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E-Book

Kognitiv- verhaltenstherapeutisches Gruppenprogramm für Jugendliche mit abhängigem Computer- oder Internetgebrauch

Das 'Lebenslust statt Onlineflucht'-Programm

AutorBettina Moll, Rainer Thomasius
VerlagHogrefe Verlag GmbH & Co. KG
Erscheinungsjahr2019
Seitenanzahl143 Seiten
ISBN9783844429350
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis30,99 EUR
Ob Onlinerollenspiele, Adventure Games, Strategie- oder Shooterspiele, Musikprogramme oder soziale Netzwerke: Viele Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene sind von der Vielfalt des World Wide Web begeistert und verbringen ihre Freizeit gerne vor dem Bildschirm. Aber wann genau hört ein 'normaler' Mediengebrauch auf, und wo beginnt die Abhängigkeit? Das Manual gibt eine Einführung in das Thema der medienbezogenen Störungen unter Berücksichtigung des aktuellen Forschungsstandes zur Ätiologie, Komorbidität und Therapie. Im Praxisteil wird das evaluierte und jahrelang erprobte 'Lebenslust statt Onlineflucht'-Programm vorgestellt. Das Behandlungskonzept umfasst 8 Module à 90 Min. Mit dem Programm kann eine Gruppe von 4 bis 8 Jugendlichen zwischen 14 und 19 Jahren (evtl. erweiterbar auf 13-20 Jahre) von einem dysfunktionalen zu einem funktionalen Internetgebrauch hingeführt werden. Eine Besonderheit des Programms liegt in der Ausrichtung auf junge Menschen und der altersgemäßen Anpassung der Interventionen. Arbeitsblätter zu den Modulen stehen auf CD-ROM zur Verfügung.

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Leseprobe

|15|Kapitel 1
Das Phänomen des abhängigen Computer- und Internetgebrauchs


1.1 Begrifflichkeit und diagnostische Kriterien


1.1.1 Definition und Begrifflichkeit

Bevor wir näher auf die Inhalte des zu beschreibenden Phänomens eingehen, erscheint es notwendig, Begrifflichkeiten zu thematisieren. Trotz weitgehender Übereinstimmung hinsichtlich der Symptome werden in der Literatur eine Reihe unterschiedlicher Bezeichnungen gebraucht. Der Begriff der Internetsucht bzw. Internetabhängigkeit (internet addiction, z. B. Young, 1998, Chou et al., 2005) ist der historisch älteste und der in der Forschung weithin dominierende Ausdruck (vgl. Petersen et al., 2009; Rehbein et al., 2013). In Anlehnung an das pathologische Glücksspiel hat sich außerdem der Begriff des pathologischen Internetgebrauchs (pathological internet use, z. B. Davis, 2001; Zimmerl, Panosch & Masser, 1998) etabliert3, der inhaltlich in der Frage der ungeklärten zukünftigen diagnostischen Oberkategorie als Sucht- oder Zwangs- bzw. Impulskontrollstörung neutral bleibt. Die vorgeschlagenen Begriffe gründen also darin, dass die von den Betroffenen, deren Angehörigen und den behandelnden Klinikern beschriebenen Probleme deutliche Ähnlichkeiten zu den klassischen Suchtstörungen und dem pathologischen Glücksspiel aufweisen. Die begriffliche Differenzierung ist zudem unterschiedlichen Auffassungen hinsichtlich des Störungsverständnisses und einer immer noch uneinheitlichen nosologischen Einordnung bzw. dem Mangel an einheitlichen Definitionen geschuldet. Fasst man das Phänomen weiter, so könnte man es als die Unfähigkeit zur Kontrolle der Internetnutzung konzeptualisieren, welche zu einem beträchtlichen Ausmaß an negativen Konsequenzen im täglichen Leben führt (vgl. Pies, 2009; Spada, 2014). Im vorliegenden Manual verwenden wir hauptsächlich die Ausdrücke abhängiger Computer- oder Internetgebrauch bzw. Internetabhängigkeit, welche sich in der Fachliteratur etabliert haben und auf angenommene konzeptionelle Parallelen zu anderen Formen der Abhängigkeit hinweisen.

1.1.2 Diagnostik der Internetabhängigkeit

Im Allgemeinen wird der Internetnutzung dann ein Krankheitswert beigemessen, wenn die Symptome einer psychischen Abhängigkeit (etwa starkes Verlangen/Eingenommensein; Unruhe, Gereiztheit als Entzugssymptome) sowie ein klinisch relevanter Leidensdruck erlebt werden und das Verhalten trotz negativer Konsequenzen (starke Einengung bzw. Vernachlässigung anderer Interessen oder Aktivitäten) aufrechterhalten wird (Mann et al., 2013). In diesen zentralen Kriterien weist die Internetabhängigkeit eine deutliche phänomenologische Übereinstimmung zu den substanzbezogenen Suchtstörungen und der Spielsucht auf (Mann et al., 2014). Während unter den sogenannten Verhaltenssüchten (s. Abschn. 1.2) allein das pathologische Glücksspiel anhand von zehn Kriterien (von denen mindestens fünf erfüllt sein müssen) differenziert diagnostiziert werden kann (Saß, Wittchen, Zaudig & Houben, 2003) und in der neuesten Fassung des Diagnostic and Statistical Manual of mental Disorders (DSM-5) der American Psychiatric Association (APA; 2013, 2015) auch den Suchterkrankungen zugeschrieben wird, ist die Internet- oder Computerspielabhängigkeit als offizielle psychiatrische Diagnose derzeit noch nicht anerkannt. In der Praxis erfolgt die Diagnosestellung daher zumeist anhand der Kriterien stoffgebundener Abhängigkeiten |16|oder des pathologischen Glücksspiels (Petersen & Thomasius, 2010; Mößle et al., 2014). Das DSM-5 macht nun erstmals den Vorschlag einer Forschungsdiagnose, welche sich zunächst auf den besser untersuchten Bereich der Internetspiele (Internet Gaming Disorder, IGD) bezieht (vgl. Abschn. 1.3.5). Die Diagnose umfasst insgesamt neun Kriterien (gedankliche Vereinnahmung, Entzugserscheinungen, Toleranzentwicklung, Kontrollverlust, Fortsetzung trotz negativer Konsequenzen, verhaltensbezogene Vereinnahmung, dysfunktionale Stressbewältigung, Dissimulation, Gefährdungen und Verluste), die sich deutlich an den Kriterien der Störungen im Zusammenhang mit psychotropen Substanzen (Alkohol, illegale Drogen, weiteren Substanzen) und abhängigen Verhaltensweisen (Glücksspiel) orientieren und von denen fünf erfüllt sein sollen, um die Diagnose IGD zu vergeben (vgl. Kasten 1).

Kasten 1:Vorgeschlagene Kriterien der Störung durch Spielen von Internetspielen (Internet Gaming Disorder) nach DSM-54

Störung durch Spielen von Internetspielen

Vorgeschlagene Kriterien nach DSM-5

Dauerhafte und wiederkehrende Nutzung des Internets, um sich mit Spielen zu beschäftigen, häufig mit mehreren anderen Spielern, führt in klinisch bedeutsamer Weise zu Beeinträchtigungen oder Leiden, wobei mindestens fünf der folgenden Kriterien innerhalb eines Zeitraums von 12 Monaten vorliegen.

  1. Übermäßige Beschäftigung mit Internetspielen (Der Betroffene denkt über vorhergehende Spielaktivitäten nach oder beabsichtigt, das nächste Spiel zu spielen; das Spielen von Internetspielen wird zur Haupttätigkeit des Tages).

    Beachte: Diese Störung ist von Glücksspiel im Internet zu unterscheiden, das der Diagnose Störung durch Glücksspielen zuzuordnen ist.

  2. Entzugssymptomatik, wenn das Spielen von Internetspielen wegfällt. (Die Symptome werden typischerweise als Reizbarkeit, Ängstlichkeit oder Traurigkeit beschrieben, es finden sich jedoch keine körperlichen Zeichen eines pharmakologischen Entzugssyndroms.)

  3. Toleranzentwicklung – das Bedürfnis, zunehmend mehr Zeit mit dem Spielen von Internetspielen zu verbringen.

  4. Erfolglose Versuche, die Teilnahme an Internetspielen zu kontrollieren.

  5. Interessenverlust an früheren Hobbys und Freizeitbeschäftigungen als Ergebnis und mit Ausnahme des Spielens von Internetspielen.

  6. Fortgeführtes exzessives Spielen von Internetspielen trotz der Einsicht in die psychosozialen Folgen.

  7. Täuschen von Familienangehörigen, Therapeuten und anderen bezüglich des Umfangs des Spielens von Internetspielen.

  8. Nutzen von Internetspielen, um einer negativen Stimmungslage zu entfliehen oder sie abzuschwächen (z. B. Gefühl der Hilflosigkeit, Schuldgefühle, Ängstlichkeit).

  9. Gefährdung oder Verlust einer wichtigen Beziehung, der Arbeitsstelle oder Ausbildungs-/Karrieremöglichkeit aufgrund der Teilnahme an Internetspielen.

Beachte: Nur Internetspiele, die keine Glücksspiele sind, werden diesem Störungsbild zugeordnet. Die Verwendung des Internets für notwendige geschäftliche und berufliche Aktivitäten wird nicht eingeschlossen sowie die Internetnutzung für Freizeit oder soziale Kontakte. Internetseiten mit sexuellem Inhalt sind ebenfalls ausgeschlossen.

Bestimme den aktuellen Schweregrad:

Die Störung durch Spielen von Internetspielen kann leicht, mittel oder schwer ausgeprägt sein, abhängig vom Grad der Störung normaler Aktivitäten. Betroffene mit einer weniger schweren Störung durch Spielen von Internetspielen zeigen weniger Symptome und sind weniger in ihrer Lebensführung beeinträchtigt. Die Betroffenen mit einer schweren Störung durch Spielen von Internetspielen verbringen mehr Zeit am Computer und erleben schwerere Beeinträchtigungen in Beziehungen oder Karriere- und Ausbildungsmöglichkeiten.

|17|Auch wenn die Kriterien den bisher verwendeten Verfahren sehr ähnlich sind, muss sich die Validität des Kriterienkatalogs in weiterer Forschung bestätigen lassen. Der gegenwärtige Stand der Diskussion zu einer Neufassung der International Classification of Diseases (ICD-11) sieht hingegen die Möglichkeit einer Eingruppierung im Suchtkapitel vor. Die diagnostischen Kriterien nach DSM-5, von denen fünf für eine Diagnose...

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