhängigkeit der Bundesbank – ist völlig unbeeinflusst von dem, was sich in der Gesellschaft, insbesondere in ihren meinungsbildenden Kreisen, abspielt.

Wer den Euro als „Frühgeburt“ gescholten hat, muss erst recht gegen Rettungsschirme und Milliardenrisiken für den Steuerzahler sein. Wie ist da heute Ihre Position?

Meine skeptische Position zum Euro habe ich aufgegeben. Zwar war die damalige Analyse, dass eine koordinierte Finanz- und Wirtschaftspolitik fehlt, richtig. Um den Euro langfristig stabil zu halten, brauchen wir diese Koordinierung. Aber die Gegner des...

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