1. Von der Frühzeit bis zu den ersten Fürstentümern, bis 6. Jahrhundert
Austronesische Wanderungsbewegungen und Handelswege
Die Ur- und Frühgeschichte des Malaiischen Archipels liegt immer noch weitgehend im Dunkeln. Seit Eugène Dubois 1891 auf Java Überreste des Homo erectus (Java-Mensch) entdeckte, weiß man, dass die Region eine uralte Bes iedlungsgeschichte aufweist. Die Überreste des Homo floresiensis, deren Entdeckung auf der ostindonesischen Insel Flores im Jahr 2003 eine Sensation darstellte, werden von manchen Wissenschaftlern ebenfalls mit dem Homo erectus in Verbindung gebracht. Bevor der Homo floresiensis vor ca. 18.000 Jahren ausstarb, muss es somit in Indonesien zwei Menschenarten, den Homo sapiens und den Homo floresiensis, gleichzeitig gegeben haben. Wann die negriden und weddiden Völker, die vor den Austronesiern im Archipel vorherrschend waren, dort einwanderten, weiß man nicht. Felszeichnungen, die erst kürzlich in der Maros-Höhle im südlichen Sulawesi entdeckt wurden und i hnen zugeschrieben werden müssen, werden auf ein Alter von ca. 39.000 Jahren geschätzt. Damit sind sie etwa so alt wie die Zeichnungen der El Castillo-Höhle in Nordspanien (40.000 Jahre), die als die ältesten der Welt gelten. Negride und Weddide waren im ganzen Archipel verbreitet, als ab 3000 v. Chr. die sogenannten austronesischen Wanderungen einsetzten, die bis heute die ethnische Zusammensetzung der Bevölkerung Indonesiens prägen. Ausgangspunkt dieser Wanderbewegungen waren Taiwan und angrenzende chinesische Festlandgebiete. Sie liefen vermutlich über die Philippinen, erreichten dann Borneo, wo ein neuer Formationsraum entstand, und schließlich ab 1000 v. Chr. Java. Weitere Völkerwanderungen stießen schließlich bis Madagaskar im Westen vor und durchdrangen im Osten den gesamten Pazifischen Ozean.
Heute ist ganz Indonesien von austronesischen Völkern besiedelt, die zum größten Teil Sprachen des malaio-polynesischen Sprachzweiges sprechen. Signifikante Ausnahmen gibt es nur im Osten, wo auf Neuguinea und vorgelagerten Inseln Papuasprachen oder Sprachen anderer austronesischer Sprachzweige verbreitet sind. Die Verdrängung der weddiden und negriden Gruppen erfolgte wohl in vielen Fällen durch Assimilation, was auch die große ethnische Vielfalt in Indonesien zumindest teilweise erklären mag. Heute geht man, je nach Abgrenzung, von 250 oder sogar noch mehr ethnischen Gruppen aus, hinzu kommen weit mehr als 100 Papuavölker. Zur ethnischen Zusammensetzung zählen im Übrigen auch weddide und negride Restgruppen vor allem auf Sumatra und den östlichen Inseln.
Über die Ur- und Frühgeschichte ist nur wenig Konkretes bekannt. Die Forschung dazu steckt trotz aller Fortschritte noch in den Kinderschuhen. Fest steht aber, dass die einwandernden Austronesier modernere Wirtschaftsformen mitbrachten, darunter vor allem auch den Reisanbau. Ebenso steht fest, dass bereits in der frühen Phase ein Austausch, etwa von Luxusgütern (s.u.), mit den Nachbarregionen existiert hat. Ein prägnantes Beispiel sind die in großen Teilen des Archipels gefundenen Bronzetrommeln aus der bronzezeitlichen Dong-Son-Kultur, die von etwa 800 v. Chr. bis 200 n. Chr. ihr Zentrum im heutigen Nordvietnam und in Südchina hatte. Schon in dieser frühen Zeit steuerte der Archipel Güter für den Austausch bei. Seit dem 1. Jahrhundert v. Chr. importierte das Römische Reich Gewürznelken und Sandelholz aus dem östlichen Archipel. Indonesien war somit bereits sehr früh in das internationale Handelsnetz eingebunden, das sich von China im Osten über die verschiedenen asiatischen Regionen bis zum Römischen Reich erstreckte.
Anfangs ging der Haupthandelsweg am Archipel vorbei über den Isthmus von Kra und von dort weiter in Richtung China. Seit dem 1. Jahrhundert v. Chr. war Funan im Mekongdelta ein wichtiger Entrepôt-Hafen, in dem nicht nur Güter umgeschlagen wurden, sondern die Segelschiffe vor ihrer Weiterreise auch den Wechsel der Monsunwinde abwarten mussten. Funan nutzte seine geographische Position im asiatischen Seehandel; gleichzeitig waren die natürlichen Bedingungen für intensiven Reisanbau sehr günstig, so dass Funan in der Lage war, die Versorgung für eine größere Zahl von Menschen und damit auch für eine größere Hafenstadt zu gewährleisten. Funan gilt als erstes sogenanntes indisiertes Königreich Südostasiens. Es war fest in das Handelsnetz integriert und dominierte den Seeverkehr nach China.
Händler aus dem Archipel hatten dagegen lediglich Kontakte nach Westen, also Indien – bis sich die Verhältnisse im 4. Jahrhundert fundamental änderten. Probleme in der zentralasiatischen Steppe, im Bereich der transkontinentalen Seidenstraße, brachten den festländischen Handel nach Westen zum Erliegen. Damit stieg das Interesse Chinas am Seehandel, und chinesische Schiffe begannen nun selbst auf der Seehandelsroute zu operieren. Das taten sie unter Umgehung Funans und der Landenge von Kra. Der Seeweg durch die Malakkastraße brachte sie aber in direkten Kontakt mit den kleinen Häfen im westlichen Archipel. In der Folge blühten einige Häfen an den dortigen Küsten auf. Die damit in Gang gesetzten gesellschaftlichen und dann auch politischen Entwicklungen waren gravierend und bestimmten den gesamten weiteren Verlauf der Geschichte des insularen Südostasien.
Dong-Son-Trommel, eine Bronzetrommel aus der südostasiatischen Bronzezeit, 3. Jahrhundert v. Chr. bis 1. Jahrhundert n. Chr.
Die bis dahin existierenden Gesellschaften waren Stammesgesellschaften, die clanmäßig organisiert waren. Ihre Glaubensvorstellungen waren animistisch, wobei die Ahnenverehrung einen wichtigen Platz einnahm. Die spirituellen Fähigkeiten, das heißt in erster Linie die Fähigkeit, über den Kontakt mit den Ahnen das Wohlergehen der Gemeinschaft sicherzustellen, machten einen geeigneten Anführer aus. Dieser war Primus inter Pares; Dynastien und schroffe Hierarchien waren unbekannt. Der ab dem 4. Jahrhundert aufblühende Seehandel eröffnete neue Möglichkeiten im Archipel und im Asienhandel, brachte aber auch neue Notwendigkeiten. Ein Resultat der Außenbeziehungen war, wie oben erwähnt, das Auftreten von Luxusgütern, die immer wichtiger für den rituellen Austausch innerhalb der Gemeinschaft wurden. Damit entstanden nun Ungleichheiten in der Gemeinschaft und es bildeten sich erste Formen von Hierarchien heraus. Schließlich entwickelte sich die Verfügung über die Luxusgüter zu einem Monopol, in dem der Herrschende die Gegenstände der Begierde nach unten verteilte und Abhängigkeiten schuf. Dieses Prinzip prägte für die folgenden Jahrhunderte alle an dieser Entwicklung beteiligten archipelagischen Gesellschaften. In einer fortgeschrittenen Phase dieses Transformationsprozesses wurde aus der Stammesgesellschaft ein hierarchischer Staat. Dies war eine notwendige Entwicklung, weil die Strukturen der Stammesgesellschaft nicht in der Lage waren, größere Staatsgebilde mit einer moderneren Wirtschaft zu stützen und zu stabilisieren.
Frühe Fürstentümer
Das Vorbild für diesen Übergang in die Staatlichkeit war Funan, die Quelle neuer kognitiver Horizonte hingegen Indien. Es hat nie eine indische Kolonisierung in Südostasien gegeben, wie früher behauptet wurde, sondern eine freiwillige Übernahme indischer Ideen auf der Basis eigener Interessen. Indische Vorstellungen von der Ordnung der Dinge wurden zu jener Zeitenwende und danach dominant in Asien. Die Entwicklung des volkstümlichen Mahayana-Buddhismus, der im Gegensatz zum Hinduismus auch für Mission und Handel offenstand, brachte eine gewaltige Expansion indischer Vorstellungen in Asien mit sich. Sie förderten auch den Seeverkehr zwischen China und Indien, weil sich chinesische Pilger nach Indien begaben und dabei Südostasien passierten. Im Gefolge des Buddhismus gelangten auch Ideen des Brahmanismus und später des Hinduismus nach Südostasien.
Die wichtigsten und fast einzigen schriftlichen Quellen aus jener Zeit sind Aufzeichnungen chinesischer Seefahrer, später auch chinesischer Pilger. Aus ihnen kann man für das 4. Jahrhundert die Existenz von Häfen im Raum Westjava und Südsumatra ableiten, also im Umfeld der Sundastraße, die die beiden Inseln trennt. Bis zu jener Zeit hatten kleine Häfen in jener Region bereits direkten Handelskontakt mit Indien, aber nur indirekten über Funan nach China. Das änderte sich, als die Chin-Dynastie in China ihren Zugang zur zentralasiatischen Landroute verlor und in der Folge den Handel über den Seeweg forcierte. Dabei verließ sie sich aber nicht nur auf die Route über Funan. Unter Umgehung Funans suchten die kleinen Handelshäfen nun direkten Kontakt mit China. In chinesischen Berichten wird eine Region in der Nähe der Sundastraße zunächst als Ko-ying erwähnt; ab dem 5. Jahrhundert taucht dann der Name Ho-lo-tan auf. Im Jahr 430 zum Beispiel bat der Herrscher von Ho-l o-tan beim chinesischen Hof um Schutz für seine Schiffe, die regelmäßig von der Sundastraße aus...