2. Kognitive Verhaltenstherapie für Kinder und Jugendliche
2.1 Kognitive Verhaltenstherapie für Kinder unter 12 Jahren
Kognitive Verhaltenstherapie (KVT) setzt die Fähigkeit voraus, Denkweisen systematisch zu identifizieren, infrage zu stellen und Alternativen zu entwickeln. Der Prozess verlangt einen gewissen Grad an kognitiver Reife und Differenziertheit sowie die Fähigkeit, abstrakte Aufgaben zu lösen – zum Beispiel Ereignisse unter wechselnden Perspektiven zu betrachten oder alternative Bedeutungszuschreibungen zu formulieren. Die Frage, inwieweit junge Kinder über die kognitive Reife verfügen, um „über das Denken nachdenken zu können“, ist nach wie vor umstritten.
Trotz fortgesetzter Debatte aber wird die KVT häufig zur Behandlung von Kindern eingesetzt. Ein Forschungsbericht über 101 KVT-Interventionen kam zu dem Ergebnis, dass 79 Prozent der durchgeführten Therapien mit Kindern unter 10 Jahren erfolgten (Durlak et al., 1995). KVT wurde erfolgreich bei Kindern unter 7 Jahren praktiziert, und zwar für vielfältige Probleme wie Enkopresis (Ronen, 1993), Enuresis (Ronen et al., 1995), Schulverweigerung (King et al., 1998b), Bauchschmerzen (Sanders et al., 1994), generalisierte Angststörung (Dadds et al., 1997; Silverman et al., 1999a), Phobien (Silverman et al., 1999b), sexueller Missbrauch (Cohen und Mannarino, 1996; Deblinger et al., 1990) und Verhaltensauffälligkeiten im Vorschulalter (Douglas, 1998).
Gleichwohl hat man festgestellt, dass Kinder unter 9 Jahren von den kognitiv-verhaltenstherapeutischen Interventionen weniger profitieren als ältere Kinder. Eine Metaanalyse der KVT für Kinder unter 13 Jahren kam zu dem Ergebnis, dass das Verfahren zwar Kindern aller Altersgruppen zuträglich ist, jüngere Kinder aber in geringerem Maße profitieren (Durlak et al., 1991). Unklar ist allerdings, ob die jüngeren Kinder aufgrund mangelnder kognitiver Reife mit den Aufgaben der KVT überfordert sind oder ob die Interventionen ihrem Entwicklungsstand nicht angepasst waren. Einige wenige Studien berichten über spezifische Modifizierungen für jüngere Kinder. Die Abstimmung der KVT-Konzepte und -Techniken auf das Entwicklungsniveau des individuellen Kindes könnte es erleichtern, einige der Entwicklungsschwierigkeiten zu überwinden (Ronen, 1992).
Obgleich kognitiv-verhaltenstherapeutische Interventionen mitunter einen hohen Grad an Differenziertheit und Komplexität aufweisen, setzen zahlreiche Aufgaben kein abstraktes theoretisches Denken, sondern vielmehr die Fähigkeit voraus, über konkrete Angelegenheiten und Schwierigkeiten folgerichtig nachzudenken (Harrington et al., 1998). Viele basale Aufgaben der Kognitiven Verhaltenstherapie können von den meisten Kindern, die das konkrete operationale Stadium der kognitiven Entwicklung erreicht haben (7 bis 12 Jahre), gelöst werden (Verduyn, 2000). Es ist jedoch notwendig, das Material dem individuellen Entwicklungsstand eines jeden Kindes anzupassen. Von konkreteren Techniken, die mit klaren, einfachen Anweisungen arbeiten, können die meisten jüngeren Kinder profitieren, während sich Jugendliche in aller Regel auch auf anspruchsvollere Prozesse, etwa das Identifizieren dysfunktionaler Annahmen und die kognitive Umstrukturierung, einlassen können.
Wer mit jüngeren Kindern arbeitet, steht vor der Herausforderung, abstrakte Konzepte in einfache, konkrete, verständliche Beispiele und Metaphern zu übersetzen, die dem Kind aus seinem täglichen Leben vertraut sind. Die Therapie soll ihm Spaß machen, es zu aktiver Beteiligung anregen und sein Interesse wecken. Dies setzt voraus, dass der Therapeut ihm altersangemessene Materialien und Konzepte anbietet (Young & Brown, 1996). Ronen (1992) entwickelte zum Beispiel Ideen, wie man Kindern die Konzepte der automatischen Gedanken („man tut etwas, ohne darüber nachzudenken“) und der vermittelten Gedanken („ein Kommando oder eine Anordnung, die das Gehirn an den Körper sendet“) spielerisch nahebringen kann.
So veranschaulichte er die vermittelten Gedanken durch ein Spiel, in dem Kommandeure (das Gehirn) Befehle an ihre Soldaten (den Körper) schicken. Automatische Gedanken können durch ein Spiel mit Wasserfarben veranschaulicht werden: Ein Bach fließt dahin und dahin, ganz wie es ihm beliebt (automatische Gedanken); das Kind kann den Bachlauf aber auch verändern und ihn nach seinen Vorstellungen lenken (vermittelte Gedanken).
Metaphern sind hilfreich, um abstrakte Konzepte auf konkrete und verständliche Weise zu erläutern. Ein aggressives Kind kann zum Beispiel lernen, sich seine Wut als einen Vulkan vorzustellen, der zu brodeln beginnt und schließlich ausbricht. Diese Vorstellung leitet über zum nächsten Schritt, in dem das Kind untersucht, wie es den Vulkanausbruch verhindern kann. Die Metapher eines CD-Players (oder MP3-Players etc.), der im Kopf des Kindes eine CD abspielt, kann die automatischen Gedanken veranschaulichen, während die DVD-Player-Metapher das Verständnis intrusiver Bilder erleichtert. Metaphern dieser Art dienen als Ausgangspunkt, um Strategien der Selbstkontrolle zu entwickeln. Mithilfe des Therapeuten erforscht das Kind, wie es seine automatischen Gedanken oder intrusiven Bilder unter Kontrolle bringen kann, indem es den CD-Spieler oder den DVD-Player ausschaltet.
Emotive Vorstellungsübungen können der Literatur zufolge bereits mit Fünfjährigen durchgeführt werden. So wurde die von Lazarus und Abramovitz (1962) entwickelte Methode der emotiven Bildvorstellung zur Behandlung der Dunkelheitsphobie eingesetzt (Jackson & King, 1981; King et al., 1998a). Mut machende Imaginationsübungen werden aktiviert, um einen positiven Affekt zu intensivieren, der unangenehmen emotionalen Reaktionen wie Angst oder Wut entgegenwirkt. Jackson und King (1981) benutzten das Bild von Batman, um einem kleinen Jungen dabei zu helfen, seine Angst vor der Dunkelheit zu überwinden. Bildvorstellungen können freilich auch älteren Kindern helfen; sich eine Comicfigur vorzustellen, die einen lächerlichen Hut trägt, dämpft die Wutgefühle, wenn man zum Beispiel gehänselt oder provoziert wird. Damit solche positiven Bilder und Imaginationen, in denen das Kind schwierige Situationen erfolgreich meistert, die gewünschte Wirkung erzielen, müssen sie seinem Alter angepasst sein und an seine persönlichen Interessen und Phantasien anknüpfen (Rosenstiel & Scott, 1971).
- Kinder ab 7 Jahren können in einer KVT mitarbeiten.
- Die Intervention muss dem kognitiven Entwicklungsstand des Kindes angepasst werden.
- Der Therapeut muss abstrakte Konzepte in einfache, konkrete Beispiele aus dem Alltag übersetzen, die dem Kind vertraut sind.
2.2 Beurteilung der basalen Kompetenzen, über die Kinder verfügen müssen, um von der Kognitiven Verhaltenstherapie zu profitieren
Die basalen kognitiven Fähigkeiten, die ein Kind beherrschen muss, um in der Kognitiven Verhaltenstherapie mitarbeiten zu können, wurden bislang nicht definiert. Grundsätzlich aber muss das Kind in der Lage sein, sich seine Gedanken bewusst zu machen und sie in Worte zu fassen. Darüber hinaus identifizierten Doherr et al. (1999) drei weitere zentrale Erfordernisse, nämlich die Fähigkeit, Ereignissen alternative Bedeutungen zuzuschreiben, die Fähigkeit, Gefühle voneinander zu unterscheiden, und die Fähigkeit, Gedanken und Gefühle in unterschiedlichen Situationen miteinander in Verbindung zu bringen.
Gedanken bewusst machen und in Worte fassen
Direktes Fragen: „Beschreibe, was du gerade denkst.“
Interviews sind eine Quelle reichhaltiger Informationen über die Gedanken und Selbstgespräche des Kindes (Hughes, 1988). Schon dreijährige Kinder können ihre Gedanken in einem Interview erläutern (Hughes, 1988). Auf der einfachsten Ebene geschieht dies, indem der Therapeut das Kind auffordert: „Beschreibe mir doch bitte mal, was du denkst“, oder: „Welche Gedanken gingen dir durch den Kopf, als du mich zum ersten Mal gesehen hast?“ Manche Kinder sind in der Lage, unterschiedliche Gedanken zu identifizieren und in Worte zu fassen, die mit dem kognitiven Dreieck zusammenhängen. Sie schildern Gedanken, die sich auf ihre Selbstwahrnehmung beziehen („Ich komme mir so dumm vor, wenn ich mit Ihnen rede“, oder: „Sie müssen mich für idiotisch halten, weil ich mich über diese Dinge aufrege“), auf ihre Überzeugung, dass die Welt ungerecht ist („Ich musste mein Fußballtraining ausfallen lassen, um hierherzukommen!“, oder: „Die Einzige, die ein Problem hat, ist meine Mutter. Sie sollten mit ihr reden statt mit mir!“), oder auf die Zukunft („Ich glaube nicht, dass es mir etwas bringt, hierherzukommen. Es wird sich sowieso nichts ändern“).
Nicht wenige Kinder aber reagieren auf solche direkten Fragen ausweichend: „Ich weiß nicht“, oder: „Ich habe gar nichts gedacht.“ Das bedeutet nicht zwangsläufig, dass sie keinen Zugang zu ihren Gedanken haben, sondern verweist eher auf die Notwendigkeit, einen anderen, indirekten Ansatz zu wählen.
Indirekter Ansatz: „Beschreibe eine schwierige Situation aus den letzten Tagen.“
Jüngeren Kindern fällt es wahrscheinlich leichter, an eine schwierige Situation aus den letzten Tagen zurückzudenken. Helfen Sie ihnen, das Ereignis zu beschreiben oder es zu malen, und achten Sie darauf, ob das Kind in der Lage ist, gleichzeitig auch Gedanken / Zuschreibungen in Worte zu fassen. Ermutigen Sie es, die Gedanken, die es an spezifischen Zeitpunkten hatte, etwa unmittelbar vor oder nach dem Ereignis oder während des Geschehens, zu schildern; diese Strukturierung macht es einfacher, die Selbstgespräche des Kindes zu identifizieren (Kendall & Chansky, 1991). In anderen Situationen...